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Drei Tage waren seit den letzten Ereignissen verstrichen. Vor dem Rancho des Mestizen Tom Gally saßen Sanders und der Eigentümer der Hütte. So mißmutig des ersteren Gesicht sich zeigte, um so vergnügter war das des Rancheros. Vor dem Abschied der Jagdgesellschaft hatte Ponks Gelegenheit gefunden, ihm unbemerkt seine größte Zufriedenheit auszudrücken und ihm zwei Hundertdollarnoten in die Hand zu drücken. Das war das Doppelte dessen, was ihm versprochen worden war. Nun zweifelte er nicht mehr daran, daß sein nobler Auftraggeber auch sein Versprechen in Bezug auf die hundert Flaschen Brandy halten würde. Hundert Flaschen vom besten Brandy – ihm schwindelte vor Entzücken über einen solchen Reichtum.
Auch Elisabeth hatte ihm außer der zugesprochenen Belohnung ein reichliches Trinkgeld geben lassen. Dazu kam noch das Fleisch des Bären, von dem er monatelang zehren konnte. Er hatte demnach alle Ursache, mit dem Verlauf des Abenteuers zufrieden zu sein. Und das war er auch. In seiner gehobenen Stimmung nahm er sogar hin und wieder die Pfeife aus dem Munde und pfiff ein paar Töne vor sich hin, und zwar immer das gleiche, die ersten Takte aus dem Yankee-doodle. Womit seine musikalischen Kenntnisse erschöpft waren.
Sanders hatte ihm schon wiederholt wütende Seitenblicke zugeworfen, endlich machte er seinem Ärger Luft.
»So laßt doch endlich in des Teufels Namen dieses verdammte Pfeifen!« schnauzte er Tom Gally an.
Der Mestize hörte zwar auf zu pfeifen, doch nur, um Sanders kräftig auszulachen.
»Erinnert Euch gefälligst, daß ich hier auf meinem Rancho sitze, wo ich machen kann, was ich will.«
Dann begann er den Yankee-doodle von vorn an zu pfeifen und pfiff ihn bis zum Schluß durch, und zwar mit erhöhter Stimme. Und entsetzlich falsch. Dann lachte er und spuckte aus.
»Mit Gewalt ist da nichts zu machen, Sir. Warum ärgert Ihr Euch? Habt Ihr's denn nicht gemütlich hier?«
»Gemütlich?« höhnte Sanders. »In dieser Einöde? Wo man vor Langeweile rappelköpfig werden könnte?«
»Hm, bin schon fünfzehn Jahre hier und hab's nie langweilig gefunden. Habe genug zu essen und zu trinken, meine Freiheit und meine Ruhe. Mehr verlange ich nicht vom Leben.«
»Idiot!« knurrte Sanders, doch wohlweislich leise genug, daß der Mestize das Wort nicht verstehen konnte. Laut aber sagte er: »Es gibt Menschen, mein Lieber, die mehr vom Leben verlangen als essen, trinken und schlafen. Und wie gesagt, wenn Ponks nicht bald kommt, dann gehe ich, und zwar geraden Weges nach Golden Hill. Wo er zu Gast ist, da bin ich auch gut genug.«
»Daß Ihr ein Gentleman seid wie Mister Ponks, will ich wohl glauben«, kicherte Tom Gally mit schlauem Gesicht. »Aber Mister Ponks scheint mir ein Mann zu sein, der nichts ohne Grund tut. Und er ist doch Euer Freund. Er wird also schon wissen, warum er Euch nicht mitgenommen hat nach Golden Hill.«
»Das ist mir ganz gleichgültig!« schimpfte Sanders. »Ich lasse mir das nicht länger gefallen.«
»Übrigens – dort kommt Ponks!« rief der Ranchero nach einer Weile des Schweigens.
Sanders sprang auf. Richtig, der seit drei Tagen so schmerzlich vermißte Freund kam soeben auf einem ausgezeichneten Pferde herangeritten. Sofort eilte Sanders ihm entgegen. Als er Ponks erreichte, sprang dieser vom Pferd und nahm den Zügel über den Arm.
»Gut, daß du mir entgegenkommst. Der Mestize braucht nicht zu hören, was wir sprechen. Wie geht es dir?«
Bei dieser Frage stieg in Sanders wieder der Ärger über die ihm zuteil gewordene Vernachlässigung auf.
»Wie es mir geht? Ganz verdammt schlecht. Ich sterbe hier vor Langeweile. Übrigens ist es rührend, daß es dir nach drei Tagen einfällt, dich nach meinem Befinden zu erkundigen.«
Ponks überhörte den Vorwurf.
»Wenn Langeweile deine einzige Krankheit ist«, lachte er, »dann kannst du zufrieden sein. Du mußt wissen, Langeweile nährt und stärkt die Nerven. Tröste dich mit diesem Gedanken, denn du wirst diese einsame Sommerfrische noch ein paar Tage genießen müssen.«
»Ich wäre ein Narr, wenn ich's täte!« schrie Sanders.
»Nicht so widerborstig, mein Bester! Du wirst es tun! Weil es sein muß. Und weil es in unserem beiderseitigen Interesse ist. Glaube mir, meine Stellung auf der Farm ist eine viel schwierigere und dabei gefährlichere als die deine hier auf dem Rancho. Man mißtraut mir.«
»Das ist doch natürlich. Ich hab's dir vorausgesagt.«
»Aber ich habe die Herrin von Golden Hill vollständig auf meiner Seite. Und solange sie mir wohlgesinnt ist, können mir die anderen mit ihren finsteren Blicken und ihrer eisigen Kälte Luft sein.«
»Was meinst du, wäre es nicht gut, wenn ich in der Stille unseren Schatz holte und mit dem nächsten Dampfschiff, das den Arkansas hinabfährt, vorausreiste?« fragte Sanders mit etwas unsicherer Stimme.
»O nein, mein Schatz, das wäre durchaus nicht gut«, antwortete Ponks mit einem niederträchtigen Blinzeln. »Denk doch, wie unangenehm es für dich wäre, wenn wir uns dann aus irgend einem Grunde nicht wiedersehen würden!«
»Mir scheint, du denkst –« fuhr Sanders beleidigt, aber mit der Miene eines Ertappten auf. Ponks aber fiel ihm in die Rede:
»– daß ich dich hier noch sehr nötig brauchte. Und so denke ich wirklich. Du wirst mir noch sehr wichtige Dienste leisten müssen, bevor wir diese Gegend verlassen. Unter uns: Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich mich dieser Tage mit der schönen Herrin von Golden Hill verloben werde.«
»Die Glückliche!« knurrte Sanders vor sich hin.
»Wie sagtest du?« fragte Ponks mit einem scharfen Seitenblick.
»Oh, nichts besonderes. Ist es schon so weit, daß ich gratulieren darf?«
»Leider nicht. Aber ich hoffe, alles entscheidet sich morgen oder übermorgen. Für den Fall, daß es anders kommt – ich halte das zwar für ausgeschlossen, als vorsichtiger Mann rechne ich aber mit allen Möglichkeiten – müssen wir einige Maßregeln treffen. In diesem Fall nämlich ereignet sich vor meiner Abreise ein Drama. Ich nannte dir schon den Namen des Doktors Schreyer. Wenn mein Plan nicht gelingt, dann ist nur er schuld daran. Er war es, der mich schon in Neuyork bei Frau Darlington verleumdete.«
»Verleumdete? Hat er etwas Gutes über dich gesagt?«
Ponks überging diesen Witz mit einem Achselzucken.
»Mißlingt mein Plan, dann wird dieser vor Ehrenhaftigkeit platzende Landsmann diese Gegend nicht lebend verlassen.«
»Du bist ein lebendes Beispiel für den Unterschied zwischen Theorie und Praxis«, bemerkte Sanders. Und auf den ungeduldig fragenden Blick Ponks fuhr er in belehrendem Ton fort: »Blinde Leidenschaft hat noch nie zum Ziel geführt. Dem Leidenschaftlichen fehlt die Gabe der Erkenntnis und der kühlen Erwägung, denn Leidenschaft macht blind.«
»Genug!« rief Ponks. »Verschone mich mit den langweiligen Wiederholungen meiner eigenen Worte. Es gibt eben Fälle – doch wozu versuche ich, mich zu rechtfertigen! Höre, was zu tun ist. Sage morgen zu Tom Gally, du wolltest auf die Jagd reiten. Wenn er dich begleiten will, so lehne das unter irgend einer Begründung ab. Zu Pferd bist du in drei Stunden an der Stelle, wo wir den Goldschatz von Golden Hill verborgen haben. Verpacke das Zeug so gut, daß man von außen den Inhalt des Pakets nicht erkennen kann. Es kann sein, daß wir diesen Ort ganz plötzlich verlassen müssen und keine Zeit mehr finden, das Gold in Sicherheit zu bringen. Darum ist es besser, wir haben alles Wertvolle so zur Hand, daß wir es auf unsere Pferde werfen und losreiten können. Es wäre auch gut, wenn du dich in den nächsten Tagen in der Nähe des Ranchos hieltest, damit du im Falle eines eiligen Aufbruches schnell bei der Hand bist.«
»Hm – alle diese Vorbereitungen scheinen gewisse Anzeichen dafür zu sein, daß du deines Sieges bei der schönen Frau Darlington doch nicht so ganz sicher bist.«
»Ich sagte dir ja, daß ich stets alle Möglichkeiten in den Bereich meiner Berechnungen ziehe. Ich muß dich ersuchen, streng nach meinen Angaben zu handeln, denn sie sind reiflich durchdacht. Und nun laß uns zu Tom Gally gehen. Mir scheint, der Mann hat große Sehnsucht, mich in der Nähe zu sehen.«
*
Auf der Farm herrschte seit einigen Tagen eine schwüle Stimmung. Jeder wußte, daß Ponks diese Stimmung ins Haus gebracht hatte. Dr. Schreyer zeigte eine brummige Miene, war meist schweigsam und verkehrte mit Ponks nur im Tone einer mühsam unterdrückten Gereiztheit, die dieser mit einer eisigen Höflichkeit erwiderte. Auch Inspektor Bergson zeigte dem Gast eine kühle Miene. Da seine Herrin stets freundlich, ja herzlich zu ihrem Lebensretter war, war auch er zur Höflichkeit gezwungen, sonst hätte er wohl Ponks gegenüber alle Register seiner geraden Derbheit spielen lassen. Da er das nicht durfte, verlegte er sich aufs Beobachten. Er nahm Sara beiseite und schärfte ihr ein, sich Herrn Ponks ganz genau anzuschauen, um festzustellen, ob er einer der beiden Reiter sei, die am Abend vor dem Einbruch an der Farm vorübergeritten waren. Sara war der Weisung gefolgt, einen ganzen Tag lang hatte sie Ponks umschwebt wie ein schwarzes Gespenst, so daß es ein wahres Wunder war, daß dieser nichts gemerkt hatte. Das Ergebnis war, daß sie ganz bestimmt glaubte, er sei einer jener beiden Reiter gewesen – aber beschwören könne sie es doch nicht.
Nun wurde ein Bote zu Giles hinausgeschickt, der sich zehn Reitstunden entfernt in der Savanne befand, wo etwa tausend Stück Rindvieh mit dem Brennstempel versehen wurden. Bergson und Schreyer erwarteten die Ankunft des Cowboys mit größter Ungeduld.
In einer wenig angenehmen Lage befand sich Elisabeth. Sie verstand die Abneigung des Doktors gegen den neuen Gast nur zu gut. Daß Bergson sich ebenfalls von dem Wesen Ponks abgestoßen fühlte, wunderte sie nicht. Ihr selbst ging es ja nicht viel anders. In den drei Tagen, die Ponks sich auf der Farm aufhielt, waren alle die Gefühle der Abneigung und des Mißtrauens, die sie schon früher beseelt hatten, neu und mit verstärkter Kraft aufgewacht. Vergeblich versuchte sie, diesen Gefühlen Schweigen zu gebieten. Immer wieder sagte sie sich, daß Ponks ihr mit eigener Gefahr das Leben gerettet habe und daß aus diesem Grunde schon das Gefühl der Dankbarkeit sie streng verpflichte, ihm freundlich zu begegnen. Und sie handelte danach.
Ponks aber war ein zu scharfer Menschenkenner, um nicht zu merken, daß die warme Herzlichkeit, die in der Stunde des gefährlichen Abenteuers von ihr zu ihm übergeströmt war, weder im Blick noch in der Stimme Elisabeths je wieder zum Ausdruck kam. Im Gegenteil, er glaubte zu fühlen, daß ihre Freundlichkeit und Güte manchmal etwas Gezwungenes hatte. In einem Punkt aber befand er sich in einem Irrtum: nämlich in der Überzeugung, daß dieser Umschwung nicht in ihrer eigenen Seele entstanden, sondern von Dr. Schreyer hervorgerufen worden sei. In Wirklichkeit hatte Schreyer noch gar keine Gelegenheit gehabt, mit der Freundin seine Gedanken über den neuen Hausgenossen auszutauschen – eben weil dieser vom Morgen bis zum Abend kaum von der Seite Elisabeths wich.
Hierzu fand sich endlich ein Anlaß, als eines Tages Ponks gleich nach dem Mittagessen sein Pferd bestieg und fortritt. Elisabeth saß auf der Terrasse und las. Da trat Schreyer zu ihr, setzte sich schweigend ihr gegenüber in einen Korbsessel und zündete sich eine Zigarre an. Elisabeth betrachtete ihn verstohlen über den Rand ihres Buches hinweg und lächelte leise über sein mißmutiges Gesicht.
»Nun, lieber Doktor, wie geht es Ihnen heute?« fragte sie nach einer Weile.
Dr. Schreyer setzte seine grimmigste Miene auf und knurrte:
»Ich muß mich wundern, daß mein Befinden Sie überhaupt interessiert.«
»Aber pfui, wie können Sie nur so reden! Sie sind doch mein Gast, für dessen Wohlbefinden ich verantwortlich bin. Und außerdem sind Sie mein Freund.«
»Letzteres habe ich bis vor einigen Tagen auch geglaubt. Doch auf Weiberfreundschaft darf man keine Häuser bauen. Sie wechselt genau so schnell wie die Launen der Frauen.«
»Herr Doktor Schreyer, Sie werden grob.«
»Mag sein. Anscheinend klingen meine ehrlichen Grobheiten nicht so angenehm in Ihren Ohren wie die verlogenen Schmeicheleien des Herrn Ponks.«
Elisabeth klappte ihr Buch zu und legte es auf den Tisch.
»Nun sind wir ja wohl bei des Pudels Kern angelangt«, lachte sie ihn an. »Mir scheint, die Gelegenheit ist günstig, um über diese Dinge einmal offen und in Ruhe zu reden. Da kommt gerade auch Bergson. Herr Inspektor, bitte, auf ein Wort!«
Bergson trat an den Tisch und nahm auf Elisabeths Wink einen Stuhl. Der Doktor reichte ihm seine Zigarrentasche und tauschte dabei mit dem Alten einen schnellen Blick des Einverständnisses.
»Wir sind gerade im Begriff, uns über meinen Gast, Herrn Ponks, auseinanderzusetzen, und da halte ich es für angebracht, daß auch Sie, Herr Bergson, zugegen sind. Denn auch Sie scheinen für jenen Herrn keine besonders warme Freundschaft zu empfinden.«
»Der Teufel soll mich holen, wenn Sie damit nicht den Nagel auf den Kopf getroffen haben«, nickte der Alte.
»Bitte, lassen Sie den Teufel aus dem Spiel«, sagte Elisabeth verweisend. »Sie wissen, Herr Inspektor, daß ich starke Ausdrücke nicht liebe.«
»Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich Sie verletzt habe«, sprach Bergson mit einem leichten Lächeln. »Sie kennen mich und wissen, daß es nicht absichtlich geschah. Aber es ist schwer, den Teufel aus dem Spiel zu lassen, wenn man von Herrn Ponks spricht.«
»Woher wissen Sie das? Sie kennen den Herrn doch erst seit drei Tagen. Und Schlechtes von ihm können Sie doch höchstens vermuten.«
»Sara ist überzeugt, daß Ponks einer der Reiter ist, die –«
»Sara stellt sich mehr und mehr als eine Schwätzerin heraus«, unterbrach Elisabeth gereizt die Worte des alten Inspektors. »Zu Ihnen sagt sie, Ponks war es, zu mir sagt sie das Gegenteil.«
»Vielleicht, weil gnädige Frau wünschen, das Gegenteil zu hören«, versetzte der Alte steif.
»Herr Inspektor, wie können Sie es wagen, so zu mir zu sprechen! Seit wann dürfen Sie von mir annehmen, daß ich gespaltene Zungen liebe!«
Bergson rauchte hastig, sagte aber nichts.
»Sie sind erbittert darüber, meine Herren, daß ich Ponks eingeladen habe. Aber sagen Sie selbst, konnte ich anders handeln, nachdem er mir das Leben gerettet hat?«
»Sind Sie wirklich so fest überzeugt davon, daß er Ihnen das Leben gerettet hat?« fragte der Alte mit listig zwinkernden Augen.
»Aber Bergson, reden Sie doch gefälligst keinen Unsinn!« fuhr Elisabeth auf. »Sie sprechen, als sei ich bei dem ganzen Vorgang nicht zugegen gewesen. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß der Bär in Greifnähe bei mir war, als Herr Ponks ihn mit zwei Schüssen niederstreckte.«
»Ja, ja, der Schein ist gegen uns«, gab der Doktor widerwillig zu. »Was sich dort in den Bergen ereignet hat, wird wohl nie ganz aufgeklärt werden.«
»Es ist genügend aufgeklärt, wenigstens für mich. Es war eine Tat höchsten Mutes und der Unerschrockenheit.«
»Ich bin gespannt auf die Ankunft des Cowboys Giles«, bemerkte Bergson.
»Ich nicht«, knurrte Schreyer mit verbissenem Grimm. »Denn ich weiß, Giles kann aussagen, was er will, Ponks wird nicht von hier vertrieben.«
»Das zu prophezeien ist nicht schwer!« rief Elisabeth mit einem klingenden Lachen. »Natürlich kann ich Ponks nicht hinausweisen, nachdem ich ihn eingeladen habe.«
»Auch nicht, wenn er sich als Dieb und Schurke erweist?«
»Es wird kaum gelingen, ihm das nachzuweisen.«
»Das wollen wir sehen«, sagte der Doktor mit einem grimmigen Lächeln. »Ich war soeben in dem Zimmer Ponks und habe auf dem Fußteppich vor seinem Bette ein feines, mit bloßem Auge nicht sichtbares Pulver ausgestreut. Wenn er mit nackten Füßen nur einen einzigen Schritt auf die blanken Dielen tut, habe ich morgen den Beweis, ob er der Mann mit der Narbe oder der mit den langen schmalen Frauenfüßen ist.«
Das letztere bezog sich auf die zweite, von Sanders stammende Fußspur. In der Tat war Sanders auf die aristokratische Form seiner Hände und Füße nicht wenig stolz.
»Sie werden sicher finden, daß Ponks Fußspur weder mit der einen noch der anderen der Einbrecher Ähnlichkeit hat.«
»Das wollen wir abwarten. Wie aber, wenn durch meinen Versuch festgestellt wird, daß Ponks einer der Einbrecher ist?«
Die Augen der beiden Männer ruhten gespannt auf dem Gesicht der jungen Frau. Sie senkte den Kopf. Eine tiefe Falte legte sich quer über ihre Stirn.
»Zwingen Sie mich nicht, auf diese Frage schon jetzt Antwort zu geben«, forderte sie mit gepreßter Stimme.
»Aber Sie können doch einen offenkundigen Verbrecher, einen Dieb und Räuber, nicht in Ihrem Hause dulden!« rief Schreyer empört. »Und uns können Sie doch nicht zumuten, mit einem solchen Menschen gesellschaftlich zu verkehren!«
»Und wenn ich es tue – unter dem Zwang eines eigenartigen Verhältnisses?« fragte sie finster.
»Dazu kann Sie das seltsamste Verhältnis nicht zwingen, auch das Gefühl der Dankbarkeit nicht!« rief der Rechtsanwalt leidenschaftlich. »Wenn Sie sich selbst so weit erniedrigen, dann sind Sie eine bedauernswerte Frau, das bemitleidenswerte Opfer einer mißverstandenen Dankbarkeitspflicht.«
»Herr Doktor, Sie vergessen, mit wem Sie reden!« rief Elisabeth. Helle Zornesröte färbte ihre Wangen. »Oder wollen Sie, daß ich vergesse, daß wir Freunde sind?«
»Sie scheinen das schon seit mehreren Tagen vergessen zu haben«, erwiderte der Doktor hitzig. »Ich habe den Eindruck, es ist am besten für mich, wenn ich diesem glattzüngigen Abenteurer das Feld überlasse.«
»Was, Sie wollen abreisen – jetzt?«
»Ja, gnädige Frau. Ich bitte um die Erlaubnis, nach Neuyork zurückkehren zu dürfen.«
»Wie Sie wollen, Herr Doktor. Ich will Sie nicht festhalten. Merken Sie sich aber, daß ich Ihnen den Ärger, den Sie mir damit antun, nie vergessen werde.«
Sie hatte sich während dieser Worte erhoben. Nun wandte sie sich um und ging mit raschen Schritten ins Haus.
Die beiden Freunde tauschten einen langen Blick.
»Das ist die Erfüllung Ihrer Prophezeiung«, murmelte der Doktor mit tiefer Bitterkeit.
»Noch ist nichts verloren, bester Freund«, tröstete Bergson. »Allerdings sitzt dieser verwünschte Ponks augenblicklich fest im Sattel. Oft aber graben solche Schurken sich selbst ihr Wasser ab. Wir wollen unsere Augen offen halten, vielleicht gelingt es uns doch, ihn zu stürzen. Ich würde übrigens an Ihrer Stelle nicht abreisen.«
»Oh, ich werde im Gegenteil sofort meine Koffer packen!« rief Schreyer.
»Damit erreichen Sie dreierlei: das Entzücken Ponks, die Ungnade Ihrer Freundin und deren erhöhte Wehrlosigkeit gegen die Ränke des Abenteurers.«
Das finstere Gesicht des Doktors wurde nachdenklich. Dann nickte er.
»Das sehe ich ein, besonders das letztere. Ich glaube selbst nicht, daß es gut wäre, wenn ich jetzt abreisen würde.«
»Es wäre bestimmt ein großer Fehler.«
Schreyer beschloß also, nicht abzureisen, wenigstens nicht, bevor das Ergebnis seines Vorgehens im Zimmer Ponks und die Äußerung des Cowboys Giles vorlagen.