Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nahe der Grenze von Neumexiko, an den östlichen Abhängen der White Mountains, einem Teil jener gewaltigen Gebirgsmasse, die den Namen Rocky Mountains oder Felsengebirge führt, entspringt der Canadian River. Mit gewaltigem Tosen und Zischen zwängt sich der Fluß durch einen engen Cannon, dessen Ufer viele Meter hoch steil wie Wände zum Wasser abfallen.
Etwa zwei Kilometer von der Mündung des Flusses entfernt, dem Ufer so nahe, daß das Rauschen der Wasser deutlich vernehmbar ist, erhebt sich ein kahler, felsiger Bergkegel, dessen Wände sich in fast gleichmäßiger, ziemlich steiler Steigung an die fünfzig Meter hoch emporheben. Die fast ebene Platte des Kegels ist mit dichtem Buffalobeergesträuch bewachsen, aus dem sich drei starke Bergmahagonibäume erheben. Während sich in einem Kilometer Entfernung das Gebirge steil und schroff und wildzerklüftet emportürmt, ist die nähere Umgebung dieses Bergkegels so wenig gewellt, fast flach, daß nach allen Seiten hin die Annäherung eines Menschen auf die Entfernung eines Büchsenschusses wahrgenommen werden kann.
Es ging gegen Abend. Die Sonne stand schon ziemlich tief am westlichen Horizont und vom Gebirge her erhob sich ein kühler Wind. Auf dem Scheitel des Kegels, am Rande des beginnenden Gesträuches, lagerten zwei Männer. Ponks und sein Freund Bob Sanders. Vier kleine, aber kräftige, berggewohnte Pferde, die in der Nähe angekoppelt waren, rupften das spärliche, halbverdorrte Gras ab. Die beiden Genossen hatten eben reichlich getafelt, wie die auf dem Boden verstreuten Überreste bewiesen. Eine leere und eine halbgefüllte Flasche zeigten, daß die beiden Männer sich auch in der Wildnis mit des Lebens Annehmlichkeiten wohl versehen hatten. Sie rauchten gute Zigarren, blickten in die milde, klarblaue Luft und befanden sich augenscheinlich in der allerbesten Stimmung.
»Du bedauerst also nicht, daß du dich in dieses Abenteuer eingelassen hast?« fragte Ponks, indem er seinen Gefährten schmunzelnd von der Seite betrachtete.
»Beim Styx, nein!« rief Sanders lachend. »Wenn dein Schatz wirklich verschwunden sein sollte, so verlohnt sich diese Fahrt doch schon durch den reichen Fischzug, den wir auf der Farm deiner Braut gemacht haben. Schade nur, daß wir ihn an einer Stelle verstecken mußten, die uns zwingt, auf dem Rückweg in peinlicher Nähe an der Farm vorüberzureiten.«
Ponks lächelte in sich hinein.
»Das hat gar nichts zu bedeuten«, meinte er kaltblütig und blies den Rauch seiner Zigarre durch die Nase. »Wenn ich dir sage, was ich jetzt denke, dann wirst du mich entweder für verrückt oder unbegreiflich leichtsinnig hatten.«
»Nun, und was denkst du?« fragte Sanders gespannt.
»Ich gedenke, auf unserem Rückwege in Golden Hill Besuch zu machen.«
»Du bist verrückt!« entfuhr es den Lippen Sanders.
Ponks lachte laut auf.
»Siehst du, ich sagte es ja. Doch wenn du erlaubst, halte ich mich für sehr vernünftig. Trotzdem denke ich schon seit Tagen darüber nach, wie ich es einrichte, auf dem Rückwege Frau Darlington guten Tag zu sagen.«
»Bah, du wirst das schön bleiben lassen«, brummte Sanders.
»Wüßte wirklich nicht, warum ich es nicht tun sollte.«
»Aber Mensch, bedenk doch, daß der Bursche, dem du für eine Handvoll Dollar die ganzen häuslichen Verhältnisse von Golden Hill aus der Nase zogst, dich unfehlbar wiedererkennen wird.«
»Ich denke daran. Aber es hat keinen Zweck, uns schon jetzt über diese Sache zu unterhalten, denn mein Plan ist noch nicht fertig. Du kannst dich aber darauf verlassen, daß ich mit Golden Hill ganz besondere Pläne im Kopfe habe und keine schlechten.«
»Am Ende willst du neben dem Schatz auch noch die Farm haben«, bemerkte Sanders mit einem forschenden Seitenblick auf seinen Gefährten.
»Wäre das denn nicht ein ausgezeichneter Streich?« fragte Ponks mit einem satanischen Lächeln.
»Wen der Teufel holen will, den schlägt er mit Übermut«, bemerkte Sanders weisheitsvoll. »Tu du meinetwegen, was du willst. Ich werde mich hüten, jener Farm näherzukommen, als unbedingt notwendig ist. Es war doch ein verwünscht kühner Streich, den wir in Golden Hill ausführten.«
»Merke dir ein für allemal, mein Freund, daß gerade die kühnsten Streiche die meiste Aussicht auf Erfolg haben«, gähnte Ponks. Er zog seine Uhr aus der Tasche, warf einen Blick darauf und steckte sie kopfschüttelnd wieder ein. Sanders lachte leise auf.
»Du scheinst allmählich selbst nicht mehr zu glauben, daß dein Freund Patrick O'Connel noch kommt.«
»Es fehlen noch beinahe zehn Minuten an der festgesetzten Zeit«, entgegnete Ponks. »Solange die Frist nicht verstrichen ist, läßt sich nichts sagen.«
Er hatte das Wort noch nicht ausgesprochen, als in der Nähe das Geräusch eines rollenden Steines hörbar ward. Beide fuhren herum.
»Da ist er schon«, sagte Ponks ruhig, doch mit einem Lächeln des Triumphes.
Sie sahen einen Mann, lang, hager und knochig, gleich ihnen mit einem derben Lederanzug bekleidet, gut bewaffnet, auf einem kräftigen Maultier heranreiten. Am Fuße des Hügels sprang er aus dem Steigbügel, nahm den Zügel in die Hand und führte sein Tier die Böschung hinauf. Hier angekommen, nickte er den beiden schweigend zu, als habe er sich erst vor einer Stunde von ihnen getrennt. Dann hobbelte er sein Maultier in der Nähe der andern fest und trat zu den beiden Männern.
»Guten Tag, Ponks«, sagte er und reichte seinem ehemaligen Gefährten die Hand. Dann richtete er seinen Blick durchdringend auf Sanders. Der Ire hatte ein bleiches, kaum von der Sonne angebräuntes Gesicht, aus dem die dunklen Augen in düsterem, fanatischem Feuer hervorleuchteten. Haar und Bart waren grau, struppig, schlecht gepflegt. Er ging ein wenig nach vorn gebeugt, als habe er an einer schweren Last zu tragen. Bei dem düster forschenden Blick, den er auf Sanders richtete, wurde es diesem ein wenig unbehaglich zumute. Als aber Ponks ihn dem Iren als seinen besten und vertrautesten Freund vorstellte, streckte er dem anderen seine Hand entgegen, die O'Connel mit festem Druck umspannte.
»Auf gute Kameradschaft denn«, nickte er und schüttelte die Hand von Sanders.
»Sie kommen allein, O'Connel?« fragte Ponks.
»Ja«, nickte der Ire düster. »Ich kann keinen Genossen brauchen. Der Zweck, für den mein Anteil an dem Schatz bestimmt ist, ist so groß und gewaltig, daß auch nicht ein Dollar von dem Ertrag abgehen darf.«
»Ah – und was ist das für ein Zweck?« fragte Ponks lauernd.
Patrick O'Connel schwieg ein paar Sekunden.
»Ich werde euch das ein andermal erzählen. Jetzt muß ich erst essen und trinken. Habe seit sieben Stunden gefastet, weil ich nicht zu spät kommen wollte.«
»Dann laßt Euch an unserer Seite nieder, Mann, und pflegt Euren alten Leib«, sprach Ponks lachend. »Hier, nehmt erst mal einen guten Schluck.«
Er reichte dem andern die halbgeleerte Flasche und entkorkte eine neue. Der Ire füllte seinen Becher mit dem schweren, dunklen Wein und trank mit einem langen, durstigen Zuge. Ein flüchtiges, fieberhaftes Rot stieg in sein ausgemergeltes fahles Gesicht. Mit einer todmüden Bewegung ließ er sich auf seine Decke nieder und schloß mit einem Seufzer die Augen.
»Hört mal, alter Patrick, es scheint Euch nicht besonders gut zu gehen«, bemerkte Ponks nach einer Weile, nachdem er den Gefährten früherer Abenteuer scharf prüfend betrachtet hatte.
O'Connel öffnete langsam seine Augen, dann schüttelte er finster den Kopf.
»Nein – wie könnte es auch einem Menschen gut gehen, der Tag und Nacht gehetzt wird – von einem Ort zum andern.«
»Wer hetzt Euch?« fragte Ponks. »Seid Ihr ein Verbrecher?«
»Ja – ein Verbrecher gegen die englischen Gesetze. Denn ich bin Ire und liebe mein Vaterland.«
Ponks machte plötzlich ein gelangweiltes Gesicht. Offenbar hatte er ganz andere Eröffnungen erwartet.
»Ach so – die alte Geschichte. Ihr kämpft gegen die englische Herrschaft in Irland und habt Euch wohl in Eurer blinden Leidenschaft zu Dummheiten hinreißen lassen?«
»Blinde Leidenschaft? Dummheiten?« fuhr O'Connel heftig auf. »Ist Liebe zur Heimat und zur angestammten Erde Dummheit?«
»Ohne Zweifel – und was für eine!« nickte Ponks.
»Dann seid Ihr keine Heimat und kein Vaterland wert!«
»Hab ich auch schon herausgefunden. Darum verzichte ich schon seit vielen Jahren auf diese zweifelhaften Güter.«
»Ein sonderbarer Deutscher seid Ihr«, erwiderte der Ire. »Ich habe so viele von Euren Landsleuten in meinem langen Leben kennengelernt, und allen sind immer die Augen aufgeleuchtet, wenn die Rede auf die ferne Heimat, ihr deutsches Vaterland kam.«
»Ja, ja, solcher gefühlvollen Narren laufen viele in der Welt herum. Und kein Land stellt ihrer so viele, wie mein sogenanntes Vaterland.«
»Solche Loslösung von Dingen, die allen guten Menschen heilig sind, habe ich bisher in der Regel nur bei verkommenen oder ausgestoßenen Menschen gefunden«, knurrte O'Connel mit einem finsteren Blick auf seine beiden Gefährten.
Ponks stieß ein rauhes Gelächter aus.
»Hört mal, guter Patrick, Ihr sprecht eine verdammt unfreundliche Sprache. Ich will nicht hoffen, daß Ihr zur Feier unseres Wiedersehens Streit mit mir anfangen wollt.«
Der Ire machte eine Gebärde des Überdrusses und der Verachtung.
»Ich denke nicht daran. Was geht es mich an, wie Ihr über diese Dinge denkt.«
Er machte die Augen wieder zu, als wolle er das Gespräch damit abschließen. Ponks aber schien es darauf abgesehen zu haben, ihn zu reizen. Jedenfalls wollte er den Gegenstand noch nicht verlassen.
»Ich halte alle Dinge, die irgendwo mit Gefühlsduselei oder Schwärmerei zu tun haben, für ausgewachsene Torheiten. Vaterland – Heimat – Patriotismus – alles sinnlose Redensarten!«
»Wißt Ihr auch, daß Ihr das einem Manne sagt, der für diese Dinge jederzeit zu sterben bereit ist?« schrie der Ire erbittert.
»Ich habe es bemerkt«, antwortete Ponks mit vollkommener Kaltblütigkeit. »Mir scheint, Ihr seid nicht viel klüger geworden in den letzten drei Jahren. Ich erinnere mich, daß diese Dinge schon damals viel Anlaß zu unliebsamen Reibereien zwischen uns waren.«
»Weil Eure fluchwürdige, widerwärtige Gefühllosigkeit mich immer wieder aufs neue empörte.«
»Und mich Eure uferlose, unfruchtbare Schwärmerei.«
Patrick O'Connel machte eine Gebärde, als wolle er sich auf Ponks stürzen. Dieser betrachtete ihn mit kaltem Lächeln, ohne sich im mindesten zu rühren. Da ergriff der Ire die gefüllte Rumflasche, nahm ohne Benutzung des Trinkbechers einen großen Schluck und drehte den beiden dann den Rücken zu.
»Ich will Gott danken, wenn unser gemeinsames Geschäft erledigt ist, damit unsere Wege sich wieder trennen«, knurrte er.
»Ihr seid ein überaus liebenswürdiger Kamerad, Mister O'Connel – nehmt es mir nicht übel«, sagte Sanders – und das war das erste Wort, das er zu diesem Gespräch beigesteuert hatte. »Entschuldigt, daß ich es sage: aber zur Erheiterung der Stimmung in den nächsten Tagen scheint Ihr nur wenig beitragen zu wollen. Und wir sind doch zu einem so fröhlichen Geschäfte zusammengekommen.«
»So, meint Ihr, Sir?« fragte der Ire und warf Sanders über die Schulter einen ärgerlichen, gereizten Blick zu. »Seid Ihr auch einer von denen, die zufrieden sind, wenn sie ihren Sack Goldstaub in Sicherheit gebracht haben? Habt Ihr auch keine Ideale? Nichts, was Eure Pulse höher schlagen läßt? Nichts, an dem Eure Seele sich erwärmt, für das Ihr Opfer bringen, leiden, sterben könntet? Seid Ihr auch so ein Kaltschnäuziger wie jener Mister Ponks?«
»Die Frage ist nicht leicht zu beantworten«, überlegte Sanders. »Manches von dem, was mein Freund Ponks sagte, ist auch meine Ansicht. Auch ich tue nicht gerne etwas für nichts. Streite nicht um Schattenbilder. Bete keine Götzen an. Kämpfe nicht für Gespenster. Erwärme mich nicht für Phrasen. Ich schätze gleich Ponks das Wirkliche, das Greifbare auf der Welt, den Besitz. Andrerseits aber gibt es auch für mich Dinge, die mir heilig sind.«
Ponks stieß ein leises, wieherndes Gelächter aus.
»Zum Beispiel?« fragte er.
»Ich muß es ablehnen, Beispiele anzuführen«, erklärte Sanders würdevoll. »Ich glaube Herrn O'Connel sehr wohl zu verstehen. Unter gewissen Umständen kann der Begriff Vaterland etwas sehr Großes und Erhabenes sein.«
»Fehlt nur noch, daß du sagst: für das man sein Leben lassen könnte«, höhnte Ponks.
»Nun ja, so etwas gibt es doch«, beharrte Sanders. Ponks war es nicht ganz klar, ob sein Freund ihm aus Überzeugung widersprach oder ob er sich nur als Parteigänger O'Connels aufspielen wollte.
»Natürlich gibt es das«, gab er grinsend zu. »Es gibt ja auch Anstalten für Irre und Idioten –«
»Soll das auf mich gemünzt sein?« schrie der Ire aufspringend.
»Sie sind ein vollkommener Narr, Patrick O'Connel«, stellte Ponks kaltblütig fest und um seine Mundwinkel zuckte Verachtung. »Ich muß Ihnen den freundschaftlichen Rat geben, während der Tage, die wir beisammen sein müssen, nicht jedes Wort auf sich zu beziehen oder sonstwie auf die Goldwaage zu legen. Wir beide sind das nicht gewöhnt. Ihre Verschrobenheit könnte sonst einen für uns unerträglichen Grad erreichen.«
Hinter diesen mit unverhülltem Hohn gesprochenen Worten lauerte eine verborgene furchtbare Drohung, die dem anderen wie ein Dolch in die Seele fuhr. Sein Gesicht verfärbte sich, seine Zähne knirschten und der Blick seiner flackernden Augen bohrte sich tief in die kalten, grauen Augen von Ponks hinein. Dieser hielt den Blick ruhig aus. Veränderte nicht einmal seine Stellung. Er lag lang ausgestreckt auf dem Boden, stützte sich auf den linken Ellenbogen und hielt in der rechten Hand die brennende Zigarre. Und lächelte.
Dieses entsetzliche Lächeln entwaffnete O'Connel. Seine Erregung ebbte zurück und seine Fäuste sanken schlaff herab.
»Ich werde mir etwas zu essen suchen«, murmelte er nach einer Weile, mit der Hand über die Stirn streichend, als erwachte er aus einem wilden Traum. Damit wandte er sich zum Gehen.
»Aber warum denn?« fragte Ponks mit plötzlich völlig veränderter Stimme. »Wir haben ja genug Mundvorräte bei uns. So bedienen Sie sich doch!«
»Danke«, lehnte O'Connel mit einer matten Handbewegung ab. »Wir werden ohnehin, bevor wir ins Gebirge steigen, noch Wild schießen müssen. Wer weiß, ob uns nachher noch ein Stück vor die Büchse kommt. Ich will mein Glück versuchen.«
»Wie Sie wollen«, brummte Ponks achselzuckend.
O'Connel griff zu seiner Büchse, stieg den Hügel hinab und verschwand zwischen den Gebüschen.
»Na, das kann ja nett werden«, lachte Sanders, als der Ire außer Hörweite war. »Das ist ein hervorragend angenehmer und liebenswürdiger Gesellschafter.«
»Ja. Und warum? Weil eine blinde Leidenschaft seinen Blick getrübt, sein ganzes Wesen höchst ungünstig beeinflußt hat. Erinnere dich an das, was ich dir vor einiger Zeit in meinem Büro sagte! Du wirst die gleiche verderbliche Leidenschaft, nur in anderer Form, demnächst bei anderen Menschen wiederfinden.«
»Du meinst bei den Indern?« fragte Sanders.
»Ganz recht, bei den Indern. Auch sie spinnen an einem solchen Traum, aus dem es entweder kein oder ein Erwachen mit Schrecken gibt. Sie verfolgen blindlings eine eingebildete Spur und merken nicht, daß man ihnen derweil alles, was sie haben, aus den Taschen zieht.«
Noch längere Zeit gab er seinem Gefährten weise Lehren über die Unzweckmäßigkeit jeglicher Art von Gefühlsdingen. Lehren, die Sanders mit Schweigen, doch anscheinend mit größtem Interesse in sich aufnahm.