Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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138.

Penzing. 3. August 1863.

Liebste Meisterin!

Nach Ihren letzten lieben Zeilen hätte ich eigentlich noch auf »ausführlicheres« aus Schwalbach zu warten gehabt. Ich reiste drüber nach Pest,Am 23. und 28. Juli 1863; vgl. Glasenapp II, 2, 434. wohin ich von den Ungarn eingeladen worden war, um zwei »Conzerte« zu geben. Von da kam ich vor einigen Tagen zurück, und fand wenigstens die verhiessene Lampe vor, die ich sehr schön und meisterlich finde, und wofür ich bestens gedankt haben wollte. –

Mit meinem Asyl ist's so – so; eigentlich curios. Das Bedürfniss einer stätigeren Niederlassung mit entsprechender angenehmer Wohnung war überwältigend geworden. Ich fühlte, dass ich erst von solch einer Grundlage aus mich noch einmal – zum letzten Mal – nach der Welt umsehen konnte, um zu erkennen, wie es mit ihr und mir steht. Ich finde nun, dass es nicht allerbestens steht, und bereue innigst mein armes, theuer erworbenes Geld daran gewandt zu haben, mir die kostspielige Basis zu jener Erkenntnisstufe zu schaffen. Da mich nun einmal Niemand bei sich aufnehmen will, so hätte ich besser gethan, mit meinen paar tausend russischen Rubeln mich in irgend einen italienischen Spittel einzukaufen, um fortan die Welt Welt sein zu lassen. Ich weiss wirklich nicht mehr, was ich in ihr soll. Das sage ich Ihnen recht wahr und ruhig aus tiefster Seele! Sollte ich Ihnen die sonderbaren Missgeschicke aufzählen, die seit meinem Fortgange aus der Schweiz mich verfolgen, so müssten Sie selbst darin eine fast systematische Berechnung des Schicksals, mich von meinem Vorhaben abzubringen, finden. Ich hab' kein Glück! Und etwas Glück gehört dazu, um unser Eines in der Täuschung zu erhalten, als gehöre er zur Welt. –

Meisterin, es steht nicht gut mit mir! – Und des Lebens bin ich recht überdrüssig. Das habe ich letzthin während einer Todesgefahr, in welche ich gerieth, recht deutlich erfahren. Das begegnete in Pest auf der Donau, in demselben Kahn, in welchem vorigen Sommer zwei junge ungarische Cavaliere von Rotterdam bis Pest fuhren. Eine artige, gescheite Frau, Gräfin Bethlen, Mutter von sechs Kindern, hatte es übernommen zu steuern. Bei heftigem Sturm wurde sie ängstlich und brachte den Kahn unter den Wind: die Wellen schlugen ihn gegen ein Floss, dass er zerkrachte. Mich fasste nur Mitleid für die arme Mutter, während mich persönlich ein so eigenthümliches Wohlgefühl ergriff und so angenehm stärkte, dass unsre jungen Leute sich gar nicht genug über mein Benehmen wundern konnten, während sie bei mir nervösen Menschen eine grosse Aufregung voraussetzen zu müssen geglaubt hatten. Als sie mich belobten, – denn ich trug Einiges zur Rettung bei, – musste ich fast laut lachen!

Was hilft das Alles! Es stirbt sich nicht so leicht, und namentlich wenn's noch nicht sein soll. Diese Bewandniss muss es aber mit mir haben. Nur kann ich gar nicht mehr ersehen, zu was ich aufgespart bin. Vielleicht meinen Lieben etwas zu sein?? Kann ich ihnen weniger sein, wenn sie mich todt wissen, als so, da ich von allen Seiten her abgeschieden bin, und nur leide? Persönlich kann ich Niemand mehr etwas sein: und mein Geist? Der bleibt ihnen, während er mein Herz nicht mehr erquickt. Ich hab' keine Lust mehr, – zu nichts. Mir fehlt jede Andacht, jede Sammlung: eine tiefe, ruhelose Zerstreutheit beherrscht mein Inneres. Ich hab' keine Gegenwart, und ganz ersichtlich keine Zukunft. Von Glauben nicht eine Spur. Wohl hätte die rechte künstlerische Thätigkeit, die Aufführung meiner neuen Werke Vieles und Grosses ändern können. Meine Rückkehr nach Deutschland hat mir dagegen den Todesstoss gegeben: es ist ein elendes Land, und ein gewisser Ruge hat Recht, wenn er sagt: »der Deutsche ist niederträchtig.« Es ist da nicht eine Spur von Hoffnung vorhanden, und wie es mit meinen einst vermeinten hohen Gönnern steht, können Sie nur daraus schon ersehen, dass ich zur Wiederaufführung meiner Wiener Conzerte von den Prager Czechen, von den Russen, von den Ungarn eingeladen worden bin, während ich mich darauf gefasst mache, dass meine biedren Deutschen, wenn ich mich ihnen anbiete, mir den Abschlag geben. In Berlin hat der IntendantGlasenapp II, 2, 426 f. sich geweigert, mich zu empfangen. U. s. w. –

Seit meiner Zurückkunft aus Russland ist mir es noch nicht möglich gewesen, einen Menschen vom hiesigen Theater aufzusuchen. Mein Ekel vor dem Verkehr mit diesen Leuten ist so stark, dass ich unfähig bin, mehr etwas zu unternehmen, wozu ich sie gebrauchen würde. Das findet endlich jeder natürlich, der es kennt: nur ist damit auch erklärt, dass meine Laufbahn hiermit geschlossen ist. Glauben Sie mir, das ist ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass selbst Sie eigentlich meine Werke nicht kennen: ich brauche nur ein Bruchstück davon völlig aufzuführen, als auch die begabtesten und erfahrensten meiner Jünger sogleich gestehen müssen, zuvor von dem Tonstück so gut wie keinen Begriff gehabt zu haben. – Was ist nun mein Geist, meine Werke? – ohne mich sind sie für Niemand da. Ja! Das macht mir meine arme Person sehr wichtig: nur gerade diese Person – existirt eben auch nur für mich! Das ist eine böse Sache. Es mag sich wohl darüber sprechen lassen, auch manches Trostreiche, emphatisch Täuschende: – aber, es fruchtet eben bei mir nichts mehr! Ich hör', es sind Worte, und sehe es sogar, namentlich wenn sie geschrieben sind, wie denn all' mein Verkehr mit den Menschen fast nur noch brieflich ist.

Was mache ich nun mit meinem Asyl, trotz Mappe und Lampe? Eine schlimme Frage, namentlich bei meiner grossen Zerstreutheit. – Ich überlege mir das hin und her. Soll ich mir noch einmal eine Zeit setzen, eine gewisse Anzahl von Jahren, vielleicht fünf? Wie fang ich's an, diese Jahre zu gewinnen? Das wird mir sehr schwer, und eigentlich begreife ich gar nicht, wie? Meine Bedürfnisse mehren sich: ich habe einen doppelten Hausstand zu unterhalten, zwei ganz elende! – Da bin ich denn endlich auf meine Person verfallen. Nach meinen Werken fragt Niemand: die Welt kennt und beachtet nur den Virtuosen. Nun hat mir die Noth aber gezeigt, dass ich auch ein Virtuos bin. An der Spitze eines Orchesters scheine ich diese Wirkung auf die Menschen hervorzubringen. Die Ungarn, die keinen Begriff von meiner Musik hatten, und auf ihrem Nationaltheater einzig von Verdi u.s.w. leben, erfassten jedes meiner Stücke aus Nibelungen, Tristan, Meistersinger, ganz unglaublich lebhaft, – wie es deutlich war, weil ich sie ihnen auf- und vorführte. So sage ich mir denn, wenn ich mir jetzt so überlege, wie ich meine »Zeit« gewinnen wollte, ich müsse herumreisen und Conzerte geben. Dazu werde ich ganz wahrscheinlich auch greifen. Nur ist das Schlimme, ich halte das nicht oft und lange aus. Meine Ueberanstrengung bei solchen Aufführungen und Proben ist maasslos. Doch versuchen will ich's. Vielleicht arrangiren Sie mir, wenn ich Sie darum angehe, selbst in Zürich so ein neues Bruchstück – »Conzert«; nur möchte es dort schwer fallen, denn meine arme »Person« braucht sehr viel andere Personen, um persönlich wirken zu können. Doch, sei dem wie ihm wolle, Sie werden nächstens erfahren, dass ich irgendwo wieder Conzerte gebe: die Einen werden sagen: »ah, der will sich Geld machen!« – wenige Andere vielleicht: »man sagt, er wolle sterben!« –

Aber vielleicht geht Alles ganz gut ab, und mein Asyl (das wie vielste?) kommt mir noch einmal zu statten: die Lampe leuchtet noch, die Mappe füllt sich, und – ein Theeservice (mein altes ist mir unerreichbar!) erquickt mich behaglich. Gott! es ist Alles möglich, und obwohl ich immer Schmerz und Pein in meinem nervenzermarterten Leibe empfinde, lacht doch mein Arzt, wenn ich ihn frage, ob das nicht endlich bald einmal zu einer zerstörenden Krankheit führen müsse. Das soll Einem nun frischen Muth machen! In Wahrheit, man befindet sich elend, aber man befindet sich. Nur die völlige Einsamkeit kann ich nicht mehr ertragen: mit dem alten Jagdhunde, den mir mein Hauswirth geschenkt hat, geht es doch nicht allein. Mit meinem 50sten Jahre ist mir so eine Sehnsucht nach einem töchterlichen Elemente gekommen. Als Bülow vor Kurzem in Berlin mir sein kleines Töchterchen, mit dem Bedauern, dass es nur ein Töchterchen sei, präsentirte, leuchtete mir etwas auf, und ich sagte ihm: sei froh, an dieser Tochter wirst du grosse Freude haben. Mir ward neulich ein junges Mädchen von 17 Jahren aus unbescholtener Familie als sanft, dienstwillig und recht unverdorben empfohlen. Ich nahm sie in's Haus, mir den Thee zu serviren, meine Sachen in Ordnung zu halten, und bei Tische und des Abends zugegen zu sein. Gott, welche Pein für mich, das arme Kind, ohne es zu ersichtlich zu kränken, wieder aus dem Hause zu bekommen! Sie langweilte sich fürchterlich, sehnte sich in die Stadt zurück, gab sich aber wieder alle Mühe, das zu verbergen, so dass ich mir nur dadurch wieder endlich einmal ein relatives Glück erschuf, dass ich sie los ward, wozu mir meine Verreisung helfen musste! – Ach Gott! Und doch wäre es leicht, mich zu befriedigen: ich hab' die Erfahrung, wie gut ich mir schon mit meinen Dienstboten helfe. Ich dachte an Vreneli, die mich in Luzern bediente: sie konnte nicht abkommen. Neuerdings hat sich die ältere Schwester des heimgeschickten Mädchens bei mir gemeldet: sie ist erfahrener, gemessen, scheint sanft und ist nicht unangenehm. Ich denke wohl nun, mit der es noch einmal zu versuchen.

Sehen Sie, so geht es: ich muss mir nun einmal Alles mit Geld zu verschaffen suchen, vermuthlich weil ich so viel hab'! – Sie sollen erfahren, wie's ausfällt.

Jetzt sehe ich aber ein, ich muss in meinem Briefschreiben etwas Einhalt thun. Ihr Mann wird mit Recht mich zu schelten haben, dass ich Sie aufrege! Wirklich, Beste, ich hab' es schwer, Ihnen zu schreiben. Alles Süsse, was mich jetzt einzig noch zu Zeiten labt, ist Erinnerung und liegt in der Vergangenheit: davon kann und darf ich nicht schreiben! Was bleibt nun? Eine wirklich reine Freude, ein angenehmes Erlebniss aus der Gegenwart würde ich Ihnen so gern mittheilen; aber wo hernehmen und nicht erfinden? Dass ich bald ertrunken wär', hab' ich Ihnen schon erzählt, und nun ist's aus! – Soll ich Ihnen schreiben, wie ich vom Publikum da oder dort gefeiert und applaudirt worden bin? Glauben Sie mir wirklich, ich rechne das den Leuten hoch an, und schätze es nicht gering, dass ich mit meiner Musik die Menschen fast ganz zu dem gleichen Enthusiasmus bewege, wie dies gewöhnlich von Tänzerinnen und ähnlichen Künstlern geschieht: aber, Gott verzeih' mir's, ich bin allemal froh, wenn es vorüber ist, und denke nicht gern wieder dran. Es ist vielleicht reine Undankbarkeit, die überhaupt erwiesener Maassen eines meiner Hauptlaster ist. Hie und da kreuzt meinen Trübsinn eine angenehm täuschende flüchtige Erscheinung lieblicherer Art: z.B. hatte ich in Pest zum Vortrag kleiner Bruchstücke der Elsa eine blutjunge, schöne Sängerin mit seelenvollster naiver Stimme; sie war Ungarin, sprach das Deutsche reizend correct aus, und hatte in ihrem Leben wohl noch nichts rechtes von Musik gewusst. Ich war ganz gerührt, einmal so etwas Reines, Unverdorbenes für meine Musik zu bekommen, und das gute Kind schien wieder von mir und der Musik in der Weise gerührt zu sein, dass sie zum ersten Male in ihrem Leben wirklich empfand. Unbeschreiblich lieblich und ergreifend war der Ausbruch dieser Empfindungen, und es konnte manchem den Anschein haben, als hätte das Mädchen eine heftige Liebe zu mir gefasst. Auch der habe ich nun einmal wieder zu »schreiben«. – Sehen Sie, ich sage Ihnen alles Gute; aber nun weiss ich nichts Rechtes mehr, und ich weiss noch nicht einmal, ob Sie die letzte Geschichte mir als etwas »Gutes« anrechnen werden. – Aber, es giebt doch dem Briefe eine Wendung, und Sie können schliesslich doch Ihrem Manne etwas von mir erzählen. Dem Ärmsten scheint auch allerhand Plage beschieden zu sein: von Amerika will ich gar nicht sprechen (denn ich habe an meinem Deutschland gerade genug!) aber dass ihn immer noch das ärgerliche Halsleiden plagt, und ihn selbst oft vom Widersprechen abhält (wie er mir sehr liebenswürdig bekannte) das ist doch Misgeschick genug. Er meint, er müsse sich einmal in eine Situation bringen, wo er gar nicht zum Sprechen verführt würde: ich will ihm vorschlagen, einmal für ein paar Monate mit mir zu tauschen, – wohl gemerkt: wenn ich in Penzing bin, nicht gerade wenn ich Conzerte gebe, denn dann wäre er in 14 Tagen hin. – Mich muss doch Otto eigentlich fürchterlich satt haben: wie hat er mir nicht immer schon zu helfen gesucht; wie oft hat er nicht schon gemeint, es müsste doch nun endlich mit mir gehen, – und immer steht's wieder auf dem alten Fleck, nichts will fruchten – es ist alles weggeworfen! Ja, ich glaub' auch, 's ist Alles verschwendet an mir: die Jäger sagen in solchem Falle, es sei Einem »ein Waidmann gesteckt«, d. h. es sei ihm ein Zauber angethan, dass er nicht mehr treffen kann. – So mag's wohl sein! –

Jetzt weiss ich nicht, wohin ich den Brief schicken soll? Am 15. Juli schrieben Sie mir von Zürich, in spätestens 3 Wochen würden Sie wieder zurück sein. Daher halte ich's für das Sicherste, die 3 Wochen in diesen Tagen für abgelaufen anzunehmen, und die alte Adresse auf den Brief zu setzen.

Leben Sie wohl, und haben Sie tausend schönen Dank für Ihr Dasein. Sie existiren noch, – da muss ich wohl auch noch ein wenig mit existiren, wenn's auch darnach ist. Beste Grüsse an Mann und Kinder; sie sollen immerfort anständig von mir denken. Der lange Plauderbrief ist fertig: möge er Sie nicht zu traurig stimmen! Bedenken Sie, dass ich ihn doch immer noch schreiben konnte! – Adieu, beste Meisterin!

Ihr R. W.


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