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Die Sonne begann einen rötlichen Schein zu bekommen. Sie stand schon im Westen. Noch kurze Zeit, und die Nacht brach heran.
Auf der Terrasse einer wundervollen kleinen Villa, rings von Palmen umgeben und in einem orientalischen Märchenblumenstrauß versteckt, saßen der Prinz Rami und seine beiden Gäste Ponks und Sanders. Sie rauchten Zigaretten und schlürften dazu hin und wieder einen Schluck eisgekühlten Sorbets.
Tiefes Schweigen ringsumher. Nur eine Nachtigall flötete in einem nahen Strauch.
Auch die drei Männer schwiegen. Prinz Rami träumte mit halbgeschlossenen Augen vor sich hin. Ein weicher Ausdruck verschönte sein bronzefarbenes Gesicht. Sanders lag langausgestreckt in einem bequemen Liegestuhl und genoß unbekümmert und ziemlich gedankenlos die schöne behagliche Stunde. Anders Ponks. In seinen Zügen war der Widerschein reger Gedankenarbeit sichtbar. In der Tat gab es für ihn seit der Sitzung im Taj Mahal Palace-Hotel und der Bewilligung der von ihm geforderten Summen keinen ruhigen Augenblick mehr. Er arbeitete an den Plänen für die nächste und fernere Zukunft. In diesen Plänen kam natürlich nichts von einer Verwirklichung der in der Sitzung erörterten Aufgaben vor. Er wollte von diesem Gelde so viel wie möglich auf die Seite bringen und dann verschwinden. Aber wie – das war die Frage. Wenn er an die Summe Geldes dachte, die ihm zufallen würde, wenn sein Plan gelang, überkam ihn mehr als einmal ein Gefühl des Schwindels. Einer der reichsten Männer Europas würde er sein. Dieses Gefühl stachelte all seine Tatkraft mit Macht auf. Unausgesetzt arbeitete er an seinem Plan. Er war fest entschlossen, von diesem Reichtum auch nicht einen Dollar in andere Hände gelangen zu lassen. Daß er gezwungen sein würde, bei Verfolgung dieses Planes über Leichen zu gehen, war ihm ganz klar. In dieser Tatsache aber sah er kein Hindernis. Innere Hemmungen kannte er nicht – und daß es in Indien nicht allzuschwer war, einen Menschen zu töten, der einem im Wege ist, das wußte er. Das Schwerste war, in dem Augenblick, da er die gewaltige Summe in Händen haben würde, spurlos zu verschwinden. Um das zu können, mußte er sich von der Notwendigkeit befreien, einen Dolmetscher zu brauchen. Darum lernte er Tag und Nacht an der Sprache des Landes, ohne daß jemand etwas davon ahnte.
So von seinen Gedanken und Plänen in Anspruch genommen, hatte er kein Auge und Ohr für die ihn umgebenden Dinge. Er gewahrte nichts von dem unnennbaren Zauber der ihn umgebenden tropischen Welt.
Die drückend heiße Luft wurde durch einen frischen, kühlen Hauch vom Meere bewegt. Ein tiefes, befreites Aufatmen ging durch die Natur. Aus Bäumen und Millionen Blüten stieg gleich einem Weihrauch ein betäubender Duft empor. In Indien war Frühlingszeit. Alles war von Saft geschwellt. Ein gewaltiges, überschwengliches Keimen brachte die gesamte Pflanzenwelt in Aufregung. Vor den Augen des überwältigten Beobachters vollzog sich ein märchenhaftes Blütenwunder, und in tiefen, leidenschaftlichen Atemzügen hauchte die Natur ihre süßen Düfte in die Welt.
»Das Leben in diesem Lande ist in der Tat köstlich, Hoheit«, unterbrach nach langem Schweigen Sanders die Stille. »Ich möchte mich wahrlich nie wieder aus dieser behaglichen Lage erheben. Über eines aber denke ich schon seit Tagen nach.«
Der Prinz hob langsam den Kopf und blickte, aus tiefen Träumen erwachend, Sanders fragend an.
»Man spricht so viel von den Geheimnissen Indiens«, fuhr dieser fort. »Offen gestanden, habe ich an diese Geheimnisse nie so recht geglaubt. Dennoch kam ich mit einem Gefühl starker Spannung hierher. Ich wollte mich überraschen lassen, hätte mich gerne eines Besseren belehren lassen. Doch nun sind wir seit vier Wochen in Bombay – doch von Geheimnissen habe ich bisher noch nicht das geringste wahrgenommen.«
»Aber sind Sie denn nicht auch der Meinung, daß das gerade die ganz besondere Eigenschaft der Geheimnisse ist – daß man sie nicht gewahrt?« fragte der Prinz mit einem Lächeln. »Sollten Sie am Ende erwartet haben, daß die sogenannten Geheimnisse am Strande stehen und Sie erwarten würden?«
»Sie scherzen mit Grazie, Hoheit!« rief Sanders belustigt. »Gut, daß Sie sagten, ›sogenannte‹ Geheimnisse. Was sollte es in diesem Lande, das von einem einigermaßen dichten Eisenbahnnetz durchzogen ist und von dessen Vorgängen wir täglich in den europäischen Zeitungen lesen, wohl für Geheimnisse geben!«
Prinz Rami blickte mit einem rätselhaften Gesichtsausdruck in die blaue Luft. Dann lächelte er, äußerst sanft und nachsichtig, und ein ganz, ganz klein wenig spöttisch.
»Nun sehen Sie, bester Herr Sanders, Sie haben auf die Geheimnisse schon halb und halb verzichtet. Und wirklich, Sie konnten nichts besseres tun. Denn nun sind Sie vor Enttäuschungen sicher und werden in Zukunft nicht mehr nach Dingen suchen, die es Ihrer Meinung nach nicht gibt.«
»Aber zum Kuckuck, da geben Sie mir ja eine neue Nuß zu knacken!« rief Sanders lachend. »Wenn Sie mit so sonderbarer Miene von Geheimnissen reden, die es ›nach meiner Meinung‹ nicht gibt, dann muß man zu der Vermutung kommen, daß es nach Ihrer Meinung in diesem Lande doch derartiges gibt.«
»Geheimnisse sind dazu da, daß man sie ruhen läßt«, sagte der Prinz ernst und abschließend.
»Da haben wir's!« rief Sanders. »Erlauben Sie mir, Hoheit, diese Worte als ein Eingeständnis aufzufassen, daß ich recht habe. Seit Indien nicht nur von Forschern, sondern sogar von zahlungskräftigen Hochzeitsreisenden besucht wird, liegt das Wunderland wie ein offenes Buch vor uns. Der Nimbus ist zum Teufel. Ihr Land ist das Land der Okkultisten, Spiritisten und Mystiker. Diese Narren aber haben wir auch bei uns. Freilich, Leute, die nachts auf spitzen Nägeln schlafen oder während eines halben Menschenalters ununterbrochen einen Arm in die Höhe halten oder sich bis zum Halse in die Erde eingraben lassen, gibt's bei uns nicht. Für Narrheiten dieser Art hat man bei uns weder Sinn noch Zeit. Ihre Religionen enthalten tiefe Wahrheiten, doch diese stehen auch in der Heiligen Schrift der Christen und im Talmud der Juden. Wir kennen sie. Und was eure Gaukler, Zauberer und Schlangenbeschwörer leisten, das sieht man bei uns täglich in den Vorstadt-Tingeltangeln – nur besser. Sie sehen, was bleibt von Ihren Wundern noch übrig?«
»Gar nichts«, antwortete der Prinz mit einem seltsamen Lächeln.
Man sah es dem Gesicht Sanders' an, daß er mit dieser Antwort nicht zufrieden war. Er suchte nach Worten. Doch der Prinz kam ihm zuvor und setzte seiner kurzangebundenen Antwort die Worte hinzu:
»Das heißt, für Leute, die nicht die Augen haben, Wunder zu sehen.«
»Meinen Sie damit mich, Hoheit?« fragte Sanders lachend.
Der Prinz schüttelte langsam den Kopf.
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Oder vielleicht auch nicht. Ich kann nicht sagen, ob Sie jene Augen haben, die durch die Dinge hindurchschauen können, wie durch eine Glasscheibe, und das sehen, was dahinter lebt, für Durchschnittsaugen unsichtbar.«
»Oh, ich darf wohl von mir behaupten, einen gewissen Scharfblick zu besitzen.«
»Dieser Scharfblick, wie Sie es nennen, ist das größte Hindernis, unsere Geheimnisse auszuspähen.«
»Verzeihung, Hoheit – das geht über meine Begriffe«, bekannte Sanders und man merkte ihm an, daß er sich ärgerte.
Der Prinz runzelte fast unmerklich seine Stirn.
»Obwohl ich von diesen Dingen nicht gerne rede, will ich doch versuchen, mich Ihnen so verständlich wie möglich zu machen. Ich weiß, daß ständig eine große Zahl von Fremden Indien durchreist, Kaufleute, Industrielle, Forscher, sogar Hochzeitsreisende, wie Sie sehr richtig bemerkten. Meist Menschen, die jenen Scharfblick haben, von dem Sie sprachen. Diese haben ziemlich viel gesehen – wie man hierzulande lebt und liebt, arbeitet und denkt, wie man sich freut und wie man sein Leid trägt. Auch von unserem geistigen Leben haben diese Leute einiges bemerkt. Sie haben in unsere Religion und in unsere Lehrbücher hineingeschaut. Auf allen Wegen suchten sie die Geheimnisse des indischen Wunderlandes. Doch sie fanden nichts. Natürlich! Sie konnten auch nichts finden, denn sie hatten nicht den richtigen Blick. Sie suchten Tatsächliches, sicht- und greifbare Dinge. Diese Menschen der Tatsachen! Ihr Blick war zu scharf, zu kalt, zu nüchtern. Wer aber den richtigen Blick hatte – der fand Wunder über Wunder. Und er findet sie auch noch heute.«
»Meinen Sie die Dichter?« fragte Sanders beinahe grob.
»Die Dichter?« Der Prinz hob ein wenig die Augenlider. »Oh – in der Tat – vielleicht die Dichter –«
»Nun also! Der Phantast muß kommen, um phantastische Dinge zu entdecken«, brummte Sanders übellaunig. »Dazu braucht man nicht nach Indien zu gehen.«
»Mir scheint, Sie haben mich doch noch nicht so ganz verstanden. Vielleicht kann ich Ihnen das alles besser an einem praktischen Fall erklären. Doch zuvor: nicht wahr, Sie glauben nicht, daß ich je eine Unwahrheit spreche?«
»Aber Hoheit! Wie könnte ich etwas so Törichtes denken!«
»Nun denn, hören Sie! Ich weiß weder durch eine mündliche noch schriftliche Mitteilung, daß ich noch in dieser Stunde einen Besuch zu erwarten habe, der für mich von hoher Bedeutung ist, ja, der tief in mein Leben eingreifen wird. Finden Sie das zum Beispiel nicht geheimnisvoll?«
Sanders starrte den Prinzen verblüfft an. Dieser hatte in einem so tiefernsten Tone gesprochen, daß es unangebracht gewesen wäre, an einen Scherz zu glauben.
»Aber Hoheit, woher wissen Sie denn von einem solchen Besuche?«
»Das ist ja eben das Geheimnisvolle, Unerklärliche«, entgegnete Prinz Rami ruhig und gelassen. »Niemand hat mir diesen Besuch angekündigt. Es hat sich auch nichts ereignet, was mich zu der Vermutung bringen könnte, daß ich diesen Besuch zu erwarten habe. Die Person, die mich besuchen wird, ist mir bis jetzt noch völlig fremd. Ich weiß nicht, ob es ein Mann oder eine Frau sein wird. Vor einer Stunde hatte ich noch keine Ahnung davon, daß diese Person mir noch in dieser Stunde großes Leid zufügen wird.«
»Mit anderen Worten, Sie ahnen diesen Besuch«, sprach Sanders, von einer seltsamen Empfindung berührt.
»O nein. Eine Ahnung ist ein unbestimmtes, halb traumhaftes Gefühl. Hier aber handelt es sich um ein Wissen. Ich weiß mit aller Bestimmtheit, daß diese Person auf dem Wege zu mir ist.«
»Aber das ist doch gar nicht möglich!« rief Sanders fassungslos. »Wie wollen Sie diesen Vorgang erklären?«
Der Prinz hob mit einer leichten Bewegung seine Schultern.
»Erklären? Ich versuche gar nicht, Ihnen das zu erklären. Denken Sie an die drahtlose Telegraphie. So wie es unsichtbare elektrische Wellen gibt, die den Äther durchfließen, um Ihre Gedanken Menschen mitzuteilen, die fern von Ihnen weilen, so fließen auch Ströme von Seele zu Seele. Und ein solcher Strom hat eben meine Seele berührt und mir gesagt, daß irgend ein Mensch die Absicht hat, mit mir in Verbindung zu treten – auf eine Art, die mir nicht gleichgültig ist.«
»Verzeihung, Hoheit«, sprach Sanders kopfschüttelnd. »Sie werden mich nicht für so abgeschmackt halten, Zweifel in Ihre Worte zu setzen. Doch hier handelt es sich ganz einfach um Dinge, die nicht in mein Fassungsvermögen hineingehen. Ich glaube an diesen Besuch erst, wenn er sich anmeldet.«
»Sie werden nicht lange zu warten haben. Nicht wahr, eben kommt Nadir, mein Kammerdiener, aus dem Hause. Er trägt auf einem silbernen Teller eine Besuchskarte.«
Ponks, der während der letzten Wendung des Gesprächs überaus aufmerksam geworden war, und Sanders drehten sich herum, denn alle drei Herren saßen so, daß sie dem Hause den Rücken zuwandten. Doch niemand war zu sehen. Schon hatte Sanders ein triumphierendes Wort auf den Lippen, da ging unhörbar die Türe auf und Nadir, der Kammerdiener, trat mit einer kleinen silbernen Platte heraus. Der Inder ging mit den lautlosen Schritten der Diener seines Landes auf den Prinzen zu, der regungslos in seiner früheren Haltung sitzen geblieben war, und überreichte ihm mit einer tiefen Verbeugung eine Besuchskarte. Der Prinz nahm die Karte und warf einen Blick darauf.
»Samuel Morris, Friedensrichter, Saint Louis. – Es ist, wie ich sagte: ich kenne den Herrn nicht. Führe den Besucher in mein Arbeitszimmer. Ich komme gleich. Nun, Herr Sanders, was sagen Sie?«
»Das ist in der Tat ein höchst verblüffender Zufall, Hoheit.«
»Zufall?« lächelte der Prinz. »Mein lieber Herr Sanders, es gibt in der Welt keine Zufälle. Und dieser Besuch ist am allerwenigsten ein solcher.«
Er erhob sich.
»Bitte, meine Herren, erwarten Sie mich hier, wenn Sie nichts anderes vorhaben. Ich denke, mein Besuch wird mich nicht sehr lange in Anspruch nehmen. Wir werden dann miteinander zu Abend speisen.«
Er entfernte sich mit langsamen Schritten und nachdenklich gesenktem Kopf, trat ins Haus und in sein Arbeitszimmer. Dort erhob sich ein alter Mann mit weißem Haar und Bart und machte vor dem Prinzen eine höfliche Verbeugung.
»Ich danke Euer Hoheit für die große Liebenswürdigkeit, mir Gehör zu schenken, und werde Ihre Zeit nicht länger als unbedingt nötig in Anspruch nehmen.«
»Bitte, mein Herr, behalten Sie Platz. Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Zu allererst mit dem Versprechen unter Ihrem Ehrenwort, von dem, was ich Ihnen eröffnen werde, ohne mein Wissen niemand etwas zu sagen.«
Des Prinzen Miene wurde abweisend.
»In der Regel bedarf es zu solchen Versprechen nicht meines Ehrenwortes. Ich bin aber ebensowenig gesonnen, Ihnen ein solches Versprechen zu geben, wie in Ihre Geheimnisse einzudringen. Falls ich durch Verschweigung dessen, was zu berichten Sie anscheinend zu mir gekommen sind, irgend jemand schaden würde, lehne ich meine Verpflichtung zum Stillschweigen ohne weiteres ab.«
»Wenn es sich um solche Dinge handelte, dann wäre ich gewiß nicht zu Ihnen gekommen. Ich stehe als Vertreter jener Macht vor Ihnen, die von allen gesitteten Menschen anerkannt wird – des öffentlichen Rechts und der Gerechtigkeit.«
»In Ihrer Eigenschaft als Friedensrichter?« fragte der Prinz, indem er einen Blick auf die Besuchskarte warf.
»Ich befinde mich unter einer Maske hier in Bombay, da ich, um mein Ziel zu erreichen, einer solchen bedarf. Mein wirklicher Name ist Doktor Hermann Schreyer. Ich bin Rechtsanwalt und lebe seit Jahren in Neuyork, wo ich in Rechtshändeln meine deutschen Landsleute vertrete. Ich befinde mich auf der Spur eines der größten Verbrecher unserer Zeit. Sie werden mit Recht denken, daß es nicht Sache eines Rechtsanwalts ist, Verbrecher zu verfolgen. Die Tatsache aber, daß der Mann, den ich verfolge, mehrere ungeheuerliche Verbrechen sozusagen in meiner Gegenwart verübte, hat mich gegen meinen Wunsch und Willen in das Amt eines Detektivs gezwungen. Wenn ich bei Ihnen das erreiche, was ich zu erreichen hoffe, werde ich Ihnen den Haftbefehl der Neuyorker Kriminalpolizei vorlegen.«
»Was erhoffen Sie bei mir zu erreichen?«
»Vorläufig nicht mehr, als Ihre Verschwiegenheit.«
»Die verspreche ich Ihnen hiermit.«
»Ich danke Ihnen, Hoheit. Der Verbrecher, den ich verfolge, heißt Ponks.«
Die Augen des Prinzen weiteten sich. Sein bronzefarbenes Gesicht bekam für einige Sekunden eine graue Färbung.
»Sie nennen da einen Namen, der mich zwingt, Sie um Ihre Ausweise zu ersuchen«, sagte er kalt.
»Die ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung stelle«, entgegnete Schreyer mit einer Verbeugung. »Bitte, Hoheit, sehen Sie diese Papiere durch.«
Der Prinz prüfte eines der Papiere nach dem anderen. Dann reichte er sie dem Besucher zurück.
»Danke. – Wessen wird Ponks beschuldigt?«
»Des dreifachen Mordes, begangen an dem Inspektor Bergson von der Farm Golden Hill bei Neuyork, Eigentum der Frau Elisabeth Darlington.«
»Warten Sie«, sprach der Prinz und faßte sich an die Stirn. »Ist das die Witwe des Großindustriellen James Darlington?«
»Ganz recht, Hoheit – jetzt meine Braut. Sie befindet sich hier in Bombay und ist jederzeit bereit, alle meine Angaben zu bestätigen. Den zweiten Mord verübte Ponks an einem Mitglied seiner Verbrecherbande, namens Rollin. Dieser Mann hat Ponks an einen Führer der irischen Bewegung namens O'Connel verraten, worauf Ponks, der von diesem Verrat Kenntnis erhielt, ihn vergiftete. Außerdem aber hat Ponks auch O'Connel ums Leben gebracht. Von dieser Mordtat habe ich erst gestern Kenntnis erlangt.«
Eine ganze Minute lang war es totenstill in dem Zimmer.
»Sie sprachen eben von einer Verbrecherbande, die von Ponks geleitet wird. Was verstehen Sie darunter?«
»Hoheit, die Verhältnisse zwingen mich dazu, ganz offen gegen Sie zu sein. Ich halte es für am besten, wenn ich Ihnen zusammenhängend berichte. Da muß ich denn mit dem Geständnis beginnen, daß ich Ihnen gegenüber eine im allgemeinen unerlaubte Handlung begangen habe. Sie werden mir aber verzeihen, wenn Sie bedenken, daß die Verfolgung des Verbrechers jeden Weg rechtfertigt, der zur Entlarvung der menschlichen Schädlinge führt.«
»Die Kriminalisten behaupten es«, sprach der Prinz mit einem leichten Heben seiner Schultern. »Ich bin nicht befugt, darüber zu urteilen. Doch von welcher unerlaubten Handlung mir gegenüber sprechen Sie?«
»Ich habe in einem Versteck der Sitzung beigewohnt, die Sie vor wenigen Tagen im Taj Mahal Palace-Hotel abgehalten haben.«
Der Prinz fuhr heftig von seinem Stuhle in die Höhe. Seine Augen sprühten. Doch diese Regung dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Vielleicht auch prallte sein Zorn an der unerschütterlichen Ruhe ab, die ihm aus den blauen Augen seines Besuchers entgegenblickte. Er ließ sich wieder auf den Stuhl nieder.
»Was haben Sie aus dieser Sitzung erfahren?«
»Alles. Ich kenne die Pläne, die Sie verfolgen. Aber ich bin kein Engländer, sondern Deutscher. Sie werden verstehen, daß Ihr Geheimnis bei mir in keiner Gefahr ist. Natürlich denke ich nicht daran, Ihnen aus dem Erlauschten irgendwelche Unannehmlichkeiten zu bereiten. Im Gegenteil, ich habe, um Sie vor unliebsamen Dingen zu bewahren, auf die Hilfe der britischen Polizei verzichtet und sehe nun zu, wie ich auf eigene Faust zu meinem Ziele komme.«
Der Prinz hob seinen Blick langsam zu dem Antlitz des Deutschen empor. Zum ersten Male mit einem leisen Ausdruck von Freundlichkeit.
»Ich muß Ihnen nun leider sagen, Hoheit, daß Ihr Unternehmen ganz von Anfang an zum Tode verurteilt ist.«
»Warum?« stieß der Prinz hastig hervor.
»Weil der Schurke Ponks nicht im entferntesten daran denkt, von den Plänen, die er Ihnen vorlegte, auch nur einen kleinen Teil zur Durchführung zu bringen. Vielmehr hat er keinen anderen Plan, als die ungeheure Summe, an deren Aufbringung jetzt gearbeitet wird, in seine Tasche zu bringen und dann zu verschwinden.«
»Können Sie das beweisen?«
»Beweisen – nein. Wenn ich das könnte, wäre meine Aufgabe hier bei Ihnen wesentlich leichter. Aber ich darf aus dem, was ich über Ponks weiß, meine Schlüsse ziehen.«
»Verzeihen Sie, Herr Doktor, ich meine, das genügt denn doch nicht. Man kann einen oder auch mehrere Menschen töten, ohne darum ein Dieb zu sein – oder überhaupt ein minderwertiger Mensch.«
»Unter gewissen Vorbehalten gebe ich das zu, Hoheit«, nickte Schreyer. »Die Umstände aber, unter denen Ponks wenigstens eine seiner Mordtaten verübte, die, welche sich sozusagen unter meinen Augen abspielte, sind derart, daß auch Sie, Hoheit, schwerlich geneigt sein werden, den Mörder zu verteidigen.«
»Bitte, erzählen Sie.«
Darauf schilderte Schreyer dem gespannt lauschenden Prinzen das Drama von Golden Hill. Sein Zuhörer saß unbeweglich. Anfänglich waren seine nachttiefen Augen fest und unverwandt auf das Gesicht des Besuchers gerichtet. Allmählich aber zog sich sein Blick, wie gepeinigt von den Dingen, die sich da entrollten, in die eigene Seele zurück. Sein Kopf sank immer tiefer auf die Brust und Schreyer bemerkte, wie die Nägel seiner Hände sich tief in die Handflächen eingruben.
»Halten Hoheit diese Tat für eine solche, die auf das Verständnis oder die Verzeihung seitens eines Ehrenmannes Anspruch erheben kann?«
Der Prinz erhob sich und machte einige Schritte hin und her. Dann blieb er vor seinem Besucher stehen, der sich ebenfalls erhoben hatte.
»Was verlangen Sie von mir?« stieß er zwischen fest aufeinander gebissenen Zähnen hervor.
»Nicht viel, Hoheit. Vor allen Dingen keinerlei tätige Hilfe, bis Sie selbst sich dazu gedrängt fühlen. Ich verstehe, daß Sie sich Ponks gegenüber in einer mehr als eigentümlichen Lage befinden. Ponks ist ein verschlagener, intelligenter Verbrecher und hat es verstanden, sich bei Ihnen mit einem Mantel von Vertrauenswürdigkeit zu bekleiden. Sie wissen im Augenblick nicht, wem Sie glauben sollen, dem scheinbar erprobten Vertrauten Ponks oder dem Fremden, der in dieser Stunde zum ersten Male in Ihren Weg tritt. Weil ich das verstehe, möchte ich vorläufig gar nicht den Versuch machen, Sie um Hilfe zu bitten. Nur bitte ich um Duldung.«
»Wie verstehen Sie das?«
»Ich weiß, Hoheit, daß Sie dieser Tage mit Ihren Gästen auf Ihre Besitzung in den Bergen reisen. Ich bin fest entschlossen, die beiden Verbrecher – ich halte nämlich Sanders für den Spießgesellen von Ponks – zu ergreifen, wo ich sie finde.«
»Sie kennen also den Aufenthaltsort der beiden nicht?«
»Leider nicht, sonst hätte ich sie schon verhaftet.«
»Und Sie wissen auch nicht, wo sie sich in dieser Stunde befinden?« fragte der Prinz mit einem durchdringenden Blick in die Augen Schreyers.
»Natürlich nicht, Hoheit. Aber ich weiß, wo Ihre Besitzungen sich befinden. Dort werde ich auch Ponks finden. Und das ist meine Bitte an Sie: meine Pläne nicht zu durchkreuzen, mir nichts in den Weg zu legen, mich auch nicht zu kennen, wenn wir uns demnächst in der Einsamkeit der Wildnis begegnen sollten.«
Der Prinz saß lange schweigend und starrte regungslos auf einen Punkt. Schreyer sah deutlich, was in seiner Seele vorging und wartete geduldig, bis jener sprechen würde. Endlich erhob der Prinz den Kopf und heftete seinen Blick fest auf das Gesicht seines Besuchers. Schreyer sah, wie es in den dunklen Augen des Inders funkelte.
»Ich weiß augenblicklich noch nicht, wie ich mich innerlich zu Ihrem Entschluß stellen soll. Ich habe mich immer für einen Menschenkenner gehalten, doch dieser Fall wirft meine Kunst, Menschen zu beurteilen, über den Haufen. Ich war so fest davon überzeugt, in Ponks einen tadellosen Ehrenmann vor mir zu haben, daß es mir selbst jetzt noch sehr schwer fällt, mich zu einem anderen Glauben durchzuringen. Alles was Sie sagen – ich gebe es unumwunden zu – macht auf mich den Eindruck vollster Wahrheit. Und doch kann ich Ponks jetzt noch nicht fallen lassen. Aber ich will mehr tun, als Ihre Bitte erfüllen, wenn Sie mir in einem Punkt entgegenkommen wollen.«
»Um was handelt es sich, Hoheit?«
»Sie werden verstehen«, sprach der Prinz mit einem rätselhaften Lächeln, »daß ich einigermaßen gespannt bin, ob Ponks tatsächlich die Absicht hat, an mir einen so ungeheuerlichen Betrug zu verüben, wie Sie vermuten. Diese Frage würde nie aufgeklärt werden, wenn Sie jetzt Ihre Hand auf Ponks legen würden. Geben Sie ihm also Zeit, sich in dieser Beziehung selbst zu entschließen. Dagegen verspreche ich Ihnen, daß ich von dem Augenblick an, da Ihr Verdacht auch nur die leiseste Bestätigung erhält, Ihr eifrigster Mitarbeiter sein werde. Bis dahin stelle ich Ihnen ein kleines Jagdhaus, das eine Viertelstunde von meiner Besitzung entfernt liegt, als Wohnung zur Verfügung.«
Schreyer überlegte ein paar Sekunden lang.
»Wie nun, Hoheit, wenn sich herausstellt, daß ich recht hatte? Werden Sie sich dann erinnern, daß nicht Sie, sondern Amerika das erste Anrecht auf den Verbrecher hat?«
»Ich werde mich dessen erinnern und Ihnen nichts in den Weg legen, Ponks hinzubringen, wohin es Ihnen beliebt.«
»Auch lebendig, Hoheit?« fragte Schreyer.
Der Prinz zögerte einen Augenblick mit der Antwort.
»Ja – auch lebendig«, antwortete er dann mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Wir haben in Indien Strafen, die unaussprechlich fürchterlich sind, ohne daß sie den Menschen töten. Ist Ponks der Verbrecher, als den Sie ihn mir schildern, dann wird er diese Strafen kennen lernen. Dann erst kommen Sie an die Reihe.«
»Sie sind der dritte, Hoheit, der das Recht der ersten Rache für sich in Anspruch nimmt«, sprach Schreyer ernst. Und auf den fragenden Blick des Prinzen fuhr er fort: »Sie wissen, daß sich unter dem Personal Ponks' eine Dame befindet?«
»Gewiß, Miß Ria Pombal. Sie hat die Reise hierher mit uns gemacht und ist die Vertraute von Ponks.«
»Nun, Hoheit, wenn Sie einen Zeugen für das brauchen, was ich Ihnen sagte, dann lesen Sie bitte diesen Brief.«
Er nahm den Brief der Ria Pombal aus seiner Brieftasche und überreichte ihn dem Prinzen.
»Diesen Brief erhielt Frau Darlington am Abend desselben Tages, an dem Sie mit Ihren Begleitern Neuyork verließen. Gestern trafen wir Ria Pombal bei den Türmen des Schweigens. Wir sprachen miteinander. Sie kennt nur einen Wunsch und ein Gefühl, Ponks mit eigener Hand zu töten.«
»Mein Gott, warum das?«
Schreyer schilderte kurz die Lebensschicksale des unglücklichen jungen Weibes und die Art, wie sie zu solchem Haßgefühl gegen Ponks gekommen war.
»Das sind entsetzliche Dinge«, murmelte der Prinz. »Mein Glaube an diesen Mann wird mehr und mehr erschüttert. Dennoch will ich gerecht gegen ihn bleiben und mir selbst die Beweise verschaffen.«
»Gut, Sie werden diese Beweise erhalten. Sie hätten sie auch erhalten, wenn ich nicht zu Ihnen gekommen wäre. Doch jedenfalls zu spät. Nun Sie gewarnt sind, wird es Ponks schwerfallen, unbemerkt zu verschwinden.«
»Darüber machen Sie sich keine Sorge. Herr Ponks wird von dieser Stunde an keinen Schritt mehr tun, der unbewacht ist.«
»Das beruhigt mich. Jetzt möchte ich nur noch wissen, wann die Übersiedlung ins Gebirge stattfinden wird.«
»Vermutlich übermorgen. Wann gedenken Sie das Jagdhaus zu beziehen?«
»Wenn möglich, schon morgen. Ich möchte dort den Boden für mich vorbereiten, bevor Sie mit Ihren Gästen eintreffen.«
»Aha, ich verstehe. Ich gebe Ihnen eine schriftliche Mitteilung an meinen Hausmeister Pandani mit, damit er alle Ihre Wünsche erfüllt.«
»Das ist weit mehr, als ich von diesem Besuch zu erhoffen gewagt hatte«, sprach Schreyer, indem er sich erhob. »Ich danke Ihnen verbindlichst, Hoheit.«
Der Prinz reichte seinem Besucher die Hand und geleitete ihn bis zur Türe. Dann kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück und ließ sich vor seinem Schreibtisch nieder. Sein Vorgefühl hatte ihn nicht getäuscht: jener Mann, der eben von ihm gegangen war, hatte einen schweren Sturm in seine Seele geworfen. Die Darstellungen Schreyers hatten auf ihn den Eindruck lauterster Wahrheit gemacht. Manches, das ihm im Wesen von Ponks bisher nur sonderbar erschienen war – so seine Abneigung, von Neuyork an oder im weiteren Verlaufe der Reise einen Dampfer zu benutzen – fiel ihm ein und erschien ihm nun in ganz anderer Beleuchtung. Und doch – seiner durchaus ehrenhaften und lauteren Natur ging es nicht ein, daß ein Mensch mit so gewinnendem Wesen und angenehmen Umgangsformen so ungeheuer verdorben sein sollte. –
*
Als der Prinz die beiden Abenteurer verlassen und sich zu seinem Besucher ins Haus begeben hatte, wandte Sanders sich mit der Frage an Ponks:
»Was hältst du eigentlich von dieser komischen Sache?«
Ponks zog seine Schultern hoch und lachte. Doch sein Lachen klang nicht ganz natürlich.
»Was soll ich davon halten! Diese Hoheit, die sich in Amerika so wirklichkeitsnahe wie jeder andere vernünftige Mensch gezeigt hat, scheint hier in seiner Heimat ganz merkwürdige Anlagen zur Hellseherei zu bekommen. Wenn das nicht ein dummer Zufall oder ein geschicktes Theater war, dann – ist es vielleicht – ein bißchen peinlich.«
»Verflucht, das will ich meinen!« stimmte Sanders zu. »Du, mir scheint beinahe, du bist dieses Prinzen ein bißchen zu sicher gewesen. Du hieltest ihn für naiv, aber er scheint alles andere als dumm zu sein.«
Ponks warf einen schnellen Blick um sich.
»Wenn er wirklich so hellseherisch und seelendurchdringend ist, wie man nach diesem Fall glauben könnte, dann kommt diese Gabe entweder zu früh – oder zu spät.«
»Für uns zweifellos zu spät«, stellte Sanders mißvergnügt fest.
»Eher für ihn«, zischte Ponks. »Jetzt steht unsere gemeinsame Sache nicht mehr auf seinem, sondern auf meinem Kopfe. Und wenn er – aber es ist ja wahnsinnig, sich solchen Gedanken hinzugeben. Der Prinz vertraut mir. War er nicht bis zu dieser Stunde unverändert herzlich zu mir?«
»Das war er. Wenn ich nur das verdammte Gefühl loswerden könnte, wir tanzten auf einem Vulkan!«
»Denkst du, das hätte ich nicht? Deshalb bin ich ja wie ein Narr dahinter her, daß das Geld so schnell wie möglich zusammenkommt.«
»Schön – und wenn es da ist, das Geld – was dann?«
»Wie, was dann?« fragte Ponks mit einem stechenden Bild auf den Genossen.
»Na ja, es muß doch mal davon gesprochen werden«, sagte der ein bißchen unsicher. »Ich habe mir schon oft den Kopf zerbrochen, auf welche Weise wir von hier fortkommen, wenn wir die Millionen in der Tasche haben.«
»Auf ganz einfache Weise. Zu Schiff natürlich.«
»Dann wird man uns sehr schnell beim Wickel haben.«
»Dummes Zeug! Es ist doch ein großer Unterschied, wer sich über eine Sache den Kopf zerbricht. Über diesen Punkt bin ich ganz ruhig.«
»Mir scheint, deine Erfolge haben dich leichtsinnig gemacht. Bedenke, daß wir hier nicht im Feuerland sind. Man hat in Indien Telegraphen.«
»Beruhige dich, das alles ist schon klar bei mir. Wir werden eine ganze Woche lang oder noch mehr unterwegs sein, bevor man uns vermißt. Derweil sind wir längst in Sicherheit – nach meinem Plan.«
»Na, ich weiß nicht«, brummte Sanders ungläubig. »Eine Gesellschaft von drei Personen –«
»Von zwei Personen«, berichtigte Ponks und verkniff ein Grinsen. »Ria Pombal wird nicht mit uns reisen.«
»Wie – du willst sie doch nicht hier lassen?« staunte Sanders.
»Doch. Solange noch jemand von uns hier ist, wird man kein Mißtrauen gegen die Abwesenden haben. Miß Pombal wird unsere Büros weiterführen, wenn wir auf und davon sind.«
»Na, gut, das geht eine Reihe von Tagen hindurch, aber am Ende muß doch die Geschichte herauskommen. Ria Pombal wird sich dafür bedanken, eine so faule Rolle zu spielen.«
»Denkst du denn, ich wäre so dumm, ihr das vorher zu sagen? Sie muß von unserem endgültigen Verschwinden ebenso überrascht sein wie der Prinz und die anderen.«
»Also du willst sie einfach im Stich lassen, ganz gleichgültig, was daraus wird! Und das arme Mädchen wird eines Tages gänzlich hilflos auf den Straßen der fremden Stadt umherirren –«
»Das wäre dann ihre eigene Schuld.«
»Wieso ihre eigene Schuld?«
»So ein hübsches Mädel? Wenn sie nur ein bißchen geschickt ist, braucht sie nicht hilflos umherzuirren.«
»Du, das ist eine Gemeinheit! Eine bodenlose Niedertracht!« entrüstete sich Sanders.
Ponks stieß ein Gelächter aus.
»Bist du unter die Moralisten gegangen oder hast du dich in unsere Ria verliebt?«
»Keines von beiden, aber – kurz, es wäre gemein. Das arme Mädchen hat es nicht um dich verdient, daß du es auf das Straßenpflaster wirfst.«
»Du, laß das meine Sache sein«, knurrte Ponks in einem gefährlichen Ton. »Du hast keine Ahnung, was dieses Weib um mich verdient hat.«
»Aber mir tut sie leid!« trumpfte Sanders heftig auf. »Jawohl! Und ich bin kein Lumpenhund! Und es ist eine Gemeinheit, wenn man mit den Menschen, die einem gedient haben, Schindluder treibt! Jawohl!«
Ponks hielt es nicht für nötig, auf diese temperamentvolle Erklärung zu antworten. Er blies Ringel in die Luft. Nach einer Weile aber wandte er Sanders sein Gesicht zu und sagte, indem er ihn mit einem bösen Blick betrachtete:
»Du, ich will dir mal was sagen: nimm dich in acht, der Pombal etwas von meinen Plänen anzudeuten! Junge, das würde für dich eine verdammt miese Sache werden!«
Sanders ging in seinem Stuhle steil hoch. Rot stieg es ihm in die Stirne. Jetzt war der Ehrenmann aber ernstlich geladen.
»Ich verbitte es mir, daß du mich andauernd wie einen Schulbuben anschnauzt! Was soll denn das heißen? Wer bin ich denn? Etwa dein Kammerdiener oder so was? Du bildest dir doch nicht ein, ich sei von dir abhängig, wie? Das beruht nämlich auf Gegenseitigkeit, wenn du dir das gütigst merken willst.«
Ponks betrachtete seinen Freund mit größtem Erstaunen von oben bis unten.
»Sieh an – Palastrevolution! Du, was willst du mit diesen merkwürdigen Worten eigentlich sagen?«
»Ich will damit sagen, daß ich deine ewigen Schurigeleien verdammt leid bin!« sprudelte Sanders unüberlegt hervor. »Du scheinst nicht daran zu denken, daß du ebenso von mir abhängst, wie ich von dir.«
»Willst du nicht so freundlich sein, mir zu erklären, inwiefern ich von dir abhänge?« fragte Ponks liebenswürdig.
»Gewiß, sehr gern!« rief Sanders hitzig. »Stell dir mal den Fall vor, ich hätte eines Tages keine Lust mehr, dich in deinen Geschäften zu unterstützen und suchte mir eine andere Stellung – zum Beispiel beim Prinzen Rami –«
»Genügt schon«, sagte Ponks kalt und winkte ab. »Das wollte ich nur hören. Also eine glatte Drohung mit Verrat! Ausgerechnet jetzt, da wir vor dem Abschluß riesiger Geschäfte stehen! Du erbärmlicher Kerl, den ich aus dem Straßendreck herausgezogen habe –«
»Oho, erlaube mal!« fuhr Sanders wütend auf.
»Halt's Maul!« schnauzte Ponks ihn an. »Ist es nicht so? Denkst du nicht mehr an den Abend in Neuyork, wo ich dich fand, in einer Spelunke, wo du aus Jammer und Elend dich vergiften wolltest? Du wärest längst vermodert und vergessen, wenn ich dich nicht gerettet hätte. Ich führte dich in meine Unternehmungen ein. Machte dich zu einem reichen unabhängigen Mann. Und jetzt? Pfui Teufel! Weißt du noch, was du damals unterschrieben hast? Denke an das Schicksal Rollins! Schon die Absicht, der Gedanke an Verrat ist eine Lebensgefahr für dich.«
»Wer spricht denn von Verrat!« brummte Sanders, der inzwischen zu der Erkenntnis gekommen war, daß er sich vergaloppiert hatte mit seiner unzeitgemäßen Entrüstung. »Ich denke gar nicht an Verrat, das kannst du mir glauben.«
»Du hast mir gedroht. Das werde ich dir nie vergessen. Jetzt bin ich gewarnt und werde meine Maßregeln danach ergreifen.«
»Sei kein Narr, Ponks!« rief Sanders begütigend. »Ich sehe ein, daß ich Unsinn geschwatzt habe. Das Mitleid mit dem dummen Frauenzimmer hat mich dazu verleitet.«
Ponks unterdrückte ein Lächeln des Triumphes. Doch er sagte nichts. Noch weniger zeigte er seinem Spießgesellen eine versöhnliche Miene. Er kehrte den Schwerbeleidigten heraus. Sanders fühlte sich äußerst unbehaglich. Eben dachte er an die Möglichkeit, Ponks könnte ihn ebenso hier sitzen lassen, wie Ria Pombal. –
Bevor zwischen den beiden eine bessere Stimmung eingetreten war, ertönte auf dem Gartenkies ein leichter Schritt. Es war der Prinz, der schweigend seinen Platz wieder einnahm. Er war ruhig und seine Miene undurchdringlich wie immer. Und doch glaubte Ponks, der ihn mit einem schnellen, scharfen Blick musterte, eine leichte Veränderung an ihm wahrzunehmen. Mit diesem einen kurzen Blick überzeugte er sich, daß es kein gleichgültiger Besuch war, der eben den Prinzen verlassen hatte. Gar zu gerne hätte er hierüber etwas erfahren, doch er war zu klug, um zu fragen. Diese Klugheit besaß Sanders nicht. Und es dauerte nicht lange, da platzte er mit der Frage heraus:
»Nun, Hoheit, hat Ihre Vermutung sich bestätigt?«
Der Prinz zögerte ein paar Sekunden mit der Antwort.
»Ich habe mich in keiner Weise geirrt«, sagte er dann langsam und leise. »Die Nachricht, die ich erhielt, war für mich von großer Wichtigkeit – und äußerst unangenehm.«
»Oh, das tut mir sehr leid. Bezogen sich diese Nachrichten auf politische Angelegenheiten – oder – hatten sie mehr einen persönlichen Charakter?«
Der Prinz lehnte die Beantwortung dieser unverschämten Frage auf höchst feine Weise dadurch ab, daß er sagte: »Es wäre nicht höflich von mir, wenn ich meine Gäste mit unangenehmen Privatangelegenheiten belästigen würde. Übrigens scheint mir, wir werden eben zu Tisch gerufen. Darf ich bitten, meine Herren!« –
Am anderen Morgen in aller Frühe reiste der Prinz, nur von seinem getreuen Kammerdiener begleitet, ins Gebirge. Seinen darob äußerst erstaunten Gästen hatte er sagen lassen, er sei vorausgeeilt, um alles für ihre Ankunft vorzubereiten.