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Mein Gott hat mir gesagt:
»Sohn, man muß mein sein! Mein!
Sieh meine durchbohrte Brust,
mein strahlend, blutend Herz
und meine wunden Füße,
die Magdalenens Schmerz
mit Tränen wusch; und siehst,
siehst die große Pein
meiner Arm' und Hände
durch deine Sündenschuld,
siehst das Kreuz, die Nägel
und spürst und fühlst und glühst,
daß diese bittre Welt
des Fleisches nichts versüßt
als mein Fleisch und mein Blut,
mein Wort und meine Huld.
War ich nicht dein, mein Sohn,
dein bis in den Tod?
mein Bruder du im Vater,
mein Kind, mein Sohn im Geist!
Und hab ich nicht geduldet,
wie die Schrift verheißt?
Hab ich nicht geschluchzt
für deine Angst und Not?
Und war mein blutiger Schweiß nicht
der Schweiß deiner Nächte,
mein Freund, mein armer Freund du,
der gern
zu mir möchte!«
Und ich –: Herr! du sagtest
meine ganze Seele.
Ja! ich will
zu dir, Herr,
suche und finde nicht.
Du, dessen Liebe lodert
wie aller Sonnen Licht:
ich dein sein, dein? ich Wurm
im Staub und voller Fehle!
Du Friedensborn, den alle
Kreatur erlechzet,
ach, Einen Blick nur träufle
in meinen Gram und Wahn!
Darf ich denn wagen, Herr,
nur deinem Hauch zu nahn,
ich, der auf eklen Knieen
hier vor dir kriecht und ächzet!
Und dennoch such ich dich,
taste, tappe nach dir,
daß auf mein Elend falle
nur deines Schattens Zier;
doch
du bist
ohne Schatten,
du, dessen Liebe
lodert,
du süßer Springquell, bitter
nur dem, des Herz noch modert
im Rausch der Sündenlust,
du Licht, ganz Licht, des Glut
und jäher Kuß den blöden
Menschenaugen wehe tut!
»Man muß,
muß mein sein! Ja,
ich bin, bin der
Kuß
der Allbrunst, bin der Odem,
bin dieser Mund, du lieber
Kranker, von dem du stammelst,
der glühende; und dies Fieber,
das deine Nächte schüttelt,
bin alles ich! man
muß
nur
wagen, mein zu sein!
Ja: meine Liebe, die
zu Höhen lodert, wo
dein armes Ziegenseelchen
nicht hinklimmt, wird dich wie
der Adler ein Rotkehlchen
empor zum Himmel tragen,
o Himmeln, die – o sieh:
sieh meine helle Nacht,
du weinend Auge du,
im Schimmer meines Mondes!
sieh dieses Bett von Reinheit,
all diese Unschuld sieh,
all diese Ruh! –
Sei mein!
die zwei Worte
sind meine höchste Einheit,
denn dein allmächtiger Gott
vermag zu wollen – nein:
nur erst vermögen will ich dich:
sei, sei mein!«
»Herr, Herr, zuviel! ich wags nicht.
Ich dein? Wer? ich, und dein?
Nein, nein, nur zagen darf ich,
doch wagen – nein! ich bebe!
ich
will nicht, ich bin unwert!
Ich dein? du, Kelch und Rebe,
du aller Heiligen Herz,
du liebreich Brot und Wein,
du, aller Gnadenwinde
ungeheure Rose,
du Eifrer Israels,
du lichter Falter, dem
nur die junge Blume
der Unschuld angenehm:
und ich soll dein zu sein
vermögen? ich lichtlose
Schlacke, ich Frevler dein?
Herr, bist du rasend?! Ich
Befleckter, dem die Sünde
Beruf ist, der – o Fluch! –
in allen seinen Sinnen,
Gefühl, Geschmack, Geruch,
Gehör, Gesicht, ja, im
Gewissen selbst nicht dich,
in seiner Buße selbst
nur, ach, die Wollust fühlt,
womit der alte Adam
nach neuen Lüsten in ihm wühlt!«
»Drum muß man mein sein! Ich
bins, der in dir rast,
bin der neue Adam,
der den alten frißt,
dein Hunger und dein Manna;
und meine Liebe ist
so strömender, je näher
du der Quelle nahst.
Ein strömend Feuer ist sie,
drin all dein lüstern Blut
auf immer sich verzehrt
und wie ein Duft verdampft;
und ist die Sintflut, deren
schwangere Wut zerstampft
jedweden schlimmen Keim
und all die trübe Brut,
die Ich gesät, daß einst
mein Kreuz so reiner strahle,
und daß auch du dereinst
durch ein furchtbar Mirakel
der Gnade mein sein müßtest,
entsühnt all deiner Makel –
Sei mein! Empor! Sei mein!
Empor mit Einem Male
aus deiner Nacht zu mir,
mir, du verlaßner, armer
Schelm, dem nichts blieb als ich,
dein ewiger Erbarmer!«
»Herr! Herr! ich fürchte mich!
Mein Herz zittert und zagt.
Ich seh, ich fühls: man muß,
muß dein sein. Aber wie,
wie, Gott, mein Gott, dein werden?
du Richter, dessen Knie
selbst der Gerechte kaum
anzurühren wagt!
Ja, wie? Denn sieh, es wankt
der Grund, darinnen hier
mein Herz sein Grab sich grub,
und rings auf meiner Flucht
fühl ich herniederstürzen
des Firmamentes Wucht
und rufe: Herr, wo führt
ein Weg von dir zu mir?!
Reich mir die Hand, mein Leben,
daß dieses Fleisches Weh
und dieser kranke Geist
nur fühle deine Spur!
Denn jemals zu empfangen
und zu genießen je
die himmlische Umarmung:
Herr, ist das möglich nur,
dein zu sein dereinst?
Selig in deinem Schoß,
wie Sankt Johannes, Herr, zu ruhn?
Selig, sündelos?!«
»So möglich wie gewiß.
O komm, o siehe, welch
Entzücken deiner harrt!
Laß ab von deinem Harme
und deinem Trotz! Komm, sinke
in meine offnen Arme
gleichwie der Glühwurm in den
erblühten Lilienkelch.
Komm und verdien es dir!
Komm an mein Ohr, schütt aus
all deine Niedrigkeit
mit deinem höchsten Mute!
Sag alles, Sohn: frei, schlicht
und ohne Stolz im Blute!
Reich mir der Reue blassen
schmachtenden Blumenstrauß!
Dann tritt an meinen Tisch,
einfältiglich! Da soll
ein köstlich Mahl, dem selbst
die Engel andachtvoll
nur zusehn dürfen, dich
erquicken und entsühnen;
da sollst den Wein du trinken,
den Wein des immergrünen
Weinstocks, dessen Güte
und Kraft und Süßigkeit
dein Blut befeuern werden
für die Unsterblichkeit.«
*
»Dann geh und glaube fein
demütig an das Urwort
der Liebe, allwodurch ich
dein Leib und Seele bin!
Und kehre ja, mein Sohn,
sehr oft von neuem in
mein Haus ein, meinen Wein dort
zu kosten und den Schwur dort
zu leisten auf mein Brot,
ohn welches all dein Streben
nur ein Verrat vor mir!
Und bitte mich, wie Brauch,
mich, Vater, Sohn und Geist,
und meine Mutter auch,
daß du das Lämmlein werdest,
das stumm verspritzt sein Leben,
daß du das Kindlein werdest,
bekleidet mit dem Linnen
der Unschuld, und dein eigen
armselig Sein und Sinnen
vergessest, um einst mir
ein wenig gleich zu werden,
mir, der zu Zeiten des
Pilatus und Herodes,
des Petrus und des Judas
auch dir gleich ward auf Erden,
für dich am Kreuz zu sterben
eines verruchten Todes.«
*
»Und um zu lohnen deinen
Eifer in diesen Pflichten,
die also süß, daß ihre
Wonnen unsäglich sind,
will ich dich schmecken lassen
schon auf Erden, Kind,
den Vorschmack meines Friedens:
meine dunkel-lichten
geheimen Nächte, wo
der Geist sich meinen Söhnen
auftut und vom vollen
Kelch der Verklärung trinkt,
wo hoch am heiligen Himmel
der Mond verheißend blinkt
und aus der rosigen Finsternis
die Engelchöre tönen,
verkündend die Entrückung
empor zu meinem Lichte,
die ewigen Küsse meiner
Langmut und Erbarmung,
die Psalmen meines Ruhms
und ewigen Traumgesichte,
die ewige Weisheit und
die ewige Umarmung
im Aufrausch deiner seligen
Schmerzen, die auch mein:
im Aufrausch der Verzückung,
mein zu sein!«
»Ach! Herr! wie wird mir! Sieh mich:
weinend vor deine Füße
stürz ich, schluchzend und jauchzend!
Deine Stimme macht
mir wohl und weh! mein Auge
weint, meine Seele lacht!
und all das Weh, das Wohl
hat all dieselbe Süße.
Aus Tränen jubl' ich, Herr –
aus meiner Inbrunst wecken
mich Hörnerrufe; Waffen
winken auf klingender Au,
funkelnde Schilde, und drüber
Engel in Weiß und Blau,
und dieser Hörnerruf
füllt mich mit Wut und Schrecken!
Den Taumel fühl ich, fühle
das Graun der Auserwählten!
Ja, ich bin unwert, aber:
Herr, deine Gnad ist groß!
Sieh: voller Dank, voll Demut:
hier, sieh mich Schweißgequälten,
o sieh mich Glutbeglückten –
obgleich ein namenlos
Erschauern, Herr, den Trost mir
deines Mundes schwächt,
und zitternd geht mein Atem – –«
»So, altes Herz, so recht!«
Richard Dehmel