Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16.

Es war in der Abenddämmerung des nächsten Tages, als aus dem Hause, in dem sich das Büro von Ponks befand, eine ältere Dame trat. In ihrem Wesen war eine seltsame Hast, als würde sie von einer starken inneren Angst und Unruhe getrieben. In der stillen Straße waren auch zu dieser Stunde starken Verkehrs nur sehr wenige Fußgänger zu sehen.

Dem Hause gegenüber stand ein uniformierter Polizeibeamter im Gespräch mit einem Schornsteinfeger. Einem Uneingeweihten wäre nicht aufgefallen, daß die beiden schon längere Zeit zusammenstanden und daß, wie sie sich auch bewegen mochten, einer von ihnen immer die Türe des gegenüberliegenden Hauses im Auge behielt.

Die Dame trat mit allen Zeichen großer Angst und Schüchternheit an den Polizisten heran.

»Ich bitte um Entschuldigung – können Sie mir wohl sagen, wo ich den nächsten katholischen Geistlichen finde? Mein armer Bruder liegt auf den Tod krank. Ich glaube kaum, daß er die Nacht überlebt.«

»Ist das der alte Herr mit den weißen Haaren und der goldenen Brille, der aussieht wie ein Gelehrter?« fragte der Beamte freundlich.

»Ganz recht, der. Kennen Sie ihn?«

»Nur vom Ansehen, Ma'am, wenn er auf seine langsame bedächtige Art durch die Straße ging. Und der alte Herr ist so krank? Das tut mir sehr leid.«

»Er leidet an Herzkrämpfen und ich fürchte, daß es einmal ganz plötzlich mit ihm zu Ende sein wird. Jetzt verlangt mein Bruder den Beistand eines Priesters. Aber ich weiß nicht, wo ein solcher wohnt.«

»Nicht weit von hier. Gehen Sie die übernächste Straße rechter Hand hinein, Sie sehen dann nach ungefähr zwei oder drei Minuten ein hübsches einstöckiges Haus aus roten Backsteinen, mit Grün bewachsen. Dort wohnt Doktor Burns, einer der Priester von der St. Patrickkathedrale.«

»Oh, ich danke Ihnen bestens. Aber – wenn nun Doktor Burns gerade nicht zu Hause sein sollte?«

»Das wäre auch nicht schlimm, da immer einige Ordensgeistliche bei ihm zu Gast sind. Einer von den Herren wird sicher zu Ihrer Verfügung sein.«

»Oh, wie gut das wäre! Nochmals tausend Dank!«

Der Beamte legte die Hand an die Mütze und blickte der geängstigten Dome wohlgefällig nach.

»Die Ärmste scheint sich ja große Sorge um den kranken Bruder zu machen. Hin und wieder findet man doch noch nette Menschen.«

Der Schornsteinfeger war eben im Begriffe, sich zu dieser für die Menschheit etwas unfreundlichen Bemerkung zu äußern, als ein älterer Herr an die beiden herantrat, der aussah, wie ein abgedankter Offizier. Er grüßte flüchtig, die beiden dankten.

»Na ja, da bist du ja endlich«, brummte der Schornsteinfeger. »Hast lange genug auf dich warten lassen, Gordon. Ein verdammt langweiliger Dienst, hier zu stehen und eine Stunde lang ein Haus anzuglotzen.«

»Noch immer nichts Neues?« fragte der Ankömmling gleichgültig.

»Nein, keine Spur«, antwortete der Polizist. »Gebt acht, der Kerl ist längst über alle Berge.«

»Uns kann's einerlei sein«, meinte der alte Herr und zuckte die Schultern. »Ob wir hier stehen und in die Luft gucken oder sonstwo, alles eins.«

»Hast recht«, gähnte der Kaminfeger. »Also viel Vergnügen.«

Er hatte sich schon einige Schritte entfernt, da kehrte er noch einmal zurück.

»Da kommt die Dame schon zurück. Sie hat einen Priester bei sich. Muß die gelaufen sein! Und der Pater muß schon auf dem Sprung gestanden sein, als wenn er auf sie gewartet hätte.«

Alle drei sahen, wie die Dame mit dem Priester ins Haus ging. Und keiner von ihnen dachte sich etwas dabei.

Zwei Stunden später stand ein anderer Polizist vor dem Hause. Niemand war bei ihm. Er zuckte zusammen, als die Haustüre geöffnet wurde und machte einen langen Hals. Als er aber die Dame und den Priester sah, von deren Anwesenheit im Hause er schon wußte, setzte er seinen langweiligen Marsch – immer dreißig Schritt hin und dreißig Schritt zurück – wieder fort.

*

Im Hause hatte sich inzwischen folgendes ereignet.

Die Frau war mit dem Pater schweigend bis in den dritten Stock hinaufgestiegen. Dort klopfte sie an eine Tür, die sofort von innen geöffnet wurde. Wäre Sanders zugegen gewesen, so hätte er in dem Mann, der die beiden zu sich herein ließ, sofort den geheimnisvollen Menschen wiedererkannt, den er nächtlicherweise im Garten der Signora Luzatti gesehen hatte – den Mann mit dem Seemannsgang. Es war Rollin.

Er begrüßte den Eintretenden mit einer tiefen Verbeugung.

»Guten Tag, Herr Ponks. Es freut mich sehr, daß Sie gesund von der Reise zurückgekommen sind. Ich hoffe, es geht Ihnen gut.«

»Danke«, antwortete Ponks trocken. »Schließen Sie die Tür ab.«

Er warf seinen Priesterrock ab und wandte sich zu Rollin, diesen kritisch betrachtend. Rollin trug einen schütteren weißen Gelehrtenbart, denselben, den er trug, wenn er sich in der Villa Luzatti am hellen Tage sehen lassen mußte. Eine dazu passende Perücke lag auf einem Stuhl. Das kurzgehaltene kohlschwarze Haar Rollins stand zu seinem weißen Bart in einem grellen Gegensatz. Er war mit schwarzen Hosen und einer gelben Weste bekleidet, der Gehrock, der diesen Anzug zu vervollständigen hatte, hing an einem Kleiderhaken. Rollin ging in Hemdärmeln umher, und das hatte seinen besonderen Grund; er war nämlich eben im Begriff gewesen, sich Rührei mit Schinken zu machen. Darüber war Ponks mit seiner Begleiterin eingetreten. Nun briet die Butter in der Pfanne, begann zu verbrennen und schlecht zu riechen. Ranziger Rauch verbreitete sich im Zimmer.

»Machen Sie Ihre Mantscherei fertig«, befahl Ponks ungeduldig, einen Hustenanfall unterdrückend. »Es stinkt hier wie in einer chinesischen Garküche.«

Ein wenig verwirrt rührte Rollin seinen Eierbrei in der Pfanne zurecht.

»Wie steht es mit meinem Zimmer? Wird es auf irgend eine Weise bewacht?«

»Das nicht gerade«, antwortete Rollin, in der Pfanne rührend. »Das Zimmer ist versiegelt. Es ist unmöglich, hineinzukommen.«

»Nur die Tür ist versiegelt, die vom Flur ins Vorzimmer führt?«

»Ganz recht, auf der Flurtür klebt das Siegel der Kriminalpolizei.«

Ponks stieß ein kurzes spöttisches Gelächter aus.

»Wenn die dummen Tölpel sonst nichts wissen –«

Er ging ein paarmal im Zimmer auf und ab und überlegte. Derweil verschlang Rollin ängstlich die noch kochendheiße Eierspeise, ohne sich die Zeit zu nehmen, ein Besteck herbeizuschaffen. Er benutzte den Rührlöffel. Da das Gericht vor Hitze noch zischte, verbrannte Rollin sich Lippen und Zunge.

Just, als er den letzten Bissen unter Qualen verschluckt hatte, drehte Ponks sich zu ihm herum.

»So, nun gehen Sie mit mir ins Büro. Sie, Frau Pombal, erwarten uns hier.«

Sie verließen das Zimmer. Im stillen verwundert, wie Ponks trotz des Siegels ins Zimmer gelangen wollte, folgte Rollin seinem Meister in das zweite Stockwerk. Hier zog Ponks, nachdem er einen Augenblick gelauscht hatte, einen Schlüssel aus der Tasche und schob ihn in ein Türschloß.

»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Herr Ponks, daß Sie sich an einer falschen Tür befinden«, flüsterte Rollin. »Hier wohnt ja der Notar Roberts.«

Ponks hielt es nicht für der Mühe wert, hierauf etwas zu erwidern. Er öffnete die Tür, winkte Rollin, ihm ins Zimmer zu folgen und verschloß sie dann von innen. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß die herabgelassenen eisernen Rolläden so dicht schlossen, daß von drinnen kein Lichtstrahl nach draußen dringen konnte, schaltete er das elektrische Licht ein. Der Raum war nur sehr dürftig eingerichtet. Außer einem Tisch und einigen Stühlen stand nur ein auffallend großer Schrank an einer Wand. Ponks öffnete ihn – der Schrank war gänzlich leer. Aber er barg ein Geheimnis. In der Rückwand des Schrankes befand sich nämlich eine Tür. Nachdem Ponks diese geöffnet hatte, stellte es sich heraus, daß der Schrank eine Tür verdeckte, die in ein Nebenzimmer führte – und dieses Nebenzimmer war das von der Kriminalpolizei von außen versiegelte Arbeitszimmer Ponks. Gleich darauf befanden sich die beiden Männer in diesem Raum.

Das Zimmer war mit einer muffigen Luft angefüllt – Tabakrauch, der lange eingeschlossen gewesen war. Der Raum hatte zwei Fenster. Die Rolläden waren zwar nicht herabgelassen, doch waren beide Fenster mit lang herabwallenden Vorhängen aus dichtem Stoff bedeckt. Außerdem hatten die Fenster von innen hölzerne Schlagläden. Sie standen zwar offen, Ponks glaubte aber es wagen zu dürfen, sie zu schließen, da es draußen finster war und das Zimmer im zweiten Stock lag.

Er warf einen spähenden Blick durch die Spalten der Vorhänge. Er sah unten den Polizisten auf und ab gehen und benutzte die Augenblicke, wo der Mann dem Hause den Rücken wandte, um die Schlagläden zu schließen. Dann schaltete er die auf dem Schreibtisch stehende Lampe ein und ließ sich langsam in seinem Stuhl hinter dem Tisch nieder.

Dem allem schaute Rollin untätig und ohne eine Bewegung zu. Die Totenstille im Raum und die Lautlosigkeit, mit der alles geschah, was Ponks tat, nicht zuletzt auch die völlige Nichtachtung, die Ponks ihm zuteil werden ließ, berührten ihn seltsam. Ein eigentümlich kaltes Gefühl kroch ihm durch die Adern.

Ponks öffnete einige Schreibtischfächer und legte Mappen und Aktenstücke heraus.

»Machen Sie mir davon Pakete!« befahl er dann mit einer kurzen Wendung des Kopfes nach Rollin hin. Der gehorchte schweigend. Darauf trat Ponks zu einem in die Wand eingelassenen Geldschrank, schloß ihn auf und verbarg mehrere Pakete Geldscheine in seinen Taschen. Als er damit fertig war und den Schrank zuklappte, war inzwischen auch Rollin mit dem Paket fertig.

»Gehen Sie nun ins Vorzimmer und horchen Sie, ob Sie kein Geräusch im Hause hören.«

Rollin ging hinaus. Als sich hinter ihm die Türe geschlossen hatte, öffnete Ponks einen Wandschrank und nahm zwei Gläser und eine Flasche mit dunkelrotem Wein heraus. Er füllte die Gläser, dann – nach einem spähenden Blick auf die Tür zum Vorzimmer – zog er blitzschnell ein winziges Schächtelchen aus der Westentasche, ließ ein erbsengroßes schwarzes Kügelchen in eins der Gläser fallen und verbarg die Schachtel wieder in seiner Tasche. Dann setzte er sich ruhig in seinen Stuhl und zündete sich eine Zigarre an. Gleich darauf kehrte Rollin ins Zimmer zurück.

»Draußen ist alles ruhig«, flüsterte er.

»Gut, setzen Sie sich. Haben Sie etwas Neues zu berichten?«

»Nichts als das, was sich hier im Hause zugetragen hat, seit ich hier wohne.«

»Das kümmert mich augenblicklich nicht. Haben Sie den Auftrag, mit dem ich Sie nach England schickte, prompt erfüllt?«

»Gewiß. Weller ist bereits seit vier Wochen unterwegs und erwartet Sie in Bombay. Die Zweigstelle in Kairo ist nach Ihrem Wunsch aufgehoben.«

»Gut. Etwas Besonderes ist Ihnen auf der Reise nicht begegnet?«

Rollin zögerte einen Augenblick mit der Antwort, ein unsicherer Blick flog zu dem Gesicht Ponks hinüber. Als er sah, daß dessen Augen unbeweglich und durchdringend auf ihm ruhten, erbleichte er. Langsam schüttelte er den Kopf.

»Dann will ich Ihnen ein merkwürdiges Ereignis von meiner letzten Reise erzählen. Doch vorher trinken Sie.«

Er ließ sein Glas an das des andern anklingen und trank das seine leer. Rollin nippte nur an dem seinen.

»Warum trinken Sie nicht? Ist Ihnen der Wein nicht gut genug?« fragte Ponks mit scharfer Stimme und griff zu der Flasche. Darauf trank auch Rollin sein Glas aus und Ponks füllte beide von neuem.

»Wissen Sie, wo ich in der letzten Zeit gewesen bin, Herr Rollin?«

»Nicht genau. Sie hatten einen Ritt ins Innere des Landes gemacht.«

»Ja. Ich war in den Rocky Mountains. Dort lag schon seit Jahren ein Haufen Goldklumpen verborgen, den ich ehemals mit einem Bekannten dort gefunden hatte. Dieses Gold haben wir nun geholt, ich, einer unserer Vertrauten und ein Ire, mit Namen Patrick O'Connel.«

Ponks, der das Gesicht des anderen nicht für eine Sekunde losließ, sah, wie dieser zusammenzuckte und lächelte grimmig in sich hinein.

»Sie sind ja auch Irländer, wenn ich mich nicht irre, nicht wahr?«

»Ja«, hauchte Rollin fast unhörbar.

»Kennen Sie Patrick O'Connel?«

»Ich? Nein!« stieß Rollin heiser hervor.

»Sie kennen ihn wirklich nicht? Besinnen Sie sich, Herr Rollin! – Denken Sie, wie sonderbar – Patrick O'Connel behauptete, er kennt Sie. Was sagen Sie dazu?«

Rollin schüttelte stumm den Kopf, ohne zu antworten. Ein sichtbarer Schauder flog über seinen Körper. Sein Kopf sank wie in einem plötzlichen Schwächeanfall auf seine Brust. Plötzlich aber richtete er sich mit einem Ruck wieder auf, blickte Ponks starr mit weitaufgerissenen Augen an. Dann zog er sein Taschentuch hervor und rieb sich über die Stirne.

»Was haben Sie, Herr Rollin?« fragte Ponks kalt und grausam.

»Ich weiß nicht – mir bricht plötzlich ein so eigentümlicher Schweiß aus –«

»Sie bleiben also bei der Behauptung, Sie kennen Patrick O'Connel nicht. Er hingegen behauptet, Sie sehr genau zu kennen. Und zwar will er Sie auf der Fahrt zwischen England und Amerika kennen gelernt haben. Erinnern Sie sich immer noch nicht?«

»Doch – ich – erinnere mich«, stöhnte Rollin.

»Aha! Patrick O'Connel war überaus erfreut darüber, Sie kennen gelernt zu haben. Er erzählte mir, Sie hätten ihm einen großen Dienst erwiesen. Dürfte ich Sie fragen, welcher Art dieser Dienst war?«

Statt einer Antwort machte Rollin den Versuch, sich aus seinem Stuhl zu erheben, doch der versuch mißlang. Kraftlos, von einem Schwindel ergriffen, taumelte er auf seinen Stuhl zurück. Mit bebenden Händen klammerte er sich an der Kante des Schreibtisches fest.

»Ich weiß nicht – wie mir ist«, stammelte er. Plötzlich fuhr er sich mit der Faust nach der Kehle. »Ich – ersticke«, gurgelte er hervor. »Ich – bin – vergiftet –«

»Ja, so ist es«, sprach Ponks mit entsetzlicher Erbarmungslosigkeit. »Sie haben eben mit dem Schluck Wein Ihren Tod getrunken. Bevor fünf Minuten vergangen sind, werden Sie eine Leiche sein. Warum Sie sterben, das wissen Sie. Sie haben an der Sache, der Sie Treue und Verschwiegenheit gelobt haben, einen ungeheuer schmachvollen Verrat begangen. Als Sie vor Jahresfrist den Schein unterschrieben, den Tod auf sich zu nehmen in dem Augenblick, da Sie dem Bund die Treue brechen würden, haben Sie Ihr Todesurteil unterschrieben. Sie haben gewußt, daß ich nicht mit mir spaßen lasse. Sie haben unser Geheimnis einem vor Fanatismus halbverrückten Menschen anvertraut, der es, das wußten Sie, in ungeheuerlichster Weise ausbeuten würde. Jener Mann liegt droben in den Felsengebirgen unter einem Haufen von Steintrümmern begraben. Sie werden hier als Leiche liegen bleiben, bis eines Tages fremde Menschen in dieses Zimmer hereindringen und Sie finden. – Haben Sie noch etwas zu sagen?«

Rollin machte ein paarmal den Versuch, den Mund zu öffnen. Doch seine Kinnladen waren fest aufeinander gepreßt. Zwischen den knirschenden Zähnen drängte sich blutiger Schaum auf seine Lippen. Seine Augen traten stark aus ihren Höhlen und sein Gesicht bekam eine bläuliche Färbung. Ein heftiges Schlottern warf die Glieder des sterbenden Menschen durcheinander. Seine Brust keuchte unter krampfigen und rasselnden Atemzügen.

Plötzlich stieß Rollin ein paar unverständliche, heisere Laute hervor – mit äußerster Willenskraft formte er ein paar fast unverständliche Worte:

»Gottes Fluch – auf dich – Mörder!«

Dann standen plötzlich die Züge seines Gesichtes still wie bei einer Maske. Seine Augen glotzten starr mit dem Ausdruck einer furchtbaren unmenschlichen Drohung auf das Gesicht von Ponks. Plötzlich aber brach die ganze Gestalt in sich zusammen. Der Kopf des Unglücklichen schlug mit einem dumpfen Krach auf die Platte des Schreibtisches. In dieser Lage verharrte der Körper, der noch einige matte Zuckungen zeigte und ein leichtes Beben, wie das Schauern bei einem Fröstelnden. Dann ward ein ganz kurzes, hohles Röcheln hörbar.

Rollin war tot.

Ponks erhob sich, goß ein Glas Wein ein und leerte es langsam und in aller Ruhe. Dann riß er ein Zündholz an, um seine erloschene Zigarre wieder in Brand zu setzen. Sein Blick aber war so nachdenklich und verloren auf die Gestalt des Toten gerichtet, daß ihm die Flamme bis auf die Fingerspitzen brannte. Da schleuderte er den Rest des Streichholzes nebst der Zigarre in den Kamin, trat zu dem Toten und leerte ihm vorsichtig sämtliche Taschen. Alle Papiere, die irgendwelche Andeutungen über die Person des Toten hätten geben können, zerriß er in kleine Stücke, verbrannte sie im Kamin und rührte die Asche so durcheinander, daß kein erkennbares Stückchen Papier übrigblieb. Alle anderen Gegenstände, die Rollins Eigentum waren, steckte er dem Toten wieder in die Taschen, dann nahm er das Paket mit den Papieren und verließ, nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte, das Zimmer auf demselben Wege, auf dem er es betreten hatte.

Im Zimmer des Notars Roberts lauschte er eine ganze Minute lang an der Türe. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß niemand im Treppenhause war, schloß er unhörbar auf, schlüpfte hinaus, drehte den Schlüssel in der Türe herum und begab sich in das Zimmer zurück, wo Ria Pombal ihn erwartete.

»Wir gehen«, sprach er kurz und hüllte sich in das Priestergewand. »Kommen Sie!«

»Und Herr Rollin?« fragte Ria erstaunt.

»Sie müssen begreifen, daß er jetzt nicht mit uns gehen kann«, sprach Ponks mit einem verweisenden Seitenblick. »Glauben Sie nicht auch, daß es Verdacht erregen würde, wenn der Sterbende, von dem Sie den Kriminalposten erzählten, nun einen Abendspaziergang unternimmt?«

»Sie haben recht«, murmelte Ria beschämt und schlüpfte in ihren Mantel. –

*

Es war schon spät am Abend, als am Hause der Signora die Klingel gezogen wurde. Sofort wurde geöffnet, als hätte jemand im Flur auf das Klingelzeichen gewartet. Ponks und Ria Pombal traten herein. Sie waren sichtlich ermüdet, Ponks jedoch in bester Stimmung. Sanders eilte ihnen entgegen.

»Gelungen?« fragte er gespannt.

»Natürlich! Und zwar ausgezeichnet, dank der Geschicklichkeit unserer famosen Ria Pombal. Und«, fuhr er lachend fort, »nicht zu vergessen der grenzenlosen Harmlosigkeit unserer Kriminalpolizei.«

»Hast du deine Wohnung ausgeräumt?«

»Nur das Wichtigste. Mein Geld – ungefähr eine halbe Million – und alle Papiere, die uns unter Umständen verraten könnten. Alles das habe ich unter dem Mönchsgewand verborgen gehabt. Ein einziger flüchtiger Blick unter die Kutte hätte alles verraten. Doch keiner von den Tröpfen dachte daran. Ja, ja der Mensch muß kühn sein, dann kommt er immer zum Ziel. Doch nun zu Tisch, meine Herrschaften!«

Die Tafel war bereits hergerichtet. Frau Luzatti drückte auf einen Knopf und eine Dienerin begann mit dem Anrichten. Ponks, Sanders, Ria Pombal und die Signora saßen um einen runden Tisch, der mit feinstem Porzellan, Silber, Kristall und Blumen bedeckt war. Ponks war sehr vergnügt und steckte mit seiner Stimmung die anderen an. Nur Ria Pombal war schweigsam. Hin und wieder hob sie den Kopf, als lausche sie auf ein draußen ertönendes Geräusch. Das war so auffallend, daß Ponks es schließlich merkte. Und als sich die junge Frau erhob und leise hinausging, unterbrach Ponks sich mitten in einem Satz und wandte sich mit der Frage an Frau Luzatti:

»Was hat denn eigentlich unsere Pombal heute abend? Sie ist merkwürdig zerstreut und nervös, wie mir scheint.«

»Ja, ja, das ist sie«, schmunzelte die Signora. »Zu ihrem Behagen fehlt noch ein Tischgast, auf dessen Ankunft sie mit Sehnsucht wartet.«

Wie von einer Ahnung durchzuckt, lehnte Ponks sich in seinem Stuhl zurück und stellte das Glas, das er eben zum Munde führen wollte, wieder auf den Tisch, ohne zu trinken.

»Reden Sie!« befahl er kurz und hart.

»Ja, mein Gott, Herr Ponks«, begann die würdige Dame ein wenig verlegen, »es gibt Dinge in der Welt, die man auch mit seinem stärksten Willen nicht beeinflussen kann. Weder Sie noch ich haben verhindern können, daß Ria Pombal Herrn Rollin liebt. Rollin wartet nur auf den Tag, an dem er die nötigen Mittel in die Hand bekommt, um sie zu heiraten. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, daß einer auch nur von ferne daran denkt, seine Pflicht gegen den Bund zu vernachlässigen. Im Gegenteil, beide sind eifriger als je.«

»Ich verstehe«, höhnte Ponks. »Unsere gute Ria Pombal wäre unter Umständen geneigt, bei ihren Unternehmungen im Dienste des Bundes einige Säuglinge nachzutragen.«

Frau Luzatti, die diese Worte irrtümlicherweise für einen Witz hielt, lachte vergnügt auf. Als sie aber von einem vernichtenden Blick seitens Ponks getroffen wurde, brach ihr Lachen ganz plötzlich ab. Sie hob mit einer verlegenen und wehleidigen Miene matt die Schultern.

Ponks saß unbeweglich und starrte vor sich nieder. Der ungeheure Gegensatz des Lebens – hier strahlendes Licht, Blumen, Wein, Lachen, in jenem finsteren Zimmer in der City aber der über dem Tisch zusammengekrampfte Körper des Toten, Wand an Wand mit dem Leben, das keine Ahnung hatte von der Nähe des Todes – kam ihm plötzlich mit ungeheurer Gewalt zum Bewußtsein und ließ ihn, den Harten, Gewalttätigen, bis ins Innerste hinein erschauern. Doch nicht lange dauerte diese Stimmung. Mit einer gewaltsamen Bewegung warf er die finsteren Gedanken von sich ab – und als jetzt Ria Pombal wieder hereintrat und sich still auf ihren Platz setzte, heftete er seine kalten, grauen Augen mit stechendem Ausdruck auf ihr Gesicht.

»Wo waren Sie, Ria? Haben Sie in den Mond geschaut?«

»In den Mond?« fragte sie mit einem gezwungenen Lachen. »O nein, dazu bin ich nicht empfindsam genug. Auch bin ich frei von Mondsucht.«

»Nun, Mondscheinsehnsucht und Liebe sind zwei Torheiten, die oft dicht nebeneinander hergehen. Ich hörte, Sie seien in Rollin verliebt.«

Ria wurde blutrot. Sie warf der Signora einen halb erschreckten, halb zornigen Blick zu, den diese mit einem aufmunternden Lächeln erwiderte.

»Ich rate Ihnen, mein Fräulein, sich von solchen Dummheiten rechtzeitig zu befreien. Sie könnten sonst während Ihres Aufenthaltes in Indien gar zu sehr unter Heimweh und ähnlichen Gefühlen leiden.«

»Geht Herr Rollin denn nicht mit nach Indien?« entfuhr es unvorsichtig den Lippen Rias. Gleich darauf erblaßte sie vor Schreck über die unbedachte Frage.

»Nein, mein Kind, Herr Rollin wird hier bleiben,« antwortete Ponks mit einem niederträchtigen Lächeln und blickte von einem der erstaunten Gesichter zum anderen. »Wir sind ja unter uns, meine Herrschaften – und da Sie es ja doch erfahren müssen, hat ein langes Drumherumreden keinen Zweck. Herr Rollin hat heute abend bereits eine Reise angetreten, die weiter ist als die unsrige.«

Die Augen aller drei weiteten sich vor Schreck und Entsetzen. Keiner wagte, die Frage, die ihnen auf den Lippen schwebte, auszusprechen. Doch er verstand sie und nickte allen der Reihe nach zu.

»Ja – Herr Rollin ist tot.«

Mehrere Sekunden lang herrschte Totenstille in dem kleinen Kreise. Alle starrten auf den Mann, der diese Worte gesprochen hatte. Dann zerriß ein schriller Aufschrei die Stille. Ria Pombal war aufgesprungen, stützte sich schwer mit beiden Händen auf die Tischplatte und blickte Ponks mit flammenden Augen stier ins Gesicht.

»Wie – ist das – gekommen?«

Ponks zog die Augenbrauen drohend zusammen. Sein Blick ließ die Augen des jungen Weibes nicht für den Bruchteil einer Sekunde los. Es war ein Blick Auge in Auge, ringend, wie der Blick zwischen einem Raubtier und seinem Bändiger.

»Bitte, Fräulein Pombal, setzen Sie sich. Ihre Haltung einer entflammten Volksrednerin stört mich.«

Blick und Stimme dieses Mannes mußten wohl auf seine Geschöpfe und Henkersknechte einen unwiderstehlichen Einfluß ausüben, denn gehorsam ließ Ria sich auf ihren Stuhl nieder. Ihre Augen aber, die unverwandt auf Ponks gerichtet waren, brannten in einem unheimlichen Feuer.

»Es ist mir eine gewisse Genugtuung«, begann dieser, »daß ich in der Person des Herrn Sanders einen einwandfreien Zeugen habe, daß Rollin einen unglaublichen, schamlosen Verrat an unserer Sache begangen hat. Auf der Fahrt von England nach Neuyork ist Rollin – von Geburt Ire, wie Sie wissen – mit einem anderen Iren namens O'Connel zusammengetroffen. Dieser Mann, den ich seit Jahren kenne, hat nur einen Lebenszweck, nämlich den, eine Einigung zwischen allen von England unterdrückten Völkern zu erzielen und dadurch diese Völker, vor allem natürlich die Iren, von der englischen Herrschaft zu befreien. Und nun kommt das Unglaubliche: Unter dem Einfluß des bis zur Verrücktheit fanatisierten O'Connel ist in Rollin das alte Irenblut erwacht – und er hat seinem Landsmann unser ganzes Geheimnis enthüllt, damit dieser nach Bedürfnis damit arbeiten konnte. Patrick O'Connel ist tot. Er liegt in den Felsenbergen begraben und wird uns keinen Schaden zufügen. Rollin ist seit einigen Stunden ebenfalls tot. Er hat die Folgen seines Verrats tragen müssen.«

Die kalt und leidenschaftslos vorgetragenen Worte von Ponks machten auf die Anwesenden einen geradezu niederschmetternden Eindruck. Die Signora saß bleich und zitternd in ihrem Stuhl. Sanders starrte mit weitaufgerissenen Augen vor sich nieder auf das Tischtuch. Zum ersten Male hatte er Gelegenheit, die entsetzliche Bedeutung des Scheins, den auch er unterschrieben hatte, kennen zu lernen. Am schwersten getroffen aber war Ria Pombal. Sie saß bleich wie eine Leiche in ihrem Stuhl. Ihr Antlitz war so weiß wie das Tischtuch. Ihre Lippen bebten und ihre Augen flirrten. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und dicht an ihren Leib herangezogen. Nach einer Weile hob sie mit einer langsamen Bewegung den Kopf.

»Ist – Herr Rollin – freiwillig in den Tod gegangen – oder –« Sie hatte nicht den Mut, den Satz zu vollenden und brach erschauernd ab.

»Warum wollen Sie das wissen?« fragte Ponks herausfordernd.

»Ich möchte es gerne wissen – weil – weil ich mir durch diese Aufklärung – das Charakterbild Rollins vervollständigen kann.«

»Glauben Sie nicht, meine Liebe, daß es besser für Sie wäre, wenn Sie jeden Gedanken an diesen verräterischen Schuft fahren ließen, anstatt sich überflüssigerweise zu bemühen, sein Charakterbild zu vervollständigen?«

»Das kann ich halten, wie ich will!« schrie Ria Pombal, sich plötzlich vergessend. »Als ich mich zu Ihrer Sache verpflichtete, da habe ich nicht zugleich auch meine Gedanken an Sie verkauft. Niemand hat das Recht, mir zu verwehren, an Rollin zu denken. Ich habe aber starke Gründe, auch in Zukunft viel an ihn zu denken.«

Ponks erhob sich langsam. Nun standen sich beide, nur durch den Tisch voneinander getrennt, Auge in Auge gegenüber. Und beider Augen brannten.

»Nun also denn, Sie wahnsinniges Geschöpf, was wollen Sie von mir?«

»Ich verlange – hören Sie, Herr Ponks, ich verlange von Ihnen Auskunft, ob Rollin eines freiwilligen Todes gestorben ist – oder – ob er – ermordet wurde.«

»Keines von beiden. Ich bezweifle, daß dieser Mann zu einem freiwilligen Tod den nötigen Mut hatte. Darum habe ich die Strafe an ihm vollzogen, die dem Verräter gebührte.«

Langsam veränderte sich der Ausdruck in den Zügen des jungen Weibes. Allmählich breitete sich gleich einer häßlichen Maske ein verzerrtes Lächeln über das schöne Gesicht. Die Augen glommen wie zwei feurige Kohlen, in Phosphor eingetaucht, wie die Augen einer wütenden Tigerin. Dieses fahlblasse, verzerrt lächelnde Gesicht hatte etwas ungemein Drohendes. Aus ihm sprach ein unaussprechlicher Haß und eine unersättliche Blutgier.

»Also Sie waren sein Richter, Herr Ponks, – und zugleich sein Henker. Sie haben ihn verurteilt – und zugleich die Strafe an ihm vollzogen. Ich – danke Ihnen für diese Auskunft.«

Damit wandte sie sich um und ging mit den Bewegungen einer Schlafwandelnden zur Tür hinaus. Ponks ließ sich wieder auf seinen Stuhl niedersinken. Er bemühte sich, gleichgültig zu erscheinen. Sanders stieß die Luft pfeifend durch die Zähne. Die Signora machte ein bekümmertes Gesicht, und zwei große Tränen rollten über ihre feisten Wangen.

»Gedenkst du dieses Weib mit nach Indien zu nehmen?« fragte Sanders nach langem Schweigen.

»Ich überlege das gerade. Nun du mich aber fragst, steht mein Entschluß fest: ja, sie geht mit, unter allen Umständen. Ich brauche sie.«

»Du, das scheint mir sehr gefährlich zu sein. Laß dich warnen!«

»Bah, warum! Was könnte sie machen? Nichts! Außerdem wird sie bald wieder zu Verstand kommen. Ria Pombal hat schon mehrere Liebschaften ohne Dauerschaden überstanden. Sie wird auch Rollin vergessen, bevor wir zu Schiff gegangen sind.«

»Wenn du dich darin nur nicht täuschest«, meinte Sanders besorgt. »Ich habe das Gesicht und die Augen des Weibes beobachtet. Etwas Furienhafteres habe ich in meinem Leben noch nie gesehen – weiß der Teufel!«

»Oh, ich weiß mit Furien ausgezeichnet umzugehen«, knurrte Ponks und ließ ein böses Lachen hören. »Laß uns nur erst auf dem Meere sein, dann wirst du sehen, wie ich diese Teufelin zu Kreuze kriechen lasse. Doch ich wiederhole dir, bis dahin werde ich gar keinen Grund mehr haben, unzufrieden mit ihr zu sein. Was denken Sie darüber, edle Signora Luzatti?«

Die Dame schüttelte trübselig den Kopf und seufzte tief auf.

»Ich kann der armen Ria nachfühlen, was in ihr vorgeht. Sie hat Rollin wirklich gern gehabt. Und er war ein so sanfter, ein so gemütlicher Mensch.«

»In der Tat!« höhnte Ponks. »Dieser sanfte, gemütliche Mensch aber hatte uns ohne Gewissensskrupel verraten und verkauft. Verlangen Sie, daß ich ihn nur um des liebebedürftigen Herzens unserer Ria Pombal willen frei schalten und walten und uns allzumal an den Galgen bringen lasse?«

»O du guter Gott!« rief die Signora entsetzt. »Das wäre ja furchtbar! Es ist vielleicht ganz gut, daß der arme gute Rollin nicht mehr am Leben ist. Aber er tut mir doch schrecklich leid, und Ria auch, das gute Kind.«

»Lassen Sie nun endlich Ihr Gewäsche!« schnauzte Ponks sie an. »Machen Sie, daß Sie jetzt zu Bett kommen, damit Sie morgen früh genug bei der Hand sind. Ich war heute beim Prinzen Rami. Alles ist soweit fertig. Morgen abend gegen sechs Uhr reisen wir. Sorgen Sie, gute Frau, daß bis dahin alles fertig ist, sonst ist unsere Freundschaft beim Teufel.«

Eingeschüchtert und in zitterndem Gehorsam erhob sich die Signora sofort und schlich nach einem demütig gemurmelten Gutenachtgruß hinaus.

»Laß uns noch für einige Minuten ins Freie gehen«, stieß Ponks mit plötzlich veränderter Stimme hervor. »Die Luft hier im Raum erstickt mich.«

Ohne die Antwort seines Genossen abzuwarten, ging er hinaus. Sanders dachte nicht daran, zu widersprechen. Er ahnte, daß er nun Genaueres über den Tod Rollins erfahren würde und war auf diese Enthüllungen sehr gespannt. Er folgte also Ponks in den Garten. Es war eine heiße, schwüle Nacht. Der Himmel war bedeckt und es war stockfinster. Hin und wieder stieß ein plötzlicher Windstoß in die Kronen der alten Bäume. Es schien, als zöge vom Meere her ein Gewitter herauf.

In der Mitte des Gartens, in einer Gruppe dichten Gesträuchs, stand eine Laube. Dorthin lenkte Ponks seine Schritte. Sanders nahm neben ihm auf der Holzbank Platz. Lange Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort.

»Warum fragst du nicht endlich, was du von mir wissen willst?« rief Ponks schließlich nervös und in zitternder Ungeduld.

»Ich denke, wenn du es mir sagen willst, sagst du es ohne Aufforderung.«

Darauf erzählte Ponks ausführlich alles, was sich in der Verschwiegenheit seines halbdunklen Zimmers zwischen ihm und Rollin abgespielt hatte. Jedes Wort wiederholte er, das zwischen ihnen gewechselt worden war.

»Weißt du bestimmt, daß er tot war, als du fortgingst?« fragte Sanders, als Ponks seinen Bericht beendigt hatte.

»Tot wie ein Laternenpfahl. Ich hörte seinen letzten Seufzer. Und als ich ihm seine Papiere abnahm, fühlte ich nach seinem Herzen – es stand still.«

»Obgleich ich Rollin kaum kannte, erscheint mir seine Tötung wie eine entsetzliche Notwehr. Aber – ich werde die Frage nicht los – war es wirklich eine unumgängliche Notwendigkeit? Hätte es nicht genügt, ihn zu verwarnen und unter scharfe Aufsicht zu stellen?«

»Nein, das hätte nicht genügt. Alles das habe ich seit der Beseitigung O'Connels reiflich überlegt. Hätte er den Verrat aus Geldgier begangen, so wäre er zwar gemeiner gewesen, doch hätte ich ihm durch Geld den Anreiz zu ähnlichen verräterischen Handlungen nehmen können. Er aber verriet uns aus fanatisiertem Patriotismus – aus Vaterlandsliebe, wie die Phrase lautet. Da ist nichts zu machen. Nur sein Tod kann uns Sicherheit geben. Außerdem mußte ich schon des Beispiels wegen so handeln. Glaube mir, so bald wird in unseren Kreisen nicht wieder ein Verrat begangen werden.«

»Vielleicht doch – nur aus anderen Gründen – zum Beispiel aus Rache.«

»Was willst du damit sagen?« fragte Ponks mit einem Ruck seines Kopfes.

»Mir kommt das Weib nicht aus dem Sinn – und der Blick, mit dem sie dich vor Wut fast durchbohrte, als sie von dem Tode Rollins hörte. Glaube mir, Ria Pombal haßt dich seit einer Stunde glühend. Und tödlich!«

»Das ist mir ganz gleichgültig. Was frage ich nach dem Haß einer solchen Frau! Sie soll sich hüten! Keiner kennt ihre Geschichte. Ich habe sie aus dem Schmutz emporgezogen und zu einem Menschen gemacht. Handelt sie gegen mich, dann stoße ich sie in schlimmeren Schmutz, als sie je kennen gelernt hat. Dort unten in Indien hat man dafür reichliche Gelegenheit. Du verstehst.«

»Du bist fürchterlich!« murmelte Sanders. »Nimm dich in acht!«

»Übrigens hat sie gar keine Mittel, um sich an mir zu rächen. Wenn sie unsere Sache verrät, dann geht sie in ihre eigene Falle, denn ich habe dafür gesorgt, daß sie genügend belastet ist, um den Mund zu halten. Daß ich von Frau Darlington und dem Rechtsanwalt Doktor Schreyer verfolgt werde, ahnt sie natürlich nicht. Wenn sie davon etwas wüßte – dann allerdings – aber warum daran denken!«

»Bist du so ganz sicher, daß Ria Pombal von deinem Verhältnis zu Frau Darlington und ihrem Schleppenträger Doktor Schreyer nichts weiß? Stell dir vor, sie hätte die Mittel in der Hand, jene beiden wissen zu lassen, daß wir morgen abend nach Bombay reisen?«

»Das wäre ein Unglück für uns. – Aber sei unbesorgt, sie kann das nicht wissen. Die beiden Namen sind nie in ihrer Gegenwart genannt worden. Und da wir morgen reisen, ist ohnehin ausgeschlossen, daß sie einen Verrat begeht. Ich werde sie von morgen ab auf Schritt und Tritt bewachen lassen.«

Er sprang auf und trat aus der Laube heraus.

»Ich weiß nicht, was mir heute abend so schwer auf der Brust liegt. Vielleicht ist es die Gewitterluft. Wir wollen schlafen gehen.«

Langsam gingen sie dem Hause zu. Als sich die Türe hinter ihnen geschlossen hatte, raschelte es in dem die Laube umgebenden Gebüsch. Eine dunkle Gestalt trat hervor. Nur das schneeweiße Gesicht leuchtete fahl aus der Finsternis hervor.

»Frau Darlington – Doktor Schreyer –« tönte es leise drohend durch das Dunkel. »Doktor Schreyer – Frau Darlington – ich werde diese beiden Namen nicht vergessen. Gut, daß ich das erfuhr. Der Geist der Rache hat mich heute abend an diese Stelle geführt. Jetzt hüte dich vor mir, du Mörder! Bewachen lassen willst du mich? Hahaha! Und für ungefährlich hältst du mich? Sehr gut – du sollst mich kennen lernen!«

Leise wie ein Schatten huschte Ria Pombal durch den Garten und betrat das Haus durch ein Seitenpförtchen.

Nach einem kurzen Meinungsaustausch über die am nächsten Tage zu treffenden Maßnahmen, trennten sich auch Ponks und Sanders. Ihre Zimmer lagen nebeneinander. Sanders war schon längst eingeschlafen, doch immer noch tönten im Nebenzimmer die durch den Teppich gedämpften Schritte des ruhelos hin und her wandernden Ponks. War er, der Harte und Gefühllose, doch nicht so eisern und kaltblütig, wie er es den anderen Menschen gerne zeigte? Hatte er, wenn er allein war, mit Gespenstern zu ringen?


 << zurück weiter >>