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10.

Zwei Tage später gelangten die drei Männer mit ihren fünf Tieren nach Überwindung zahlreicher Mühen und Schwierigkeiten an eine Stelle, wo ein schmaler, trockener Cannon zwischen himmelhohen, fast senkrecht abstürzenden Felswänden in einen unregelmäßig runden Kessel hineinführte. Der Boden des Cannons war so zerrissen und zerklüftet und mit abgestürzten Felsstücken übersät, daß die Männer ihre Reittiere mit größter Vorsicht am Zügel führen mußten. Stundenlang hatten sie diesen überaus beschwerlichen Pfad verfolgt, über Felsgeklüft kletternd, das mit scharfen Kanten ihre Hände aufriß; über tiefklaffende Bodenrisse hinwegsetzend; in Schlingpflanzen und Dornengestrüpp, den letzten Resten des Pflanzenwuchses, festhakend. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß der Cannon zu anderer Zeit das Bett eines reißenden Gewässers bildete. Jetzt aber, nachdem schon seit Wochen kein Tropfen Regen gefallen war, stießen die Reisenden nur hier und da auf trübe Wasserlachen, die von der Wärme noch nicht aufgesogen worden waren und von denen ganze Schwärme von Stechfliegen emporschwirrten.

Endlich standen sie keuchend, mit blutenden Händen und zitternden Knien, schweißgebadet am Ende des Cannons – oder richtiger an seinem Anfang. Sie waren nun rings von einem gewaltig hohen Felskessel umgeben, wie von einem unregelmäßigen runden Kamin, dessen Durchmesser an die dreißig Meter betragen mochte. Aus einer Höhe von etwa achtzig Metern schoß ein dünner Wasserstrahl herab, im Fallen hier und dort auf hervorstehenden Felstrümmern zersplitternd, dann sich zu einem neuen Strahl vereinigend. Auf dem Boden des Cannons hatte sich ein Tümpel gebildet, aus dem das stürzende Wasser in kleinen Rinnsalen herausfloß und sich in dem Cannon verlor. Auf dem Grunde des Felsenkessels herrschte auch bei hellstem Sonnenschein Dämmerung. Hoch oben schwamm ein Stück blauen Himmels gleich einer unendlich weit entfernten leuchtenden Stahlscheibe.

»Wir sind am richtigen Platz«, stellte Ponks nach einem Rundblick fest.

O'Connel nickte nur.

»Hier ist die Schatzkammer?« entfuhr es Sanders, der, je näher sie dem Ziele kamen, mehr und mehr in eine fieberhafte Erregung hineingeriet.

»Ja, wir sind an Ort und Stelle«, knurrte der Ire. »Dort oben liegt der Schatz.«

Er wies auf eine Stelle, wo sich in der östlichen Wand des Kessels, von unten kaum wahrnehmbar, eine Vertiefung im Gestein befand, kaum groß genug, um sie eine Höhle zu nennen. Sanders blickte angestrengt nach oben.

»Aber, zum Donnerwetter, da soll ihn der Satan herunterholen. Zu der Stelle kommen wir nimmermehr.«

O'Connel unterdrückte ein Lächeln, sagte aber nichts. Ponks stand eine ganze Minute lang in Nachdenken verloren. Dann erst schien er sich der Worte seines Gefährten zu erinnern.

»Das wirst du schon sehen. Es ist in Wirklichkeit gar nicht so schwer, da hinauf zu gelangen. Was meint Ihr, alter Patrick, wollen wir uns sofort überzeugen, ob der Schatz noch vorhanden ist?«

»Er ist noch vorhanden«, sprach der Ire. »Wer sollte ihn wohl von dort oben weggeholt haben! Ein Fremder findet den Platz nicht. Und wir haben uns gegenseitig durch Schwur verpflichtet, das Gold vor dem festgesetzten Tage nicht anzurühren.«

»Gut, also muß er noch da sein«, bemerkte Ponks gleichgültig. Den mißtrauischen und zugleich drohenden Blick, den O'Connel auf ihn richtete, übersah er völlig. »Trotzdem lege ich Wert darauf, daß wir noch heute wissen, wie die Sache steht. Ist alles in Ordnung, dann werden wir morgen das Zeug von dort oben herunterschaffen.«

»Meinetwegen. Losen wir, wer den Aufstieg unternimmt.«

Ponks war damit einverstanden und das Los fiel auf ihn.

»Bleib du hier, Sanders«, befahl er. »Spann eine von unseren Decken aus, ich werde dir dann eine Probe des kostbaren Stoffes herunterwerfen.«

Ponks und O'Connel zogen ihre Stiefel aus und legten alle Waffen und die Dinge, die sie beschwerten, ab. Als einzige Waffe nahm jeder ein schweres Messer mit, das bequem in den Gürtel gesteckt werden konnte. Dann versahen sie sich mit Stricken und verschwanden im Cannon. Sanders, der damit beschäftigt war, eine der Decken aus dem Gepäck herauszunehmen und sie unter der Stelle, wo sich oben in der Felswand das Versteck des Schatzes befand, auf dem Boden auszubreiten, hatte das Fortgehen der beiden nicht bemerkt. Als er sich nun aufrichtete, waren sie verschwunden. Er rief, doch nur ein dumpfes Geräusch, das verworrene Echo des von den Felswänden zurückprallenden Rufes, antwortete ihm. Nun drang auch er ein Stück weit in den Cannon hinein – und da sah er etwas, das ihm vorher bei dem beschwerlichen Marsche ganz entgangen war: etwa dreißig Meter vor dem Ende des Cannons befand sich in der seitlichen Felswand eine Rinne, zwar nur schmal, doch immerhin breit genug, daß ein ausgewachsener Mann sich hindurchzwängen konnte. Sie lief in starker Steigung bergan und war fast völlig finster, da der Felsspalt sich in etwa drei Meter Höhe in Form eines gotischen Daches zusammenschob.

Sanders war schon im Begriff, in den Spalt hineinzudringen, als er die Stimme von Ponks hörte, die seinen Namen rief. Schleunigst kehrte er in den Kessel zurück. Und zu seinem Erstaunen sah er die beiden Gefährten, wie sie langsam und mit äußerster Vorsicht einen von unten unsichtbaren Pfad verfolgten, der an der fast glatten Felswand hinaufführte. Mit beiden Händen tasteten sie sich an dem Gestein entlang, jede rauhe Stelle als Halt benutzend. Das Felsband, auf dem die beiden hinanschritten, konnte höchstens einen Viertelmeter breit sein, denn dem Untenstehenden schien es, als schwebten die beiden Gestalten dort droben an der Felswand entlang langsam zur Höhe. Nur der Umstand, daß sich oberhalb des Felsenpasses die Wand ein wenig abschrägte, verhinderte, daß die kühnen Bergsteiger durch das Schwergewicht ihrer überhängenden Körper in die Tiefe stürzen mußten.

Atemlos verfolgte Sanders die halsbrecherische Kletterpartie. Obwohl die beiden durch einen starken Lasso miteinander verbunden waren, hätte der eine, wäre er abgestürzt, den anderen unfehlbar mit sich in die Tiefe gerissen, da keine Möglichkeit vorhanden war, sich festzuklammern und dem Sturz standzuhalten.

Sanders, der mit einem Gefühl starken Schwindels seine beiden Genossen mit den Augen verfolgte, sah, daß der Felsenpfad nicht etwa auf die Schatzhöhle zulief, sondern vielmehr zu einer Stelle hin, die Sanders erst jetzt bemerkte. Es war eine Art Plattform, die in etwa zehn Meter Entfernung genau über der Höhle lag. Mehr als zwanzig Minuten brauchten die beiden Männer, um diesen zwar nur kurzen, doch überaus lebensgefährlichen Weg zurückzulegen. Da Ponks vorausging, kam er als erster auf der Plattform an. Er schlang das Ende des Lassos um eine Felsnase und nun hatte die Gefahr für O'Connel aufgehört. Eine Minute später befand er sich ebenfalls auf der Plattform.

Diese mußte größer sein, als es dem Untenstehenden erschien, denn die beiden verschwanden im Umhergehen hin und wieder ganz aus dem Augenbereich Sanders'. Auf einmal kamen droben die Beine von Ponks zum Vorschein. Langsam und vorsichtig schob er sich rücklings über den Rand der Plattform. Dann baumelte er, an dem Lasso hängend, ein paar Sekunden lang hin und her. O'Connel ließ langsam das Seil nach und Ponks, mit Händen und Füßen an den hervorspringenden Felsteilen so viel wie möglich Halt suchend, rutschte mehr und mehr in die Tiefe. Bis endlich seine Füße auf dem Vorsprung, der der Höhle vorgelagert war, Halt fanden. Sanders atmete tief und erleichtert auf.

Für ein paar Sekunden verschwand Ponks im Innern der Höhle. Der Ire hatte sich auf der Plattform lang niedergelegt, streckte den Kopf über den Rand des Felsens und sprach mit Ponks. Die Stimmen tönten dem untenstehenden Sanders als ungeheure dumpfrollende Laute in den Ohren, wie wenn ein Riese mit gewaltigem Stimmaufwand in ein gigantisches Sprachrohr hineinbrüllt. Dennoch konnte er verstehen, was die beiden dort oben sprachen.

»Ein wenig mehr locker lassen!« schrie Ponks, »ich kann mich nicht bewegen.«

O'Connel ließ noch einen Meter Seil nach, dann beugte er sich wieder über den Rand der Plattform.

»Wie sieht's aus dort unten?« rief er.

»Alles all right, old boy!« tönte die Stimme Ponks zurück.

»Ist das Gold noch vorhanden?«

»Alles ganz unberührt, wie wir es vor drei Jahren verlassen haben. Auch Euer abgebrochenes Bowiemesser liegt noch hier …«

Sanders, der die Worte gehört hatte, stieß ein lautes Hurra aus und machte einen Freudensprung. Ponks warf einen Blick hinab.

»Bist du verrückt geworden, mein Junge?« fragte er lachend.

»Ein bißchen!« antwortete Sanders mit einem tollen Gelächter. »Habe nämlich im Ernst nicht geglaubt, daß der Schatz noch vorhanden wäre.«

»Gib acht, ich werfe dir als Beweis ein Stück hinab, das jeden Berliner Bäckermeister zum zufriedenen Rentner machen würde.«

Sanders trat ein wenig zurück. Gleich darauf sauste von droben ein Körper in der Größe einer Kegelkugel herab. Sanders stürzte sich gierig darüber. Er hielt einen unregelmäßig runden, mattglänzenden gelben Gegenstand in den Händen, mit wenig Quarz und erdigen Bestandteilen durchsetzt. Sanders war sachverständig genug, um erkennen zu können, daß dieser Klumpen zum mindesten zu fünfundachtzig Prozent aus reinem Gold bestand und demnach ein nicht unbeträchtliches Vermögen darstellte.

»Teufel – reines Gold – reines Gold – reines Gold.«

Sanders starrte mit weitgeöffneten Augen auf den Gegenstand in seinen Händen und seine Lippen stießen immer wieder das eine bedeutungsvolle Wort hervor. Eine unaussprechliche Gier, sich in den Besitz des ganzen Schatzes zu setzen, sprang auf einmal in seiner Seele auf. Ohne einen festen Gedanken zu fassen, lediglich einem blinden Instinkt folgend, tastete seine Hand nach der Büchse, die ihm auf der Schulter hing. Die beiden dort oben waren nicht bewaffnet – ein Abstieg war nicht möglich gegen seinen Willen – sie waren in seiner Hand – zwei Schüsse nur – in tiefster Wildnis, ganz ohne Zeugen – und er war alleiniger Besitzer der Millionen – dieser und der anderen, die in der Nähe des Arkansasufers vergraben lagen. Eine blutrote Welle schoß ihm in die Augen. Seine Hände zitterten, Schweiß brach aus allen Poren hervor. Seine Augen stierten mit wilden Blicken nach oben, wo er Ponks bei der Höhle hantieren sah – und weiter hinauf, wo der Kopf O'Connels über den Rand der Felsplatte sichtbar war –

»Zwei Schüsse – und alles mein – Millionen – Gold – Gold – zwei Schüsse –«

So flüsterten und raunten, schrien und brüllten alle Teufel in seiner Seele durcheinander. Fester legte sich seine Hand um den Schaft des Gewehres. Da erschien droben am Rande der Höhle Ponks. Ruhig stand er da, mit dem Oberteil seines Körpers sich über den Rand des Felsens hinüberbeugend. Der Mann mußte vollkommen schwindelfrei sein. Sein Blick suchte Sanders. Beide starrten sich an. In der Tiefe des Felsenkessels war es zu düster, als daß Ponks den Ausdruck in den Augen seines Genossen hätte erkennen können. Ahnte er, was in dessen Seele vorging? Ruhig, fast unbeweglich stand er, blickte Sanders in das emporgerichtete Gesicht – und lächelte. Durch den roten Blutschwall, der vor den Augen Sanders' zischte und rauschte, erschien das lächelnde Gesicht Ponks mit den harten, spöttischen, durchdringenden Augen. Und so wie ein Tierbändiger mit der Kraft seines Blickes die wildeste Bestie zu bändigen vermag, so schlugen die Augen von Ponks die wilden Gelüste in der Seele Sanders' in ihre tiefsten Winkel zurück. Er duckte sich unter diesem Blick zusammen wie ein Geschlagener – und plötzlich kam er wieder zur Besinnung. Ein krampfhafter Atemzug hob seine Brust und mit einer gewaltigen Kraftanstrengung riß er seinen Blick von dem Gesicht seines Kameraden los.

»Glaubst du jetzt an den Schatz?« tönte von oben die laute Stimme von Ponks herunter.

Sanders antwortete nicht. Hätte er in diesem Augenblick einen Laut von sich gegeben, so wäre es Ponks offenbar geworden, welche Dinge sich soeben in seinem Inneren abgespielt hatten.

Ponks ließ sich wieder in die Höhe ziehen und nach einer halben Stunde befand er sich mit O'Connel wieder bei Sanders im Talkessel.

»Was wollen wir nun tun?« fragte O'Connel.

»Essen und eine Nacht lang ruhen«, antwortete Ponks. »Und morgen früh holen wir das Gold.«

»Ich bin weder hungrig noch müde«, knurrte Sanders unzufrieden.

»Glaubst du, es sei ein Unterschied, ob wir den Schatz heute oder morgen holen?« fragte Ponks spöttisch.

»Der Unterschied ist der: holen wir ihn noch heute, so wissen wir, daß wir ihn haben. Warten wir bis morgen, so wissen wir nicht, was sich inzwischen ereignen kann.«

»Nichts wird sich inzwischen ereignen. Die Luft ist still und ruhig und der Himmel ist klar. Es wird also voraussichtlich kein Erdbeben uns den Berg zusammenschmeißen. Ein Fremder aber kommt nicht hierher. Es ist fraglich, ob eines Menschen Fuß diesen Ort betreten hat, seit wir vor drei Jahren hier waren.«

»Wir warten bis morgen«, entschied der Ire. »Vorwärts.«

Er ergriff zwei der Tiere beim Zaum und führte sie aus dem Kessel heraus. Ponks tat das gleiche, und nun blieb Sanders nichts anderes übrig, als den beiden zu folgen. Aber er war verdrossen und wünschte im stillen, daß O'Connel der Teufel holte. Als die Karawane etwa eine Viertelstunde des halsbrecherischen Weges durch den Cannon zurückgelegt hatte, machte er endlich seinem Unmut Luft.

»Wenn wir nicht die Absicht hatten, das Gold sofort mitzunehmen, dann hätten wir uns und den Pferden diesen verdammten Marsch über das Felsgestein ersparen können.«

»Wärest du vielleicht bei den Pferden zurückgeblieben, während wir nach dem Schatz sahen?« fragte Ponks mit einem beleidigenden Lächeln.

»Wenn es so sicher war, daß kein Mensch hierherkommt, dann hätten die Tiere wohl ein paar Stunden ohne Aufsicht bleiben können«, knurrte Sanders.

»Nein, mein Lieber, das tut kein vorsichtiger Mann. Das Gelingen unserer Expedition hängt lediglich von unseren Tieren ab. Würden wir sie verlieren, dann wären wir hilflos. Also können wir sie keinen Augenblick ohne Aufsicht lassen, trotz der größten Wahrscheinlichkeit, daß sie nicht gestohlen würden. Linksum, O'Connel!«

Sie waren zu einer Stelle gekommen, wo von oben bis unten durch den Fels ein meterbreiter Spalt klaffte, als hätte das Schwert eines Riesen ihn in die Wand hineingeschlagen. Im ersten Augenblick erschien es als ein Wahnsinn, in diesen Spalt hineinzudringen, zumal mit Pferden, denn die beiden Wände des Spalts drängten sich nach wenigen Metern ziemlich eng zusammen. Doch schon nach einigen schmalen Windungen wurde der Gang breit und ziemlich bequem. Und plötzlich senkten sich die Felswände an beiden Seiten so steil ab, daß dadurch ein Tor entstand, durch das man in eine flache Mulde hineintrat, in eines jener im Gebirge verstreuten Hochtäler, die trotz des Felsgebiets ein ziemlich üppiges Pflanzenleben haben.

»Meint ihr nicht, daß dies ein vortrefflicher Aufenthaltsort für die Nacht ist?« fragte Ponks lachend.

Sanders war nicht zum Scherzen aufgelegt. Er antwortete nur durch ein undeutliches Knurren und machte sich daran, gleich O'Connel die Tiere von dem Gepäck zu befreien. Da die Talmulde ringsum von hohem Gebirge umgeben war, erübrigte es sich, sie anzupflocken, vielmehr ließ man sie frei laufen und nach Belieben das allenthalben üppig wuchernde Gras abrupfen. Die drei Männer breiteten ihre Decken auf dem Boden aus, packten ihre Mundvorräte aus und entkorkten ein paar Flaschen.

Die Mahlzeit verlief schweigsam. Alle waren von dem Gedanken an das Gold beherrscht, wenn Ponks und O'Connel sich auch den Anschein der Gleichgültigkeit zu geben versuchten. In den Mienen von Ponks zeigte sich eine ruhige, überlegene Zufriedenheit, das triumphierende Gefühl, ein Ziel erreicht zu haben. Sanders' Augen verrieten einen innerlich fieberhaften Zustand, eine Erregung, die er vergeblich durch Schweigen zu verbergen suchte. Seine Hände waren so nervös, daß sein Glas, das er eben füllte, heftig an die Flasche anklirrte. Am merkwürdigsten aber äußerte sich die augenblickliche Stimmung bei dem Iren. Er war noch schweigsamer als sonst, doch in seinen Zügen arbeitete es. Hin und wieder lächelte er wie in wildem Triumph vor sich hin. Seine dunklen, tiefliegenden Augen glühten.

Ponks machte es ein Vergnügen, während des Essens den einen und den anderen zu beobachten. Er, der Kalte und anscheinend Leidenschaftslose, lächelte innerlich über beide.

»Eine stille Mahlzeit«, bemerkte er endlich spöttisch. »Man sollte eigentlich annehmen, das freudige Ereignis hätte die Herren gesprächig gemacht.«

Die beiden anderen richteten ihre Augen auf ihn.

»Noch haben wir den Schatz nicht in Händen, geschweige denn auf der Bank zu Neuyork«, äußerte Sanders.

»Du bist ein Narr«, mehr wußte Ponts auf diese Bemerkung nicht zu erwidern.

»Doch, wir haben den Schatz so gut wie auf der Bank zu Neuyork!« rief Patrick O'Connel mit wildem Triumph. »Er liegt noch in seinem Versteck. Wir holen ihn morgen. Und in sechs Tagen sind wir in Santa Fe, wo eine Goldankaufsstelle der amerikanischen Regierung ist. Dort bekommen wir für unsere Beute schöne Scheine, Tausend-Dollarnoten. Aber was sage ich! So viel Geld, wie wir bekommen, hat die Goldankaufsstelle gar nicht vorrätig. Wir bekommen einen Scheck, bequem im Taschenbuch zu tragen – einen Scheck über Millionen. Und dann –«

Er schwieg und ein grimmiges Lächeln verzerrte für ein paar Sekunden sein Gesicht.

»Niemand ahnt«, fuhr er leise fort, »daß ein Verhängnis schon unterwegs ist, um drüben in einem anderen Erdteil wie ein schwerer Hammerschlag niederzufallen.«

Ponks war erstaunt über die plötzliche Beredsamkeit des sonst so einsilbigen Gefährten.

»Das klingt eigenartig und dunkel, old boy«, sagte er gemütlich. »Wollt Ihr uns Eure Worte nicht ein wenig deutlicher erklären?«

O'Connel zündete sich langsam seine Pfeife an, dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen die von der Sonne durchwärmte Felswand.

»Schon am Abend unserer Zusammenkunft richtetet Ihr an mich eine Frage nach diesen Dingen. Ich wollte sie damals aber noch nicht beantworten, weil ich noch nicht genau wußte, ob das Gold noch da war. Heute kann ich reden ja, heute muß ich reden, damit mir die Brust nicht zerspringt. Ihr kennt die Ursache, Ponks, durch die wir so oft in Zwietracht geraten sind. Auch neulich, an dem Abend, da wir unten am Canadian River zusammentrafen. Ihr wißt, daß nur noch zwei Gefühle mich alten Mann zusammenhalten. Zwei Gefühle, alles andere ist längst in mir abgestorben. Aber Haß und Liebe glühen noch in diesem Brustkasten. Haß gegen England, Liebe zu meinem unglücklichen Vaterland. Alle Welt weiß, wie mein Land um seine Freiheit ringt, welche Opfer es für seine Freiheit gebracht hat und noch täglich bringen muß. Blutige Opfer! Mein Vater, zwei Brüder von mir, mein Weib und zwei Söhne – das sind die Opfer, die ich bringen mußte. Zum Teil sind sie ihrem Gram zum Opfer gefallen, zum Teil in englischen Gefängnissen vermodert. Märtyrer für die heilige Sache.«

Er sah, wie sich die Lippen Ponks kräuselten und wandte schnell den Kopf ab.

»Nein, Ponks, lachen Sie nicht über mich alten Mann – nicht in dieser Stunde. So verhärtet und von allen Gefühlen verlassen können Sie nicht sein, daß Sie nicht verstehen, wie in meinem Inneren die Rache gärt und mich nicht zur Ruhe kommen läßt.«

»Doch, ich verstehe es«, antwortete Ponks gleichmütig. »Weil ich jegliche Form von Narrheit kenne und verstehe.«

Patrick O'Connel atmete tief und schwer.

»Wir werden uns bald wieder trennen, darum will ich nicht auf Ihre höhnischen Worte hören. Vielleicht versteht man die Tragödie Irlands außerhalb der Grenzen unseres Landes nicht. Aber man hat doch den Befreiungskampf der Schweizer in der Welt verstanden, hat sie unterstützt, feiert die Helden dieser Kämpfe noch heute in der Dichtung. Und nicht nur die Schweizer. Aber warum will man uns nicht verstehen? Die Welt steht gleichgültig abseits und läßt die Bevölkerung Irlands abschlachten. – Doch wozu ereifere ich mich! Mögen diese Dinge liegen wie sie wollen, mein Leben gehört der Sache Irlands. Ich kämpfe für mein Land, bis auch ich falle. Und ich werde fallen, vielleicht schon bald, vielleicht erst nach Jahren. – Nun seht, Geld und Besitz haben für mich nichts Verlockendes mehr. Nichts hätte mich veranlassen können, von meiner grünen Insel im Ozean hierher zu kommen, um einen Haufen gelber Steine zu holen. Aber in diesen gelben Steinen ist eine gewaltige Waffe verborgen, die ich demnächst zum Wohle meines Vaterlandes schwingen werde. Gold ist stärker als Kanonen.«

»Wollen Sie mit Ihrem Gold den englischen Kriegsminister bestechen?« fragte Ponks mit spöttischem Lachen.

»Nichts dergleichen. Ich habe gelernt, auf Umwegen zu meinem Ziele zu gelangen. Sie wissen, daß es noch ein anderes Volk auf der Welt gibt, das von den Engländern in unmenschlichster Weise gequält wird und das einen Verzweiflungskampf kämpft gegen die Unterdrücker –«

Sanders tauschte mit Ponks einen blitzschnellen Blick. Des letzteren Gesicht blieb ganz ruhig und gleichgültig. Nur die Augen wechselten plötzlich ihren Ausdruck. Sie schienen auf einmal mit Elektrizität gefüllt.

»Sie reden vermutlich von den Indern?« fragte er fast harmlos.

»Ja, von den Indern. Dieses sanfte Volk mit seiner Jahrtausende alten Kultur ist durch die englische Knute so mißhandelt worden, daß in Millionen von Indern nur noch der eine Wunsch, das einzige Gefühl lebt: Los von der englischen Tyrannei!«

Er schwieg und zündete seine Pfeife, die ihm in der Erregung der letzten Minuten ausgegangen war, wieder an. Ponks beobachtete ihn mit lauerndem Blick; scheinbar verhielt er sich den Eröffnungen O'Connels gegenüber vollkommen gleichgültig. Sanders aber, der ihn genau beobachtete, bemerkte deutlich an ihm die gewaltsam unterdrückte Spannung.

»Nun sehen Sie, meine Herren«, fuhr der Ire fort, »gibt es etwas Einfacheres für uns, als daß wir unsere Interessen mit denen der Inder vereinigen? Wir müssen mit gemeinsamen Waffen den gemeinsamen Feind schlagen.«

Er blickte Antwort heischend von einem zum anderen. Sanders nickte in halber Bestätigung. Ponks blickte vor sich nieder. Er rauchte ein wenig hastiger als sonst.

»Wie aber gedenken Sie mit den Indern im Bunde die Engländer zu schlagen?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht«, antwortete O'Connel fast unwillig. »Das zu entscheiden ist auch nicht meine Sache. Ich bin ja nicht der Leiter dieses Unternehmens, sondern nur einer der niederen Offiziere. Es wird Ihnen aber einleuchten, daß zu einem solchen Kampfe Geld gehört, sehr viel Geld. Und das ist die große Freude, die mich heute beseelt, die größte seit vielen Jahren: unserer Sache einen Millionenschatz zuführen zu können.«

»Haben Sie die Absicht, gleich nach dem Verkauf Ihres Anteils nach Europa zurückzukehren?« fragte Ponks nach einer Weile.

»Nein – ich – habe zuvor noch eine Aufgabe zu erfüllen«, gestand der Ire nach einigem Zögern. »Eine sehr wichtige – und, ich glaube – gefährliche Aufgabe, über die ich eigentlich nicht reden darf. Aber – es ist seltsam – mir ist, als müsse meine Brust zerspringen unter dem Druck all der Dinge, die ich voll Grimm und Schmerz darin eingeschlossen habe.«

Er warf seine Tabakspfeife ins Gras und kreuzte seine Arme über der keuchenden Brust.

»Sie müssen mir einen Dienst leisten, Ponks. Wenn wir in unseren Ansichten auch Gegensätze sind, so sind Sie doch, wie ich weiß, ein Ehrenmann, der alles Unsaubere haßt. Sie kennen Neuyork. Ist Ihnen eine Gesellschaft bekannt, eine Firma, ein Unternehmen – ganz gleich, wie man es nennen will – unter der Firma Anglo-Indische Bankgenossenschaft?«

Bob Sanders fuhr heftig zusammen und wechselte die Farbe. Ponks blieb anscheinend ganz ruhig, nur machte sein Kopf eine kleine ruckhafte Bewegung nach oben. Seine Augen bohrten sich in die des Iren hinein.

»Nicht wahr, Sie sagten Anglo-Indische Bankgenossenschaft?« fragte er leise mit seltsam unheimlich klingender Stimme. Und als O'Connel hastig nickte, fuhr er fort: »Ja, ich kenne eine Firma dieses Namens. Was ist mit ihr?«

»Es ist keine eigentliche Firma, kein Handelsunternehmen«, stieß der Ire mit heiserer Stimme hervor. »An der Spitze des Unternehmens steht ein Mensch, der weder Engländer noch Ire ist – ein Mensch, der aus nichtswürdigster Gewinnsucht, aus fluchwürdigstem, verbrecherischem Mammonismus die Inder gegen die Engländer ausspielt – der den furchtbarsten, abscheulichsten Verrat an jenem armen Volke übt – und das alles nur, um sich seine Taschen zu füllen. Kennen Sie diesen Menschen?«

Ponks zögerte mit der Antwort. Sanders blickte mit geheimem Beben und ungeheurer Spannung auf die Lippen seines Meisters.

»Ja – ich kenne diesen Mann.«

»Oh, Gott sei gelobt!« frohlockte O'Connel. »Alles Häßliche, was Sie mir in diesen Tagen angetan haben, will ich vergessen, all die üblen Reden, mit denen Sie meine Liebe zu der unglücklichen Heimat überschüttet haben, will ich Ihnen verzeihen. Aber führen Sie mich zu jenem Menschen, damit ich ihn vernichten kann. Zeigen Sie ihn mir, nennen Sie mir seinen Namen, seine Adresse – und ich will Ihnen auf den Knien danken.«

Über das Gesicht Ponks legte sich langsam ein Lächeln, dessen satanische Bedeutung nur Bob Sanders begriff.

»Gut, Sie sollen diesen Mann kennen lernen.«

»Wann?« fragte O'Connel begierig.

»Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Doch so bald wie möglich.«

»Sie werden Ihr Wort halten?«

»So wahr ich hier vor Ihnen sitze.«

»Ich – danke Ihnen«, entrang es sich mit einem tiefen Atemzuge den Lippen O'Connels.

»Aber ich habe eine Bedingung. Sagen Sie mir, auf welche Weise Sie Kenntnis von diesen Dingen erhielten!«

»Das kann ich nicht. Mich bindet mein Ehrenwort.«

»Haben Sie das Geheimnis durch einen Zufall erfahren oder durch Verrat?«

»Durch – Verrat«, antwortete der Ire widerwillig.

»Das genügt mir«, sprach Ponks mit einem bösen Lächeln. Und wie erklärend fügte er hinzu: »Ich erkenne nämlich daran, daß Ihre Sache doch noch viele Freunde auf der Welt hat, und daß Sie nicht der einzige sind, der sich für eine Idee aufopfert.«

»Ich verstehe Sie nicht. Was meinen Sie?«

»Ah, lassen Sie es gut sein. Vielleicht war es Unsinn, was ich sagte. Mein Versprechen halte ich, darauf können Sie sich verlassen. Und nun wollen wir schlafen, damit wir morgen bei Sonnenaufgang ans Werk gehen können.«

Die drei Männer wickelten sich in ihre Decken und streckten sich auf dem Boden aus. Keiner sprach noch ein Wort, doch jeder wußte, daß die anderen ebensowenig schliefen, wie er selbst. Alle drei aber wachten aus verschiedenen Gründen. –

*

Sanders war der erste, der sich am nächsten Morgen erhob. Die dunkle, mit Millionen silberner Sterne bestickte Decke, die sich hoch über dem ungeheuren Felsengewirr der Gebirgswelt breitete, begann sich hell zu färben und die leuchtenden Punkte verblaßten. Sanders sammelte dürres Reisig, zündete ein Feuer an und begann mit den Vorbereitungen zu einem einfachen Frühstück. Bald waren auch die beiden anderen auf den Beinen. Alle waren an diesem bedeutungsvollen Morgen schweigsam.

Als das Frühstück eingenommen war, begaben sich die drei Gefährten auf den Weg und waren bald an ihrem Bestimmungsort angelangt.

Da Ponks und O'Connel den gefährlichen Weg über den Felsengrat schon wiederholt zurückgelegt hatten, übernahmen sie auf Vorschlag von Ponks auch diesmal den Aufstieg, während Sanders unten blieb, um die größeren Blöcke, die man einfach hinabwerfen wollte, zu sammeln. Die kleineren Stücke und eine Tasche mit reinen Goldkörnern sollte, in eine Decke verpackt, hinabgeseilt werden.

Ohne Zwischenfall kamen die beiden oben an. Auf dem Boden des Kessels wurden Decken ausgespannt, in die Sanders die einzelnen Nuggets, die ihm zugeworfen wurden, sammelte. Auf diese Weise ging nicht das kleinste Stückchen des wertvollen Metalls verloren. Alles verlief programmäßig. Auch das Paket mit der kostbaren Last, das fast einen Zentner puren Goldes enthielt, kam wohlbehalten unten an.

Schon wollte O'Connel den Rückweg über das Felsenband antreten, als ein Anruf von Ponks ihn auf die Stelle bannte. Erstaunt wandte er sich um, aber sein Erstaunen wuchs noch mehr, als er Ponks seltsam eiserne Miene sah.

»Was gibt's, Ponks?« fragte er.

»Hören Sie mich an, O'Connel«, begann Ponks mit so lauter Stimme, daß Sanders jedes Wort deutlich verstehen konnte. »Sie haben mir gestern nicht sagen wollen, wie Sie in den Besitz jener Mitteilungen über die Anglo-Indische Bankgenossenschaft gekommen sind. Ich möchte Sie noch einmal über diese Angelegenheit um Auskunft bitten.«

Die beiden standen sich Auge in Auge auf der engen Felsplatte gegenüber. In dem Gesicht von Ponks war ein Ausdruck, der dem Iren sagte, daß es sich hier um eine Auseinandersetzung von ungeheurer Bedeutung handelte. Langsam wich er bis an den Rand der Platte zurück.

»Warum wollen Sie das gerade jetzt wissen – an dieser Stelle?« fragte er stirnrunzelnd.

»An dieser Stelle und zu dieser Stunde. Sprechen Sie, O'Connel!«

»Nein!« klang des Iren schroffe Antwort.

»Sie wollen dieses Geheimnis unter keinen Umständen preisgeben?«

»Unter keinen Umständen.«

»Auch nicht, wenn ich Ihnen sage, von wem Sie diese Mitteilungen erhalten haben?«

»Das können Sie nicht. Das ist völlig ausgeschlossen.«

»Sehen wir zu. Nicht wahr, Sie fuhren vor achtundvierzig Tagen mit dem Dampfer ›Miß Hammerbrook‹ von Liverpool nach Amerika?«

»Woher wissen Sie das? Ich weiß bestimmt, daß ich Ihnen das nicht gesagt habe.«

»Nein, Sie haben es weder mir noch irgend einem anderen gesagt – eben des Geheimnisses wegen, das sich Ihnen während dieser Reise enthüllt hat. Ich vermutete, daß Sie mit der Miß Hammerbrook gereist sind, und Ihre Frage, woher ich das wisse, war eine Bestätigung meiner Annahme. Auf dieser Reise lernten Sie einen Ingenieur mit Namen Rollin kennen –«

»Mann, sind Sie allwissend?« schrie der Ire entgeistert. »Wie kommen Sie zu diesen Dingen?«

»Ich habe Ihnen nur den Anfang dieser Geschichte erzählt – erzählen Sie jetzt den Schluß.«

»Niemals!«

»Gut, hören Sie also den Schluß von mir. Irgend etwas Unerklärliches zog Sie zu dem Ingenieur Rollin hin. Sie unterhielten sich oft mit ihm – und eines Tages ward es Ihnen beiden offenbar, worin die gegenseitige Zuneigung zwischen Ihnen wurzelte: Herr Rollin war ebenfalls Ire, und wenn seine ganze Berufstätigkeit ihn auch auf andere Bahnen gedrängt hatte, so war er doch von den gleichen Gefühlen beseelt wie Sie und wünschte ebenso glühend, seinem Lande zu dienen. Und schließlich, vielleicht sogar nach einigen inneren Kämpfen zwischen seiner Schweigepflicht und der Vaterlandsliebe, verriet er Ihnen die Geheimnisse der Anglo-Indischen Bankgenossenschaft. Geben Sie zu, daß sich die Sache so abgespielt hat?«

O'Connel blickte mit dem Ausdruck tiefen Grauens auf den Mann, der mit auf der Brust gekreuzten Armen ihm gegenüberstand.

»Das – ist – unglaublich!« stammelte er. »Wer hat Ihnen das alles gesagt?«

»Antworten Sie auf meine Frage, O'Connel! War es so oder nicht?«

»Wer sind Sie, daß Sie Dinge wissen, die keines Menschen Ohr gehört hat?«

»Ich bin Walter Ponks, der Leiter der Anglo-Indischen Bankgenossenschaft.«

Dem unten lauschenden Sanders rieselte ein kaltes Grauen über den Rücken. Wie gebannt starrte er nach oben. Er ahnte, daß sich dort eine Auseinandersetzung auf Tod oder Leben abspielte. Er zitterte.

»Das – sind – Sie?« stieß der Ire in unbeschreiblicher Erregung hervor.

»Ja, ich bin der Mann, den Sie, Mister O'Connel, vernichten wollen. Ich habe mein Wort gehalten, Sie mit diesem Manne bekannt zu machen. Nun halten Sie auch das Ihre – vernichten Sie mich!«

Damit zog er langsam sein Messer aus dem Gürtel.

»Nachdem Sie nun wissen, wie es zwischen uns steht, Patrick O'Connel«, fuhr Ponks fort, jedes Wort in unheimlicher Weise betonend, »werden Sie verstehen, daß nur einer von uns lebend dort unten ankommen darf. Ich hätte Sie einfach über den Haufen schießen oder Ihnen in einem günstigen Augenblick mein Messer zwischen die Rippen rennen können. Kein Hahn hätte mehr nach Ihnen gekräht. Dieser Weg wäre für mich ungefährlich gewesen, aber eine Feigheit. Walter Ponks aber begeht, wie Sie vielleicht wissen, keine feige Tat.«

Ponks richtete all diese Worte an einen halb bewußtlosen Mann. O'Connel war alles andere als ein Feigling. Doch die ungeheure Wucht dieser Eröffnung hatte ihn so niedergeschmettert, daß er sich in einer Anwandlung von Schwäche gegen die Felswand lehnen mußte. Sein Kopf sank ihm auf die Brust.

»O Welt, welch ein Pfuhl von Verworfenheit und Unrat bist du doch! Verlohnt es sich, inmitten dieses stinkenden Menschenbreis um Ideale zu kämpfen?«

Ganz plötzlich aber raffte er sich zusammen, riß mit einer blitzschnellen Bewegung sein Messer aus dem Gürtel und stürzte sich auf Ponks.

»Dann stirb, du elender Verbrecher!« brüllte er und stieß zu. Doch er stieß in die Luft. Wieder einmal hatte das kalte Blut einen Sieg über die blinde Leidenschaft davongetragen. Ein entsetzlicher Aufschrei ertönte – und bevor Sanders noch zurückweichen konnte, schlug mit einem furchtbaren dumpfen Krach ein schwerer menschlicher Körper vor ihm auf dem Felsen auf. Blaß wie ein Leintuch taumelte Sanders zurück und klammerte sich mit bebenden Händen an den vorspringenden Felszacken an. Mit weit aufgerissenen, aus den Höhlen quellenden Augen stierte er auf den zuckenden Körper, der, aus tausend Wunden blutend, mitten auf dem Goldhaufen lag, seine im Todeskampf verkrampften Finger in das kostbare Metall hineingrub und mit weit offenen, gebrochenen Augen gegen den im ersten Sonnenlicht funkelnden Morgenhimmel emporstierte.

Wie lange Sanders in dieser Stellung, von unaufhörlichen Schauern durchrüttelt, gestanden hatte, hätte er selbst nicht zu sagen vermocht. Plötzlich tauchte Ponks neben ihm auf.

»Vorwärts!« befahl er mit völlig klarer, unbewegter Stimme. »Faß an, daß wir den Toten von unserem Besitz wegschaffen!«

»Wohin mit der Leiche?« fragte Sanders mit einem scheuen Blick auf seinen Meister.

»Sie bleibt hier. Kann der Mann ein großartigeres Grabmal haben als in diesem Kessel? Wir bedecken den Körper mit Steinen.«

Mit vereinten Kräften schleiften sie den Leichnam von dem Goldhaufen herunter, legten ihn an einer anderen Stelle dicht neben die Felswand und schichteten einen Hügel von Felsbrocken darüber.

Als das geschehen war, verpackten sie den Goldschatz in verschiedene Decken, so daß jedes Pferd einen Teil der Last zu tragen bekam und verließen die Stelle, an der sich soeben ein so schauerliches Drama abgespielt hatte.


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