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Der Tod Philipps des Zweiten

Septembersonne sinkt, ein Blutmeer auszugießen
auf düstre Flächen, auf der Sierra Gipfelrand,
auf Nebel, die gemach die Ferne überfließen.

Der Guadarrama stößt die Fluten durch den Sand
und spiegelt ein paar dürftige Zwergolivenbäume,
die mit verkrümmten magern Armen stehn am Strand.

Des Westens dunkelnde mattrote Himmelssäume
der Sperber Räuberschwarm im Zickzackflug durchzieht,
und heiser kreischend schrillt ihr Schreien durch die Räume.

Despotisch, Turm an Turm aufreckend zum Zenit,
brutal und massig, in gewaltgen Oktogonen
breitet der Eskurial den Hochmut von Granit.

Die Quadern steigen grad, von großen monotonen
Fenstern durchbrochen, weiß und kahl, durch nichts verschönt
als durch ein Ornament von Gittern und von Kronen.

Und jetzt, wie wenn ein Tier im Todeskampfe stöhnt,
ein Bär, den Hirten mit der Hacke wundgeschlagen,
des greuliches Gebrüll das Echo widertönt,

hinrollend übern Fels als wilder Strom von Klagen,
der endlich sich verliert in langem Weheton,
schallt Glockenläuten, bang vom Abendwind getragen.

Die Gänge des Palasts, drin schwere Schatten dröhn,
durchwallt rundum, als hieratisch krumme Schlange,
im gelben Kuttenkleid der Mönche Prozession:

Asketisch schreiten sie in strengem Einzelgange,
barfuß, im Gürtelstrick, mit brennendem Kerzenlicht,
und schaurig singen sie in lautem Bittgesange.

Wer ringt hier mit dem Tod? Wem streute man die Schicht
von Stroh umher? Wem gilt der schwarzen Schleier Wehen
an Kreuzen, aufgepflanzt nach römischer Kirchenpflicht?

Das düstere Gemach ist hoch und weit: es drehen
sich Mahagonitüren voll Niello-Pracht
in Angeln, die geölt; man hört nicht, wenn sie gehen ...

Ein unbestimmtes Rot, trübseliger als die Nacht,
durchsickert schrägen Strahls die dunklen Vorhangfalten
der Fensterscheiben, die der Abend leuchten macht,

und läßt erflimmern an den Wänden, um des alten
Gerätes Ecken, in der Decke Schattenreich
seltsamen Glorienschein, wie ihn die Künstler malten.

Und in dem Zwielicht, in der Dämmrung tief und bleich
bestürzte Fraun, verstörte Männer hastig gleiten
mit Schritten schleichend-leis, Hyänentritten gleich ...

Die Herrn und Damen hüllt der reichste Putz der Zeiten,
es singen Hermelin, Brokat und Seid' und Samt
in schillernden Skalen hier das Lied der Üppigkeiten,

und durch das Dunkel bohrt, wie fernes Blitzen flammt,
ein fahles Funkeln sich von kupfernen Kürassen
der Königswachen, die in Reihe stehn gestrammt.

Ein Alter im Talar neigt sich mit einem blassen
Runzelgesicht, indes er reibt sein Schenkelbein,
über ein Bett, wie auf ein Buch, das schwer zu fassen.

Vorhänge golddurchwirkt, so starr wie Mauerstein,
fallen von ebenholzner Krone steil hernieder
und blenden Blitz auf Blitz das Aug' mit Demantschein.

Im Bette streckt ein Greis die abgezehrten Glieder;
mit Fingern, die gekrümmt wie Rebgerank, umkrampft
er einen Rosenkranz und küßt ihn hin und wieder.

Aus seinem Munde dumpf gedehntes Keuchen stampft,
des Lebens letztes und des Todes erstes Zeichen,
wobei sein Atem wie furchtbarer Pesthauch dampft.

In seinem Bart, dem amarantenfarbnen, bleichen,
zwischen dem weißen Haar, wo rote Flecke stehn,
unter dem Hemd, so weit vergilbte Spitzen reichen,

wimmelnd in Hast und Gier, den Vorteil zu erspähn,
noch alles Blut zu saugen des Rotwilds, das verendet,
zu Bataillonen geschart die Läuse kommen und gehn,

Der König ists, dem ein Quacksalber Beistand spendet,
Hispaniens zweiter Philipp – gebt ihm Gruß und Ehr!
Der Adler Habsburgs schaut erschreckt, was sich vollendet –

Prunkwappen schimmern an den Wänden ringsumher,
und manche Fahne, drauf der Vogel schwarz sich spreitet,
bewegt sich unruhvoll, als ob in Angst sie wär! –

– Die Türe öffnet sich. Ein greller Lichtstrom weitet
sich, jäh einbrechend, wogt am Estrich hin im Nu,
bis er wie Tafeltuch im Raume sich gebreitet:

mit Fackeln treten ein, verzückt, im plumpen Schuh,
zehn Kapuziner, stehn und beten im Vereine;
doch einer trennt sich, geht schnurstracks dem Bette zu.

Jung ist er, hager-groß, und wie aus hartem Steine,
durch seine Wimpern sticht versteckt und güteleer
des Glaubenseifers Glut in wildem Flackerscheine;

sein Schritt, wie das Gesetz so wuchtig, fest und schwer,
schallt abgemessen auf den feinen Teppichlagen –
den Blick am Boden starr, zum König tritt er her.

Und alle werfen sich zerknirscht ins Knie und schlagen
sich dreimal mit der Faust die Brust, vor Reue toll:
es darf ja seine Hand die heilge Zehrung tragen!

Vom Sterbelager weicht der Gaukler ehrfurchtsvoll,
denn räumen muß zuletzt den Platz in solchem Falle
der Leibarzt dem, der dich, o Seele, heilen soll!

Dem König, der sich wand in seines Leidens Kralle,
wird etwas leichter doch, wie sich der Bruder naht –
so reich ist Religion an süßem Hoffnungsschwalle!

Nun öffnet weit der Mönch sein Aug': ein Feuerrad,
das leuchtet von Verzeihn und lodert von Verdammen –
er steht, als Bote des Vergelters jeder Tat!

Dumpf schlagen durch die Luft die Glocken all zusammen.

– Und es beginnt die Beicht. Seitwärts gewendet ruht
der König, und er spricht in einem hohlen, scheuen
Tone von Flammen und Juden, von Scheiterhaufen und Blut.

»Wie? könnte Sie wohl gar der fromme Eifer reuen?
Juden verbrennen, heißt verdienen Himmelslohn,
und hat Sie nur gezeigt als Gläubigen und Treuen!«

Und wie der Pater steht in Exaltation,
armkreuzend, hocherhobnen Hauptes, scheint der Grimme
ein Marmorbild des Geists der Inquisition.

Der König atmet auf, und mit gebrochner Stimme,
als riss' er stückweis los in bitterschwerer Pein
Aus seiner Seele Grund das Quälende, das Schlimme,

gespenstig überloht vom düstern Fackelschein
das knochige Gesicht, der Stirne blassen Schemen,
stammelt er: Flandern – Alba – Plündrung – Gräberreihn ...

»Rebellisch trotzten selbst der Kirche diese Flämen!
Die Strafe war gerecht, man rühmt Sie Ihnen nach –
und Sie, Sire, zweifeln noch? Das muß mich wundernehmen!

Fahren Sie weiter fort.« Und von Don Carlos sprach
der sieche König jetzt; zwei zitternde Tränen flossen
auf zuckender Wange, die der Knochen fast durchstach.

»Beklagen Sie die Tat? Sie ward mit Recht beschlossen!
Sein Leben wahrlich ja verwirkte der Infant,
der Spanien wollte ziehn in jene schmutzigen Gossen

von Englands Ketzerei, ja dessen Sinn entbrannt
für die Verschwörung – o abscheulichstes Vollenden –
gegen den Vater, den Herrn, vom Höchsten anerkannt!«

Hierauf begann der Mönch, den heilgen Spruch zu spenden,
womit der Himmel alle Sünden uns verzieh,
und griff die Hostie dann mit beiden zagen Händen

und legte langsam auf des Königs Zunge sie.
Ganz stille ward es, und der Hof, gebeugt in Bangen,
lag betend, stumm und bleich: und man erforschte nie,

ob fromm war sein Gebet, ob Haß und Rachverlangen.
– Wer deckte jemals auf der Nachtgedanken Drohn,
die dieses Schweigens Schutz mit Nebelflor umhangen?

In weite Kissen sank nach seiner Kommunion
der König tief zurück: und nun ihm schon hienieden
erschlossen durch das Glück der Absolution

das Reich des Lichtes, das Erlösten ist beschieden,
verklärte sein Gesicht mit wundersamem Glanz
ein Lächeln, das da sprach vom Fieber und vom Frieden;

und während nach dem Bett in angsterfülltem Kranz
hinstarrten Herzog, Graf, Marquis und all die Gäste,
hob seine Seele sich siegreich zum Himmelsglanz.

Dann heulte durch die Brust des Kranken das gepreßte
Röcheln des Todeskampfs in Stößen wild-sonor,
so wie der Sturmwind rast durch morsche Mauerreste!

Und dann nichts mehr; und dann, aus tausend Löchern vor,
wie Schlangen, die fröstelnd fliehn aus ihren dunklen Schächten,
mischten sich auf dem Aas die Würmer dem Läusekorps.

Philipp der Zweite war im Himmel der Gerechten.

Hanns von Gumppenberg


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