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»Bitte, Herr Ponks, nehmen Sie Platz. Sie haben mich zu sprechen gewünscht.«
»Ja, Frau Elisabeth«, begann Ponks mit etwas belegter Stimme, als er in einem Sessel Elisabeth gegenüber Platz genommen hatte. Die Unterredung fand in einem Raum statt, der zugleich als Gewächshaus und Wintergarten diente. Er hatte einen Eingang vom Innern des Hauses und einen zweiten von der großen Terrasse aus, die sich fast über die ganze Breite der Hausfront erstreckte. Hier war es kühl und so still, daß man keinen anderen Laut vernahm als das leise Rieseln eines Springbrünnleins, das in einem Winkel unter einer Palmengruppe seine Wasser spielen ließ.
»Ja – Frau Elisabeth, ich habe Sie um eine Unterredung gebeten, weil ich es nicht länger ertragen kann, in einem Zwiespalt umherzugehen, der mein Leben aufreibt, vernichtet. Sie wissen, daß es vor einiger Zeit meine Absicht war, Sie nie wiederzusehen. Sie haben mir damals, da ich Sie in Neuyork in aller Form um Ihre Hand bat, in nicht mißzuverstehender Weise eine Absage erteilt – und zwar eine Absage, die, wie ich damals annehmen mußte, unwiderruflich und unabänderlich war. Es wäre zwecklos, Ihnen zu schildern, was ich seit jenem Tage gelitten habe. Meine Reise in die Wildnis war zum nicht geringen Teile eine Folge dieses erschütternden seelischen Ereignisses. Ich mußte fliehen vor jener Umgebung, an die sich so viele Gedanken an Sie verknüpften, fliehen vor mir selbst, vor meinen Schmerzen und Qualen. Hier in der Wildnis fand ich eine gewisse Ruhe vor den entsetzlichen Stürmen, die mich ohne Unterlaß bei Tag und Nacht durchbrausten. Und hier in der Wildnis – hier führte das Schicksal oder die Vorsehung mir ganz plötzlich und unvermutet die Frau wieder in den Weg, aus deren Nähe ich geflüchtet war, um nicht sterben zu müssen. Seit jener Stunde frage ich mich, was will das Schicksal von mir? Ist die sogenannte Vorsehung, die angeblich die Wege der Menschen zum Guten lenkt, in Wirklichkeit eine dem Menschen feindliche Macht, die ihn ins Verderben leitet? Oder – und bei diesem Gedanken beginnt mein Herz immer wieder von neuem stürmisch zu schlagen – gehen die geheimnisvollen Wege der Vorsehung zu einem anderen Ziele, als Sie, Frau Elisabeth, sie durch Ihren Willen leiten wollten? Mit anderen Worten, will die Vorsehung Sie zu einem Lebensglück führen, dem Sie sich selbst widersetzt haben? Ich weiß es nicht. Ahnungslos von Ihrer Nähe stand ich kürzlich droben im Urwald plötzlich vor Ihnen. Im Augenblick äußerster Lebensgefahr dachte ich nicht im geringsten daran, Sie auch nur mit einem Blick anzuschauen. Ich hatte Ihre Stimme gehört – vielleicht glaubte ich, es sei das Weib eines Rancheros oder Farmers, die sich in Gefahr befand – ich weiß es nicht mehr. Ich sah nur, jene Frau auf dem Felsblock hatte nur noch wenige Sekunden zu leben, wenn meine Kugel nicht mit unfehlbarer Sicherheit ihr Ziel traf. Aber ich war noch zur rechten Zeit gekommen, um das Schreckliche abzuwenden. Erst als die Bestie zu meinen Füßen lag, sah ich mich nach der Frau um, der ich das Leben gerettet hatte. Und da waren es – Sie, Frau Elisabeth. Ich stand mit unaussprechlicher Erschütterung vor der Frau, deren hartes Urteil mich in den Urwald getrieben hatte.«
Er machte eine Pause, zog sein Tuch aus der Tasche und wischte sich die Stirne, wie wenn die Erschütterung der Gedanken ihm Schweißtropfen der Qual auspreßte. Elisabeth saß unbeweglich in ihrem Stuhl und blickte starr auf die in ihrem Schoße ruhenden Hände. Sie hatte bisher keine Miene gemacht, seine Worte zu unterbrechen.
»Sie wußten, Frau Elisabeth, in welcher Gefahr Sie geschwebt hatten, und das ganze Gefühl Ihres von der Todesangst befreiten Herzens drängte sich auf Ihre Zunge. Vergessen war all Ihr Groll gegen mich, eine warme Welle ging von Ihrer Seele zu mir über – und in dieser Wärme sproßten alle die Blüten früherer Hoffnungen wieder empor, die ein rauher Eiswind vernichtet hatte. Ich weiß nicht, ob es richtig war, ob es nicht eine hirnverbrannte Torheit war, daß ich mich neuen Hoffnungen hingab – das aber weiß ich: habe ich einen Fehler begangen, so waren nicht nur die außergewöhnlichen Umstände daran schuld, sondern ein wenig auch Sie selbst, Frau Elisabeth.«
Elisabeth hörte immer noch anscheinend ganz ruhig zu. Nur die hastigen Bewegungen ihrer Finger, die mechanisch mit einer Quaste ihres Kleides zu spielen begonnen hatten, verrieten ihre innere Erregung. Als Ponks abermals eine Pause machte, hob sie langsam den Kopf und schaute ihn mit einem tiefen Blick ihrer großen strahlenden Augen an.
»Sind Sie fertig, Herr Ponks?«
Er mochte wohl etwas anderes erwartet haben, denn eine leichte Verwirrung prägte sich in seinen Zügen aus. Sein Blick irrte von den bestrickenden Frauenaugen, die ihm bis ins Innerste drangen, ab und suchte Halt an den Gegenständen des Raumes.
»Dann gestatten Sie mir, bevor Sie fortfahren, eine kurze Zwischenbemerkung. Es geht doch wohl nicht an, daß Sie mir aus einer gewissen Gefühlswärme, mit der ich Ihnen für die Rettung meines Lebens dankte, nun einen Vorwurf machen. Auch wäre es nicht ganz ehrlich, wenn Sie aus einer erklärlichen Wärme meines Dankes nun Kapital zu schlagen suchten.«
»Oh, Kapital schlagen! Gestatten Sie mir, Frau Elisabeth, diesen Ausdruck seltsam zu finden für einen Wunsch, eine leidenschaftlich geliebte Frau zu besitzen.«
»Ich gebe zu, daß der Ausdruck etwas absonderlich klingen mag. Indessen, wenn Sie sich die Sache reiflich überlegen, so kommen Sie vielleicht selbst zu der Erkenntnis, daß es nicht günstig für Sie war, für Ihre Wünsche gerade diesen Zeitpunkt zu wählen. Ein Mann mit feinem Empfinden würde es vermieden haben. Von Ihrem kalt-selbstsüchtigen Standpunkt aus war der Zeitpunkt ganz vortrefflich gewählt, denn ich zweifle nicht, daß manche Frau in meiner Lage sich von ganzem Herzen an die Brust ihres Lebensretters werfen würde.«
»Sie sprechen mit einer seltsamen Offenheit, gnädige Frau«, stotterte Ponks, dessen Gesicht sich mit Blut übergossen hatte.
»Ja, das ist so meine deutsche Art, Herr Ponks.«
»Ich habe zwar selbst nicht den großen Vorzug, Deutscher zu sein, aber Offenheit und Ehrlichkeit kennt man auch bei anderen Völkern. Und gerade von dem von Ihnen erwähnten Gesichtspunkt aus mag es vielleicht ganz besonders zu meinen Gunsten sprechen, daß ich ohne jeden berechnenden Nebengedanken, ohne jegliche Erwägung, ob der Zeitpunkt meiner neuerlichen Bewerbung geeignet sei oder zu ungünstigen Schlüssen führen könnte, meine Gefühle offen vor Ihnen hinlegte.«
»Gewiß, das ist auch ein Standpunkt«, sprach Elisabeth mit einer für Ponks entmutigenden Kühle. »Gegen Ihre Worte wäre gewiß nichts einzuwenden, wenn es das erstemal wäre, daß Sie mir Ihre Gefühle erklären. Da ich aber schon einmal in der überaus peinlichen Lage war, Ihren Antrag ablehnen zu müssen, hätten Sie, das ist meine Meinung, mit der Wiederholung vorsichtiger sein müssen.«
»Ich hätte meinen Antrag gewiß nicht wiederholt, wenn ich nicht durch Ihr Benehmen mir gegenüber gewissermaßen dazu ermutigt worden wäre. Denn, gnädige Frau, das dürfen Sie mir glauben, mir mangelt es durchaus nicht an dem Stolz des Mannes, der lieber zugrunde geht, als um Almosen bettelt.«
»Mir scheint, Herr Ponks, Sie sind kein Philosoph und Menschenkenner. Sie hätten wissen müssen, daß Dankbarkeit und Liebe zwei grundverschiedene Dinge sind. Wenn Sie statt einer Frau einem Manne das Leben gerettet hätten, so wäre der Dank sicherlich nicht weniger warm ausgefallen.«
»Demnach hat sich also in unserem seelischen Verhältnis zueinander seit dem für mich so unglücklichen Tage nichts geändert?« fragte Ponks heiser.
»Doch«, versetzte Elisabeth mit einer gewissen Wärme. »Was Sie für mich getan haben, das werde ich Ihnen nie vergessen. Meine wärmsten Wünsche begleiten Sie. Das Freundschaftsbündnis, das Sie mir angeboten, wäre von meiner Seite aus sicherlich nicht ohne gewichtige Gründe gebrochen worden. Es war mein ehrlicher Wunsch, alles, was in meinen Kräften stand, für Ihr Wohlergehen zu tun. – Nur das eine kann ich nicht – Ihre Frau werden.«
»Und wissen Sie bestimmt, daß Sie dieses Wort nie bereuen werden?«
»Ja, Herr Ponks, das weiß ich bestimmt. Ich weiß, daß nie der Tag kommt, wo ich in diesem Punkt anderen Sinnes werden könnte.«
»Obgleich die Vorsehung, an die Sie als Christin glauben, hier ein deutliches Wort gesprochen hat?«
»Ich wundere mich, daß Sie in diesem allerdings nicht alltäglichen Spiel des Zufalls unbedingt eine Macht erkennen wollen, an die Sie gar nicht glauben.«
Ponks sah deutlich, daß alle seine Felle langsam wegschwammen. Seine maßlose Wut verbeißend, zwang er sich zu einem Lächeln, das sein Gesicht zu einer boshaften Maske verzerrte.
»Ich erkenne deutlich, daß mein unversöhnlicher Feind Doktor Schreyer hier ganze Arbeit gemacht hat.«
»Bitte, Herr Ponks, lassen Sie den Doktor Schreyer in dieser Angelegenheit ganz aus dem Spiel. Er hat gar nichts damit zu tun. Ebensowenig, wie ich dulde, daß Sie von irgend einer Seite angegriffen werden, solange Sie mein Gast sind, darf ich Ihnen erlauben, daß Sie einen meiner anderen Gäste angreifen.«
Ponks erhob sich mit einem Ruck von seinem Stuhle.
»So durften Sie sprechen, als wir noch in Neuyork waren«, stieß er mit wildem Grimm hervor. »Damals befanden wir uns in einer Gegend, wo das Gesetz herrscht. Hier aber sind wir in der Wildnis. Hier handelt jeder nach seinem eigenen Recht, nach dem Gesetz der Stärke. Und kraft dieses in meiner Brust geschriebenen Gesetzes werde ich nunmehr mit Ihrem Freund Doktor Schreyer abrechnen.«
Auch Elisabeth hatte sich erhoben. Ihr Gesicht war totenblaß und ihre Miene steinern.
»Sie werden es nicht wagen, mein Herr, auch nur das geringste gegen diesen Mann zu unternehmen«, sagte sie langsam und ruhig, aber mit furchtbarem Ernst in Blick und Stimme. »Erinnern Sie mich nicht an das Gesetz der Wildnis, denn als Herrin auf diesem Grund und Boden liegt die Gesetzesausübung in meinen Händen. Und hier – das werden Sie wohl zugeben – bin ich die Stärkere. Meine Leute würden jede Gewalttat mit den geeigneten Mitteln zu verhindern wissen.«
»Glauben Sie, daß Ihre Leute eine Büchsenkugel in ihrem Laufe aufzuhalten oder umzuleiten vermögen?« fragte der Abenteurer mit teuflischem Hohn.
»Herr Ponks, zwingen Sie mich nicht, etwas zu tun, wovor sich mein ganzes Innere aufs heftigste sträubt.«
»Und das wäre?«
»Sie zu bitten, mein Anwesen zu verlassen.«
»Ach so, das ist also der Lohn, den ich mir bei Ihnen erworben habe!«
»Wenn Sie ehrlich sein wollen, werden Sie zugeben, daß dieses alles nicht von mir gewollt ist.«
Der starre Widerstand der stolzen, in ihrer Erregung doppelt schönen Frau hatte das Blut des Abenteurers in heftigste Wallung gebracht. In seinen Augen, die mit heißer Glut auf das blasse Gesicht Elisabeths gerichtet waren, flackerte eine schwüle Leidenschaft. Langsam trat er näher auf sie zu.
»Gut, Elisabeth, ich will den Platz räumen, will Ihnen mit Absicht nie wieder in den Weg treten, zuvor aber zahlen Sie mir meinen Lohn aus.«
»Stellen Sie Ihre Forderung!« sprach Elisabeth mit vor Verachtung zuckenden Lippen.
»Küssen Sie mich!«
Elisabeth trat langsam einen Schritt zurück.
»Ich fordere Sie auf, diesen Raum sofort zu verlassen.«
»Also verweigern Sie mir auch diesen kleinen Lohn?«
»Gehen Sie – sofort!«
»Nicht eher, bis ich dich geküßt habe – du –«
Und plötzlich, bevor sie seine Absicht noch recht erkannt hatte, war Ponks auf sie zugesprungen, umklammerte sie mit seinen Armen und preßte sie fest an sich. Dicht vor ihren Augen sah sie sein von Wein gerötetes und von Gier zuckendes Gesicht und seine Raubtieraugen, und sein glühender Atem schlug ihr wie eine Flamme ins Gesicht. Mit einer heftigen Bewegung des Zornes und der Verzweiflung bekam sie einen Arm frei – und ehe Ponks es sich versah, brannte ein Schlag auf seinem Gesicht, daß ihm die Funken aus den Augen sprühten. Unwillkürlich ließ der Druck seiner Arme für Sekunden nach – da gellte ihr schriller Hilfeschrei durch das stille Haus.
»Ha, den Schlag sollst du mir büßen!« keuchte Ponks und erfaßte sie von neuem. Ein heftiges Ringen begann. Elisabeth fühlte, wie ihre Kräfte erlahmten. Mit einem gewaltigen Ruck schleuderte Ponks sein Opfer über eine in der Nähe stehende Ottomane, warf sich über sie und bedeckte ihren Mund und ihr Gesicht mit glühenden, gierigen Küssen.
Plötzlich flog die Türe auf. Inspektor Bergson stürzte herein, an seiner Seite Sultan, die Dogge. Mit einem schnellen Blick überschaute der Alte die Lage – ein brechender, verzweifelt um Hilfe flehender Blick der gequälten Frau traf ihn.
Im nächsten Augenblick pfiff seine Reitpeitsche durch die Luft und von einem furchtbaren sausenden Schlag getroffen, fuhr Ponks, ein Wutgeheul ausstoßend, in die Höhe. Mit geballten Fäusten wollte er sich auf den alten Mann stürzen – da stieß der Hund einen kurzen, klaffenden Laut aus und flog Ponks an die Brust. Der Verbrecher schlug lang auf den Boden hin, der Hund stellte ihm seine Pfoten auf die Brust und keuchte vor Wut und Blutgier dem Stöhnenden in das vor Entsetzen aschfahl gewordene Gesicht.
»Hilfe – um Gottes willen – weg mit dem Hund –«
»Sultan – zurück!« befahl Bergson, ergriff die Dogge beim Halsband und zog sie von ihrem Opfer fort. Es war die höchste Zeit. Einen Augenblick später – und das treue, aber furchtbare Tier hätte seine gewaltigen Zähne dem Schurken in die Kehle geschlagen.
Ponks raffte sich vom Boden auf. Seine Augen waren vor Wut blutunterlaufen. Hastig, mit bebenden Händen, ordnete er seine Kleider. Ein halb scheuer, halb finsterer Blick streifte sein Opfer, das blaß und leblos wie eine Tote auf dem Ruhebett lag. Zugleich aber fiel sein Blick in einen über dem Ruhebett hängenden großen Spiegel – und da sah er auf seiner rechten Backe einen fingerdicken blutroten Striemen, der vom Haupthaar herunter bis zum Halse fiel. Und jetzt erst spürte er den ungeheuren, brennenden Schmerz, den die Erregung der letzten Sekunden ganz übertäubt hatte –
»Ha, Sie haben mich geschlagen! Das werden Sie bitter bereuen, Sie elender Bauernlümmel!« zischte er in wahnsinniger Wut.
»Hören Sie, was ich Ihnen sage«, sprach Bergson mit größter Ruhe. »Auch ohne den Bubenstreich, auf dem ich Sie eben ertappte, sind Sie als ein ebenso gemeiner wie gefährlicher Verbrecher entlarvt. Durch dreifach unwiderlegliche Beweise ist festgestellt worden, daß Sie in Gemeinschaft mit einem Spießgesellen vor einiger Zeit hier auf der Farm einen Einbruch verübt haben, wobei Ihnen eine Sammlung von Nuggets und Goldquarz im Werte von mehreren Millionen in die Hände gefallen ist. Wenn es nach mir ginge, dann würden Sie noch in dieser Stunde am nächsten Baume aufgeknüpft werden. Diese Dame aber, die Sie soeben auf schändlichste Weise beleidigt haben, will Ihren Tod nicht, weil sie annimmt, Sie hätten ihr das Leben gerettet. Nun sage ich Ihnen folgendes: Wenn Sie nicht binnen einer Viertelstunde die Farm verlassen haben, werde ich ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer die Justiz an Ihnen ausüben lassen, die hierzulande gilt. Hinaus, Schuft!«
Ponks schäumte. Seine Zähne knirschten aufeinander. Mit einem heiser hervorgestoßenen Fluch fuhr seine rechte Hand in die Tasche. Dem alten erfahrenen und im Kampfe mit Gesindel aller Art grau gewordenen Inspektor aber entging diese Bewegung nicht.
»Die Hand aus der Tasche!« donnerte er. »Wenn Sie noch die geringste Bewegung machen, um nach einer Waffe zu greifen, so lasse ich den Hund los. Sie sehen, daß ich ihn ohnehin nur mit dem Aufgebot meiner ganzen Kraft davon abhalten kann, Sie zu zerreißen. Also machen Sie, daß Sie fortkommen.«
Ponks hatte seine Hand gehorsam wieder aus der Tasche gezogen, denn Sultan, der wohl merkte, daß von ihm die Rede war, ließ ein drohendes dumpfes Knurren hören und drängte vorwärts, auf den Gegner zu. Dieser wich nach dem Ausgang zu zurück.
»Es ist unter meiner Würde, mich mit einem Bauernknecht auseinanderzusetzen«, stieß er in maßloser Wut hervor. »Aber hüte dich, alter Idiot, daß du wieder einmal meinen Weg kreuzest! Den Schlag und diese Worte wirst du mir mit Blut bezahlen.«
Rückwärtsgehend verließ er den Raum und schlug die Türe krachend hinter sich zu. Bergson atmete tief auf und ließ den Hund los. Besorgt beugte er sich über den leblosen Körper Elisabeths. Sie lag in tiefer Ohnmacht. Ihr Gesicht war marmorbleich und ihre Lippen fest aufeinandergepreßt. Bergson ergriff ihre Hand und fühlte nach dem Puls. Dieser schlug zwar regelmäßig, doch sehr schwach. Bergson erkannte, daß hier sofortige Hilfe nottat.
In dem Augenblick, da er sich wieder aufrichtete, um Hilfe herbeizuholen, knallte plötzlich ein Revolverschuß und der alte treue Inspektor schlug mit einem tiefen Aufstöhnen schwer zu Boden. Sultan stieß einen Ton aus, der fast wie ein menschlicher Aufschrei klang. Er stieß die Schnauze dem alten Freunde und Herrn ins Gesicht – dann aber schoß er mit einem dumpfen Geknurr auf das einzige offenstehende Fenster zu, von wo der Schuß gefallen war. Doch das Fenster lag für einen Sprung zu hoch, und wenn auch das rasende Tier mehrmals einen Anlauf machte, so erreichte es dennoch den Fensterrahmen nicht. –
Da wurde die Türe heftig aufgerissen. Mehrere Menschen, an der Spitze Dr. Schreyer, stürzten herein, prallten aber bei dem Anblick der beiden leblosen Körper entsetzt zurück. Ein vielstimmiger Jammerschrei der Dienstboten erhob sich. Schreyer aber verwies sie zur Ruhe, kniete neben Bergson nieder und untersuchte ihn. Sofort sah er, daß eine Kugel von hinten in den Kopf eingedrungen war und offenbar im Gehirn stecken geblieben war. Bergson war tot.
Bebend, von einer furchtbaren Angst durchrüttelt, wankte der Doktor zum Lager Elisabeths. Sie lag immer noch wie eine Leiche da und regte sich nicht. Doch schon nach oberflächlicher Untersuchung erkannte er zu seiner ungeheuren Erleichterung, daß die geliebte Frau nicht tot, sondern nur von einer schweren Ohnmacht befangen war. Aber was war hier geschehen?
»Das war das Werk des Schurken Ponks!« schrie er plötzlich, wie von einer Erkenntnis durchzuckt.
Da ergriff Sultan ihn mit den Zähnen beim Rockärmel und zerrte ihn heulend nach der Türe hin. Schreyer dachte nach.
»Ah, ich glaube, ich verstehe dich, du treues Tier! Komm!«
Er riß die Türe auf und stürmte hinaus. Weit voraus aber war Sultan. Jetzt war das Tier klüger als der Mensch. Immer mit der Nase auf dem Fußboden, schoß der Hund über den Flur auf die Terrasse hinaus und zu dem offenstehenden Fenster. Hier lag ein Revolver, der dem Mörder auf kopfloser Flucht entfallen war und den er in der Eile liegen gelassen hatte.
Schon aber hatte der Hund die weitere Spur. Sie lief durch den Park auf die Stallungen zu. Immerfort leise heulend, mit der Nase auf dem Boden, verfolgte Sultan seinen Weg, Schreyer immer hinterdrein. Sein lautes Rufen sammelte im Nu eine Anzahl Leute.
»Wo ist Ponks?«
Niemand hatte ihn gesehen, niemand wußte, was der Schuß zu bedeuten hatte. Allenthalben bestürzte Mienen und leises banges Fragen. Da kam Giles herbeigelaufen. Als er den Doktor in wilder Hast mit dem Hund daherrasen sah, kam er eiligst heran und schwenkte, wie in einer Ahnung, aufgeregt seinen verbeulten Hut.
»Suchen Sie Ponks?« schrie er schon von weitem. Und auf Schreyers hastiges Nicken fuhr er fort: »Eben ist er aus dem hinteren Tor hinausgeritten.«
»Ein Pferd«, keuchte der Doktor, »ein Pferd her! Und Hunde!«
Plötzlich aber fiel ihm die Frau ein, die ohnmächtig und hilflos im Gartensalon lag. Er durfte unter keinen Umständen jetzt die Farm verlassen.
»Hört, Leute!« rief er. »Ponks hat den Inspektor Bergson ermordet und Frau Darlington, eure gute Herrin, liegt im Gewächshaus bewußtlos. Alle Mann, die abkommen können, sollen den Mörder verfolgen. Bringt ihn lebendig, wenn ihr könnt. Sonst schießt ihn über den Haufen wie eine Bestie. Und nehmt Hunde mit, so viel ihr braucht. Wer den Verbrecher fängt oder tötet, bekommt eine fürstliche Belohnung.«
Dieses Versprechen war überflüssig. Kaum hatten die Leute gehört, um was es sich handelte, da flogen sie zu den Ställen und im Nu war ein Dutzend Mann beritten. Und fünf Minuten später brauste die Reitergruppe zum Tore hinaus. Allen weit voran, mit hängender Zunge, die Nase auf dem Boden, vor Wut und Schmerz leise winselnd – die Dogge Sultan.
*
Schreyer kehrte in den Wintergarten zurück. Eben trugen zwei Männer die Leiche des Inspektors hinaus. Einige Leute folgten den Trägern mit entblößten Köpfen. Schmerz und Grimm stand in ihren von Wind und Wetter zerfurchten Gesichtern.
Als der kleine Zug an dem Doktor vorüberkam, wurde plötzlich seine Brust von einem Schluchzen erschüttert.
»Nun hast du deine Treue mit dem Tode bezahlen müssen, lieber alter Freund«, murmelte er. »Ach, hätte man doch unseren Warnungen Gehör geschenkt!«
Mit schweren müden Schritten trat er in den Raum, in dem sich das schauerliche Drama abgespielt hatte. Elisabeth lag noch immer in tiefer Bewußtlosigkeit. Sara und eine Magd bemühten sich um sie, wußten aber nicht recht, was sie in diesem Falle tun sollten. Ohnmachten waren eine seltene Erscheinung hierzulande. Eine alte Mulattin kniete auf dem Boden und bemühte sich, einen großen dunklen Blutfleck aus dem hellfarbenen Teppich zu entfernen – ein ganz zweckloses Beginnen, da der rote Lebenssaft den schweren Stoff ganz durchtränkt hatte.
Dr. Schreyer, der aus der Zeit seiner ärztlichen Studien wußte, wie man in solchen Fällen zu handeln hat, traf die nötigen Anordnungen – und nach Verlauf einer Viertelstunde schlug Elisabeth die Augen auf. Erstaunt und in großer Verwirrung blickte sie umher.
»Oh, ich hatte einen entsetzlichen Traum!« flüsterte sie. »Mir war –«
Da sah sie die besorgte und bedrückte Miene Schreyers und die verstörten Gesichter der Dienerinnen. Hastig richtete sie sich auf.
»Was ist geschehen – ha – war das Gräßliche – mein Traum – war es kein Traum – Wahrheit –«
Sie legte erschauernd ihre Hände vor die Augen.
»Jetzt erinnere ich mich – Ponks war da – und er hat –«
Ein heftiges Schütteln ging durch ihre Gestalt.
»Wasser!« schrie sie plötzlich in einem Anfall von furchtbarstem Ekel. »Wasser – und Seife – und ein Handtuch – aber schnell, sonst ersticke ich! Oh, alles Wasser der Welt kann diese Schmach nicht von mir abwaschen.«
Da fiel ihr Blick auf die Magd, die den Teppich von dem Blute säuberte.
»Was ist das – was macht Rosina da – Blut? – Ist das wirklich Blut?«
Keiner gab ihr Antwort. Die Magd wich ihrem fragenden Blick aus. Sara begann, mit Schluchzen ihre plötzlich hervorquellenden Tränen abzuwischen. Der Doktor stand mit hängendem Kopf –
Da sprang Elisabeth auf ihre Füße. Alle Schwäche schien plötzlich von ihr gewichen zu sein. Sie ergriff Schreyers Arm.
»Doktor, sagen Sie mir, was geschehen ist. Was ist das für Blut?«
»Ich muß es Ihnen sagen, das Schreckliche – Bergson ist tot.«
»Bergson – tot?« bebte es von ihren Lippen. »Aber – wie ist das möglich? Woran starb er?«
»An einer Kugel, die der Schurke Ponks aus dem Hinterhalt auf ihn abschoß«, antwortete der Doktor mit tiefer Bitterkeit. »Genaueres weiß ich selbst nicht, da ich, durch den Schuß aufgeschreckt, hierhereilte. Da fand ich Bergson tot und Sie bewußtlos.«
»Wo ist Ponks?«
»Entflohen –«
»Ah, und man hat ihn ruhig fliehen lassen?« rief Elisabeth mit schneidender Stimme.
»Nein. Ein Dutzend unserer besten Leute sind ihm zu Pferd und mit Hunden nach. Ich wollte mich selbst an die Spitze stellen, doch ich dachte, daß Sie mich nötiger hätten als die Verfolger, die schon durch ihren eigenen Grimm über die feige Tat zum Äußersten angespannt werden.«
Elisabeth stand ein paar Sekunden stumm und regungslos, mit hängendem Kopf. Dann ergriff sie die Hand Schreyers und drückte sie fest.
»Ich danke Ihnen, Freund. – Ich muß mich nun zuvor von einer entsetzlichen Schmach säubern. Dann aber will ich mit Ihnen sprechen. Wollen Sie in einer halben Stunde bei mir sein?«
»Gewiß, ich werde pünktlich kommen.«
*
Eine Stunde später saßen Dr. Schreyer und Elisabeth im Arbeitszimmer der letzteren einander gegenüber. In den Zügen Schreyers arbeitete eine furchtbare Erregung, denn eben hatte er vernommen, was sich zwischen ihr und Ponks zugetragen hatte. Von dem Augenblick an, da als Retter in höchster Not Bergson mit dem Hund erschienen war, wußte sie nichts mehr, denn gleich darauf hatte sie das Bewußtsein verloren. Die Szene zwischen Ponks und dem alten, treuen Inspektor, die zum Tode des letzteren geführt hatte, war zeugenlos geblieben und konnte von den Beteiligten nur geahnt werden.
Lange Zeit blieb es still zwischen den beiden. Elisabeth, die ihre alte Willenskraft vollkommen wiedererlangt hatte, beobachtete ihren Freund unauffällig, aber aufmerksam.
»Und nun«, sprach sie sanft und mit trauriger Stimme, »bin ich wohl beschmutzt und wertlos geworden?«
Schreyer hob den Kopf und blickte sie mit einem unaussprechlichen Ausdruck an.
»Wäre ein goldenes Götterbildnis wertlos geworden, wenn ein Schandbube eine Handvoll Schmutz dagegen würfe?«
Ein inniges Lächeln, das in seltener Harmonie mit dem Ausdruck der Trauer in ihren Zügen stand, verklärte ihr Gesicht.
»Für dieses Wort danke ich Ihnen von ganzem Herzen«, sprach sie mit tiefem Aufatmen. »Und nun muß ich Ihnen etwas sagen, was mir sehr schwer fällt. Nein, Sie brauchen kein erschrockenes Gesicht zu machen. Ich komme nicht mit einer Hiobspost. Es ist sogar möglich«, fuhr sie zögernd und mit einem versonnenen Lächeln fort, »daß das, was ich Ihnen sagen muß, für Sie nicht so schwer anzuhören, wie es für mich auszusprechen ist.«
Der Doktor blickte sie ratlos und besorgt an – und schüttelte den Kopf.
»Ich kann Sie nicht verstehen. Wenn es Ihnen so schwer fällt, das zu sagen – muß es denn gesagt werden?«
»Das ist es eben«, seufzte sie. »Ich glaube, daß es von mir gesagt werden muß, denn Sie tun es ja doch nicht, soweit ich Sie kenne. Nicht wahr, Doktor, Sie lieben mich?«
Schreyer glotzte Elisabeth mit maßloser Verblüffung an. Er griff sich an den Kopf.
»Wache ich – oder bin ich in einem Traum?« murmelte er. »Was haben Sie mich soeben gefragt?«
»Ich habe Sie gefragt, ob Sie mich lieben. Seit einiger Zeit glaube ich nämlich, in Ihrem Innern zu lesen – sonst könnte ich Ihnen natürlich das nicht sagen, was ich Ihnen in dieser Stunde voll drängendster Geschehnisse sagen muß. Sie lieben mich – aber was jener Schurke, dessen Namen ich nicht aussprechen mag, an Selbstbewußtsein zu viel besitzt, das haben Sie zu wenig. Statt mit klaren Worten auf ein Ziel loszumarschieren, ergehen Sie sich in Andeutungen, sprechen von Ihren Träumen. Was Sie mir nicht zu sagen wagen, das enthüllen Sie in nächtlich-verschwiegener Stunde Ihrem alten Freunde Bergson.«
»Das haben Sie gehört?« entfuhr es Schreyer. Er war blutrot geworden.
»Ja, ich hab's gehört, und ich muß gestehen, es hat mir nicht mißfallen.«
»Elisabeth!« rief er aufspringend. »Verstehe ich Sie recht – Sie – Sie wollen – Sie halten mich nicht zum Narren?«
»Trauen Sie mir das zu – und in dieser Stunde?« fragte sie mit sanftem Vorwurf.
»Nein, nein – niemals – und also – ja, mein Gott – es ist ein schöner Traum – und gleich werde ich erwachen.«
»Nein, Freund, Sie träumen nicht. Sie sind ein Ehrenmann und ein treuer Freund – und – da Sie mich nicht fragen, muß ich es Ihnen notgedrungen sagen – ich habe Sie lieb – und – da, haben Sie meine Hände – für immer.«
Da nahm er ihre Hände. Sie sah, wie er zitterte. Er beugte sich darüber und küßte sie. Dann, nach einem tiefen Blick in ihre Augen, legte er seinen Arm um sie und küßte sie auf den Mund.
Nach einer Weile aber machte sie sich aus seinen Armen frei und atmete tief auf.
»Nun, Hermann, bin ich deine Braut und werde eines Tages dein Weib werden. Aber – bitte, gib mir noch einmal deine beiden Hände! Versprich mir unter deinem Ehrenwort, daß du mich von jetzt an bis zu einem gewissen Tage, den ich dir nennen werde, nicht als Weib betrachtest, sondern als deinen nächsten, besten und treuesten Freund.«
»Das gelobe ich dir vor Gott, Elisabeth.«
»Gut, ich danke dir.«
Sie hielt seine Hände fest und zog ihn zu einem Sofa. Dort ließen sie sich Hand in Hand nieder.
»Nun höre, was ich mir selbst geschworen habe. Bevor wir uns lieben dürfen, muß ich den Schmutz abwaschen, den der Bube mir durch seine Küsse zugefügt hat. Auch muß vorher der Mord an Bergson gerächt werden. Solange Ponks noch lebt, kann ich deine Frau nicht sein.«
Schreyer grübelte vor sich hin, sein Gesicht war sehr ernst. Dann nickte er.
»Dein Gedanke ist zwar hart, doch groß und edel. Ich verstehe ihn und will dir helfen, dein Ziel zu erreichen.«
»Das habe ich von dir erwartet«, sprach Elisabeth mit sichtlicher Befriedigung. »Den Mord an meinem alten guten Bergson rächt das Gesetz. Die Schande aber, die der Mörder mir angetan hat, die kann nur ich selbst rächen. Über Länder und Meere will ich ihn verfolgen, wie ein wildes Tier will ich ihn jagen, fangen und vor den Richter schleppen. Und wenn mir das nicht gelingt, zögere ich keinen Augenblick, ihm mit eigener Hand die Kugel zu geben.«
»Du bist furchtbar in deiner Größe, Elisabeth!« murmelte der Mann erschüttert.
»Ich bin, wie ich bin!« rief sie mit stählerner Stimme. »Man mag mich vielleicht für unweiblich halten, daß solche Gefühle in meiner Brust möglich sind. Ich kann es nicht ändern. Und ich wiederhole dir, daß ich nur mit dem Gefühl tiefster Erniedrigung dein Weib werden könnte, solange diese Schmach auf mir lastet.«
»Wenn ich dir darin auch nicht ganz zu folgen vermag, so sei es doch ferne von mir, dich in deinem Gefühl wankend machen zu wollen. Tu also, was du für gut findest. Mich wirst du von jetzt an jederzeit an deiner Seite finden.«
»Auch wenn wir den Mörder über den Erdball verfolgen müßten?«
»Ja, auch dann.«
»Habe Dank, Lieber. Und später – später werden wir sehr glücklich sein.«