Richard Wagner
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk
Richard Wagner

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88.

Luzern, 16. Aug. 59.

So wäre ich denn nach der Anstrengung der Arbeit im Zeitpunkt der Erholung angekommen, um einen prüfenden Blick auf die Welt zu werfen, die mir weiter helfen soll. Sie nimmt sich mir sonderbar genug aus, und scheint mir rein Alles zu wehren, so dass ich mich ernstlich frage, was ich darin noch soll? –

Freundin, ich muss hierüber kurz sein; und gerade Sie haben mir kürzlich etwas Behutsamkeit in meinen Auslassungen recht zur Pflicht gemacht. Werden Sie's für Behagen und harmonische Stimmung halten, wenn ich Ihnen melde, dass ich jetzt entschlossen bin, mich rein unthätig meinem Schicksal zu überlassen, die Hände in den Schooss zu legen, und einmal bewegungslos abzuwarten, bis man sich um mich kümmert? – Genug; ich sitze wieder im Schweizerhof, als meinem letzten Refugium, und werde hier sitzen bleiben, bis – man mich hinauswirft. Mein freier Entschluss ist hierbei nicht massgebend: sondern es bleibt mir einfach nichts andres übrig.

Ich geniesse hier einen guten Ruf, und gedenke mich dessen angenehmen Schutze zu überlassen. – Als ich vorgestern Myrrha gratulirte, telegraphirte ich zugleich an Liszt, um ihm zu sagen, dass ich ihn hier erwarten würde. Statt der Antwort erhielt ich gestern einen Brief von Prinzessin Maria, worin sie mir ihre Verlobung mit einem jungen Fürsten Hohenlohe anzeigte, und – in ihrer Betrübniss, die Altenburg nun bald ganz verlassen zu müssen – bat, bis zum October (ihrer Hochzeit) ihr Liszt's ununterbrochene Nähe noch zu gönnen.Vgl. Brief an Liszt vom 19. August 1859; Briefwechsel II, 255 f. Somit fällt mir jetzt auch der angenehme Vorwand, meinen Freund hier zu erwarten, hinweg. – Ed. Devrient meldet mir in dem letzten Briefe, dass er anderes zu thun habe, als mit mir sich Rendezvous zu geben. –

Ein Blick in das Kaltbad auf dem Rigi überzeugte mich, dass an mein Verweilen dort nicht zu denken sei. Schlechtes Wetter machte die Erquickung des Rigi vollkommen. In erträglicher Laune, dennoch in halber Verzweiflung – weil ich hier so gut wie gar kein Zimmer vorfand, – machte ich mich vorgestern dagegen auf den Pilatus auf, um in Zukunft Ihnen doch wenigstens genaue Auskunft über diese Partie geben zu können. Sie ist sehr schön, sehr bequem, und der Pilatus verdient grosse Propaganda. Gestern zurückgekehrt traf ich Briefe, die mich vollends in die Lage versetzten, mich aller Mittel zur Selbsthülfe zu begeben, und mich auf's gänzlich Unbegränzte in ein kleines Zimmer des Schweizerhofes zurückzuziehen. Mein Flügel steht schön eingepackt im Schuppen; aber den Divan hat man mir wieder ausgepackt, und das Kinderkissen auch. Da will ich denn nun einmal Ihrem Rathe folgen, und mich um gar nichts in der Welt bekümmern, und warten, wie das Ding wird. – Haben Sie nun genug? – Ich denke, es muss Ihnen Freude machen, wenn ich die Strohhalmen so gelassen um mich liegen lasse. Meine Laune ist dabei ganz vortrefflich.

Melden Sie mir, was die Diplomaten machen. Haben Sie tausend Dank für Ihre letzte Nachsicht und den heutigen Zwieback.

Viel Grüsse von Ihrem

R. W.


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