Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

War es der Lärm, das Stimmengewirr, die aufdringliche Musik, die des Kellners zweimalige Frage nach den Wünschen des Gastes übertönte – oder war dieser Gast, der sich soeben auf dem schäbigen, verschossenen, schmutzigen roten Samtsofa niedergelassen hatte, so zerstreut, daß er nicht auf die Frage achtete? Ein Mann mit fahlem Gesicht und fiebrisch glänzenden Augen. Er machte den Eindruck, als sei er krank oder habe erst eben eine schwere Krankheit überstanden. Seine Kleidung war ehemals gut gewesen, jetzt war sie, gelinde gesagt, schäbig. Ein ungepflegter, dunkler, struppiger Schnurrbart ließ das Gesicht noch elender und verfallener erscheinen. Das leichtgekräuselte Haar war an den Schläfen schon etwas ergraut, obwohl der Mann höchstens achtundzwanzig Jahre zählen konnte. Er hatte seinen Hut neben sich auf das Sofa gelegt, lehnte den Kopf gegen das unsaubere Rückenpolster und starrte abwesenden Blickes in das von grellweißem Gasglühlicht erleuchtete, von einer dichten wallenden Wolke von Tabakrauch erfüllte, lärmdurchtobte Lokal hinein.

Der Kellner berührte ungeduldig seine Schulter. Da fuhr der Mann auf.

»Was wollen Sie? Ach so – bringen Sie mir Whisky mit Soda.«

Der Kellner brachte das Gewünschte und wandte sich dann einem anderen Gaste zu, der eben eingetreten war und an einem kleinen Marmortisch in der Nähe Platz genommen hatte. Dieser Gast war in seinem Äußeren das gerade Gegenteil des Mannes am Nebentisch. Er trug zwar nur einen Touristenanzug, der aber vom besten Stoff und elegantesten Schnitt war. Sein ganzes Äußere war gepflegt und er verbreitete sozusagen einen Hauch von Gesundheit und Kraft um sich. Sein Gesicht hatte eine braune Farbe und seine Augen blitzten. Er rief dem Kellner einen Befehl zu, worauf der Mann diensteifrig davoneilte. Dann zündete sich der Mann in aller Ruhe eine Zigarre an und ließ nun erst seine Augen in dem Lokal umherwandern. Er betrachtete die Menschen, die dort plaudernd oder lachend oder singend umhersaßen, mit dem Ausdruck vollkommenster Gleichgültigkeit.

Zuletzt traf sein Blick auch auf den einsamen Gast am Nebentisch. Dieser saß noch unverändert, ohne das vor ihm stehende Getränk zu beachten. Seine Augen waren nun geschlossen und er machte den Eindruck eines Schlafenden. Sein Gesicht trug in diesem Augenblick einen entsetzlich leidenden, hoffnungslosen Ausdruck. Die herabgezogenen Mundwinkel erzählten von einem Leben, angefüllt mit verderblichen Genüssen, Bitterkeiten und Hoffnungslosigkeit. Auf diesem Gesicht ruhten die Augen des Mannes am Nachbartisch etwas länger als auf den anderen, bevor sie sich gleichgültig abwandten. Er nahm einen Schluck aus seinem Glase, zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche und überflog die Spalten. Doch schon nach wenigen Sekunden richteten sich seine Augen wieder auf den seltsamen Gast – und zwar jetzt mit dem Ausdruck gesteigerten Interesses. Als nun die Musik, die eine Pause gemacht hatte, mit einem gewaltigen Lärm wieder einsetzte, ging ein starkes Erschrecken durch den blassen Mann. Er richtete sich müde aus seiner zusammengesunkenen Haltung auf, rieb seine Augen und blickte verwirrt umher. Dann leerte er mit einem hastigen Zuge sein Glas bis zur Hälfte. Der Beobachter sah deutlich, wie die Hand mit dem Glase zitterte. Dann aber sah er noch mehr: der Mann fuhr mit der Hand in die Tasche, holte einen Gegenstand heraus – und nachdem er sich durch einen raschen Blick vergewissert hatte, daß niemand ihn beobachtete, ließ er aus einem winzigen Fläschchen einige Tropfen in sein Glas fallen. Dann sank er, wie von einer plötzlichen Schwäche übermannt, wieder gegen die Rücklehne des Sofas. Das Fläschchen entsank seiner Hand und rollte unter den benachbarten Tisch. Eine ganze Minute lang saß der Mann vollkommen regungslos, dann richtete er sich mit einer müden Bewegung auf – seine bebende Hand tastete nach dem Getränk.

Plötzlich aber stand der Nachbar neben ihm und wischte das Glas mit einer schnellen Bewegung vom Tische. Auf das Geklirr der Scherben kam der Kellner herbeigelaufen.

»Ich war ungeschickt. Schaffen Sie das Zeug fort und bringen Sie Sekt!«

Der Kellner, der augenscheinlich nicht daran gewöhnt war, in diesem minderwertigen Neuyorker Hafencafé Befehle in solchem Tone zu erhalten, knickte vor Hochachtung und Diensteifer zusammen. Im Nu war der Tisch gesäubert und die Scherben fortgeschafft. Die Flüssigkeit auf dem Boden versickerte als trübseliges Bächlein unter den Tischen.

Der blasse Mensch hatte erst mit Erstaunen, dann mit wachsendem Grimm den Mann betrachtet, der auf so kurze und derb zufassende Art in seine persönlichen Angelegenheiten eingriff.

»Herr, was wollen Sie eigentlich?« schnauzte er ihn grob an.

»Zunächst ein Glas Sekt mit Ihnen trinken. Das weitere findet sich dann.«

»Trinken Sie mit dem Teufel Ihren Sekt!«

»Da das einigermaßen schwierig ist, nehme ich mit einem seiner getreuen Diener vorlieb.«

»Hören Sie mal – sind Sie verrückt?«

»Ich nicht, aber Sie.«

»Sie scheinen versessen darauf zu sein, daß ich Sie niederboxe.«

Der andere ließ seinen Blick über die Jammergestalt gleiten, dann lachte er auf, höhnisch, belustigt, mit kalter Verachtung.

»Lüders, du bist ein Esel!«

Die Augen des anderen weiteten sich.

»Sie kennen mich?« stotterte er in äußerster Verwirrung.

»Du kennst mich also nicht mehr?« stellte der andere die Gegenfrage.

Lüders grub seinen Blick in die Züge seines Gegenübers – und nach einer Weile schüttelte er den Kopf.

»Irgend etwas an Ihnen kommt mir bekannt vor – aber – ich weiß nicht –«

»Du scheinst geistig zurückgegangen zu sein, seit wir vor fünf Jahren an den Londoner Spieltischen mit Erfolg das Glück verbesserten.«

Lüders zuckte heftig zusammen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinem Tischgenossen in das kalt und verächtlich lächelnde Gesicht.

»Sehe ich recht – du bist es – Ringstedt –«

»Nein, nicht Ringstedt. Du weißt, daß ich diesen Namen seit langer Zeit abgelegt habe. Ich heiße Ponks. Walter Ponks. Bitte den Namen zu merken.«

»Aber wie kommst du hierher und was treibst du? Nach deinem Äußeren zu urteilen, scheint es dir nicht schlecht zu gehen.«

»Mir geht es gut. Was ich treibe und wie ich hierherkomme, das sind vorläufig noch meine Sachen. Trink! Auf dein Wohl!«

Dieser Walter Ponks schien in der Tat daran gewöhnt zu sein, Befehle zu erteilen, denn auch die Aufforderung, mit ihm anzustoßen, klang wie ein Befehl, der keinen Widerspruch duldete. Lüders hob denn auch sein Glas und stieß mit Ponks an und leerte es in einem hastigen Zug. Ponks trank langsam und mit Bedacht, wobei er den ehemaligen Freund nicht aus den Augen ließ.

»Du zitterst ja. Bist du krank?«

»Das ist Elend. Ich habe seit drei Tagen fast nichts gegessen, heute ist noch kein Bissen über meine Lippen gekommen.«

Statt einer Antwort wandte Ponks sich um und gab dem Kellner einen Wink. Der Mann kam eilfertig herbeigeschossen. Ponks ließ sich die vorhandenen Gerichte aufzählen und stellte dann ein vollständiges Abendessen für zwei Personen zusammen.

»Je eher Sie auftragen, um so größer Ihr Trinkgeld«, bemerkte Ponks am Schluß. Das Wort wirkte Wunder. Im Nu war die Suppe da, dann folgte, bevor die beiden sie ausgelöffelt hatten, das andere. Ponks aß nur wenig. Um so gieriger schlang Lüders. Man konnte ihm anmerken, daß er völlig ausgehungert war. Als er endlich Messer und Gabel niederlegte, fragte Ponks:

»War das nicht besser, als der Giftbecher, den du dir zusammengemantscht hattest?«

»Was du heute verhindert hast, das wird morgen ja doch geschehen«, murmelte Lüders düster.

»Dann sollte es mir eigentlich leid tun, daß ich dich nicht wie einen Hund an dem Zeug habe verenden lassen«, warf Ponks kalt hin und spuckte aus. »Warum willst du eigentlich sterben? Ist die Polizei dir auf den Fersen?«

»Das auch. Aber heute floh ich vor einem viel grimmigeren Feind – dem Hunger.«

»Diesen Feind habe ich soeben von dir gescheucht – und mit Erfolg, denke ich. Glaubst du Narr, ich hätte dich heute gefüttert, um dich morgen verhungern zu lassen?«

In den Augen Lüders blitzte es auf.

»Gib mir eine kleine Geldsumme und acht Tage Zeit, um mich zu erholen – und du wirst dich wundern.«

»Ich gebe dir tausend Dollars und zwei Wochen zur Erholung. Doch nur unter der Bedingung, daß du nicht spielst.«

Lüders stieß ein rauhes Lachen aus.

»Glaube nicht, mein Lieber, daß das Spiel mir irgendwie gefährlich werden könnte. Es ist mir Beruf geworden und ich betreibe es kühl, ohne Leidenschaft. Doch du kannst beruhigt sein. Ich werde mich hüten, an einer Stelle zu erscheinen, wo gespielt wird.«

»Um so besser. Nur verstehe ich deine elende Verfassung nicht, wenn du des Spieles so sicher bist.«

»Hast du denn ganz vergessen, in welch ›elender Verfassung‹ wir uns damals in London befanden, als die Polizei in den Spielklub eindrang und alles beschlagnahmte? Erinnerst du dich nicht mehr an die schauderhaften Tage, da wir uns tatsächlich durchhungern mußten? Weißt du noch, wie wir in höchster Verzweiflung losten, wer von uns Geld schaffen sollte um jeden Preis, ganz gleich, ob ehrlich oder nicht – ob durch Diebstahl oder Raub oder –«

Ponks schnitt die Worte Lüders' mit einer kurzen, herrischen Handbewegung ab.

»Genug, ich schaffte das Geld. Ich ging aus und kehrte nach ein paar Stunden mit einer gefüllten Brieftasche zurück.«

»Und weigertest dich, mir zu sagen, auf welche Weise du zu dem Gelde gekommen warst. Ich vermute noch heute, daß es nicht auf ehrliche Weise geschah.«

Ponks lachte leise vor sich hin.

»Es gehört auffallend viel Geist dazu, das zu vermuten. Doch kümmere dich nicht darum. Es genügt, wenn mein Gewissen allein damit belastet ist. Aber was hat das mit deiner heutigen Lage zu tun?«

»Nun, das gleiche, was damals in London geschah, wiederholte sich vor drei Wochen hier in Neuyork. Ich hatte gerade die Bank. Vor mir lag meine ganze Barschaft. Und das alles mußte ich im Stiche lassen und durchs Fenster flüchten. An jenem Abend arbeitete das Fieber schon in meinem Leib. Es verschlimmerte sich in der folgenden Nacht. Ich wurde ernsthaft krank, besaß nichts als meine Kleider. Niemand kümmerte sich um mich, auch meine Wirtin nicht. Das einzige, was sie für mich tat, war, daß sie meine paar Sachen aufs Leihamt trug und von dem Erlös sich selbst bezahlte. Heute besitze ich nichts mehr als die Fetzen an meinem Leibe und einen vom Fieber ausgemergelten Körper. Daß man unter solchen Umständen auf Selbstmordgedanken kommt –«

Der Rest war ein Achselzucken. Ponks schüttelte ein wenig den Kopf und spuckte abermals aus. Dann nahm er eine neue Zigarre, gab auch Lüders eine und befahl durch eine Kopfwendung nach dem Kellner hin Feuer.

»Hör mal, Freund Lüders, ich habe dir schon vor zehn Jahren drüben in Deutschland gesagt: du bist ein Großmaul, wenn es dir gut geht. Sobald aber schlechte Zeiten kommen, läßt du den Kopf hängen wie ein altes Weib.«

»Erlaube mal! Wenn du wüßtest, was ich in den letzten fünf Jahren alles durchgemacht habe –«

»Darüber reden wir ein andermal. Heute will ich dir nur folgendes sagen! Ich brauche einen Mann, der mit zusammengebissenen Zähnen seinen Weg durch Dick und Dünn geradeaus geht. Durch Felsen, wenn es sein muß. Dieser Mann darf nicht nach rechts und nicht nach links schielen, darf sich, mit anderen Worten, in Verfolgung seiner – das heißt meiner – Bestrebungen weder von den Stimmen des Rechts, der Sitte, der Moral noch des Gesetzes beeinflussen lassen. Er muß den Mut haben, Handlungen zu begehen, die mit dem Gesetz in Widerspruch stehen. Dieser Mann muß nicht nur die nötige Kaltblütigkeit besitzen, diesen Kampf gegen das Gesetz aufzunehmen, sondern auch den festen Willen, in diesem Kampf zu siegen. Dieser Mann muß vor allen Dingen auch imstande sein, auf meine Weisung hin binnen wenigen Stunden zu einer Reise an den Nordpol oder nach Indien oder Australien bereit zu sein. Ich muß nach jeder Richtung hin über ihn verfügen können. Er muß jederzeit bereit sein, sein Leben für mich einzusetzen. Nun höre gut zu: dieser Mann aber wird, wenn er alle diese Eigenschaften besitzt, in der Lage sein, wie ein Fürst zu leben. Seit Wochen schon suche ich nach diesem Mann, der mir ein Mitarbeiter, Vertrauter und Freund sein soll. Und als der Zufall dich heute abend in meinen Weg führte, da glaubte ich im ersten Augenblick, ich hätte diesen langgesuchten Mann gefunden. Leider habe ich mich getäuscht.«

»Wieso getäuscht!« stieß Lüders hervor. Seine Augen flackerten und seine Nasenflügel bebten. Die Erregung hatte eine fieberhafte Röte in sein Gesicht getrieben.

»Nun, du bist kraft- und willenlos und bedenklich geworden. Schlapp. Lebensmüde.«

»Alles nur die Folgen meines Unglücks und meiner Krankheit!« ereiferte sich Lüders. »Nach einigen Tagen richtiger Erholung wirst du mich nicht wiedererkennen. Den Rest besorgt der stahlharte Einfluß, den du stets auf mich ausgeübt hast.«

»Da haben wir's«, murrte Ponks mit einem Achselzucken. »Du brauchst Einfluß und baust auf meine Kraft, die dir aber bestimmt nicht zur Verfügung stehen kann, da sehr oft weite räumliche Entfernungen mich von dem Mann trennen werden, von dem ich sprach. Wenn ich hier bin und du – sagen wir – befindest dich in Indien, wie könnte da mein Einfluß stärkend auf dich wirken?«

Lüders ergriff die Hand des ehemaligen Kameraden.

»Walter, sei barmherzig und versuche es mit mir!« flehte er. »Sieh, du hast dich heute in mein Schicksal gemischt. Ohne deinen Eingriff wäre ich jetzt vom Leben erlöst. Nun darfst du mich nicht wieder fallen lassen. Glaube mir, ich bin der Mann, den du brauchst.«

Ponks wollte seine Hand aus den heißen Händen des anderen lösen, doch Lüders hielt sie mit einer beschwörenden Gebärde fest. Da riß Ponks sich mit einem Ruck los.

»Zum Teufel mit deinen Gefühlsduseleien!« knurrte er wütend. »Verschone mich ein für allemal mit solchen Albernheiten. Ich zweifle daran, daß du der Mann bist, den ich brauche. Ein Mensch, der heute, nach fünf Jahren, noch nicht überwunden hat, daß ich damals in der Not eine Brieftasche auf unrechtmäßige Weise in meinem Besitz gebracht habe – es ist zum Lachen!«

»So schweig doch von jener Geldbörse!« erwiderte Lüders. »Das war ja nur ein Scherz von mir! Ich habe –« er warf einen hastigen Blick umher und neigte dann seinen Mund zum Ohre des Freundes – »ich habe ganz andere Dinge auf dem Kerbholz als einen lumpigen Taschendiebstahl, oder was das damals gewesen ist –«

»Nimm an, es sei ein Taschendiebstahl gewesen«, murmelte Ponks mit dem Lächeln eines Satans.

»Ich habe dir eben gesagt«, flüsterte Lüders, »daß ich an jenem Abend vor drei Wochen aus dem Spielklub flüchten mußte. Ich habe dir aber nicht gesagt, daß ich auf dieser Flucht einen der verfolgenden Polizisten niedergestochen habe.«

Ponks stieß einen leisen Pfiff aus. Er warf einen beinahe hochachtenden Blick auf Lüders.

»Holla! Du warst also der verzweifelte Bursche, der jenen Stich geführt hat! Aber man hat dich nicht erkannt?«

»Es war finster. Niemand weiß, wer in der Dunkelheit das Messer zog. Trotzdem erscheint es mir wie ein Wunder, daß ich nicht verhaftet wurde. Vielleicht habe ich das meiner Krankheit zu verdanken, die mich zwang, zu Hause zu bleiben. Ich war plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Keiner meiner damaligen Bekannten wußte, wo ich wohnte. Und inzwischen haben anscheinend die täglichen Ereignisse Neuyorks einen Vorhang über die Geschichte gezogen.«

Ponks wiegte zweifelnd den Kopf.

»Sei in diesem Punkte nicht zu sicher, mein Junge. Es handelt sich um den Mord an einem Polizisten! Da ist die Polizei natürlich ganz besonders scharf. Und nun höre, damit wir zum Schlusse kommen: Ich kann und will dir heute nichts versprechen. Hier sind tausend Dollars. Ich gebe sie dir bedingungslos. Wenn du ein Narr bist, wirst du das Geld verspielen oder auf andere Weise verplempern und dann rettungslos untergehen. Bist du aber der Mann, den ich suche, dann wirst du in der Lage sein, mit dieser Summe einen neuen Menschen aus dir zu machen. Kauf dir Kleider und geh ein paar Tage aufs Land – oder noch besser –« Er zog einen Notizblock hervor und kritzelte eine Adresse aufs Papier. »Wende dich an diese Adresse. Das Haus liegt einsam in der Nähe von Island View, dicht am Ufer des Staten Island-Sund. Du kannst, wenn du willst, schon in dieser Nacht dort schlafen. Gib der Frau diesen Zettel, und alles weitere findet sich. Natürlich ist das nur ein Rat. Du bist nicht verpflichtet, ihn zu befolgen. Aber so wäre es am besten für dich, denn dort kennt dich niemand. Pflege dich, so gut du kannst. Sammle Energien! Speichere Tatkraft auf! Und wenn du so weit bist, daß du glaubst, die Bedingungen, die ich dir stellte, erfüllen zu können, dann wende dich an diese Adresse.«

Er überreichte Lüders eine Besuchskarte, die die Worte enthielt: Walter Ponks, Direktor der Anglo-Indischen Bankgenossenschaft.

Lüders richtete seinen Blick mit dem Ausdruck neiderfüllter Hochachtung auf Ponks.

»Donnerwetter, das muß ich schon sagen: du hast es verdammt weit gebracht seit jenen armseligen Zeiten, als wir damals beisammen auf Abenteuer ausgingen. Aber – anglo-indische Bankgenossenschaft – was ist das?«

»Es ist der Titel eines großen, ich kann wohl sagen, weltumspannenden Unternehmens, das unter dem Deckmantel eines großen Bankbetriebes ganz besonderen Nebenzwecken dient, die aber in Wirklichkeit Hauptzweck sind. Es wäre verfrüht, dir schon heute mehr über diese Dinge anzuvertrauen. Nur das möchte ich dir noch sagen, daß ich mit an der Spitze des Unternehmens stehe, und daß ich stets auf der Suche bin nach tüchtigen, das heißt unerschrockenen, zielbewußten und – vorurteilslosen Leuten.«

»Zu denen du mich nicht mehr zu rechnen scheinst«, meinte Lüders bitter.

»Tu ich auch nicht, mein Junge. Ich habe von jeher ein gewisses Mißtrauen gegen Menschen gehabt, die sich nicht aus eigener Kraft über Wasser halten konnten. Doch wir wollen sehen – vielleicht – nehme ich dich. Wir sehen uns also bald wieder. Je eher, um so besser. Und wie gesagt, so viel Kraft wie möglich aufspeichern! Stellt sich heraus, daß ich dich brauchen kann, dann wirst du sogleich in eine Angelegenheit verwickelt werden, die nicht nur sehr abenteuerlich und seltsam, sondern auch höchst gefährlich, außerdem aber lohnend und interessant ist. Mit kurzen Worten: es handelt sich um eine Angelegenheit, die höchsten Mut, Klugheit und Nervenkraft erfordert. Good bye!«

Er hatte während der letzten Worte mit einer Kopfbewegung den Kellner herbeigewinkt und ihm einen Geldschein hingeworfen, der den Betrag der Zeche bei weitem überstieg.

Nun erhob er sich, stülpte seinen Hut auf und ging nach einem nachlässigen Kopfnicken, das ebensowohl dem Kellner als auch Lüders gelten konnte, davon. Lüders hob schon zum Abschied die Hand; als er aber sah, daß Ponks nicht die geringste Miene machte, ihm die seine zu reichen, schob er sie mit einem verlegenen Lächeln wieder in die Tasche. Er verfolgte Ponks mit dem Blick, während dieser langsam durch die Stuhlreihen dem Ausgang zuschritt, ohne auch nur für eine Sekunde seinen Blick zurückzuwenden. Anscheinend hatte er seinen Freund Lüders schon wieder vergessen. Aus dem Gesicht des Zurückbleibenden wich langsam das Lächeln und machte einem verbissenen Ausdruck Platz. In diesem Augenblick haßte er Ponks. Dennoch vermochte dieser Haß das Gefühl unbeschreiblicher Erleichterung in ihm nicht zu unterdrücken. Er hatte nun wieder festen Boden unter den Füßen – er brauchte nicht zu sterben – das Leben mit all seinen Lockungen lag wieder vor ihm.

»Das Ganze erscheint mir wie ein Wunder«, murmelte er leise vor sich hin. »Wenn ich nur wüßte, zu welchen Zwecken er mich brauchen will! Ganz sauber sind seine Unternehmungen sicher nicht. Doch – was kümmert das mich! In dieser verdammten Welt kommt man mit der Ehrlichkeit nicht weit.«

Er ließ sich von dem Kellner, der ihn auf einmal mit bedeutend größerer Hochachtung behandelte, eine feine Zigarre bringen und träumte, während er den Rauchringeln nachschaute, von einer schöneren Zukunft.


 << zurück weiter >>