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Die Sonne brannte mit verzehrender Glut vom stahlblauen Himmel hernieder. Seit drei Wochen war kein Tropfen Regen gefallen. Die Savanne begann auszudörren. Die frische grüne Fläche verwandelte sich allmählich in eine braune. Die Bäche und kleineren Flüsse waren zum Teil schon ausgetrocknet und der Arkansas floß ruhig und träge, nur noch ein mittelmäßiger Strom, dem Mississippi zu.
»Der Teufel hole diese bestialische Hitze!« schimpfte Schreyer und warf Elisabeth einen humoristisch wütenden Blick zu. »Die Luft, die vom Llano estacado herüberkommt, könnte einem Blut und Hirn ausdörren, wenn nicht hin und wieder ein kühles Lüftchen vom Gebirge her wehte.«
Beide saßen auf der offenen, von mächtigen Hickorywipfeln überschatteten Veranda der Farm. Der Doktor schimpfte zu Unrecht, denn trotz dem recht ansehnlichen Hitzegrad, der draußen brütete, war es hier auf der Terrasse durchaus erträglich. Zudem waren beide in leichtes kühlendes Linnen gekleidet. Vor ihnen auf dem Tische stand ein reichliches Frühstück. Wegen der Wärme aber war der Appetit der beiden nur gering. Um so eifriger sprach der Doktor dem gekühlten und mit Sodawasser stark verdünnten kalifornischen Wein zu, während Elisabeth hin und wieder an einem Glase gekühlten Scherbetts nippte.
Sie blickte den Doktor lächelnd an und drohte ihm mit dem Finger.
»Sie sollen aufhören mit diesem Geschimpfe! Zu was machen Sie eigentlich diesen ganz überflüssigen Lärm! Wegen der Wärme? Seien Sie doch froh, daß die Sonne scheint, Sie Barbar! Glauben Sie, in Neuyork wäre es jetzt angenehmer? Zwischen den Wolkenkratzern – auf dem glühenden Asphalt? Was fehlt Ihnen hier eigentlich? Sahen Sie je so frisch und jugendlich aus als eben jetzt? Zehn volle Jahre sind in diesen drei Wochen von Ihnen abgefallen. Wer Sie nicht kennt, hält Sie für einen Dreißiger.«
»Ach, in der Tat?« spöttelte Schreyer. »Dann käme ich ja als geeignete Partie für junge Damen noch ernstlich in Frage.«
»So hören Sie doch endlich mit diesem Unsinn auf!« schmollte Elisabeth. »Als wenn ich nicht genau wüßte, daß Sie ebensowenig daran denken, zu heiraten, wie ich!«
»So, wer sagt Ihnen denn das? Ich gebe Ihnen die heilige Versicherung, daß Sie sich irren.«
»Sie schwindeln. Wenn ich glauben müßte, Sie sprächen die Wahrheit –«
»Nun, was dann?« fragte er gespannt und blinzelte sie verschmitzt an.
»Dann würde ich Sie auszanken – oder auslachen.«
»Dadurch wäre an der Tatsache nichts geändert, daß ich mich sehr ernsthaft mit Heiratsgedanken trage.«
»Doktor, Sie lügen!«
»Frau Elisabeth, ich rede die Wahrheit. Noch mehr will ich Ihnen verraten: ich, der ich mein ganzes Leben hindurch den Frauen ängstlich aus dem Wege gegangen bin, ich träume nun beinahe jede Nacht von einer Frau. Und immer sehe ich sie entweder als meine Braut oder Gattin an meiner Seite.«
»Und Sie sind glücklich?«
»Unaussprechlich!« seufzte er sehnsuchtsvoll.
Sie blickte ihm eine Weile mit scharfem Forschen in die Augen – sie suchte darin den Schalk, fand ihn aber nicht. Er schien tatsächlich im Ernst zu reden.
»Kenne ich sie denn?« fragte sie. Das sollte scherzhaft klingen und sie versuchte dabei zu lachen, doch beides gelang ihr nicht recht.
»Das weiß ich nicht – ich glaube nicht«, antwortete er zögernd.
»Also keine Dame aus Neuyork?«
Die Frage klang entschieden enttäuscht und ein wenig beklommen. Er schmunzelte, doch nur innerlich.
»O nein, durchaus keine Dame von Neuyork. Ich will keine Neuyorkerin zur Frau haben. Sie sind mir alle zu herzlos, zu äußerlich, zu materiell. Mein Ideal ist eine stille, sanfte Frau –«
»Ach so, ich verstehe!« rief sie mit spöttisch gekräuselten Lippen. »Eine sanfte Frau wollen Sie, ein deutsches Gretchen! Ja, lieber Freund, dann müssen Sie nach Deutschland gehen. Dort finden Sie vielleicht noch solche Mädchen mit Empfindsamkeit, die an weißen Sternblumen abzählen, ob er sie zärtlich, unaussprechlich, ein klein wenig oder gar nicht liebt.«
»Oh, es gibt auch welche, die ein weiches, sanftes Gemüt haben, ohne ein Gänschen zu sein. Die energisch sein können, wo es not tut, ihrem Gatten aber stets nur das Schatzkästlein ihres reichen Gemüts öffnen.«
»Nein, wie poetisch!« lachte Elisabeth. Dieses Lachen klang aber ein wenig unnatürlich. »Und solch ein ideales Wesen glauben Sie gefunden zu haben?«
»Habe ich gefunden!« nickte der Doktor mit geheimnisvoller Miene.
Sie war verblüfft.
»Wie – in Wirklichkeit – oder nur in Ihren Träumen?«
»Nein, nein, nein, in aller Wirklichkeit. Eine herrliche, unvergleichliche Frau. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Sie sollen mir aber mehr sagen! Sie sind bekannt mit ihr, haben mit ihr gesprochen?«
»Sehr oft!«
»Und davon weiß ich nichts? Unerhört! Demnach sind Sie wohl schon mit ihr einig, wie?«
»Einig?« Er schüttelte trübselig den Kopf. »Nein, das nicht. Ach, verehrte Freundin, es gibt Dinge, über die man nicht reden kann. – Ob sie mich mag – ob sie mich nicht mag – wenn ich das nur selbst wüßte! Ich – aber wie gesagt, ich kann und mag nicht darüber sprechen.«
»Aber das ist doch töricht! Zu mir können Sie doch ganz offen reden.«
Er schüttelte nur den Kopf und seufzte tief.
»Wenn Sie ganz offen zu mir sein wollen, verspreche ich Ihnen meine Hilfe.«
»Einerlei, wer sie ist?« fragte er lauernd.
»Nein, natürlich nur, wenn sie mir gefällt.«
»Aha, da haben wir's! Ich weiß nämlich, daß die Dame, die ich meine, sich selbst manchmal nur sehr wenig gefällt.«
»Aber darum kann sie mir doch gefallen. Das ist doch das wichtigste.«
»Verzeihung, ich dachte, das wichtigste wäre, daß sie mir gefällt. Und das tut sie. Mir gefällt sie ganz unbeschreiblich gut.«
Ohne daß er es wußte und wollte, verschlang er bei diesen Worten Elisabeth fast mit den vor Begeisterung weit aufgerissenen Augen. Da lief ein glühendes Rot über ihr Gesicht. Sie sprang so heftig auf, daß das Geschirr auf dem Tisch klirrte.
»Wissen Sie, mein Herr, daß Sie ein ganz unausstehlicher, widerwärtiger Mensch sind?« fuhr sie ihn in hellem Zorn an. »Ich bedaure, daß ich Sie mitgenommen habe.«
Er sprang auf und machte vor Frau Elisabeth eine Verbeugung.
»Sehr wohl, gnädige Frau. Ich reise noch heute!«
»Ich wünsche Ihnen eine glückliche Fahrt!« rief sie über ihre Schulter zurück und verschwand im Innern des Hauses. Der Doktor setzte sich wieder, schenkte sich schmunzelnd ein Glas von dem kühlen kalifornischen Wein ein und leerte es genießerisch in kleinen Schlückchen, wobei seine Augen auf ganz besondere Weise leuchteten. Da sich solche und ähnliche Szenen alle drei Tage wiederholten und dennoch ihr Verhältnis immer herzlicher wurde, dachte er natürlich nicht im geringsten daran, abzureisen. Als nun aus dem Innern des Hauses eine wilde, rauschende ungarische Rhapsodie erklang, zündete er sich eine Zigarre an, setzte sich in seinem Korbsessel behaglich zurecht, schloß die Augen, lauschte und rauchte. Und hielt sich zur Zeit für den beneidenswertesten Menschen in den Vereinigten Staaten.
*
Als Frau Elisabeth und Dr. Schreyer bei der Mittagstafel zusammentrafen, reichten sie sich lachend die Hände. Der Zwist vom Morgen war abgetan, vergessen, wurde nicht mehr erwähnt. Es war, als sei nach dem kleinen Gewitterchen die Stimmung zwischen ihnen noch herzlicher als zuvor.
Der Glanzpunkt des ganzen Tages aber war das Abendessen, das ebenfalls auf der Terrasse eingenommen wurde. Es begann gegen halb neun Uhr. Dann war die Sonne untergegangen und eine wunderbar balsamische Luft strich durch den Park. Die Lebensgeister, die während des Tages durch die ungewöhnlich hohe Wärme ein wenig darniederlagen, erwachten dann. Meist wurde mit vorzüglichem Appetit gespeist, nicht selten hörte man den Knall von Sektpfropfen, und bei lebhafter Unterhaltung flossen ein paar Stunden bis Mitternacht dahin, um welche Zeit man sich gewöhnlich trennte. An diesen Abendmahlzeiten nahm regelmäßig auch Bergson, der Inspektor, teil. Er war ein alter Mann, der nach seinen eigenen Angaben bereits das fünfundsiebzigste Jahr überschritten hatte. Dem Aussehen nach aber hätte er ein Sechziger sein können. Er war von großer hagerer Gestalt. Sein Gang war straff und aufrecht. Man sah, daß das Alter nicht auf seine Schultern drückte. Haar und Bart waren schneeweiß, desgleichen die buschigen Augenbrauen. Sein Gesicht hatte eine lederartige Färbung, die Augen waren scharf und blitzend, seine Stimme von tiefem, etwas rauhem Klang, konnte aber, wenn es sein mußte, hell und stählern klingen. Seine Redeweise war in der Unterhaltung ruhig und bedächtig, konnte je nach den Umständen in einer breiten, humoristischen Behaglichkeit dahinfließen.
Elisabeth und Schreyer hatten schon mit der Mahlzeit begonnen, als Bergson erschien. Trotz der Hitze, die draußen auf den Feldern brannte, machte der Inspektor durchaus nicht den Eindruck eines Mannes, der den ganzen Tag hindurch auf den Füßen oder auf dem Rücken eines Gauls zugebracht hatte. Nach einem kurzen, kalten Bad, das er nach Beendigung der Arbeit zu nehmen pflegte, war er so frisch, als sei er eben aus dem Bett aufgestanden. Elisabeth blickte den alten Mann voll Bewunderung an.
»Hat eigentlich diese Gluthitze gar keine Wirkung auf Ihre Nerven, Mister Bergson?«
»Hitze und Kälte können meinem alter Körper nicht viel anhaben«, erklärte Bergson lachend. »Ich war am Nordpol und in den Tropen, und beide Gegenden sind mir sehr gut bekommen.«
»Sie haben sicher in Ihrem langen Leben manches Ungewöhnliche erlebt«, bemerkte Schreyer.
»Das kann ich wohl behaupten«, nickte der Alte. »Wenn ich ein Federfuchser wäre und meine Erlebnisse zu Papier brächte, dann würde es wohl ein ganz leidliches Geschichtenbuch werden.«
»Wie lange sind Sie eigentlich schon auf Golden Hill?« fragte Elisabeth.
»Vom ersten Spatenstich an. Es werden in diesem Herbst fünfundzwanzig Jahre, seit wir damals aus einem Stück Wildnis diese prachtvolle Farm herauswirtschafteten. Der verstorbene Herr Darlington war damals eben zwanzig Jahre alt. Ich erinnere mich noch mit großem Vergnügen daran, wie er vom Morgen bis zum Abend mitgearbeitet hat. Damals war, wie gesagt, der Hügel noch mit Urwald bedeckt. Diese jahrhundertealten Bäume sind die letzten Überreste aus jener Zeit. Ja, ja, damals waren noch ganz andere Verhältnisse hierzulande als heute. Wir mußten neben der Axt stets auch die Büchse zur Hand haben.«
»Gegen die Indianer?« fragte Schreyer.
»Zuweilen auch gegen die Indianer. Der eigentliche Krieg der roten Männer gegen die vordringende Zivilisation war zwar schon vorüber; hin und wieder aber fiel es einzelnen der wilden Söhne des Landes doch wieder ein, so eine Art Kleinkrieg gegen die Weißen zu unternehmen. In der Regel lief das Abenteuer nur auf Diebstahl und Raub hinaus, doch floß dabei nicht selten Menschenblut. Gefährlicher als die Indianer aber waren die weißen Räuber und Diebe, Abenteurer aus aller Herren Ländern, die das Land unsicher machten. Mit diesen verwegenen Burschen haben wir manchen schlimmen Strauß auszufechten gehabt, bis die Gründung des Forts Raleigh größere Ruhe und Sicherheit in das Land brachte.«
Vom Parke her, über den sich schon die Dämmerung des schnell anbrechenden Abends gelagert hatte, tönten Schritte. Es war Sara, die Mulattin. Ihr zur Seite trottete, im Gang fast einem Tiger gleich, eine ungeheure Dogge. Das Tier besaß, wie man auf den ersten Blick erkennen konnte, eine gewaltige Stärke; seine Augen hatten einen bösen, drohenden, fast tückischen Ausdruck. Wenn der Hund aber seinen Blick zu Sara emporhob, dann wechselte dieser Ausdruck – dann sah man nur noch die hingebende Treue in den blutunterlaufenen, nachtdunklen Augen des Tieres.
Elisabeth machte ein erstauntes, unzufriedenes Gesicht, als Sara nun, statt sich durch einen Seitengang zu den für die Dienerschaft bestimmten Räumen zu begeben, die Treppe zur Terrasse emporgestiegen kam, was den Dienstboten, die nicht zur unmittelbaren Bedienung bei den Mahlzeiten gehörten, verboten war. Als aber Sara in die Nähe des Tisches und in den Lichtkreis der brennenden Lampen trat, merkte Elisabeth, daß sich etwas Besonderes ereignet haben müsse. Sie winkte der Dienerin zu, heranzukommen, und während sie mit der Hand den Kopf der Dogge tätschelte, die sich mit einem leisen freudigen Winseln an die Herrin herandrängte, blickte sie Sara fragend an.
»Mistreß Darlington können nicht raten, wen ich eben gesehen habe«, berichtete die Alte in hastigem Flüsterton. »Ponks habe ich gesehen.«
»Du träumst, Alte!« rief Elisabeth lachend. »Wie sollte Ponks hierher in die Wildnis kommen!«
»Gewiß und wahrhaftig, es war Mister Ponks«, beteuerte die Schwarze. »Ich habe ihn ganz genau erkannt.«
»Aber das ist doch ganz undenkbar«, meinte Elisabeth kopfschüttelnd und richtete einen fragenden Blick auf Schreyer.
»Wer weiß«, meinte dieser achselzuckend. »Erzähle mal, Sara! Wo sahst du Herrn Ponks?«
»Drüben auf der Straße ist er eben vorbeigeritten. Ich saß unter einem Baum dicht neben der Umzäunung im Moos, und Sultan war bei mir.«
Als die Dogge ihren Namen hörte, hob sie mit einer blitzschnellen Bewegung den Kopf und knurrte leise, als wolle sie die Worte Saras bestätigen.
»Da hörte ich Pferdegetrappel. Zwei Reiter kamen. Es waren Herren, fein gekleidet, hatten ganz neue Lederanzüge an. Sie ritten schöne Pferde. Sie konnten mich nicht sehen, ich sah sie aber ganz deutlich. Sie hielten am Tor und der eine sagte: ›Das muß die Farm sein.‹ Die Stimme kam mir bekannt vor, und als ich noch ein bißchen genauer hinsah, da war es Mister Ponks. Den anderen kannte ich nicht, habe ihn nie gesehen. Ponks sprach leise mit dem anderen. Was sie sagten, konnte ich nicht verstehen. Dann ritten sie weiter.«
Elisabeth wandte ihren Blick von dem Gesicht der Mulattin auf das des Doktors.
»Was halten Sie davon?«
»Hm – das weiß ich vorläufig selbst noch nicht. Entweder Sara hat sich geirrt –«
Die Mulattin schüttelte entschieden verneinend ihren wolligen Kopf.
»– oder dieser Ponks ist ein ungewöhnlich dreister Bursche.«
»Darf ich fragen, welche Bewandtnis es mit diesem Herrn Ponks hat?«
Mit diesen Worten wandte sich Bergson, der bisher die Szene schweigend verfolgt hatte, an Elisabeth.
»Ponks ist ein Mann, der in der Gesellschaft Neuyorks eine gewisse Rolle spielt«, erklärte die junge Hausfrau. »Er hat eine Stellung, die ihm viel Geld einzubringen scheint, über die man aber im übrigen keine rechte Klarheit hat. Ganz nebenbei bemerkt – Herr Ponks, der hin und wieder in meinem Hause verkehrte, hat sich in letzter Zeit in den Kopf gesetzt, mich zu heiraten.«
»Ah, ich glaube zu verstehen«, lächelte der Alte. »Sie haben ihm –«
Er machte eine Handbewegung, wie wenn jemand eine unbequeme Sache kurz von sich abschiebt.
»So ist es«, lachte Elisabeth. »Und dies –« sie wiederholte Bergsons Handbewegung in humoristisch-gesteigerter Form – »war dermaßen unzweideutig, daß ich mich nicht genug wundern könnte, wenn der Mann wirklich die Kühnheit besäße, hierherzukommen.«
Bergson nickte langsam vor sich hin.
»Es wäre allerdings mehr als kühn. Doch gibt es in diesem Lande gar manchen Abenteurer, der alles auf eine Karte setzt und dem kein Mittel zu schlecht ist, um zu seinem Ziel zu kommen. Ich möchte doch draußen ein wenig nach dem Rechten sehen –«
Er erhob sich, doch Elisabeth ergriff seinen Arm und drückte ihn wieder in seinen Stuhl.
»Das fehlte noch, daß wir uns wegen dieses Menschen den gemütlichen Abend verderben ließen! Mag es Ponks gewesen sein oder irgend ein anderer – was kümmert das mich! Zudem sind die Männer ja weitergeritten.«
»Warum wollten Sie den beiden nach, Herr Bergson?« fragte der Doktor. »Halten Sie es für möglich, daß die Leute ein Unheil anrichten könnten?«
»Ich wüßte im Augenblick nicht, welcher Art dieses Unheil sein könnte«, meinte der Inspektor. »Wir haben mehr als dreißig zuverlässige Leute auf der Farm. Immerhin vermag ein skrupelloser Verbrecher eine Untat auszuführen, wenn man nicht zur Abwehr vorbereitet ist – wie die Geschichte der Kriminalistik in den Großstädten lehrt. Wenn das dort möglich ist, wie viel mehr hier in der Einsamkeit. Und wenn jener Mann Grund zu Haß und Rache hat – Sie verstehen mich. Darum ist es besser, wenn man weiß, ob jene Leute Böses im Schilde führen oder nicht.«
Nun fühlte sich auch Schreyer von einer leisen Besorgnis ergriffen.
»Es wäre eine Kleinigkeit, sich zu vergewissern. Ich gehe mit Ihnen, Herr Bergson. Sultan mag uns begleiten.«
»Aber meine Herren, ich verbitte mir aufs entschiedenste solch ein Attentat auf meine Behaglichkeit!« rief Elisabeth ungeduldig. »Weil zwei Reiter am Tore vorüberreiten, wollen Sie hier alles in Aufruhr bringen? Sie sprechen von der Möglichkeit eines Verbrechens, Herr Bergson – wie stellen Sie sich ein solches eigentlich vor, Sie furchtsamer alter Mann?«
Der Inspektor richtete seine Augen mit ernstem Ausdruck auf das Gesicht der jungen Herrin.
»Der Vorwurf der Furchtsamkeit ist etwas Neues für meine alten Ohren«, sprach er. »Wenn Sie aber damit sagen wollen, daß ich für Sie, nicht für mich fürchte, dann muß ich den Vorwurf hinnehmen. Wie ich mir solch ein Verbrechen denke? Die Frage beweist, daß Sie die Wildnis nicht kennen. Wenn jener Mann Sie wegen der Abweisung wirklich haßt und er ist einer jener verzweifelten Burschen, wie sie zu Hunderten hier herumstreifen, dann könnte er zum Beispiel in der Dunkelheit über den Zaun steigen und Sie mit einer Büchsenkugel aus dem Hinterhalt erschießen, trotz unserer Anwesenheit. Ehe jemand in der Verwirrung an eine Verfolgung dächte, wäre er spurlos wieder verschwunden.«
Sara stieß einen leisen Schreckensschrei aus und warf einen furchtsamen Blick in den finsteren Park hinein. Auch Dr. Schreyer hatte die Farbe gewechselt. Nur Elisabeth blieb kühl und unbewegt.
»Aber Bergson, malen Sie keine Gespenster an die Wand!« rief sie mit klingendem Lachen. »Um das zu tun, brauchte der Mann sich nicht bis in die Wildnis zu bemühen. Er weiß genau, daß ich demnächst wieder nach Neuyork zurückkehre und hätte dann die beste Gelegenheit, mit Dolch, Gift, Revolver oder Bombe hinter mir herzuschleichen.«
»Sie fassen die Sache humoristisch auf«, sagte der alte Mann. »Gebe Gott, daß Sie recht behalten.«
»Glauben Sie mir, daß jede Sorge grundlos ist. Geh jetzt nur zu Bett, Sara. Sultan behalte ich hier und werde ihn, damit die Herren sich beruhigen, diese Nacht mit mir auf mein Schlafzimmer nehmen. Und nun genug davon. Erzählen Sie weiter, Herr Bergson.«
»Wovon soll ich erzählen?« fragte Bergson nachdenklich.
»Von der Gründung der Farm. Diese Geschichte wollte ich schon seit langem kennen lernen. Mein Mann hat sie mir aber nie erzählen wollen.«
»Ich kann das verstehen,« nickte Bergson sinnend. »An die Gründung dieser schönen, gesegneten Farm knüpfen sich düstere Erinnerungen. Golden Hill heißt sie, Goldener Hügel, und der Name ist treffend. Blutiger Hügel wäre aber ebenso zutreffend. Blut und Gold – Gold und Blut – wie eng sind diese beiden Dinge miteinander verwandt! Besonders in diesem Lande, wo die Gier nach dem gelben Metall wie eine ewige Krankheit alles beherrscht. Es ist wirklich wahr, daß ein Fluch am Golde klebt. Darum war es von dem alten Herrn Darlington, dem Vater Ihres verstorbenen Gatten, ein großer Gedanke, über diesem Hügel eine Farm zu errichten.«
»Wollen Sie damit sagen, daß der Boden unter unseren Füßen goldhaltig ist?« fragte Dr. Schreyer.
»Und wie goldhaltig!« antwortete Bergson. »Wer hier einen Stollen in die Erde treiben und nach Gold graben würde, der fände schon in wenigen Metern Tiefe Goldadern von größter Reinheit und außerordentlicher Ergiebigkeit. Er könnte Millionen aus dem Boden graben.«
»Ist es nicht ein eigenartiges Bewußtsein, mit dieser Gewißheit täglich hier umherzugehen?«
»Für viele Menschen wäre es das sicherlich«, nickte Bergson. »Mich läßt dieses Bewußtsein ganz kalt. Ich habe in meinem Leben so viel Gold gesehen, daß der häßliche gelbe Glanz mir hätte die Augen verbrennen können. Doch ich sah immer das Unheil, das wie ein graues Gespenst der grelleuchtenden Spur des Goldes folgte. Das hat mich mit Haß und Abscheu vor diesem fluchbeladenen Metall erfüllt.«
Elisabeth nickte dem alten Mann herzlich zu.
»Sie haben recht, Bergson. Sicherlich haben Sie hier in dieser herrlichen Natur inmitten ihres reichen Arbeitskreises ein weit genußreicheres und schöneres Leben, als wenn Sie im Besitz all der Mittel, die dieser Hügel bergen mag, irgendwo in einer Großstadt ein Schlemmerdasein führen würden.«
Bergson machte eine Gebärde entschiedener Abwehr.
»Gott beschütze mich davor!« rief er. »Hier will ich leben bis zu meinem letzten Atemzuge, und hier möchte ich einst begraben sein.«
Und, seine Stimme herabdämpfend, fuhr er nach einer kleinen Pause fort:
»Niemand auf der Farm hat eine Ahnung von dem Geheimnis, das dieser Hügel birgt. Nie habe ich seit dem Tode des Herrn Darlington mit einem Menschen darüber gesprochen bis zum heutigen Abend. Als Herr Darlington noch lebte und hin und wieder nach Golden Hill kam, konnte ich ihm jedesmal die Nuggets und goldhaltigen Quarzstücke zeigen, die durch Zufall, beim Pflügen oder Graben, zutage gefördert wurden. Nie wurde etwas davon verkauft, alles kam in unsere Goldsammlung.«
»Wie, davon weiß ich ja nichts!« rief Elisabeth verwundert. »Wir haben eine Goldsammlung auf der Farm?«
Bergson warf einen Blick umher, doch niemand von der Dienerschaft war in der Nähe.
»Und was für eine!« antwortete er schmunzelnd. »Eine Kiste mit Goldstaub und kleinen Körnchen, die eine Million wert ist. Das ist aber gar nichts. Außerdem besitzen wir eine Sammlung von Nuggets und Goldquarzblöcken, die wohl den doppelten Wert hat. Darunter sind Stücke reinen Goldes von der Größe eines Taubeneies bis zu einer Männerfaust.«
»Aber Mann, das ist ja ein unerhörter Reichtum, der da völlig brachliegt!« rief Schreyer.
»Das ist es auch«, nickte Bergson. »Der Wert dieses Goldes ist bedeutend größer als der Wert der gesamten Farm mit Feldern, Äckern und Wiesen.«
»Aber ich verstehe nicht, warum dieser Reichtum so ungenutzt liegt.«
»Es war der Wunsch und Wille des verstorbenen Herrn Darlington. Ich habe oft auf diese unpraktische Art der Kapitalsanlage aufmerksam gemacht. Herr Darlington aber hat darauf erwidert, daß jede Sammlung von wertvollen Dingen oder Kunstgegenständen eine unpraktische Kapitalsanlage sei.«
»Weiß jemand von dieser Sammlung?« fragte Elisabeth.
»Außer uns drei niemand. Die Sammlung befindet sich in der Bibliothek. Einer der Bücherschränke hat eine doppelte Rückwand, was man von draußen natürlich nicht sehen kann. Der Schrank ist in die Wand hineingebaut und die Rückwand ist durch einen Griff leicht herauszunehmen. Natürlich nur durch jemand, der das Geheimnis kennt und von dem Griff etwas weiß. Außerdem wird die Bibliothek nur selten benutzt. Zu den Schränken habe nur ich die Schlüssel. Das Versteck ist also ganz sicher. Bis jetzt ist das Geheimnis gewahrt worden und wird es wohl noch sehr lange. Wenn aber –«
In diesem Augenblick hob Sultan mit einer blitzschnellen Bewegung den Kopf. Sein Nackenhaar sträubte sich und seine glühenden Augen bohrten sich in die Finsternis hinein, die wie eine samtschwarze Decke über dem Park lag. Ein leises, dumpfes Knurren kam aus der gewaltigen Brust des Tieres hervor, dann schlug der Hund zwei-, dreimal kurz an. Das tönte, wie wenn man mit einem Hammer gegen die Wandung eines großen leeren Fasses schlägt.
»Was hat denn das Tier?« fragte Elisabeth mit einem verwunderten Blick auf Bergson. »Sultan ist doch sonst nicht so erregt.«
Der Inspektor zog schweigend einen Riemen aus der Tasche, befestigte ihn mittels eines Karabinerhakens am Halsband der Dogge und stieg mit dem Hund, der eifrig vorwärtsdrängte, die Treppe der Terrasse hinab. Bald hatte die Dunkelheit Mann und Hund eingeschluckt. Die beiden Zurückgebliebenen lauschten atemlos und gespannt auf jedes Geräusch, hin und wieder blaffte der Hund kurz auf. Die Richtung des Schalles bewies, daß Bergson mit Sultan den Park nach verschiedenen Richtungen hin durchkreuzte.
Das dauerte an die zehn Minuten. Dann entstand auf der Treppe, die zu der Terrasse führte, das Geräusch von Schritten und Bergson trat wieder in den Lichtkreis der Lampen. Schweigend löste er den Riemen von dem Halsband der Dogge und ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder. Sultan streckte sich zu Füßen seiner Herrin auf den Teppich, forschte aber mit seinen glühenden Augen ununterbrochen mißtrauisch in den Park hinein.
»Haben Sie irgend etwas Verdächtiges gefunden?« fragte Elisabeth.
»Nein«, sagte Bergson kopfschüttelnd. »Möglich, daß Sultan ein Tier gewittert hat. Möglich aber auch –« Der Rest war ein Achselzucken.
»Mir scheint, wir sollen heute zu keiner richtigen Gemütlichkeit kommen«, grollte Elisabeth. »Mir ist durch die Störung alle Stimmung vergangen. Ich ziehe mich auf mein Zimmer zurück. Herr Bergson, Sie werden uns Ihre Geschichte morgen abend weitererzählen. Gute Nacht, meine Herren!«
Sie reichte dem Doktor und dem Inspektor die Hand, rief Sultan an ihre Seite und begab sich ins Haus.
»Denken Sie im Ernst an die Möglichkeit, daß sich etwas Unangenehmes ereignen könnte?« fragte Schreyer, als er mit Bergson allein war.
Der Inspektor wiegte den Kopf.
»Ich bin alt und dadurch vielleicht ein wenig zu vorsichtig geworden«, antwortete er. »Wenn hier auch keine hinterwäldlerischen Verhältnisse mehr herrschen, so muß man doch mit allerlei Möglichkeiten rechnen. Ich gehe jetzt nicht zu Bett, sondern mache noch einen Spaziergang um die Fenz.«
»Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich gerne mit Ihnen gehen.«
»Im Gegenteil, ich freue mich sehr darüber. – Heda, John!«
Ein junger geschmeidiger Kreole, der bei den Mahlzeiten aufzuwarten und sich während des ganzen Abends in Rufnähe zu halten hatte, kam herbeigeschossen.
»Räume hier alles ab und lösche die Lichter!« befahl der Inspektor. »Dann verschließe sämtliche Türen. Es soll so aussehen, als wenn das ganze Haus im Schlafe läge. Auch in den Gesindehäusern sollen die Lichter gelöscht werden. Hast du mich verstanden?«
John nickte verständnisvoll und begann unverweilt mit seiner Arbeit. Bergson und der Doktor begaben sich ins Haus.
»Wir wollen die Farm durch eine Seitentüre verlassen und später durch das Haupttor wieder hereinkommen. Unter uns: ich glaube nicht, daß Sultan sich vorhin über ein Tier so aufgeregt hat. Es ist nicht seine Art. Es wird wohl ein Mensch gewesen sein.«
»Ein Angestellter der Farm?«
»Das halte ich für ausgeschlossen.«
»Halten Sie es denn für möglich, daß das Tier imstande ist, den Unterschied zwischen einem Fremden und einem Angestellten der Farm zu wittern?«
»Das halte ich nicht nur für möglich. Ich weiß bestimmt, daß das der Fall ist. Sultan ist in dieser Beziehung ein wunderbares Tier.«
»Sie machen mich ernstlich besorgt«, murmelte Schreyer. »Ihren Äußerungen zufolge ist der Fall durchaus auffällig und besorgniserregend.«
»Nicht ohne weiteres«, meinte Bergson. »Die Sache kann immerhin harmlos sein. Davon will ich mich jetzt überzeugen.«
Er zog einen Revolver aus der Tasche und prüfte die Ladung. Dann begaben sich die beiden Herren zu den Stallungen hinüber, wo mehrere Hunde angekettet lagen. Er löste einen derselben, einen großen schottischen Schäferhund, von der Kette und machte dem vor Freude bellenden Tier bemerklich, daß es sich ruhig zu verhalten hätte. Der Hund verstand sofort und gab von nun an keinen Laut mehr von sich. Vermittels eines Schlüssels, den Bergson bei sich trug, öffnete er ein Seitenpförtchen und die beiden Herren traten in die sternenklare Nacht hinaus. –
Die Uhr im Giebelfeld des Herrenhauses schlug die elfte Stunde, als Schreyer und Bergson von ihrem nächtlichen Gange zurückkehrten. Elisabeth war noch nicht zu Bett gegangen. Sie saß in einem bequemen Sessel und las. Ihre von einem großen Seidenschirm überschattete Lampe beleuchtete nur einen kleinen Umkreis des Zimmers, so daß man von draußen nicht erkennen konnte, daß der Raum noch hell war. Elisabeth, die durch ein dumpfes Knurren des Hundes aufmerksam geworden war, dann auch die Schritte und Stimmen der beiden Herren hörte, trat zum Fenster und zog leise die Vorhänge auseinander. Nun konnte sie die Worte der beiden Männer, die gerade unter ihrem Fenster standen, genau verstehen.
»Der Gang war umsonst«, sagte eben der alte Inspektor. »Und doch nicht umsonst, denn nun erst kann ich mich mit Ruhe niederlegen. Hätte ich mich nicht vergewissert, daß die Luft rein ist, wäre ich die Unruhe nicht losgeworden, daß unserer Frau Darlington ein Unheil drohe. Sie ist eine wundervolle Frau, meinen Sie nicht auch, Herr Doktor?«
»Oh, und ob ich das meine!« rief Schreyer begeistert und dennoch mit einem Seufzer. »Keine Frau auf der Welt gefällt mir so gut wie sie!«
»Ja, das glaube ich«, nickte Bergson. Und mit einem Schmunzeln und einem Seitenblick auf den Doktor meinte er: »Mir scheint beinahe, daß dieser Herr Ponks einen Nebenbuhler hat.«
»Um Gottes willen, seien Sie still!« flüsterte Schreyer erschrocken. »Denken Sie, wenn sie es hörte! Sie will von den Männern samt und sonders nichts wissen.«
»Na na na!« lachte der Alte gutmütig. »Gar so schlimm wird es wohl mit dem Männerhaß unserer Herrin nicht sein. Man täuscht sich in den Frauen. Dinge, die sie ganz entschieden von sich ablehnen, liegen ihrem Herzen manchmal am nächsten.«
»Glauben Sie wirklich, Herr Bergson?« fragte Schreyer zweifelnd. »Ich weiß nicht – manchmal meine ich, sie hätte kein Herz.«
»Oh, wie Sie sich täuschen! Da kenne ich meine Herrin besser. Keine Frau kann ein größeres und reicheres Herz haben als sie. Nur – sie ist eine stolze Natur und von einer ungewöhnlichen Willenskraft beseelt. Es mag ihrem Wesen wohl nicht liegen, Gefühle zu zeigen.«
»Möglich«, stimmte Schreyer kleinlaut zu. »Aber immerhin – die Sache ist nicht sehr ermutigend.«
»Trösten Sie sich, Herr Doktor«, sagte Bergson und legte dem jüngeren Mann mit festem Druck seine beiden Hände auf die Schultern. »Manchmal macht sich solch eine Sache ganz von selbst. Und – Ihnen wie meiner Herrin wünsche ich von ganzem Herzen ein reiches Glück.«
»Ich danke Ihnen, lieber Herr Bergson.«
Die Hände der beiden Männer umspannten sich zu einem festen freundschaftlichen Druck. In dieser einsamen Abendstunde waren sie treue Freunde geworden.
»Und nun – gute Nacht!«
»Gute Nacht, Herr Doktor! Träumen Sie von dem, was Ihnen das Schönste auf der Welt ist.«
»Das tue ich bereits seit Tagen. Aber Träume sind leider nur ein Scheinglück.«
Sie trennten sich. Im ersten Stock des Hauses fiel die Gardine über das Fenster und Elisabeth trat in ihr Zimmer zurück.
»Schau, schau – diese beiden!« murmelte sie. Ihre Stirne hatte sich gekraust, doch in ihren Augen glänzte ein ganz eigener Schein. »Eine Streife haben sie gemacht, um meine Nachtruhe zu sichern. Zwei treue Herzen – Männer, wie sie sein sollen. Aber der alte Bergson! Verfügt dieser Mann prophezeiend über mein Schicksal! Warte nur, Alter, ich werde dir deinen Prophetenbart schön zausen! Und Sie, Herr Doktor Schreyer, können mir in Zukunft ganz nach Belieben von jener schönen Frau vorschwindeln, von der Sie träumen und die ich angeblich nicht kenne. Die keine Dame von Neuyork ist und dergleichen. Ich hatte doch eine richtige Ahnung.«
Sie ließ sich wieder in ihren Stuhl sinken und stützte nachdenklich den Kopf auf ihre Hand.
»Was mache ich nun mit diesem Mann? Laß ich ihn abreisen? Nein, denn das wäre herzlos. Er liebt mich ja. Er – liebt – mich –« Sie sprach das Wort aus, daß es klang wie eine zarte Liebkosung. »Er ist Deutscher. Ein deutscher Mann kann noch nach Gefühl lieben, frei von Berechnung und Vernunftschlüssen. Nein, wegschicken kann ich ihn nicht. Aber laß ich ihn hier, dann wird er sich am Ende noch mehr in mich verlieben. Und dann bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn zu heiraten. Dadurch aber gebe ich meine Freiheit preis. – Was meinst du, Sultan, soll ich Doktor Schreyer heiraten?«
Der Hund, der seinen Namen nennen hörte und das Auge der Herrin freundlich auf sich gerichtet sah, erhob sich und drängte sich schmeichelnd an Elisabeth. Sie kraute ihm lachend den mächtigen Kopf.
»Ja, ja, was meinst du dazu, alter Freund?«
»Hau, hau, hau«, machte Sultan, legte seinen Kopf auf die Knie seiner Herrin und schaute sie aus seinen glühenden Augen mit einem Blick hingebender Treue an.
»So, so, du meinst, ich soll es tun? Leicht gesagt! Ich weiß ja, daß du den Doktor gern hast, aber ich – nun, gern hab ich ihn ja eigentlich auch. Aber siehst du, heirate ich ihn, dann hast du nur einen neuen Herrn, ich aber, ich habe einen Mann, den ich liebhaben und küssen muß. Nicht als wenn ich mir das so schrecklich vorstellte. Im Gegenteil – aber – es ist doch eine scheußliche Zwickmühle.«
Gar so schwer schien ihr diese Zwickmühle nicht zu sein, denn um ihren Mund lag ein ganz eigenes, stillseliges Lächeln und ihre Augen hatten einen Ausdruck, als blickten sie in ein Wunderland voll der herrlichsten Dinge. Sie schickte den Hund auf seinen Teppich unter dem Fenster zurück und begann sich langsam auszukleiden. Dann legte sie sich nieder. Doch noch lange klangen die Worte der beiden Männer und der lange schmerzliche Seufzer des Doktors in ihren Ohren. Und plötzlich mußte sie so laut auflachen, daß Sultan erstaunt seinen Kopf erhob und verwundert zu seiner Herrin hinüber blinzelte.
»Hahaha, und der Doktor meint, ich hätte kein Herz! Er hält mich für gefühllos! So etwas! Das kann ich doch nicht auf mir sitzen lassen! Entweder muß ich Streit mit ihm anfangen – oder – ja – ihm zeigen, daß ich doch ein Herz habe.«
Damit schlief sie ein.
Sie wußte nicht, wie viel später es war, als ein dumpfes Knurren des Hundes sie aus dem Schlafe erweckte.
»Was ist denn los, Sultan?« rief sie schlaftrunken und von ihren Träumen noch halb umsponnen, »Kusch! Sei ruhig!«
Gehorsam legte das treue Tier den Kopf wieder zwischen die Pfoten, doch die Ohren blieben gespitzt und ein Ausdruck mißtrauischer Aufmerksamkeit beherrschte es ganz. Und noch mehrmals ging ein plötzliches Aufzucken durch seinen Körper. Doch eingedenk des Befehls seiner Herrin gab Sultan keinen Laut mehr von sich. Elisabeth aber lag wieder in festem Schlafe.