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Ungefähr eine Stunde bevor Ponks das Haus des verstorbenen Großindustriellen Richard Darlington betrat, saß die Herrin dieses prächtigen Heims in ihrem Musikzimmer vor dem Flügel. Sie war eine große, schlanke Erscheinung und von außergewöhnlicher Schönheit. Ihr Gesicht hatte klassisch reine Linien. Ein Zug von ungewöhnlicher Willenskraft in diesem Gesicht wurde durch den warmen Schein ihrer braunen Augen in höchst angenehmer Weise gemildert.
Frau Elisabeth Darlington aber war nicht nur eine schöne und reiche Frau, sondern auch eine Künstlerin von mehr als mittelmäßiger Bedeutung. Als ihr Gatte noch lebte, hatte sie oft bei Konzerten zu wohltätigen Zwecken das Konzertpodium betreten. Ihre musikalischen Abende, zu denen nur die Spitzen der Neuyorker Kunstkreise eingeladen wurden, waren über die Grenzen der Riesenstadt hinaus berühmt. Sie hatte schlankgebaute, doch überaus kraftvolle Hände, ausgesprochene Künstlerhände. Unter diesen Händen sang, jauchzte, klagte und weinte der Flügel. Ihrer Kunstfertigkeit waren fast keine Grenzen gezogen. Ihr außerordentliches Können wurde unterstützt durch eine hohe künstlerische Begabung. Ein Werk, von ihr vorgetragen, ward dem aufnahmefähigen Zuhörer ein Erlebnis. Fesselnd war auch, sie spielen zu sehen. Sie begann in der Regel mit gesenktem Haupte, ein wenig vorgebeugt, als lausche sie in den Flügel hinein. Allmählich aber straffte sich ihre Gestalt. Ihr Haupt erhob sich und ihr Blick glitt in die Ferne. Selten haftete er für Sekunden an dem Notenblatt. Dann schlossen sich ihre Lippen fest aufeinander, ihre kräftig gezeichneten Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen – und nun hatte das Gesicht beinahe etwas Männliches. Ein tiefer Ernst war darüber ausgebreitet, eine Widerspiegelung des inneren Erlebnisses, ein Ausdruck starker seelischer Erregung. In solchen Augenblicken befand sich ihre Seele erdenfern, auch in einem überfüllten Saale, so daß meist ein leises Erschrecken über sie kam, wenn dann lauter Beifall sie weckte.
Auch heute war sie von ihrem Spiel so weit aus aller irdischen Beschränkung hinausgerückt, daß sie nicht merkte, daß ein Mann leise ins Zimmer trat und auf den Fußspitzen zu einem Sessel im dunklen Winkel des Zimmers schlich. Dort ließ er sich nieder und lauschte mit Hingabe. Es war ein großer Mann, fast sechs Fuß hoch, hager und sehnig, mit einem glattrasierten, ausdrucksvollen Gesicht. Er mochte vierzig Jahre alt sein. Sein kurzgeschnittenes Haar hatte schon einen grauen Schimmer. Man erkannte aber auf den ersten Blick, daß dieser Mann noch die Spannkraft eines Dreißigers hatte.
Als die Künstlerin nach dem Ausklingen des letzten Akkordes ihre Hände von den Tasten sinken ließ, erhob er sich und trat langsam auf sie zu.
»Was war das, was Sie da spielten, Frau Elisabeth?«
»Ah, Sie sind da, Doktor Schreyer! Denken Sie, ich hörte Sie gar nicht kommen. Was das war? Kennen Sie den Italiener Ferruccio Busoni?«
»Gewiß. Er ist mir unvergeßlich geworden durch sein Klavierspiel, das ich vor einigen Jahren hörte. Sie wollen aber doch nicht sagen, er hätte das komponiert, was Sie eben spielten?«
»Doch, es war eine Phantasie in A-moll. Eine Musik voll echter Genialität, finden Sie nicht?«
»Ja. Ich hätte nicht gedacht, daß sie von einem Italiener stammt. Sie müssen mir gelegentlich mehr von ihm vorspielen.«
»Um so lieber tue ich das, da ich ihn als einen der Größten unserer Zeit schätze. – Denken Sie, vor einer Stunde erhielt ich einen eigenhändigen Brief von meiner Mutter.«
»Ah, das ist ja hocherfreulich. Demnach geht es der Hofrätin wieder besser.«
»Ja, Gott sei Dank. Sie hat sich von ihrer letzten Krankheit wieder ganz erholt. Nur mit ihrem Augenlicht sieht es sehr schlecht aus. Sie will sich nun doch noch einer Operation unterziehen.«
»Offen gestanden, habe ich in diesem Falle nur wenig Zutrauen zu der Kunst der Chirurgen. Sie wissen, daß ich, bevor ich Jurist wurde, einige Jahre Medizin studiert hatte. Aus jener Zeit weiß ich noch, daß gerade dieses Augenleiden, wenn es bei Greisen vorkommt, in der Regel unheilbar ist.«
Frau Elisabeth nickte still vor sich hin. Nach einer kleinen Pause sagte sie: »Meine Mutter wünscht dringend, daß ich nach Deutschland zurückkehre. Sie hat Sorge um mich, weil ich hier so einsam und allein bin.«
»Fühlen Sie sich wirklich gar so einsam hier?«
»Das kann ich eigentlich nicht sagen«, antwortete sie lächelnd. »Ich bin es ja auch nur, weil es meinen Bedürfnissen nach Alleinsein entspricht. Wenn ich wollte, könnte ich täglich einen ganzen Schwarm von Gästen bei mir sehen. Doch mir graut vor dem Gedanken. Die paar lieben, treuen Menschen, von denen ich weiß, daß sie meine Freunde sind, genügen mir vollständig. Dazu gehört in erster Linie mein guter Sachwalter, Berater und Landsmann Dr. Schreyer.«
Der Doktor verbeugte sich mit einem Lächeln. Dann meinte er:
»Sie müssen sich wieder verheiraten.«
»Das schreibt auch meine Mutter. Doch ich habe wirklich keine Sehnsucht nach einer neuen Ehe. Richard war ein so lieber, guter Mensch – und wenn auch seine ›amerikanische Weltanschauung‹ – so nenne ich die Weltanschauung, die nur auf Arbeit und Gelderwerb aufgebaut ist – etwas Fremdes in der Harmonie unserer Ehe war, so bestand doch zwischen uns ein so herzliches Einvernehmen, daß ich jeden Gedanken an eine zweite Ehe als eine Sünde gegen den Verstorbenen betrachten würde.«
»Obwohl dieser Gedanke durch seine gar zu große Strenge unangebracht ist, so beruhigt er mich doch.«
»Er beruhigt Sie? Über was?« fragte Frau Elisabeth verwundert.
»Wissen Sie nicht, was man in der sogenannten Gesellschaft Neuyorks tuschelt?«
Die Augen der jungen Dame weiteten sich vor Erstaunen.
»Man tuschelt? Über mich?«
»In der Tat. Man bereitet sich auf Glückwunschbesuche vor.«
»Zu welchem Zweck? Wen will man beglückwünschen?«
»Das Brautpaar Herrn Walter Ponks und Elisabeth Darlington, geborene v. Ringstedt.«
Frau Elisabeth kräuselte ihre Lippen zu einem kühlen Lächeln.
»Ach so, Sie machen Witze. Ausnahmsweise keine sehr geschmackvollen.«
»Bei Gott, nein, Frau Elisabeth. Man sagt in der Tat, Sie würden demnächst Frau Ponks werden.«
»Aber wer sagt denn so etwas Törichtes?«
»Nun – dieser und jener. Alle sagen es.«
»Dann sagen Sie allen diesen Leuten, sie seien Narren.«
»Es ist also wirklich nichts daran?« fragte Dr. Schreyer mit einem forschenden Blick in die klaren Augen der jungen Frau.
»Aber Doktor! Halten Sie diese Frage wirklich für nötig? Da fällt mir ein – verbreitet vielleicht Ponks selbst derartige Gerüchte?«
Der Jurist schwieg einen Augenblick und blickte nachdenklich vor sich hin.
»Sie können sich denken, Frau Elisabeth, daß ich diesen Gerüchten nicht gleichgültig gegenüberstand. Was Sie eben dachten, das habe auch ich gedacht. Denn – offen gestanden – ich halte diesen Herrn Ponks, wenn er auch ein kluger Kopf und glänzender Gesellschafter ist, dennoch für einen dunklen Ehrenmann. Er bekleidet zwar eine angesehene Stellung – aber dennoch – kurz, ich bin der Sache nachgegangen und habe festgestellt, daß Herr Ponks diesen Verlobungsgerüchten zum wenigsten nicht widerspricht. Damit ist zwar nicht bewiesen, daß er sie selbst verbreitet hat; immerhin aber liegt der Verdacht nahe.«
»Sie wissen also bestimmt, daß er auf die ausdrückliche Frage, ob zwischen ihm und mir etwas besteht, ausweichend, also nicht verneinend geantwortet hat?«
»Ich war in drei Fällen selbst zugegen, als man ihn fragte. Seine Antwort war ein diplomatisches Lächeln, ein Achselzucken und die zwei Worte: ›Wer weiß!‹«
»Nun gut, dann wird Herr Ponks dieses Haus nicht mehr betreten«, sagte die junge Frau mit eiskalter Stimme.
Der Doktor, der sie scharf beobachtete, sah, daß trotz ihrer äußerlichen Ruhe ihre Nasenflügel zu zittern begannen. Er lächelte.
»Ich denke, Herr Ponks ist keine genügend wichtige Persönlichkeit, um sich über ihn aufzuregen.«
Sie nickte vor sich hin, und nach einer Weile des Schweigens sprach sie:
»Wissen Sie, lieber Doktor, mit diesem Ponks geht es mir ganz seltsam. Es ist Ihnen bekannt, daß ich stets bestrebt bin, mir selbst gegenüber vollkommen wahr zu sein. Nun sehen Sie – obwohl mein Gefühl mir sagt, daß dieser Ponks ein schlechter Mensch ist, daß sein Gewissen jedenfalls so weit ist, daß er sich nur wenig davon belästigt fühlt – trotzdem ist in meinem Innern ein sonderbares Gefühl für ihn, das nicht Zuneigung, noch Freundschaft oder gar Liebe ist. Aber noch weniger Haß und Abscheu. Ich halte Ponks durchaus einer lichtscheuen Tat für fähig – und dennoch fühle ich in mir für diesen Menschen, der mir doch fast ganz fremd ist, so ein Gefühl von Mitleid und Sorge. Ich möchte ihn weit von mir entfernt, doch auf guten sicheren Wegen wissen.«
Schreyer lächelte, doch er krauste dabei die Stirne.
»Sollte hier nicht einer jener seltenen, schwer erklärbaren Fälle vorliegen, wo Kopf und Herz in einem scharfen Zwiespalt liegen? Ich würde das sehr bedauern, denn ich kenne viele Fälle, wo Frauen mehr auf die Stimme des törichten Herzens als die des klugen Kopfes gehört haben.«
»Ich weiß das, doch hier liegt wirklich nicht der geringste Anlaß zu einer Befürchtung für Sie vor«, sprach Frau Elisabeth mit einem so kühlen Lächeln, daß der Rechtsanwalt sofort beruhigt war. »Sie wissen, daß ich kein gefühlvoller Backfisch bin. Und wenn ich mir über meine seelischen Beziehungen zu diesem Herrn Ponks auch selbst nicht restlos im klaren bin, so weiß ich doch, daß eine eheliche Verbindung zwischen ihm und mir niemals in Frage kommen kann. Und damit, mein lieber fürsorglicher Berater und Freund, können wir wohl dieses Gebiet und Herrn Ponks verlassen.«
»Mister Ponks«, meldete in diesem Augenblick eine alte, in schneeweißes Linnen gekleidete Mulattin, indem sie ihren freundlich grinsenden wolligen Kopf durch die Spalten der Türgardine steckte.
»Hm – seltsam«, murmelte der Anwalt. »Wenn man vom Wolf spricht –«
»Sage Herrn Ponks, ich hätte Besuch und sei im Augenblick nicht zu sprechen – verstanden, Sara?«
»Jawohl, Mistreß«, nickte die Schwarze, und ihr Kopf verschwand.
»Sind Sie in der Tat entschlossen, Herrn Ponks nicht mehr zu empfangen?« fragte Dr. Schreyer.
»Fest entschlossen. Warum fragen Sie?«
»Sie sagten selbst, daß Sie ihn für einen gefährlichen Menschen halten.«
»Mag er versuchen, mir gefährlich zu werden!« rief Frau Elisabeth mit blitzenden Augen. »Ich werde ihm schon zu begegnen wissen.«
»Es gibt Angriffe, gegen die eine Dame wehrlos ist«, wandte der Anwalt ein.
»In Deutschland vielleicht, doch nicht in unserem freieren Amerika. Hier kann ich für mich dasselbe Recht in Anspruch nehmen wie ein Mann und werde meine Ehre ebenso entschieden zu verteidigen wissen wie Sie oder irgendein anderer Ehrenmann.«
»Aber Sie können sich doch nicht mit ihm schießen«, scherzte der Doktor.
»Wenn Sie damit meinen, nach deutschen Begriffen duellieren, dann stimme ich Ihnen bei. Sie wissen, solche altmodischen Scherze macht man in Amerika nicht. Es ist der Gipfelpunkt von Torheit, daß letzten Endes der Beleidigte sich von seinem Beleidiger eine Kugel in den Kopf schießen läßt, nur weil jener zufällig sein Schießeisen geschickter handhaben kann. Nein, Doktor, an diese Art von Verteidigung denke ich nicht. Ich denke, unter Umständen tut's auch eine Reitpeitsche.«
Ein derber Fluch entfuhr den Lippen Schreyers. Doch sofort entschuldigte er sich lachend. »Verzeihen Sie bitte diesen salonwidrigen Ausdruck. Aber – Sie sind wirklich eine außergewöhnliche Frau. Ich bewundere Sie!«
»Dummes Zeug!« rief sie mit ärgerlichem Lachen. »Bleiben Sie mein Freund und damit gut. Ich schätze Sie mehr als ein ganzes Dutzend jener eleganten Windbeutel von der Art Ponks.«
»Diese Worte beweisen mir, daß ich Ihrem Herzen ebenso ungefährlich erscheine wie Herr Ponks – nur vielleicht aus anderen Gründen«, bemerkte der Doktor sichtlich unzufrieden.
Frau Elisabeth blickte ihn mit großen Augen an.
»Wieso? Was wollen Sie damit sagen?«
»Nun – wenn es Ihnen nur einigermaßen möglich erschiene, daß ich mich mit ähnlichen Gedanken trüge wie Ponks, dann würden Sie diese Worte bestimmt nicht gesprochen haben.«
»Um Gott, Doktor, Sie gehen doch nicht etwa mit der heimtückischen Absicht um, eine Liebeserklärung auf mich loszulassen?« rief sie erschrocken.
»Und wenn es so wäre, Frau Elisabeth?« fragte er mit zusammengekniffenen Augen. Sie blickte ihn an, als wüßte sie nicht recht, ob er im Ernst oder im Scherz spräche. Sie konnte aber nicht verhindern, daß ein leichtes Rot in ihr Gesicht stieg.
»Dann würde ich zu Ihnen sagen: Mein lieber, guter Freund, machen Sie keine Dummheiten. Warum versuchen Sie, die Gemütlichkeit durch so ungemütliche Erörterungen zu stören!«
Dr. Schreyer wandte sich halb ab und tat, als betrachte er ein kleines Ölbildchen von Tintoretto, das er schon unzählige Male bewundert hatte. Dabei unterdrückte er einen Seufzer.
»Ich hätte Sie überhaupt für viel zu vernünftig gehalten für solche Dummheiten«, schmollte Frau Elisabeth.
»So? Das ist eine Beleidigung!« rief er, heftig herumfahrend. »Ich bin vor wenigen Wochen vierzig Jahre alt geworden!«
»Und daraus leiten Sie das Recht her, unvernünftig zu sein? Nein, mein Freund, so dürfen Sie mir nicht kommen. Gelt, Sie versprechen mir –«
»Alles, was Sie wollen!« fiel er ihr beinahe barsch in die Rede. Er hatte noch mehr auf dem Herzen, doch da erschien wieder der Kopf der alten Sara zwischen der Gardine.
»Er geht nicht, Mistreß Darlington«, flüsterte sie ratlos.
»Wer geht nicht? Was heißt das?« fragte die Herrin verwundert. Anscheinend hatte sie den Besuch des Herrn Ponks schon vergessen.
»Herr Ponks ist doch da! Oh, Mistreß Darlington, er hat so viele schöne Blumen mitgebracht, wunderschöne Blumen. Und er hat seinen Frack an und weiße Handschuhe –«
»Schau, schau!« rief Dr. Schreyer, »Herr Ponks kommt in Frack und weißen Handschuhen! Sollte da nicht etwas ganz Besonderes hinter stecken? Ich würde Ihnen raten, Frau Elisabeth, seinen Besuch anzunehmen.«
Sie lächelte, ein ganz klein wenig grausam, und nickte.
»Sie haben recht. Aber Sie bleiben während des Gesprächs hier.«
»Das wäre mir nicht gerade angenehm«, knurrte er und zog ein schiefes Gesicht.
»Ach so, Sie wollen also Ihre Freundin in der Stunde der Gefahr im Stich lassen!«
»Im Stich lassen? Nee, ich denke nicht daran! Also, wenn Sie das so auffassen, dann nur los! Lassen Sie Herrn Ponks eintreten.«
Die Herrin gab der Mulattin einen Wink und der Kopf verschwand. Bald darauf war der feste, doch durch dicke Teppiche gedämpfte Schritt von Ponks vernehmlich. Eine weiße Hand schlug den schweren Samtvorhang auseinander – und der Besucher stand im Zimmer, einen großen Strauß herrlicher Rosen in der Hand. Wer ihn so sah, in einem tadellosen Frack, in Lackschuhen und weißen Handschuhen, den Klapphut in vorzüglicher Haltung in der Hand, der wunderte sich nicht im geringsten, daß Herr Ponks anerkannter Löwe in vielen angesehenen Neuyorker Gesellschaftskreisen war. Diese Tatsache gab ihm eine Sicherheit, die ihn auch jetzt nicht verließ, obwohl er sich über den wenig freundlichen Empfang und die vorhergegangene Abweisung ärgerte. Er machte der Dame des Hauses eine tiefe Verbeugung, eine weit flüchtigere dem Gast, den er offensichtlich ungern hier sah. Dr. Schreyer erwiderte seine Verbeugung mit einer gleich flüchtigen.
»Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich Sie störe. Da ich nun aber einmal hier bin, möchte ich Sie um eine kurze Unterredung unter vier Augen bitten.«
Elisabeth, die ihm bei seinem Eintritt nicht die Hand geboten hatte, betrachtete ihn mit einem unfreundlichen Blick.
»Die Anwesenheit des Herrn Doktors braucht Sie nicht zu stören. Er ist mein Freund und Sachwalter. Ich habe keinerlei Geheimnisse vor ihm.«
Ponks mußte wohl auf einen so kühlen Empfang nicht gerechnet haben. Das verbindliche Lächeln, das beim Eintreten auf seinem Gesicht lag, verschwand. Seine Züge strafften sich und seine Gesichtsfarbe ward ein wenig bleicher.
»Herr Dr. Schreyer ist zu meinem großen Bedauern nicht zugleich auch mein Freund«, sagte er mit Haltung. »Er wird es mir nicht übel nehmen, wenn ich nicht das Bedürfnis habe, ihn mit meinen persönlichen Angelegenheiten zu behelligen. Darum möchte ich Sie noch einmal recht herzlich bitten, gnädige Frau, mich nur fünf Minuten lang unter vier Augen anzuhören.«
»Nun, wenn es unbedingt sein muß!« rief sie mit unverhohlenem Mißvergnügen. »Bitte, lieber Doktor, treten Sie für ein paar Minuten in die Bibliothek. Ich stehe Ihnen gleich wieder zur Verfügung.«
Als Dr. Schreyer gegangen war, wandte sie sich mit einer Bewegung der Ungeduld an Ponks.
»Nehmen Sie gefälligst Platz. Ich darf Sie wohl bitten, sich so kurz wie möglich zu fassen. Meine Zeit ist augenblicklich knapp.«
»Ich sehe mit Erstaunen und Schmerz, gnädige Frau, daß in Ihrem Herzen eine Verstimmung gegen mich Platz gegriffen hat –«
»Bitte, Herr Ponks, schalten Sie bei den Dingen, die Sie mit mir zu besprechen wünschen, mein Herz vollkommen aus, denn es hat wirklich nichts damit zu schaffen.«
»Sind Sie dessen so ganz sicher, Frau Elisabeth?« rief Ponks leidenschaftlich. »Gerade das, was ich Ihnen heute sagen wollte, kommt ganz aus der Tiefe meines Herzens. Ich flehe Sie an, sagen Sie mir, warum Sie mir böse sind! Sie waren bis in die letzten Tage hinein ganz anders zu mir –«
»Wie war ich zu Ihnen?« fragte sie scharf.
»Nun – freundlich, liebenswürdig – um nicht zu sagen, herzlich.«
»War ich zu Ihnen anders als zu meinen anderen Gästen?«
»Sie sind als die liebenswürdigste Hausfrau Neuyorks bekannt«, stotterte Ponks, durch diese Frage verwirrt.
»Welche Gründe bestehen also, daß einige Klatschbasen sich bemüßigt fühlen, mich zu Ihnen in ein vertrauliches Verhältnis zu bringen?«
»Ah – ist es das?« stieß Ponks erbleichend hervor. »Herr Dr. Schreyer hat Sie wohl unterrichtet?«
»Das spielt gar keine Rolle«, erwiderte Elisabeth scharf. »Es genügt vollkommen, daß ich weiß, daß man in der Gesellschaft munkelt, eine eheliche Verbindung zwischen Ihnen und mir stände bevor. Auch ist mir bekannt, daß Sie das Entstehen und die Verbreitung dieses Gerüchtes gefördert haben.«
»Das ist nicht wahr!«
»Nun denn, Sie haben nichts getan, dieses alberne Gerücht zu entkräften. Sie haben nicht widersprochen, wenn man Sie fragte – oder –?«
»Können Sie von mir verlangen, daß ich meinem Glück und meinen schönsten Lebenshoffnungen widerspreche?«
»Mein Herr, Sie reden unverantwortliche Dinge!« rief Elisabeth zornig. »Ist denn dieses Ihr sogenanntes Glück und Ihre Lebenshoffnungen in dem Geklatsch der Leute begründet? Haben Sie nicht mit meinem Namen ein frevelhaftes Spiel getrieben? Haben Sie mich nicht geradezu bloßgestellt?«
Ponks runzelte die Stirne. Ein Zug von Hochmut trat in sein Gesicht.
»Ich meine nicht, gnädige Frau. Ich bin ein Ehrenmann und erfreue mich eines nicht geringen Ansehens. Eine Verbindung mit mir würde Ihnen keine Unehre machen. Ich kann also nicht recht einsehen, wieso das Gerücht Sie bloßstellt.«
»Es beleidigt mich dadurch, daß es unwahr, aus der Luft gegriffen, vielleicht sogar zu irgendwelchen unlauteren Zwecken erfunden worden ist.«
»Wollen Sie damit sagen, gnädige Frau, ich hätte das Gerücht erfunden und in Umlauf gebracht, um Sie damit an mich zu fesseln?«
»Das habe ich nicht gesagt, denn ich kann das nicht beweisen. Doch kann ich Ihnen den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie mich vor der ganzen Stadt lächerlich gemacht haben, wenn nun diese Heirat nicht zustandekommt.«
Ponks spitzte die Ohren. Sein Blick, der an dem Muster des Teppichs geklebt hatte, richtete sich forschend und mit einem Hoffnungsschimmer auf ihr Gesicht.
»Aber, Frau Elisabeth, es hängt doch nur von Ihnen ab, ob diese Verbindung zustande kommt oder nicht.«
»Ich will aber nicht!« rief sie in aufflammendem Zorn. »Ich heirate keinen Mann, der über mich verfügt, bevor er zu mir über seine Absichten gesprochen hat.«
Ponks machte ein zerknirschtes Gesicht.
»Verzeihen Sie mir«, bat er kleinlaut. »Vielleicht habe ich unrecht gehandelt. Vergessen Sie aber bitte nicht, warum ich gefehlt habe. Seit ich Sie zum ersten Male sah, steht bei Tag und Nacht Ihr Bild vor meinen Augen. All mein Verlangen ist tot seitdem – bis auf das eine: Sie für mich zu gewinnen. Dies ist das höchste Ziel meines Lebens. Ich schwöre Ihnen, daß ich mit niemand über diese meine Hoffnungen ein Wort gewechselt hatte – bis auf einmal das Gerücht auftauchte, das unsere Namen verband. Woher es kam, weiß ich nicht. Vielleicht war die große Güte und Liebenswürdigkeit, mit der Sie mich beglückten, die Schuld am Entstehen des Geredes. Dann aber –« er versuchte zu lächeln – »tragen auch Sie einen Teil der Schuld und haben um so mehr Ursache, mir zu verzeihen.«
Er erhob sich und trat mit seinem Blumenstrauß auf sie zu. Doch bevor er sie erreicht hatte, stand sie ebenfalls auf und trat zum Fenster.
»Ich habe Sie also nun angehört, Herr Ponks. Hören Sie jetzt, was ich Ihnen sage. Sie erzählten mir von gewissen Gefühlen, die Sie angeblich für mich empfinden. Nun, Sie sind ein Mann von ungewöhnlicher Willenskraft. Es wird Ihnen deshalb nicht allzuschwer werden, die Enttäuschung zu überwinden, die ich Ihnen bereiten muß. Denn leider spricht in meinem Innern nicht die leiseste Stimme für Sie.«
»Sie weisen mich ab?« fragte Ponks tonlos.
»Ich habe nicht die Absicht, schon wieder zu heiraten.«
Ponks hob mit einer schnellen Bewegung den Kopf.
»So erlauben Sie mir vielleicht, daß ich nach Ablauf einer gewissen Zeit wieder einmal bei Ihnen anfrage?«
»Das ist zwecklos. Wenn ich je wieder heiraten sollte, mit Ihnen werde ich niemals an den Altar treten.«
»Warum hassen Sie mich eigentlich, Frau Elisabeth?« fragte er mit Überwindung.
»Ich habe nicht gesagt, daß ich Sie hasse. Doch ich liebe Sie auch nicht und werde Sie niemals lieben. Warum wollen Sie sich also selbst das Leben schwer machen, indem Sie zwecklos auf mich warten!«
»Oh, ich wollte gerne geduldig auf Sie warten – ein Jahr lang, zwei Jahre, fünf Jahre lang – bis Sie mich eines Tages rufen werden.«
»Ich würde Sie nie rufen. Und – aber es hat wirklich keinen Zweck, diese Unterredung noch zu verlängern.«
Ponks erhob sich. Seine Augen blitzten und auf seiner Stirn lag eine drohende Wolke.
»Ich vermute, gnädige Frau, daß jemand mich bei Ihnen verleumdet hat«, knirschte er. »Ich ahne sogar, wer dieser ehrenwerte Mann ist und schwöre Ihnen, daß ich ihm diesen Schurkenstreich nach Gebühr vergelten werde, sobald ich die Beweise für meine Vermutung in Händen haben werde.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich!« rief Elisabeth mit einem klingenden Lachen. »Es steht Ihnen schlecht, zu drohen, nachdem Sie noch eben gebettelt haben. Ich halte es durchaus für möglich, daß Sie einer solchen Rachetat fähig sind, doch möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir uns in zivilisierten Gegenden befinden, wo das Gesetz herrscht – nicht das Faustrecht.«
Ponks erblaßte bis in die Lippen. Seine Augen weiteten sich und ein paar Sekunden lang starrte er Elisabeth wie entgeistert an. Dann aber riß er sich mit Gewalt zusammen.
»Ich danke Ihnen für diesen Hinweis, gnädige Frau«, sagte er mit einem bösen Lächeln und verbeugte sich. »Ich weiß zwar nicht, was Sie damit sagen wollen, um so besser aber weiß ich, was ich zu tun habe. Das Gesetz kenne auch ich. Aber es gibt Mittel, einen Verleumder zu bestrafen, ohne erst das Gesetz zu belästigen. Das soll natürlich«, fuhr er fort, »keine Drohung gegen Sie sein. Sie sind ja ebenso wie ich ein Opfer der Verleumdung. Wer weiß, was jener Ehrenmann Ihnen über mich gesagt hat – Dinge vielleicht, vor denen Ihre reine, edle Seele zurückschaudert. Schon darum wäre es vielleicht besser, wenn Sie mir reinen Wein einschenken würden.«
»Herr Ponks, jetzt lassen Sie es genug sein!« rief Elisabeth in einem Ton, der nicht mißzuverstehen war. »Sie werden mir zugeben, daß ich reichlich Geduld geübt habe. Jetzt aber ist sie erschöpft. Ich bitte Sie ernstlich, mich augenblicklich zu verlassen!«
»Wie Sie befehlen!« versetzte Ponks mit äußerlicher Gelassenheit. »Vielleicht erlauben Sie mir, mich nach einigen Tagen einmal nach Ihrem Befinden zu erkundigen.«
»Oh, mein Befinden wird auch in einigen Tagen voraussichtlich ausgezeichnet sein. Es hat also wenig Zweck, sich zu bemühen.«
»Sind Sie sich klar darüber, daß Sie mich beleidigen, Frau Darlington?« zischte Ponks.
»Sind Sie sich klar darüber, daß Sie mich langweilen, mein Herr?« rief die junge Frau mit sprühenden Augen. »Gehen Sie sofort!«
Ponks ließ sich das nicht zweimal sagen. Er machte nur noch eine ganz kurze Verbeugung, dann war er draußen.
»Sara!« Scharf und schneidend klang der Ruf durch das Gemach. Sofort stand die ewig lächelnde Mulattin vor der Herrin.
»Sara, trag dem Herrn diese Blumen nach!«
Wie ein Wiesel schlüpfte die Alte hinaus. Ponks aber war so schnell gegangen, daß sie ihn erst bei der Haustüre erreichte. Grinsend und knicksend überreichte sie ihm den Strauß. Er war so geistesabwesend, daß er sich die Blumen in die Hand drücken ließ. Dann aber bekam er plötzlich einen Wutanfall und schmiß der armen Sara den schönen Strauß mit einem wilden Fluch ins Gesicht. Dann knallte er die Türe hinter sich zu.
Elisabeth saß mit aufgestütztem Kopf in ihrem Sessel und starrte nachdenklich vor sich nieder. Sie grübelte darüber nach, was es war, das ihr in der Person Ponks so unheimlich bekannt vorkam. War es seine Stimme? War es irgendein Zug in seinem Gesicht, eine Eigenheit seines Äußeren, eine Besonderheit in seinen Bewegungen? Sie grübelte vergeblich. Ponks war, wie er ihr erzählt hatte, von deutschen Eltern in Skandinavien geboren, hatte seine Jugend in England und Amerika verlebt, war als junger Mann auch vorübergehend in Deutschland gewesen, doch nur so kurze Zeit, daß es sich nicht verlohnte – wie er kurz bemerkte – darüber zu reden. Seine Erinnerung an diese Zeit seines Lebens war zudem fast völlig verblaßt. Wann also sollte sie Ponks schon getroffen haben? Es hatte wirklich keinen Zweck, darüber zu grübeln, schloß sie mit einem tiefen Seufzer – und dennoch –
So fand sie nach einiger Zeit Dr. Schreyer, der sich bei Sara erkundigt hatte, ob Ponks noch im Hause sei.
»Dieser Gesellschaftstratsch ist mir unangenehmer als ich sagen kann«, sprach Elisabeth verdrießlich.
»Ich kann Ihnen das nachfühlen, obwohl die Sache keineswegs schlimm ist.«
»Schlimm – nein, gewiß nicht. Dennoch – ich mag nicht Gegenstand des Klatsches sein.«
»Machen Sie eine Reise!« riet Schreyer.
»Bah, eine Reise!« Sie zuckte die Achseln. »Ich mag nicht. – Halt, ich hab's! Ich gehe für einige Zeit auf meine Farm ›Golden Hill‹ am Arkansas.«
»Eine glänzende Idee«, lobte der Doktor. »Es wird überhaupt gut sein, wenn Sie sich wieder einmal dort sehen lassen.«
»Wieso? Bergson, mein alter Inspektor, ist treu wie Gold.«
»Das ist er sicherlich!« stimmte Schreyer unbedenklich zu. »Immerhin ist es gut, wenn man auf einem Gute hin und wieder einmal die Herrschaft sieht.«
»Abgemacht. In reise in zwei Tagen und Sie begleiten mich.«
»Oho, das ist nicht ganz so einfach ausgeführt wie befohlen«, lachte der Anwalt. »Sie scheinen ganz zu vergessen, daß ich hier einige Verpflichtungen habe.«
»Das habe ich durchaus nicht vergessen. Aber ebensowenig die Tatsache, daß Sie schon seit Monaten von einer Ausspannung sprechen, die Sie unbedingt nötig hätten. Nun, können Sie sich eine bessere Ausspannung denken, als wenn Sie einige Wochen mit mir in der ländlichen Einsamkeit und in dem milden Klima des Ozarkgebirges zubringen?«
»Alles gut und schön«, gab Schreyer, schon halb überwunden zu. »Jedoch –«
»Außer uns beiden werden nur noch Gabriel, mein alter schwarzer Hausmeister, und sein Weib Sara mitgehen. Und während wir am Arkansas reiten, fischen, jagen und faulenzen, mag sich die Gesellschaft Neuyorks die Zähne meinetwegen stumpf reden.«
»Bravo!« rief der Doktor froh. »Abgemacht, ich reise mit Ihnen.«
»Bravo, sage auch ich!« lachte Elisabeth und reichte ihm die Hand. »Und zwar reisen wir in meiner Jacht an der Küste entlang und den Mississippi hinauf.«
»Ausgezeichnet! Aber – schon in zwei Tagen! – Da müssen Sie mir sofort Urlaub geben, daß ich mit meinen Vorbereitungen beginnen kann.«
»Gut, gehen Sie. Und ich will Sie nicht wiedersehen bis Freitag früh Punkt neun Uhr. Ich lasse die Jacht hierherkommen. Schicken Sie Ihr Gepäck nur zu mir. Ich lasse es vorsichtig verstauen. Bringen Sie aber nur das Nötigste mit. Für alles andere wird reichlich gesorgt werden.«
»Abgemacht! Ich freue mich! Und nun auf fröhliches Wiedersehen am Freitag morgen!«