Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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11.

Octob. 27. 63.

Lieber Freund!

Immer mehr beschäftigt mich der Gedanke, Sie nun bald in unserer Mitte zu sehen, und es soll mir ein rechter Sonntag des Herzens sein, es Ihnen so behaglich wie möglich zu machen. Ich glaube unsere Häuslichkeit birgt die Elemente zu einem traulichen Zusammenleben in sich, ohne Gêne oder sonstige Opfer für den Einzelnen. La vie est une science, sagt ein geistreicher Franzose, sie muss erlernt werden. Wie auf dem Meere Windstille eintritt, wie der Himmel zuweilen wolkenlos erscheint, so auch giebt es im Menschen-Dasein Augenblicke, wo das Schicksal den Athem einhält. Möchte uns ein solcher Augenblick zu Theil werden!

Was ich so innig wünsche und erstrebe, ist zugleich so wenig, dass es Ihnen vielleicht nur ein Lächeln entlockt. Nämlich, Sie wenigstens Einmal im Jahre bei uns heimisch zu sehen, so sehr, dass Ihnen jede Ecke des Hauses bekannt sei, und dass die Kinder Ihnen nicht entfremdet werden.

Die Erinnerung an Ihr Zusammen-Leben mit uns, den Kindern frisch zu erhalten, war ich stets bemüht, und noch heute kennen sie das Asyl nur unter dem Namen: Onkel Wagner's Garten. Schmerzlich berührte mich der Gedanke, es in fremde Hände übergehen zu sehen. Jetzt erst erhalte ich hierin einige Sicherheit und Ruhe, da nun das Häuschen zu dem Uebrigen hinzugezogen worden ist, und mit dem grossen Gute als zusammengehörend betrachtet wird, vermittelst Gemüse-Anlagen und dergleichen, dann aber auch, weil in den untern Räumen Carl's Lernzimmer und das Zimmer seines Lehrers eingerichtet wurde. Auf diese Weise kommt das Häuschen unter meine specielle Aufsicht, und mir ist es gegeben, es vor Verfall oder Vernachlässigung zu schützen. Dass auch das mir eine Art wehmüthiger Freude gewährt, brauche ich Ihnen kaum zu sagen. Sie selbst wissen zu gut, welche Befriedigung das Herz in solchen Dingen sucht, die an und für sich nichts sind, und bei der Menge so gern mit dem Worte »nutzlos« bezeichnet werden. Dem Herzen ist hier Alles wichtig, es bleibt stets ideal, und die Welt kann ihm nichts anhaben. Es schliesst mit goldenem Schlüssel auf, und ist entwischt, wenn sie glaubt, es recht gefesselt zu haben.

Hoffentlich höre ich nun bald von Ihnen und Ihren Plänen! Die schönen zauberhaft verklärten Herbsttage sind nun vorüber, und der frostige Freund Winter steht vor der Thüre. Innen aber wird es warm und hell. Otto's Genesung schreitet nach Wunsch voran, und bald hoff' ich, wird die letzte Spur der Krankheit getilgt sein. Halten auch Sie sich tapfer, und bewahren in liebendem Herzen Ihre

Mathilde Wesendonk.


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