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40

Creith House befand sich in jener Unruhe und Unordnung, die überall dort herrschen, wo eine längere Reise angetreten werden soll. Der Lord freute sich wie ein Schuljunge auf die Fahrt, aber Joan war dem Zusammenbruch nahe. Die Erlebnisse der letzten Tage hatten sie bis aufs äußerste erschöpft. Am Abend faßte sie den Entschluß, zu Ferdie zu gehen und sich mit ihm auseinanderzusetzen. Die Lage mußte geklärt werden.

Lord Creith sah sie die Treppe herunterkommen.

»Gehst du noch aus?« fragte er bestürzt. »Aber Joan, du kannst doch nicht so spät noch fortgehen! Es ist sehr stürmisch!«

»Ich möchte nur bis ans Parktor gehen.«

Es tat ihr leid, daß sie ihn belügen mußte.

»Ich werde dich begleiten.«

»Nein, danke, ich möchte lieber allein sein.«

*

Mrs. Cornford hatte einen bösen Abend mit ihrem Patienten gehabt, und der Arzt, der in aller Eile gerufen worden war, hielt seinen Zustand für bedenklich.

»Ich fürchte, der Mann ist reif fürs Irrenhaus. Morgen werde ich Doktor Truman aus Little Lexham mitbringen, damit er ihn untersucht.«

»Glauben Sie wirklich, daß er den Verstand verloren hat?«

»Unheilbare Trinker verfallen gewöhnlich mit der Zeit dem Wahnsinn. Können Sie mir sagen, ob er sich irgendwie stark aufgeregt hat?«

»Soviel ich weiß, nicht. Er stand heute morgen auf, ging in den Garten und war eigentlich sehr vernünftig. Aber heute nachmittag« – sie zeigte auf eine leere Whiskyflasche – »habe ich dies im Garten gefunden. Ich weiß nicht, wie er dazu gekommen ist. Wahrscheinlich hat er wieder einen Jungen aus dem Dorf zum ›Roten Löwen‹ geschickt.«

Der Doktor schaute die Flasche an.

»Da hätten wir ja die Erklärung«, sagte er. »Ich glaube, unser Freund wird jetzt lange Zeit keinen Tropfen Alkohol mehr bekommen. Am liebsten würde ich ihn gleich von hier fortbringen lassen, aber ich kann leider jetzt keinen Krankenwagen mehr bekommen. Passen Sie diese Nacht noch gut auf ihn auf.«

Farringdon schrie und tobte, aber man konnte kaum etwas verstehen.

»Joan, Joan!« brüllte er in Zwischenräumen.

»Diese Joan muß irgendeine Rolle gespielt haben«, meinte der Arzt. »Haben Sie eine Ahnung, wer sie sein könnte?«

»Nein.«

Sie hatte zwar einen leisen Verdacht, aber sie hütete sich, ihn auszusprechen.

Der Doktor ging, und gleich darauf erschien Joan.

»Sie dürfen nicht zu ihm hinein«, erklärte Mrs. Cornford, als Joan ihr sagte, warum sie gekommen war.

»Aber ich muß mit ihm sprechen!«

Ihr Mut sank, als sie die wütenden Schreie und die fast unmenschliche Stimme aus dem Nebenzimmer hörte.

»Geht es ihm so schlecht?« fragte sie leise.

»Ja, so schlimm war es noch nie.«

»Sie können ja auch nicht verstehen, warum ich mit ihm sprechen muß«, sagte Joan mit einem schwachen Lächeln. »Vielleicht erzähle ich es Ihnen später einmal.«

Sie griff nach ihrem Mantel.

»Es war töricht von mir, noch herzukommen«, gestand sie. »Nein, begleiten Sie mich nicht, ich kann meinen Weg allein finden. Bitte, bringen Sie mich auch nicht an die Tür.«

Sie verließ das Haus. Zur linken Seite sah sie ein erleuchtetes Fenster – Farringdons Schlafzimmer. Sie trat näher und hörte wieder die schrecklichen Flüche und Schreie des Kranken. Sie schauderte, zog ihren Mantel dichter zusammen und schlich davon. Aber gleich darauf erkannte sie im Dunkeln undeutlich die Gestalt eines Mannes. Sie drückte sich in den Schatten des Gebüsches. Er kam langsam und geräuschlos näher, als ob er nicht bemerkt werden wollte. Sie hätte ihn an der Schulter berühren können, so nahe ging er an ihr vorbei. Neugierig wartete sie, um zu entdecken, wer dieser Besucher von Mrs. Cornford sein könne.

Zu ihrem größten Erstaunen klopfte er nicht, sondern hielt vor dem Fenster des Krankenzimmers an und machte sich am Laden zu schaffen. Es war ein französisches Fenster, das man von unten nach oben schieben konnte. Der Mann öffnete es mit einer Hand, und sie stand starr vor Schrecken, konnte keinen Schritt tun und nicht einmal schreien, als ein Revolver in seiner Hand aufblitzte. Sie schaute nur entsetzt auf die Maske, die sein Gesicht verhüllte.

»Jim!« rief sie schwach.

Im gleichen Augenblick feuerte der Mann zweimal, Farringdon schrie laut auf und stürzte tot zu Boden.


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