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25.

Die Insel Elephanta, von den Eingeborenen Gharapura, das heißt »Grottenstadt«, genannt, hat eine Größe von etwa fünfzehn Quadratkilometern und besteht aus zwei langgestreckten Höhenzügen, die durch ein enges Tal voneinander getrennt sind. Außer einem halben Dutzend brahminischer Grottentempel hat die Insel nur wenige menschliche Ansiedlungen. Am Ufer verstreut liegen die Hütten der Fischer und Schiffer. Auf den Hügeln und an deren Abhängen verstreute Landhäuser und Klöster.

In einer der kleinen Uferhütten hauste Ponks. Hier fühlte er sich sicher. Die kurze Unterredung mit dem Prinzen nach dem Tode der Ria Pombal hatte ihm blitzartig seine Lage beleuchtet. Er kannte alle Schwächen und schwer zu verteidigenden Stellen jenes Gebäudes von Lug und Betrug, in das er sich eingeschlossen hatte. Ponks fühlte, daß Gefahr drohte. Es war ihm bitter, die großen Geldsummen, die ihm für die nächsten Tage angekündigt worden waren, im Stich zu lassen. So sehr lockte ihn dieser Besitz, daß sein kühner, vor keiner Gefahr zurückschreckender Geist allen Ernstes die Frage erwog, ob es ihm nicht doch noch möglich sei, auch diese Summen sich noch anzueignen.

Seit zwei Tagen schon weilte er in der elenden Hütte des Bootsführers Guraja Siwa. Daß sein Wohnraum erbärmlicher war als die elendeste europäische Gefängniszelle; daß er von Ungeziefer der verschiedensten Art belästigt wurde; daß er Hunger litt, um nicht Dinge zu essen, vor denen ihn ekelte – alles das machte ihm nichts aus. Dieser Aufenthalt war nötig, er diente seinen Zwecken. Und diese Zeit ging vorüber. Wurde ihm dieser Aufenthalt gar zu unerträglich, dann tastete er nach dem Riesenvermögen, das er in Form von hochwertigen Banknoten und Schatzanweisungen stets an seinem Leibe verborgen trug. Dann dachte er an das herrliche Leben in Glanz und Überfluß, das er sich mit diesen Millionen verschaffen konnte – bald – bald.

Fast ununterbrochen saß er an dem einzigen Fenster seines Stübchens und starrte auf das Meer hinaus – nach der Seite hin, wo Bombay liegt. Jedes Fahrzeug, das anlegte, untersuchte er mit seinem scharfen Glase. Aber diese Fahrgäste waren allzumal harmlose Leute, die meisten schon äußerlich auf ihr Gewerbe hin kenntlich.

Da wurde die Aufmerksamkeit von Ponks auf ein kleines gebrechliches Fahrzeug gelenkt, das von einem alten Yogi gerudert wurde. Der Mann war so schwach und gebrechlich, daß er nur sehr langsam vorwärts kam. Endlich legte sein Boot an. Er schlang das Tau um einen großen Stein und setzte sich am Strande auf den Boden, trotz glühender Sonne, und versank in Nachdenken. Ponks betrachtete ihn eine Weile. Anfänglich hatte er Mißtrauen gegen den Alten. Nachdem er aber eine Zeitlang beobachtet hatte, wie jener dort am Strande hockte, seine Füße im Wasser baumeln ließ und im Sonnenbrand schmorte, da hielt er ihn für einen jener Halb- oder Ganzverrückten, wie sie in diesem Lande zahlreich genug herumliefen.

Dennoch richtete sich nach einiger Zeit sein Blick ganz unwillkürlich wieder auf den Yogi. Und seltsam, jetzt saß dieser umgekehrt als vorher. Nicht mehr mit dem Blick zum Meere, sondern – Ponks hätte es beschwören können – ganz ausschließlich auf das Häuschen des alten Guraja Siwa gerichtet. Mit einem wilden Fluch zog Ponks sich vom Fenster zurück. Er hätte sich wegen seiner Sorglosigkeit ohrfeigen können. Vom Hintergrund des Zimmers aus beobachtete er scharf den Beter – und er sah, wie jener sich erhob und langsam auf das Haus zukam. Mit seinem Stab klopfte er gegen die Tür, die der Bootsführer auf Ponks' Befehl verschlossen hielt. Ehe Ponks es verhindern konnte, hatte Guraja die Türe geöffnet. Fluchend über den Störenfried trat er hinaus, verstummte aber beim Anblick des frommen Mannes, der ihm stumm seinen Speisenapf hinhielt. Guraja warf ihm einige getrocknete Datteln hinein und der Yogi murmelte ein paar Dankesworte. Ponks war ans Fenster getreten und lauschte, ob der Bettelmönch irgendwelche Fragen stellen würde. Das war nun abermals nicht vorsichtig von Ponks, denn während er noch lauschend stand, tauchte urplötzlich dicht vor ihm das verrunzelte, doch unbeschreiblich verschmitzte Gesicht des Alten auf.

Drei Sekunden lang starrten sich die beiden stumm ins Gesicht – Ponks von einem maßlosen Erschrecken gelähmt. Trotzdem entging ihm keineswegs das blitzschnelle triumphierende Auffunkeln in dem runzeligen Gesicht des Alten. Und nun tat auch der Yogi etwas, was nicht ganz vorsichtig und weise war: mit einer spöttischen Grimasse hielt er Ponks seinen Napf hin.

Inzwischen hatte sich im Inneren des Abenteurers Staunen und Schreck in sinnlose Wut verwandelt. Und bevor der Bettelmönch zur Seite weichen konnte, saß ihm ein wohlgezielter Fausthieb zwischen den Augen, daß er geblendet zurücktaumelte.

Weit hastiger als er gekommen war, humpelte der Geschlagene zum Strande zurück, bestieg sein Fahrzeug und ruderte davon. Und sonderbar, der Faustschlag schien verborgene Kräfte in ihm erweckt zu haben, denn nun schoß sein Boot wie von Segeln getrieben durch die Flut.

Derweil hatte Ponks die allergrößte Lust bekommen, sich selbst solch einen Schlag gegen die Nasenwurzel zu versetzen. Zähneknirschend sagte er sich, daß er auf dem besten Weg sei, nervös zu werden – das größte Unglück, das einen Verbrecher treffen kann.

Er hatte sich von diesem unangenehmen Zwischenfall noch nicht erholt, da sah er, wie ein Motorboot einen alten weißhaarigen Herrn und einen noch sehr jungen Mann, beides Europäer, am Strande absetzte. Der jüngere der beiden blätterte während der Überfahrt in einem rotgebundenen Führer. Demnach handelte es sich also um Touristen, die sich die Tempelruinen ansehen wollten. Solche Besucher sah die Insel täglich. Auffälliger konnte schon sein, daß die beiden just auf die Hütte Gurajas zukamen und hier nach einem Führer fragten. Eingedenk seiner Verpflichtung, die Hütte nicht zu verlassen, gab der Bootsführer den Fremden seinen jungen Enkelsohn mit.

Weder er noch Ponks, der in seiner Erregung über den dreisten Fakir in diesen beiden Reisenden keine Attentäter auf seine Sicherheit vermutete, ahnten, was der Alte damit anrichtete.

Die beiden Fremden erklärten schon nach Besichtigung des ersten Grottentempels ihre Neugierde für befriedigt, beschenkten den Jungen überreich – weniger für seine Führerdienste als für die interessanten Dinge, die sie ihm während des Spazierganges entlockt hatten – und kehrten merkwürdig eilig zu ihrem Motorboot zurück, verfolgt von den Blicken von Ponks, der in der Hütte saß und mit Argusaugen die Vorgänge da draußen beobachtete. Hatte er die Ankunft der beiden nicht besonders beachtet, so um so mehr ihre Abfahrt. Warum waren die beiden auf die Insel gekommen? Was hatte sie hergeführt, wenn nicht das Interesse für die vorhandenen Sehenswürdigkeiten? Sicher nicht das Verlangen, den Enkel des Bootsführers Guraja Siwa kennen zu lernen. Oder – vielleicht – doch?

In seinen wenig erfreulichen Gedanken wurde er durch den Eintritt Gurajas unterbrochen. An der verknitterten Miene des Alten erkannte Ponks, daß der mit schlechten Nachrichten kam.

»Na, Alter, was gibt's denn?« fragte er übellaunig.

»Oh, Sahib, der böse Feind ist wieder im Land.«

»Der böse Feind? Was für ein böser Feind?«

»Die Pest, Sahib«, murmelte der Bootsführer und schüttelte sich.

»Ach so, die Pest!« brummte Ponks. »Was kümmert mich eure Pest!«

»Drüben« – die ausgestreckte Hand des Eingeborenen wies nach der Stadt hinüber – »werden jeden Tag Tote verbrannt. Vorgestern zehn, gestern zwanzig, heute fünfzig, morgen hundert.«

Jetzt wurde Ponks doch aufmerksam. Es kam ihm in den Sinn, daß er in den nächsten Wochen nicht in den sauberen, vornehmen, europäisch gehaltenen Gasthöfen wohnen würde, sondern in Eingeborenenhütten. Und in diese tritt der schwarze Tod mit Vorliebe hinein.

»Ist es wirklich so schlimm?« fragte er stirnrunzelnd und blickte den Alten so wütend an, als sei jener schuld an den üblen Zuständen.

»Noch schlimmer, Sahib, glaub es mir. Wenn du heute durch die Stadt gehst, siehst du schon an vielen Häusern die roten Ringe.«

Ponks brütete eine Weile in stummer Wut vor sich hin. Dann sagte er mit einem würgenden Lachen:

»Meinetwegen. Ich werde nicht nach Bombay zurückkehren.«

»Sahib, wir hatten heute den ersten Fall auf der Insel«, flüsterte Guraja.

»Ha, verflucht!« Ponks fuhr in die Höhe. »Wo?«

»Auf der Nordspitze. Dem Fischer Galan ist sein Weib an der Seuche gestorben. Heute vor Sonnenaufgang.«

Ponks sank in seinen Stuhl zurück und grübelte. Der Alte betrachtete ihn sorgenvoll.

»Höre, Alter, ich reise morgen. Ich will nichts mit eurem schwarzen Tod zu tun haben. Kannst du mir noch heute ein Pferd besorgen?«

»Was darf das Pferd kosten, Sahib?«

»Das ist gleichgültig. Es muß ein ausdauerndes starkes Tier sein.«

»Das Pferd wird heute abend für dich bereitstehen, Sahib.«

»Noch eins. Kennst du einen landkundigen Menschen, der mich nach Murmagao bringt?«

»Was willst du dem Mann geben?«

»So viel, daß er drei Jahre nicht zu arbeiten braucht. Die Hälfte sofort. Die andere Hälfte in Murmagao.«

Gurajas Augen begannen zu funkeln.

»Zahle alles sofort, Sahib«, verlangte er heiser.

»Das kann ich nicht, weil ich nicht so viel Geld habe. Mein Geld liegt zum Teil in Murmagao.«

»Ich weiß einen Mann, der die Reise schon ein paarmal gemacht hat. Du kennst ihn. Ich bin es selbst.«

»Gut, Guraja. Also höre! Kaufe zwei Pferde, eins für dich. Wenn wir in Murmagao ankommen, gebe ich dir zehn Pfund englisch und die beiden Pferde sind dein.«

»Du bist gut und freigebig, Sahib. Die Götter mögen dich beschützen. Wann willst du, daß wir aufbrechen?«

»Morgen, wenn es Tag wird. Aber sage weder deinem Weib, noch dem Jungen, wohin wir reisen!«

»Reiß mir die Zunge aus dem Munde, wenn ich's tue, Sahib!« rief der Alte treuherzig. »Gib mir nun das Geld für die Pferde.«


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