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Dicht am Arkansas, etwa zehn Kilometer flußaufwärts von Golden Hill, lag ein einzelner Rancho, in dem einsam und von aller Welt abgeschlossen ein Mann mit Namen Tom Gally wohnte. Er war der Sohn eines kanadischen Trappers und einer Seminolenindianerin, erinnerte sich seiner Eltern aber nur noch dunkel als zweier Menschen, die fortwährend miteinander zankten, Schnaps tranken, rauchten und auf zwei elenden Kleppern dem Wild nachjagten. Nur in einem Punkte waren sie miteinander einig: wenn es galt, den jungen Tom zu prügeln. Darum war er ihnen eines Tages mit des Vaters bester Büchse ausgekratzt und hatte sich »selbständig gemacht«. Seit der Zeit hatte er von seinen Eltern nichts mehr gehört. Jetzt war er ein Mann in mittlerem Alter, so daß er Grund zu der Annahme hatte, daß sein Elternpaar sich nun in den sogenannten »seligen Jagdgründen« befand. Er ernährte sich durch die Jagd und durch die Erbeutung von Pelztieren. Auch sagte man von ihm, er wüßte im Ozarkgebirge einige Stellen, wo Gold zu finden wäre. Wenn dem so war, so konnte man es jedenfalls an seiner Lebensweise nicht merken. Denn diese konnte kaum kärglicher sein, als sie es war. Wieder andere sagten, er hätte ein schweres Verbrechen auf dem Gewissen, das ihn so menschenscheu gemacht hätte. Ein finsterer Bursche war Tom Gally, das stand außer allem Zweifel. Auch seine Gastfreundschaft war nicht berühmt. Wenn er auch niemand eine Nacht unter seinem Dach und einen Platz an seinem Tisch versagte, so war doch deutlich genug zu merken, daß er jedem Besucher lieber auf den Rücken als ins Gesicht blickte.
Um so auffälliger war, daß der Ranchero schon seit Tagen zwei Gäste hatte. Mehr noch: er saß selbst mit diesen beiden Männern auf der Bank vor seinem Rancho, plauderte, rauchte und trank mit ihnen. Bei diesen Gesprächen glitt sogar hin und wieder eine Art Lächeln über sein verwittertes Gesicht, das zu einem wirklichen Lächeln etwa in dem Verhältnis stand wie ein Wetterleuchten zu einem Blitzstrahl.
»Wenn man Euch so hört, Mister Gally, dann sollte man glauben, das Geld hätte für Euch nicht den allergeringsten Wert«, sprach Ponks.
»Wert – bah, hat es auch nicht«, knurrte der Ranchero und spuckte aus. »Was kann's denn für einen Wert für mich haben? Was ich esse, das schieße ich mir. Ein bißchen Mehl und Salz bekomme ich auf Golden Hill. Das bißchen Geld, das ich für Munition, Tabak und ein paar Flaschen Brandy brauche, bringen mir meine Pelze ein.«
»Ihr denkt also gar nicht daran, einmal Eure alten Tage ruhig und bequem in einer Stadt zuzubringen?«
»Gott soll mich bewahren, daran zu denken!« fuhr Tom Gally auf. »Ersticken würde ich in euren Häusern, hier bleibe ich, bis eines Tages –«
Der Rest war ein Achselzucken, wobei er abermals kräftig ausspuckte.
»Aber nicht wahr, so ganz übel wär's gerade nicht, wenn eines Tages das Arkansasdampfschiff Euch so an die hundert Flaschen vom besten Jamaika-Rum vor den Rancho legte?« meinte Ponks lauernd.
»Hundert – Flaschen –« Tom Gally riß seine Augen vor Erstaunen so weit auf, daß die beiden anderen in ein lautes Gelächter ausbrachen.
»Ihr tut, als gäb's gar nicht so viel Brandy auf der Welt!« rief Sanders.
»Im Ernst, Mann, ich verpflichte mich, Euch mit dem nächsten Dampfboot, das nach meiner Rückkehr nach hier abgeht, hundert Flaschen vom besten Stoff, der sich auftreiben läßt, hierher zu senden, wenn Ihr auf meinen Vorschlag eingeht.«
Der Ranchero richtete seine Augen fest auf das Gesicht von Ponks.
»Tut Ihr das wirklich? Kann ich mich fest darauf verlassen?«
»Wie auf Euren Tod. Übrigens bin ich bereit, Euch den Wert der hundert Flaschen in barem Gelde auszuzahlen, wenn Ihr mir nicht traut.«
Der Ranchero kratzte sich den Kopf.
»Ich tät's ja gerne – aber – der Streich kann verdammt gefährlich werden.«
»Doch nicht für Euch!« widersprach Ponks spöttisch.
»Für mich insofern, als man mich von der Farm herunterjagen wird, wenn ich wieder mal was brauche. Am gefährlichsten aber für Mistreß Darlington, wenn die Geschichte mißlingt. Nicht weniger aber auch für Euch selbst, wenn Ihr Eures Schusses nicht vollkommen sicher seid.«
»Darüber macht Euch gar keine Sorge. Ich schieße absolut sicher, viel mehr fürchte ich eine Ungeschicklichkeit Eurerseits, durch die die Absicht des Streiches ans Tageslicht kommt.«
»Ausgeschlossen!« rief Tom Gally mit einem Gelächter. »Ich kenne jeden Fußbreit im Gebirge und werde das schon einrichten. Also gut, ich mache mit, wenn Ihr mir die Flaschen mit Brandy schickt und mir außerdem hundert Dollar in bar bezahlt.«
»Gut, einverstanden«, nickte Ponks unbedenklich. »Wo haust der Bär?«
»Eine gute Stunde von hier im Gebirge, im Winkel einer engen Felsenschlucht.«
»Hört mal, Freund Gally, ich habe mir sagen lassen, im Ozarkgebirge gäbe es gar keine echten Grizzlybären mehr.«
»Wer das sagt, der kennt das Gebirge nicht«, grinste der Ranchero. »Wahr ist ja, daß sie selten geworden sind, habe selbst manchen weggeputzt. Aber mein Grizzly ist da, und daß er nicht auskommt, dafür habe ich gesorgt. Wenn Ihr mir aber nicht glaubt, dann ist es besser, Ihr schert Euch zum Teufel.«
»Nur nicht so grob, Freund«, mahnte Ponks lachend. »Ich glaube Euch. Wann kann die Bärenjagd stattfinden?«
»Jederzeit. Wenn die Dame nur kommt!«
»Sie wird kommen, wenn sie erfährt, daß es sich um eine Jagd auf einen echten Grizzlybären handelt. Das schwierigste wird sein, während der Jagd ihre Begleiter von ihr zu entfernen.«
»Das ist gerade das einfachste. Laßt mich nur machen. Und wenn es Euch recht ist, breche ich sofort nach Golden Hill auf.«
»Natürlich ist es mir recht. Je eher, um so lieber.«
Der Jäger erhob sich, stülpte eine unförmliche Bärenfellmütze über seinen fast kahlen Schädel und zog ein kleines, aber anscheinend sehr ausdauerndes Pferd aus dem Stall. Warf seine Büchse über die Schulter und sprang in den Sattel.
»Ich werde noch vor Abend zurück sein«, wandte er sich noch einmal an die beiden Abenteurer. »Komme ich nicht, dann ist das ein Zeichen, daß ich die Jagdgesellschaft morgen früh sogleich mitbringe.«
»Das wäre ausgezeichnet«, nickte Ponks vergnügt. »Wir werden dann morgen in der Frühe Ausschau halten und, sehen wir die Gesellschaft herannahen, uns rechtzeitig unsichtbar machen. Unser Plan ist ja in allen Einzelheiten durchgesprochen – oder ist Euch noch etwas unklar?«
»Nichts«, antwortete der Ranchero und nickte den beiden einen formlosen Abschiedsgruß zu.
Er stieß seinem Pferd die Sporen in die Flanken und war binnen kurzem den Blicken der beiden Männer entschwunden.
»Ein verwünscht leichtsinniger Streich!« lachte Sanders. »Gib acht, Ponks, die Geschichte mißlingt.«
»Wüßte nicht, warum sie nicht gelingen sollte! Dieser Halbindianer ist ein gerissener Bursche und weiß ganz genau, auf was es ankommt.«
»Und was hast du davon, wenn er gelingt?«
Ponks warf seinem Genossen einen Seitenblick zu, der nicht viel Hochachtung verriet.
»Das begreifst du nicht? Kommt alles so, wie ich denke, dann kann mir gar nicht fehlen, daß ich bei der stolzen Dame Hahn im Korbe bin.«
»Na ja, das ist einigermaßen wahrscheinlich«, gab Sanders zu. »Die Weiber sind ja in der Regel in die Männer verschossen, die ihnen das Leben gerettet haben.«
»So ist es«, grinste Ponks. »Und auf dieser Tatsache habe ich meinen ganzen Plan aufgebaut.«
»Ist jene Witwe Darlington wirklich eine so unbändig schöne Frau?«
»Das ist sie bei Gott! Eine der schönsten Frauen, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Und doch – es ist ganz sonderbar – eine ebenso starke Macht wie die, die mich zu ihr hinzieht, stößt mich auch wieder von ihr ab. Glaubst du an die Lehre der Buddhisten, an Seelenwanderung?«
»Nein – du etwa?« fragte Sanders belustigt.
Ponks aber blieb vollkommen ernst.
»Bis vor kurzem habe ich an nichts dergleichen geglaubt. Wenn ich aber dieses ganz unerklärliche seelische Verhältnis zwischen Elisabeth Darlington und mir zu ergründen suche, dann bin ich fast geneigt zu glauben, daß diese Frau mir in einem meiner früheren Leben schon einmal sehr nahe gestanden hat. In Haß oder in Liebe – das weiß ich nicht. Aber es ist ein gewisses Etwas in ihrem Wesen – ich kann nicht einmal sagen, was es ist – das mich ganz undeutlich, wie eine Ahnung oder ein ferner Traum, an eine Zeit erinnert, die lange vor meinem jetzigen Leben gewesen sein muß.«
Sanders stieß ein lautes Gelächter aus.
»Na, hör mal, ich hätte wirklich nie geglaubt, dich einmal auf den Bahnen des Übersinnlichen zu sehen.«
Ponks strich sich mit der Hand über die Stirne.
»Du hast recht«, sagte er nachdenklich, »das ist jedenfalls alles Unsinn. Vielleicht schafft nur ihr Widerstand diesen seltsamen Zustand zwischen uns. Und da es kein Naturgesetz ist, daß ein Mann jede schöne Frau, die ihm begegnet, lieben muß, liebe ich in Wirklichkeit vielleicht nur ihren unermeßlichen Reichtum. Auf alle Fälle habe ich mir geschworen, sie zu besitzen – und das will ich, selbst wenn ich darüber zugrunde gehen sollte.«
»Demnach liegt es also durchaus im Bereiche der Möglichkeit, daß deine Anglo-Indische Bankgenossenschaft an einem Weib in Stücke geht«, bemerkte Sanders mit verstecktem Hohn.
Ponks zog die Stirne kraus und starrte schweigend vor sich nieder. Und nach einer Weile erhob er sich, steckte die Hände in die Hosentaschen und ging ohne Abschied davon, dem nahen Walde zu. Sanders blickte ihm grinsend nach und lachte still vor sich hin.
»Auch die größten Streber und ausgesprochensten Bösewichte haben eine Stelle, wo sie menschlich fühlen und verwundbar sind«, philosophierte Sanders. »Ich wäre ein Narr, wenn ich nicht daraus meinen Nutzen zöge. Warte nur, mein Freund, vielleicht ändert sich unser Verhältnis einmal so, daß du unten stehst und ich oben. An mir soll es wahrhaftig nicht liegen, wenn ich dir nicht eines Tages in dem gleichen Tone begegne, wie du mir damals, als du mich in Neuyork fandest.«
*
Tom Gally kehrte an diesem Tage nicht zurück, was Ponks so in Erregung versetzte, daß er in der Nacht schlecht schlief. Schon bei Tagesanbruch war er auf den Beinen. Als die Sonne aufgegangen war, stieg er auf einen nahen Hügel, von wo aus man das Land ein gutes Stück weit überschauen konnte. Nach einer Stunde kehrte er zurück. Sanders hatte inzwischen das Frühstück hergerichtet, das einsilbig eingenommen wurde. Dann unterzog Ponks seine Büchse, einen ausgezeichneten Drilling, sorgfältigster Prüfung, entfernte die Ladung, die schon einige Tage im Lauf steckte, und lud von neuem, zwei Läufe mit schweren Kugeln, den dritten mit grobem Schrot.
Dann begaben sich die beiden Männer von neuem auf den Beobachtungsposten. Sanders, der an dem Abenteuer sichtlich nur sehr wenig Interesse hatte, streckte sich lang ins Gras, zündete seine Pfeife an und blickte rauchend in die Luft. Ponks wartete mit steigender Ungeduld auf das Erscheinen der Jagdgesellschaft.
Endlich – es war inzwischen fast neun Uhr geworden und die Sonne brannte schon ziemlich heiß – sah er in der Ferne vier Reiter herankommen. Sein scharfes Auge erkannte deutlich, daß unter ihnen eine Dame war.
»Sie kommen!« rief er elektrisiert. »Schnell in unser Versteck!«
Sanders erhob sich brummend und folgte Ponks. Sie eilten an dem Rancho vorüber und verschwanden in einem Hohlweg, der durch dichtes Gebüsch in waldbestandenes Gebirgsland hinaufführte.
*
Tom Gally war in Golden Hill kein unbekannter Gast. Wenn er auch nicht gerade beliebt war, so konnte man doch nichts eigentlich Belastendes gegen ihn vorbringen. Daß er ein rauher Gesell war, nahm man ihm nicht übel, denn er unterschied sich hierin in keiner Weise von seinen Kameraden. Er kaufte auf der Farm manche Dinge, die er zum Leben brauchte, lieferte auch manchen guten Braten dorthin und erwies sich bei mehreren Gelegenheiten als zuverlässig und ehrlich.
Diesmal hatte er sich auf der Farm eingefunden, um angeblich einige Lebensmittel einzukaufen. Bei dieser Gelegenheit gelang es ihm, an Inspektor Bergson heranzukommen. Dieser sprach ein paar freundliche Worte zu ihm, und der Mestize brachte in schlauer Weise die Rede auf den Grizzlybären, den er im Gebirge aufgespürt hatte. Er verschwieg wohlweislich, daß er den Bären in einer Schlucht sozusagen gefangen hielt. Durch ein geschicktes Manöver war es ihm gelungen, den Meister Petz in die Schlucht hineinzutreiben und den schmalen Eingang – den einzigen, der vorhanden war – durch Felsstücke vollkommen zu verrammeln. Dieser lose aufeinander geschichteten Mauer hatte er durch einen von draußen eingetriebenen starken Holzkeil Halt und Festigkeit gegeben. Diesen Holzkeil brauchte er nur herauszuziehen und der Steinwall mußte beim ersten Anprall der gereizten Bestie zusammenstürzen.
Alles dieses hatte er Ponks erzählt und auf dieser Tatsache baute sich dessen Plan auf. Es handelte sich jetzt nur darum, ob die Herrin von Golden Hill überhaupt Lust hatte, sich an einer so gefährlichen Jagd zu beteiligen.
In dieser Beziehung hatte Ponks sich als ausgezeichneter Menschenkenner erwiesen. Elisabeth hatte kaum von der Sache gehört, als sie für die Jagd Feuer und Flamme war. Sie versprach Tom Gally eine große Belohnung, wenn der Bär zur Strecke gebracht würde, und da sie selbst eine ebenso leidenschaftliche wie unerschrockene Jägerin und ihres Schusses einigermaßen sicher war, beanspruchte sie für sich den Platz, der mit großer Wahrscheinlichkeit zum Schuß kommen ließ. Der Mestize, der darauf nur gewartet hatte, verbürgte sich für den Erfolg, sofern er der Leiter der Jagd wäre, dessen Anordnungen aufs genaueste befolgt würden. Elisabeth sagte ihm das zu. Bergson hielt es für seine Pflicht, seine Herrin darauf aufmerksam zu machen, daß es ein ander Ding sei, die Büchse auf einen Grizzly als auf einen Hirsch anzulegen. Sie setzte aber ihren Willen durch, zur geheimen Freude des Mestizen, der reichen Gewinn winken sah. Die Jagd wurde auf seinen Vorschlag auf den nächsten Tag festgesetzt. Der Trapper mußte über Nacht auf der Farm bleiben und in der Frühe des nächsten Morgens begab sich Elisabeth, begleitet von Dr. Schreyer und Bergson und geführt von Tom Gally, auf den Weg ins Gebirge.
Der Mestize nickte befriedigt vor sich hin, als er seinen Rancho einsam und verlassen fand. Die Pferde wurden eingestellt und nach kurzer Rast ging es zu Fuß ins Gebirge. Der Weg wand sich allmählich in eine Felsschlucht hinein, über die alte, vom Sturmwind zerzauste Bergföhren ihre graugrünen Schirme ausspannten. In mäßiger Steigung ging's bergan. Tiefe Stille herrschte, nur unterbrochen von den Stimmen unzähliger Vögel und dem Rauschen eines wilden Gebirgswassers, das mit zornigem Toben und Zischen eine nicht weit entfernte Seitenschlucht durchgischtete.
Die Unterhaltung war verstummt, die Erregung der Jagd beherrschte alle Teilnehmer außer dem Führer, der langsam und gleichmäßig der kleinen Gesellschaft voraustrottete. Immer wilder wurde das Landschaftsbild. Die Jäger befanden sich nun in ausgesprochenem Gebirgswald. Trotz ihres Jagdeifers konnten Elisabeth und der Doktor sich nicht enthalten, hin und wieder halblaute Bemerkungen auszutauschen.
Als die Gesellschaft schon länger als eine Stunde so gestiegen war, blieb Tom Gally plötzlich stehen und blickte umher.
»Wir sind am Ziel«, sprach er leise. »Hier müssen wir uns trennen. Wenn wir den Bären haben wollen, müssen drei Posten aufgestellt werden. Ihr Herr«, er wandte sich an Dr. Schreyer, »stellt Euch hinter diesen Felsblock. Es ist möglich, daß der Bär nach der Seite ausbricht. Dann wird er aus jenem Dickicht herauskommen, das Ihr im Auge behalten müßt –«
»Halt, mein Freund, das geht nicht«, widersprach der Doktor. »Ich bleibe unter allen Umständen bei der Dame.«
Der Mestize zog die Schultern hoch und grinste.
»Meinetwegen, wenn aber die Dame zufällig Wert darauf legt, den Grizzlybären selbst zu schießen –«
»Unter allen Umständen«, bestimmte Elisabeth, »wir richten uns nach Ihren Anordnungen. Diesmal, lieber Doktor, müssen Sie mir mal den Willen tun.«
»Aber wir können Sie doch nicht in der Wildnis allein lassen!«
»Ich werde in der Nähe der Dame bleiben und sie nicht außer Augen lassen«, versicherte der Mestize.
Schreyer warf einen fragenden Blick auf den Inspektor. Ob man dem Jäger so viel Vertrauen schenken dürfe – das war die Frage, die Bergson aus diesem Blick herauslas. Der Inspektor nickte fast unmerklich.
»Nun gut, meinetwegen«, brummte Schreyer ungehalten, zog sich zu dem bezeichneten Felsblock zurück und blickte mit finsterer Miene den Davonschreitenden nach. Sein Gesicht hellte sich aber wieder auf, als Elisabeth sich vor der nächsten Wegbiegung nach ihm umwandte und ihm mit der Hand zuwinkte, wobei ein tröstendes und vielsagendes Lächeln um ihre Lippen flog.
»Weiß der Teufel, was die Frau seit einiger Zeit hat«, murmelte er grübelnd in sich hinein. »Sie ist manchmal so herzlich und geheim vertraut mit mir, als bewahrten wir beide miteinander ein wunderschönes Geheimnis, das außer uns niemand weiß. Aber das ist doch gar nicht der Fall.«
Daß Elisabeth sein Gespräch mit Bergson belauscht haben könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn.
»So, und hier ist unser Platz«, wandte sich Tom Gally an Elisabeth und wies auf einen riesenhaften Felsblock, der dicht neben dem Stamm eines gewaltigen Hickorybaumes lag. Er war mit fingerlangen Moosbärten dicht behangen. Mit Hilfe des Baumes war es leicht, auf den Felsblock hinaufzuklettern.
»Sie haben hier einen ganz bequemen Stand«, grinste der Mestize. »Wenn Sie sich auf das Moos niedersetzen und mit dem Rücken an den Baumstamm anlehnen, sitzen Sie so bequem wie daheim in Ihrem Sessel.«
Er sah zu, wie Bergson seiner Herrin auf den Stein hinaufhalf.
»Bitte mir zu folgen, Mister Bergson«, sagte er dann, und zu Elisabeth gewandt, fuhr er fort: »Ich werde jetzt Herrn Bergson an seinen Platz bringen, bin aber in fünf Minuten wieder hier. Sie brauchen sich nicht zu ängstigen, denn der Bär wird keinesfalls früher als in einer halben Stunde ausbrechen.«
Bergson ging mit dem Führer davon. Bevor er aber aus dem Gesichtskreis seiner Herrin verschwunden war, drehte er sich noch einmal nach ihr um. Er fühlte plötzlich eine unerklärliche Sorge in sich aufsteigen. Ihm war, als müsse er gegen die Anordnungen dieses wenig vertrauenerweckenden Halbindianers protestieren, und als könne er es nicht verantworten, seine junge Herrin so mutterseelenallein im Urwald zu lassen. Elisabeth aber winkte ihm lachend mit der Hand zu und trieb ihn durch eine Bewegung zur Eile an. Da schüttelte er still den Kopf und verschwand mit Tom Gally im Düster des Urwaldes.
Elisabeth war allein. Tiefe Stille herrschte rings um sie her. Das Rauschen und Zischen des Gebirgswassers drang wie ein unaufhörlicher, gleichmäßiger, gedämpfter Ton zu ihr herüber. Aus den dichten Baumkronen, die sich hoch über ihr ausbreiteten, schossen zitternde Sonnenpfeile auf die Erde hernieder. Der Boden war fast frei von Unterholz, aber mit einem dichten, vielfarbenen Teppich bedeckt, dessen Grundfarbe von saftigem, hellgrünem Gras gebildet wurde, das von unzähligen Blumen durchsprenkelt war. Das Tierleben, das durch die Erscheinung der Menschen für kurze Zeit unterbrochen worden war, begann sich nun aufs neue zu regen. Ein Eichhörnchenpaar huschte dicht bei der einsamen Frau über den Boden dahin. Ganz in ihrer Nähe, kaum zwei Meter über ihrem Haupt, hämmerte ein Schwarzspecht um den harten Stamm herum, machte hin und wieder eine Pause, um neugierig auf die seltsame Gestalt auf dem Steinblock herabzublicken und ein langgezogenes »Klüh-klüh« auszustoßen. In einiger Entfernung saß auf einem Ast ein Whip-poor-will und ließ von Zeit zu Zeit seinen melancholischen Klageruf erschallen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und wenn auch die Baumwipfel Schatten und Kühle spendeten, so war es doch bereits so warm, daß Elisabeth fühlte, wie sich auf ihrer Stirne feine Schweißperlchen bildeten. Ihr Gesicht war gerötet und ihre Augen leuchteten. Sie war mit all ihren Sinnen an dem gefahrvollen Unternehmen beteiligt.
Die Minuten gingen vorüber. Längst schon war die Zeit verstrichen, bis zu der Tom Gally zurück sein wollte. War etwa der Bär entwischt? Hatte er in ein anderes Revier hinübergewechselt? Elisabeth fühlte, wie eine leise Unruhe über sie kam.
Plötzlich zuckte sie unwillkürlich zusammen. In einiger Entfernung, nicht sehr weit, ertönte ein schriller Aufschrei. Dann entstand ein Geräusch, wie das Rollen eines schweren Felsstücks, das einen steilen Abhang hinabpoltert. Noch war dieser Lärm nicht verhallt, da vernahm Elisabeth plötzlich ganz in der Nähe ein furchtbares rauhes Gebrüll. Ihr wurde es bei diesem Ton in einem Augenblick heiß und kalt, und ihr Gesicht verlor alle Farbe. Sie hatte noch nie die Stimme eines Grizzlybären gehört – trotzdem wußte sie sofort, daß diese gewaltige dumpfrollende Stimme nur die des Bären sein konnte. Hastig griff sie zu ihrer Büchse und entsicherte sie. Dann bohrte sie ihre Augen in das Gewirr von Felstrümmern und niedrigem Gesträuch, von wo sie die Stimme des Bären gehört hatte. Und siehe da, in dem Wirrsal entstand eine Bewegung. Felsstücke rollten. Sträucher wurden heftig bewegt und knickten zusammen. Eine gewaltige dunkelgraue Masse tauchte aus dem Düster hervor.
Der Bär stand, keine zwanzig Schritt von Elisabeth entfernt, hoch aufgerichtet, die Pranken von sich gestreckt, als suche er damit ein Opfer an sich zu pressen. Das riesige Maul war weit aufgerissen, das gewaltige gelbweiße Gebiß funkelte aus dem blutroten Rachen hervor und die Augen der Bestie glommen in tückischer Wut. Und abermals, nur noch lauter und furchtbarer als zuvor, tönte das wütende Gebrumm des Bären durch die Stille des Waldes.
Elisabeth hob die Büchse und ließ das Korn in das rechte Auge des Bären hineintauchen. Doch sie schoß nicht. Sie fühlte, wie ihre Hand zitterte. Der Bär bewegte den Kopf hin und her, als suche er nach einem Opfer für seine Wut. Seltsamerweise schien er die Gestalt auf dem Felsen noch nicht bemerkt zu haben, wohl infolge der graugrünen Jagdkleidung der Jägerin. Elisabeth war verzweifelt. Sie bekam keine Herrschaft über ihre Hände.
Mit einer gewaltigen Willensanstrengung gelang es ihr endlich, das nervöse Zittern zu überwinden. Nun stand das Korn ruhig und fest auf einem Punkt. Der Bär hatte die Pendelbewegungen seines Kopfes eingestellt und stand fast bewegungslos, wie nachdenkend. Elisabeth zielte mit aller Vorsicht – und drückte ab. Der Knall des Schusses zerriß jäh die Stille des Waldes – der Bär zuckte heftig zusammen und machte einen gewaltigen Sprung nach vorne. Elisabeth erkannte mit tiefem Erschrecken, daß das Tier gar nicht oder nur ganz unbedeutend verletzt war. Nun aber hatte das Raubtier die Jägerin erspäht. Es riß seinen Rachen zu fürchterlicher Weite auf und trottete mit wackelndem Kopf auf den Felsen zu.
Elisabeth raffte all ihre Willenskraft zusammen, zielte mit größter Sorgfalt und schoß zum zweiten Male.
Der Bär blieb stehen, brummte leise und heimtückisch vor sich hin und betrachtete die Gestalt auf dem Felsblock, anscheinend mehr verwundert als wütend. Trotz ihres namenlosen Entsetzens durchfuhr Elisabeth ein Verwundern, wie es möglich sein konnte, daß sie bei so nahem Ziele und ganz ruhiger Hand zweimal fehlen konnte – sie, die sonst einen fliegenden Vogel mit sicherem Schuß aus der Luft holte. Sie dachte an den Mestizen, der auf dem Herritt die Gewehre getragen hatte. War es nicht doch verkehrt gewesen, diesem Menschen ein so weitgehendes Vertrauen zu schenken?
Sie kam nicht dazu, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn sie fühlte, daß sie unrettbar verloren sei, wenn Tom Gally nicht binnen weniger Sekunden ihr zu Hilfe kommen würde. Wo blieb er? Was hielt ihn davon ab, trotz der Schüsse herbeizueilen? War er verwundet? War er ein Verräter?
All diese Gedanken schossen blitzartig durch ihr Hirn, während sie leichenblaß und regungslos auf dem Felsblock saß, das Auge starr auf die gewaltige Bestie gerichtet, die sie aus ihren kleinen Augen tückisch anfunkelte.
Sie fragte sich, was den Bären wohl davon abhalten könne, sich auf sie zu stürzen?
Da aber geschah das Furchtbare schon – das Untier richtete sich auf seinen Hinterpranken auf und trottete langsam auf Elisabeth zu. Während des Bruchteils einer Sekunde dachte sie daran, ob es Zweck hätte, nach hinten von dem Felsen herabzugleiten und zu fliehen. Diesen Gedanken aber ließ sie sogleich wieder fahren – sie wußte nur zu gut, welch geschickte und ausdauernde Läufer diese Bären sind. Sie zog ihr Messer, fest entschlossen, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Freilich, wie konnte sie, eine Frau, hoffen, einen Messerkampf mit einem Grizzlybären siegreich zu bestehen!
Noch drei Meter weit war das Raubtier von ihr entfernt. Sie erwartete es mit hocherhobener Hand, in der das breite Jagdmesser funkelte. Wenn nicht binnen fünf Sekunden Hilfe nahte, dann war sie verloren, das wußte sie. Schon spürte sie den widerlichen Geruch der Bestie, glaubte den heißen Atem, der röchelnd dem weitaufgerissenen Maule entströmte, in ihrem Gesicht zu fühlen.
Noch zwei Meter Abstand! Das boshafte Tier ließ sich Zeit, seinen sicheren Sieg langsam auszukosten. Elisabeth stand Folterqualen aus. Mit schriller Stimme stieß sie einen Hilfeschrei aus.
Da plötzlich krachte aus nächster Nähe ein Schuß. Der Bär stand ein paar Sekunden lang fast regungslos. Ein Zittern ging durch die hochaufragende Gestalt. Er ließ ein halblautes, fast unwilliges Murren hören – und plötzlich, mit einem Ruck, sanken die erhobenen Pranken an seinem Leib hinab. Da krachte ein zweiter Schuß – und mit einem dumpfen Stöhnen sank die gewaltige Masse in sich zusammen, rollte in Todeszuckungen ein paar Sekunden auf dem Boden und blieb dann regungslos liegen. Der Bär streckte alle Viere von sich – er war tot.
Das Messer entsank der Hand des jungen Weibes – ihre Augen schlossen sich. Es war ihr, als müsse sie in einem Meer von Traum und Vergessen versinken. Die erste Ohnmacht ihres Lebens! Elisabeth riß sich gewaltsam zusammen. Sie, die so entschieden dieses Abenteuer verlangt hatte, sollte jetzt ihrer Gesellschaft den Anblick einer zarten, schwachen Frau bieten? Nimmermehr! Und schon war die Schwäche überwunden.
Aber was war das? Sie wandte ihr Gesicht dem Mann zu, der eben, sein Gewehr neu ladend, aus dem Gebüsch hervortrat. Das war keiner von ihrer Gesellschaft – ein Fremder – und doch – kein Fremder! Dieser Mann, in ziemlich verschlissene Trapperkleidung gehüllt, verriet dennoch in seinem Äußeren eine gewisse Pflege, wie man sie in der Wildnis selten oder nie antrifft.
Der fremde Jäger kümmerte sich nicht im mindesten um die Frau, der er das Leben in einem höchst gefährlichen Augenblick gerettet hatte. Vielmehr trat er zu dem Bären, beugte sich über ihn und untersuchte ihn genau.
»Hm – Kopf- und Blattschuß. Das genügt. Tot ist er – mausetot.«
Nun erst wandte er sich zu der Frau, die inzwischen von dem Felsen herabgeklettert war.
»Na, meine verehrte Dame, das hätte Ihnen teuer zu stehen – wie – was sehe ich – täuschen mich meine Augen – träume ich – oder sind Sie es wirklich – gnädige Frau –«
»Herr Ponks – ist es möglich – Sie hier? Wie kommen Sie in den Urwald – und in einer für mich so überaus kritischen Minute?«
»Sie können nicht erstaunter sein, als ich selbst es bin«, murmelte Ponks ernst und anscheinend tief ergriffen. »Das ist ja beinahe so, als wenn doch eine Vorsehung über den Geschicken der Menschen waltet – an die ich nie geglaubt habe.«
»Aber wie kommen Sie hierher?«
»Ich hatte in Santa Fe Geschäfte. Und da meine Nerven seit einiger Zeit sehr herunter sind, auch gewisse Ereignisse drüben in Neuyork –« er wandte den Blick zur Seite und setzte eine düstere, gequälte Miene auf – »mein Seelenleben arg in Unordnung gebracht hatten, beschloß ich kurzerhand, diese Reise zu einer monatelangen Streife durch die Gegend auszudehnen. Hinzukam, daß ich schon lange den Wunsch hatte, dieses Land aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Bezüglich des Ozarkgebirges habe ich noch eine ganz besondere Aufgabe zu erfüllen. Man teilte mir mit, daß es hier Manganerz in solchen Mengen gäbe, daß ein bergbautechnischer Abbau lohnend wäre. Davon wollte ich mich persönlich überzeugen. Meine Untersuchungen sind nun abgeschlossen und ich wollte in den nächsten Tagen den Arkansas entlang wandern und mich von dem Schiff, das seewärts fährt, aufnehmen lassen. Leider verlor ich gestern bei einer Streife durch den Wald mein Pferd. Es stolperte über eine Baumwurzel, kam zu Fall und brach ein Bein. Ich habe es töten müssen und werde nun sehen, wie ich zu einem Pferd oder zu einem Schiff komme. Aber wie seltsam – gestern war ich höchst unglücklich über den Verlust meines Pferdes, heute danke ich meinem Schicksal aus vollstem Herzen für dieses vermeintliche Mißgeschick. Denn nur dadurch ward es mir vergönnt, ein mir unaussprechlich teures Leben zu retten.«
Er trat dicht vor Elisabeth hin und streckte ihr seine beiden Hände entgegen, in die sie in einer heftigen Aufwallung von Dankbarkeit die ihren hineinlegte.
»Gnädige Frau, liebe Frau Elisabeth, wollen wir in diesem bedeutungsvollen Augenblick wieder Freunde werden?« fragte er mit einer Stimme, in die er sehr geschickt eine tiefe Bewegung hineinzulegen verstand.
»Freunde, ja, Herr Ponks! Ich danke Ihnen aus ganzem Herzen!«
»Nein, danken sollen Sie mir nicht!« wehrte er fast heftig ab. »Wenn es in dieser herrlich schönen Stunde einen dankerfüllten Menschen gibt, dann bin ich es.«
Er beugte sich tief über ihre beiden Hände hinab und küßte sie inbrünstig. Elisabeth ließ es geschehen. Immer noch zitterte die gewaltige Erregung in ihr nach. Sie mußte gewaltsam an sich halten, um nicht in Tränen auszubrechen. Diese Erregung in ihrer Seele ließ ihr den Mann, der in gebeugter Haltung vor ihr stand, in einem Strahl von Heldentum und edler Männlichkeit erscheinen. Sie dachte an die harten Worte, die sie vor Wochen zu ihm gesprochen hatte. Wie glühendheiße Tropfen fielen diese Worte nun auf ihre Seele, Reueschmerzen hervorrufend. Was konnte sie tun, um dieses Unrecht wieder gutzumachen?
Plötzlich ertönten Schritte. Schreyer und der Mestize kamen aus verschiedenen Richtungen herangestürmt. Beide blieben wie erstarrt stehen. Auch Ponks machte eine Gebärde der Überraschung.
»Ah, das ist wohl Ihre Jagdgesellschaft, die Sie in so frevelhaftem Leichtsinn im Stiche gelassen hat«, sagte Ponks leise in scharf spöttischem Ton. »Ja, ja, die Gesellschaft einer schönen jungen Frau ist angenehmer als die eines wilden Grizzlybären.«
Die beiden Männer hatten sich inzwischen von ihrem Erstaunen über das Auftauchen des Fremden erholt und traten heran. Ponks freute sich im stillen über das ausgezeichnete Schauspielertalent des Rancheros. Während der Doktor seinen finsteren Blick auf Ponks gerichtet hatte, stürzte der Mestize zu Elisabeth.
»Oh, Sie haben den Bären geschossen! Gratuliere, gratuliere!«
»Nein, ich habe ihn nicht geschossen«, erwiderte sie kalt. »Wenn dieser Herr mir nicht im letzten Augenblick zu Hilfe gekommen wäre, dann läge ich jetzt zerrissen.«
»Aber – Sie haben doch zweimal geschossen«, stammelte Tom Gally.
»Ja – und gefehlt. Wie das kommen konnte, ist mir gänzlich rätselhaft.« Sie faßte den Mestizen scharf ins Auge. »Ihr habt während des Rittes die Gewehre getragen. Ist Euch etwas mit meinem Gewehr passiert?«
»Mit dem Gewehr, oh! Ein Jäger trägt sein Gewehr so vorsichtig wie sein Herz.«
Mit dieser mehr schwülstigen als selbstsicheren Redensart beugte sich der Mann über den Bären und stellte überflüssigerweise noch einmal dessen Tod fest. Inzwischen standen der Doktor und Ponks sich wie zwei Menschen gegenüber, die nicht recht wissen, ob sie sich freundlich oder feindlich anreden sollen. Schließlich war es Schreyer, der zuerst das Wort nahm.
»Also waren Sie es, Herr Ponks, der den Bären erlegte –«
»Ja, nachdem er meine arme Freundin bereits auf Greifnähe erreicht hatte.«
Der Ton mehr als die Worte enthielten einen schweren Vorwurf. Der Doktor biß sich auf die Lippen, Elisabeth aber legte sich ins Mittel.
»Niemand ist an dem Ausgang der Jagd schuld als ich und dieser Mann dort. Ich wollte den Bären unbedingt selbst erlegen und bestimmte, daß genau nach den Anordnungen dieses Jägers gehandelt werden sollte.«
Ponks lächelte in sich hinein, sagte aber nichts mehr. Eben trat auch Bergson auf die Gruppe zu. Er war ebenfalls erstaunt, einen Fremden auf dem Platze zu finden. Elisabeth machte dem Inspektor kurz Mitteilung von dem Geschehenen und stellte die beiden Herren einander vor. Die Augen Bergsons öffneten sich überweit, als er den Namen des Fremden hörte. Unwillkürlich schweifte sein Blick zu dem Gesicht des Doktors hinüber, der ihm nur mit einem blitzschnellen Augenblinzeln Vorsicht empfahl.
»Herr Ponks«, sprach Elisabeth, »Sie haben mir das Leben gerettet, Sie müssen mir die Freude machen, für einige Zeit auf Golden Hill mein Gast zu sein.«
Ponks trat wie in größter Überraschung einen Schritt zurück. Sein Gesicht leuchtete freudig auf. Dann aber verfinsterte es sich schnell. Er ließ den Kopf hängen.
»Das wäre sehr – sehr schön – aber – nein, es geht nicht. Ich bitte mich zu entschuldigen, gnädige Frau. Ich muß nach Neuyork zurück.«
»Ach was, das wird nicht solche Eile haben. Einige Tage werden Sie schon Zeit haben. Auch ich will bald nach Neuyork zurück. Vielleicht können Sie Ihren Aufenthalt auf meiner Farm noch so lange ausdehnen, um auf meiner Jacht mit mir zurückzureisen.«
Ponks kämpfte immer noch mit sich selbst. Doktor Schreyer wandte ihm den Rücken zu und starrte in die Baumwipfel, um den anderen sein wütendes Gesicht nicht zu zeigen.
»Wenn Sie meine Einladung nicht annehmen, muß ich glauben, daß Ihr Friedensangebot von vorhin nicht ernst gemeint war.«
Da erhob Ponks mit einem Aufblitzen in seinen Augen den Kopf.
»Das dürfen Sie keineswegs denken, Frau Elisabeth«, sprach er mit Wärme. »Nun denn, ich nehme Ihre Einladung mit herzlichstem Danke an – doch nur unter einer Bedingung.«
»Ei, Sie stellen Bedingungen?« rief Elisabeth mit einem ärgerlichen Lachen. »Doch nennen Sie sie zuvor.«
»Ich werde Ihre Gastfreundschaft annehmen, wenn ich Ihnen zur Erinnerung an diese schöne Stunde das Fell des Bären schenken darf.«
»Oh, das kann ich doch unmöglich annehmen. Es ist ein kostbares Stück, eine herrliche Jagdbeute. Und außerdem erinnert es Sie stets an eine gute, unerschrockene Tat.«
»Viel wertvoller wäre es mir, zu wissen, daß das Fell Sie in manchen Stunden an mich erinnert«, sprach Ponks mit einem so kühnen Lächeln, daß Elisabeth ein unbehagliches Gefühl nicht unterdrücken konnte, der Doktor aber vor Wut mit den Zähnen knirschte.
»Gut denn, ich nehme das Geschenk an und danke Ihnen. Tom Gally, besorgen Sie alles Nötige. Und da Ihnen eine Schuld an dem programmwidrigen Verlauf der Jagd nicht nachzuweisen sein wird, sollen Sie Ihre Belohnung dennoch erhalten.«
Der Halbindianer verbeugte sich fast bis zur Erde, weniger aus Höflichkeit als vielmehr, um das spitzbübische Grinsen, das er nicht unterdrücken konnte, vor den anderen zu verbergen. Er bedeckte den Körper des Bären mit Zweigen und schweren Steinen, damit er nicht von Raubtieren angefressen werde. Dann stellte er sich wieder an die Spitze des Zuges, um die Gesellschaft zu seinem Rancho zurückzuführen. Während auf dem Hinweg Schreyer neben Elisabeth gegangen war, war es jetzt Ponks, der nicht für eine Sekunde von ihrer Seite wich. Schreyer war empört und todunglücklich und beschloß, sobald wie möglich nach Neuyork zurückzukehren.
Ponks war ein wenig beunruhigt, ob Sanders keine Dummheiten machen und dadurch alles verraten würde. Er hatte ihm strengstens anbefohlen, sich beim Herannahen der Jagdgesellschaft unsichtbar zu machen. Seine Sorge war überflüssig gewesen. Die Hütte des Mestizen lag still und verlassen und von Sanders war keine Spur vorhanden.