Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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92.

Paris, 10. Oct. 59.

In Erwartung baldiger guter Nachrichten über Karl's Befinden, will ich Ihnen, liebes Kind, zur Zerstreuung allerhand vorplaudern.Edmond Roche. Heute hatte ich ein sehr überraschendes Abenteuer. Ich erkundige mich in einem Bureau der Douane nach meinen angekommenen Luzerner Sachen: die Colli's standen im Buche, nicht aber mein Name; ich zeige meinen Avis-brief vor und nenne meinen Namen; da erhebt sich einer der Angestellten:Edmont Roche »Je connais bien Mr. Richard Wagner, puisque j'ai son Medaillon suspendu sur mon piano et je suis son plus ardent admirateur.« »Quoi?« »Ne soyez pas surpris de rencontrer à la douane de Paris un homme capable de goûter les incomparables beautés de vos partitions, que j'ai etudiées toutes« etc. –

Ich war wie im Traum. Einen Enthusiasten auf der Douane, jetzt, wo ich mit dem Empfang meiner Möbel so grossen Schwierigkeiten entgegensehe! Der gute Mensch sprang, und lief, und half mir: er selbst hatte zu visitiren. Er hat eine Frau, die sehr gut Klavier spielt; er selbst aspirirt als Literat, und bestreitet einstweilen sein Auskommen durch seine Anstellung. Er erzählte von einem ausgebreiteteren Kreis, der sich fast ausschliesslich durch Ausbreitung der Bekanntschaft mit meinen Werken gebildet habe. Da er nicht deutsch versteht, so wandt' ich ein, wie ich nicht begriffe, dass er an einer Musik Gefallen haben könnte, die so ganz mit der Poesie und dem Ausdruck des Verses zusammenhinge? Darauf er: gerade, weil sie so bestimmt mit der poetischen Sprache zusammenhinge, vermöge er so leicht aus der Musik auf die Poesie zu schliessen, so dass ihm die fremde Sprache durch die Musik vollkommen verständlich würde. Was war da zu thun? Ich muss anfangen, an Wunder zu glauben! – Und das auf der Douane! – Ich habe meinen neuen Freund, der mich sehr gerührt hat (Sie können sich denken, wie glücklich ich ihn machte) gebeten, mich zu besuchen. –

Wissen Sie, dass mich meine Opern in Paris wirklich keine so paradoxe Unmöglichkeit dünken? Bülow hat mir einen hiesigen Arzt und Autor, Dr. Gasperini empfohlen, der mit einem seiner Freunde, ebenfalls Stockfranzose, ganz im gleichen Falle ist, wie mein Visitator auf der Douane. Die Menschen spielen mir hier den Tannhäuser und Lohengrin vor, ohne dass ich ein Wort dazu sagen darf. Dass sie nicht deutsch können, genirt sie nicht im Mindesten. – Nun aber hatte sich der DirectorMr. Carvalho; vgl. Glasenapp II, 2, 224. des Théâtre lyrique bei mir ansagen lassen, um den Tannhäuser von mir zu hören. Sie trafen Alle zusammen, und ich musste mich denn wieder einmal opfern, zunächst mit französischer genauer Erklärung des Textes (was mich das kostete!) dann mit Singen und Spielen. Nun ging ihnen doch erst das eigentliche Licht auf, und der Eindruck schien ausserordentlich zu sein. Das ist mir Alles so unerhört mit diesen Franzosen!

Dagegen erhalte ich aus Deutschland immer nur dumpfe, muffige Nachrichten. Freund Devrient liegt Alles daran, sein »Institut« im ungestörtesten Gleichgewicht zu erhalten, und Alles Ungewöhnliche, Vorübergehende, als störend von ihm fern zu halten. Eine total stimmlose hohe Sopranistin,Vgl. Glasenapp III, 1, 68f. der die Partie der Isolde überall zu tief liegt, und demnach noch gar nicht einmal sich dafür entscheiden kann, ist die Einzige, die mir für meine Heldin angeboten wird, weil sie übrigens eine gute Darstellerin sein soll. Dabei Alles ohne eine Spur von Wärme; für das ganze Unternehmen einzig sprechend, dass ich selbst dabei sein soll, aber eben dafür, auf alle neuere Fragen, durchaus noch keine ganz bestimmte Erklärung, da der Grossherzog immer noch nicht zu haben ist. Da habe ich denn nun immer Lust, kurz abzubrechen. Es ist doch Alles nicht das Rechte, und ich sollte warten können, bis das Rechte sich fügte und mir zu Gebot stellte. Es ist mir so widerlich darnach zu jagen! –

Ja, Kinder! Hättet Ihr in Zürich aus Dank für meinen ehrlichen Schweiss, den ich dort vergossen, es nur so weit gebracht, mir ein halbweg anständiges Theatergebäude zu errichten, so hätte ich für alle Zeiten was ich brauche, und dürfte nach keinen Menschen mehr fragen. Sänger und Orchester, wenn ich ihrer zur ersten Aufführung eines neuen Werkes bedarf, würde ich schon jedesmal zu verschaffen wissen, wie ich sie brauchte; zu diesen Aufführungen müssten die fremden Musikdirectoren und Sänger berufen werden, um sich ein Muster an der Auffassung zu nehmen, und – einmal diess in's Leben gerufen, glaubte ich dann für alles Weitere gesorgt zu haben, und würde ruhig fortleben, ohne mich um das weitere Schicksal meiner Werke zu kümmern. Wie nobel, wie schön, wie mir ganz entsprechend wäre das! Ich brauchte dann keinen Fürsten, keine Amnestie, kein gutes und kein böses Wort: frei stünde ich da, und wär' aller Sorgen um meine Nachkommenschaft ledig. Und nichts weiter, als ein anständiges, keinesweges luxuriöses Theatergebäude. Man sollte sich doch recht schämen! Meinen Sie nicht auch??

Lieber Himmel, das Bischen Freiheit ist doch noch Alles, was einem das Leben erträglich machen kann! Ich kann nun schon gar nicht mehr anders aushalten, und jede Conzession würde mir wie ein tödtlicher Wurm am Herzen nagen. Aecht – oder gar nicht! – So lebe ich denn auch, trotz meinen Pariser Enthusiasten, in grosser und vollständiger Stille fort. Fast den ganzen Tag, und namentlich alle Abende, bin ich allein zu Haus. Diesen Monat habe ich noch meine Einrichtung zu bestehen: ich habe mir doch da wieder viel auf den Hals geladen, und Alles eigentlich nur in der Sucht nach Arbeitsruhe. Aber mein Häuschen wird ganz hübsch werden. Liszt ist hier, dem will ich's morgen zeigen, damit er's Ihnen beschreiben kann. Die weiche Luft und die veränderte Lebensweise thun mir noch nicht wohl. Ich denke, ich werde nächstens einmal wieder reiten müssen. Fürchterlich viel Briefe habe ich immer wieder zu schreiben. Meine besten bleiben aber im Kopfe stecken: das sind die an Sie. Da hätte ich immer allerhand, und doch eigentlich nur das alte Lied, das Sie schon oft hörten, und in dem sich gar nichts ändern will. Mit Plutarch's grossen Männern geht mir's recht, wie Schiller (nicht ganz richtiger Weise) es mit Winkelried ging. Da lässt sich doch eher sagen, ich danke Gott, nicht mit diesen zusammen zu gehören. Hässliche, kleine, gewaltsame Naturen, unersättlich – weil sie so gar nichts in sich haben, und deshalb immer nur von Aussen in sich hineinfressen müssen. Gehe man mir mit diesen grossen Männern! Da lobe ich mir Schopenhauers Wort: nicht der Welteroberer, sondern der Weltüberwinder ist der Bewunderung werth! Gott soll mir diese »gewaltigen« Naturen, diese Napoleone etc. vom Halse halten. – Und was macht Eddamüller?Professor Ettmüller in Zürich, Germanist, Herausgeber und Übersetzer der Eddalieder. Haben Sie den armen Heinrich? Sind Sie mir böse? Oder haben Sie mich noch ein wenig lieb? Sagen Sie mir doch das! Und grüssen Sie den Vetter,– und leben Sie wohl! Tausend Grüsse!

Ihr
R. W.

Am 15. d. M. wohne ich 16 Rue Newton, Champs Elysées.


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