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Paris, 25. Juli 61.
Ich wollte auf zwei Tage zu Ihnen kommen, ehe ich nach Wien reise. Jetzt macht mir das Liszt zu nicht. Er führt am 5. und 6ten August grosse Musik (Faust u. s. w.) von sich in Weimar auf, und hatte abgemacht, ich sollte ihn für einige Zeit besuchen. Nun ich erfuhr, dass er aus Nah und Fern Freunde erwartet, wollte ich mich nicht drunter mischen, und kündigte an, ich würde nicht kommen. Das scheint ihm aber an's Leben zu gehen, und will ich ihn nicht entscheidend kränken, so muss ich kommen. –
Mich betrübt das, denn mein Plan nach Zürich wird dadurch unausführbar. Bald dachte ich, ob Sie es vielleicht möglich machten, zum 5. und 6ten August nach Weimar zu kommen, was Euch Beiden denn doch immer sehr interessant sein müsse, schon um des Ausbleibens von St. Gallen willen. Glauben Sie, dass Otto dazu zu bringen wäre? –
Wenn nicht, so baue ich desto stärker auf Euch für Wien. Dort müsstet Ihr spätestens so Ende September hinkommen, und wo möglich recht lange bleiben. –
Ich schreibe Ihnen nicht, weil ich Sie nicht betrüben will. Ich denke eben zuviel an Sie! – Das Gefühl der Fremde in dieser Welt wird für mich immer stärker. Wahrlich, ich weiss nicht, warum diesen Lebensunsinn aushalten? –
Gott weiss, ob mich der Tristan wieder belebt. Blicke ich durch Zufall einmal in die Partitur, so erschrecke (ich) doch mannigmal über die Möglichkeit, das bald hören zu sollen. – Von Neuem erstaune ich darüber, wie wenig Einen eigentlich die Menschen kennen können. Wie ganz anders bin ich, wenn ich für mich bin, und wenn ich zu Andren trete. Ich muss oft über das Gespenst lachen, was dann vor die Leute tritt! –
Doch, zu was das? –
Wie geht's mit der Gesundheit? Wirken nun die Bäder gut? – Kraft! wir brauchen's noch! –
Montag will ich hier fort reisen: eine schnelle Antwort trifft mich noch. Dann bis 6. August Weimar. Dann – Wien, K. K. Hofoperntheater. – Doch schreibe ich wohl, wenn ich Sie nicht sehe! –
Gegrüsst aus tiefstem Herzen!
R. W.