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Luzern, 23. Mai 59.
Das KriegsliedVgl. Gedichte von M. W. Zürich o. J. Seite 53, Soldatenlied. Freundin, war ganz vortrefflich, und jedenfalls ein guter Einfall. Es ist so etwas darin, wie im Wetterzauber meines Donner im Rheingold, der Liszt so sehr gefiel. Mit der Musik dazu hatte es nun aber eine eigene Bewandniss, die Sie mir kaum glauben werden, wenn ich sie Ihnen erzähle. Auf der letzten Heimfahrt nach Luzern machte mir der Rhythmus des Dampfwagen wieder Musik vor, und brachte mich auf die Musik zu Egmont von Beethoven. Ich liess diese durch mein Gedächtniss laufen, sah mir das »Leidvoll und freudvoll« genau an, und fand, dass es nicht gelungen sei; desto besser bestand beim Examen das Soldatenlied, das ich durchaus vortrefflich und originell finden musste, so dass ich in Gedanken es zweimal durchging und sang.
Dabei hatte ich nicht eine Ahnung von Absicht, sondern ich fiel auf dieses Lied rein nur aus dem Vergleich mit dem andren. Nun denken Sie sich meine Ueberraschung, als ich zu Haus Ihr Lied vorfinde, auf gerade jene Melodie gedichtet, der gegenüber ich soeben das »freudvoll und leidvoll« verworfen hatte, und – weil ich nun einmal das Lied kritisirte, auch den Text corrigirt hatte; nämlich den schlechten Reim:
»himmelhoch jauchzend
zum Tode betrübt:
glücklich allein,
ist die Seele die liebt«
hatte ich dahin geändert:
»glücklich allein ist wer Redlichkeit übt«,
was offenbar besser klingt.Natürlich humoristisch gemeint; vgl. S. 141 unten.
Also das mit dem Soldatenlied und der Musik dazu war vollkommen gelungen. Gott aber, wenn Sie uns nur nicht eines Tages fortlaufen, und unter das Militär gehen! Ich sehe Sie schon im »Genie« dienen.
Und wie geht es sonst? Hat Myrrha gestern meine Depesche schön lesen können? Ich hatte sie sehr sauber geschrieben. Aber Mykis Handschrift wird immer schöner; wenn sie so fortfährt, bringt sie's noch bis zur Hand der Mutter, über die nun dann allerdings es nicht mehr hinausgeht.
Ausser Ihnen hat mir noch Liszt gratulirt, und zwar telegraphisch, wofür ich denn sogleich durch den Telegraphen auch wieder dankte. Ausserdem ist mir eine Hoffnung zu nichte geworden: Sie wissen, ich hoffte Karl RitterGlasenapp, II, 2, 208/9. würde es nicht über sich bringen, mich für diesen Tag ohne Gruss zu lassen, wobei ich denn auch von dem Verschollenen erfahren hätte. Da ist nun aber nichts eingetroffen, was mich recht besorgt macht. Offenbar will er mich seiner Familie gegenüber nicht compromittiren.
Glücklicher war ich mit Frau Ritter (Mutter), von welcher ich bei meiner letzten Heimkehr ebenfalls einen Brief vorfand, der mir zeigte, dass es mir gelungen war, sie einigermaassen aufzuklären, und somit selbst auch zu beruhigen. Sonderbar – auf gewisse Andeutungen von mir gab sie mir die Antwort: »der gute Karl handelt eben oft zu unüberlegt; als er sich plötzlich zu einem der wichtigsten Lebensschritte entschloss, war alle meine Bitte, sich etwas Zeit zu lassen und nicht so schnell durch ein Versprechen sich zu binden, vergebens!« O Fatum!
Wer hat Recht und wer Unrecht in dieser Welt? Das ist ein Durcheinander von Neigung und Abneigung, Begehren und Verstossen: wer Lebensruhe wünscht, steckt endlich einen Gränzpfahl, – hier soll's stehen bleiben und sich nicht mehr ändern! Und der Pfahl steckt gerade da, wo eben das Begehren weilen wollte: – aber es weilte eben nicht, und dann? –
»Wer ist denn glücklich?« –
Das ist dann das beste Beruhigungsmittel; – worauf dann zwar immer noch geantwortet werden kann:
»wer Redlichkeit übt« –
oder auch:
»die Trommel gerührt, das Pfeifchen gespielt.«
Halten Sie mich für verrückt??
So ein wenig unsinnig werde ich wohl mit der Zeit werden. Wie ich in den Tag hinein lebe, ist wohl auch noch selten vorgekommen. Alles was ich von Plan in mir haben könnte, zerfällt im Augenblick, so wie ich's fester ansehe; nichts hält Stich. In vier Wochen weiss ich positiv nicht, wo ich mein Vorhandensein unterbringen soll, und da kein Plan gut ist, gebe ich mich jetzt mit wahrem Fatalismus dem Ungefähr hin, trinke seit gestern Kissinger Wasser, zwinge mich zu nichts, namentlich auch nicht zum Arbeiten. Sehe zu, wie's jeden Tag wieder droht zu regnen, antworte Härtels nicht, die mich um »Manuscript« (!) mahnen, lasse mir Kinderkissen schenken, und Männerzwieback schicken, und denke »wer nur den lieben Gott lässt walten«! So geht es endlich ganz passabel und ich lasse es ganz einfach auf ein Wunder ankommen; wer weiss, vielleicht geschieht eines! – Wirklich, es ist nicht der Mühe werth, dass man sich quält; das Beste kommt einem doch »unerbeten, unerfleht – am willigsten«, wie Egmont der Schlaf. –
Sehen Sie, so könnte ich noch Stundenlang mit Ihnen fortschwatzen, wenn Wesendonk nicht über den einen oder den andren Punkt eine Discussion eröffnen würde, die dann das Geschwätz mehr präcisiren dürfte. – Es ist die Tage warm in der Welt: Gott, wie ist das schön! Also doch etwas: der Mensch kann leicht gekleidet gehen, – was allerdings eigentlich nicht sein sollte, denn es ist besser, wenn es kalt ist, und man dafür warm angekleidet gehen kann! Hierüber liesse sich sogleich ein wenig streiten!
– Von meiner Kiste aus Venedig immer noch nichts: auch das wird mir endlich gleichgültig, selbst ob der Siegfried verloren geht. Was kann ich anders dafür thun, als höchstens ohne Erfolg mich ängstigen? Dagegen habe ich zum Parzival wieder eine ganz neue Erfindung gemacht, trotzdem ich Ihr BuchSan Marte, Parzival, Rittergedicht von Wolfram von Eschenbach, 1836, 2. Aufl. 1858 erschienen; vgl. den nächsten Brief. noch nicht gelesen habe. Sonst lese ich überhaupt gar nichts, als Abends die Allgemeine, die ich nun doch aber bald zur Seite werfen will, und zwar gründlich. Zu nichts aber habe ich festen Trieb; doch will ich den Plato vornehmen; ein Blick hinein that mir sehr wohl. Man soll durchaus nur immer mit den Edelsten umgehen; alles Uebrige ist Erniedrigung, und tausendfach abgeschwächte Ableitung vom Urquell. (Nun, das ist doch wenigstens ein vernünftiger Vorsatz?)
Vielleicht kommt Tausig nächstens zu mir: er ist zu haben und hat Lust. Heute habe ich ein wenig gearbeitet, wobei es mir wieder ging, wie vorgestern. Was sagen Sie zu mir, Sie Kriegslustige? Ich – so friedlich, dass ich nicht einmal mehr mit mir selber Krieg führe?
Aber Eines ist gut und dauernd: – tausend Dank für Ihre Wünsche! – Schreiben Sie mir bald wieder, wie ich Ihnen vorkomme; ich will daran sehen, was an mir ist! Schönste Grüsse – und herzlichen Dank!
Ihr R. W.