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24.

Die Sonne war untergegangen und im Urwald begann das vielgestaltige Leben der Nacht. In der Palmengruppe, umsponnen von blühenden Ranken, saß Ria Pombal. Sie saß fast noch in der gleichen Haltung wie zu der Zeit, da sie den Boten zu Ponks geschickt hatte, obwohl inzwischen Stunden über sie hinweggegangen waren, Stunden glühender tropischer Hitze. Um die sinnende Frau spannen sich die Zauber der indischen Urwald-Frühlingsnacht. Mit der Sonne war auch die Hitze gewichen. Eine wundersam weiche Kühle wehte über die von dem glühenden Glast befreite Wildnis. Unbeweglich standen die Bäume, Büsche und Gesträuche. Alles blühte, und ein schwüler Hauch betäubender Düfte wallte durch den schweigenden Wald. Dann aber erhoben sich die Geräusche der Nacht. Die Luft erzitterte unter dem Gezirpe unzähliger Grillen. Und allmählich begann es sich überall in dem Dunkel zu regen.

Nun erwachten auch die Sinne der einsamen Frau für die Stimmen der erwachenden Natur. Sie schrak aus ihrem finsteren Brüten empor und lauschte auf die rätselhaften Töne des nächtlichen Urwalds. Sie hörte das Geschrei unzähliger Affen und kreischende Nachtvogelrufe. Schakale kläfften fern und nah. Schleichende Geräusche in nächster Nähe ließen die Frau entsetzt zusammenfahren. Ein großer Nachtfalter ließ sich leise auf ihre Hand nieder, die weiß wie ein Blütenblatt in ihrem Schoße lag. Der Flügel einer Riesenfledermaus streifte ihre Wange. Allmählich kam über sie, die seit Stunden mit Todesgedanken rang, das Grauen ihrer Einsamkeit.

Plötzlich fiel ein heller zitternder Fleck vor sie auf den Boden. Sie blickte hastig empor. Die runde Scheibe des Vollmondes war über die Wipfel der Bäume heraufgestiegen. Größer ward der Fleck. Über die Maßen gespenstisch erschien der einsamen Frau dieses unirdisch grünliche Licht, das in die dichte Finsternis zu ihr hereindrang.

Das Geräusch eines leichten Schrittes ließ sie zusammenfahren. Sie erhob den Kopf, doch es war zu dunkel, um auch nur das geringste zu sehen.

»Ist jemand da?« fragte sie mit leise bebender Stimme.

»Ich bin's, Memsahib – Kurullu«, antwortete eine leise Stimme. Zugleich flammte ein Licht empor. Der Eingeborene hatte eine in Wachs getauchte Kienfackel in Brand gesetzt. In dem unruhig flackernden Licht sah Ria, daß Kurullu einen Korb aus geflochtenen Binsen, mit einem Deckel fest verschlossen, bei sich trug.

»Hast du, was ich brauche?« stieß sie hervor.

»Ja, fünf Stück. Und jede einzelne ist furchtbar«, flüsterte der Diener.

»Um so besser. Wo ist der weiße Sahib jetzt?«

»Auf der Jagd. Mit seinem Freund und drei Dienern. Sie können aber jeden Augenblick zurückkehren.«

»Dann laß uns eilen, daß wir vor ihnen da sind.«

»Es ist gefährlich, Memsahib«, flüsterte Kurullu. »Hörst du nicht die Stimme des Panthers? Er hat Hunger und sucht eine Beute – ha – hörtest du es? Laß uns hierbleiben, Memsahib, und ein großes Feuer anzünden!«

»Unsinn! Du hast eine Kienfackel. Geh mit dem Pferd voraus! Ich werde den Korb tragen.«

Kurullu tat nach dem Befehl. Die brennende Fackel um seinen Kopf schwingend, trat er mit dem unruhigen Pferde durch den Rankenvorhang. Ria Pombal folgte ihm auf dem Fuße. Hastig schritten sie auf dem weichen Moosboden dahin.

Plötzlich wandte Kurullu sich um.

»Memsahib, sei ja mit dem Korbe vorsichtig!« flüsterte er. »Wenn der Deckel sich öffnete, wär es dein sicherer Tod!«

»Keine Sorge! Nur vorwärts!«

Bald darauf erreichten sie den Waldrand. Auf einem schmalen Pfad erreichten sie das Hinterpförtchen in der Palisadenwand, zu dem Kurullu sich den Schlüssel besorgt hatte. Er öffnete das Tor und beide traten in den Park. Der Mond stand in vollster Klarheit am Himmel und übergoß alles mit einem zauberhaften grünlichen Licht.

Vor den beiden nächtlichen Wanderern tauchte im Gebüsch der Bungalow auf, in dem Ponks wohnte. Beide blieben stehen und lauschten in die Stille hinein. Kein Laut. Das Haus lag dunkel und tot.

»Der Sahib ist noch nicht von der Jagd zurück«, flüsterte Kurullu. »Warte hier auf mich, Memsahib.«

Geräuschlos huschte er die hölzerne Treppe hinauf, die in das Innere des Bungalows führte. Eine Minute verstrich. Dann tauchte der Hindu im Mondlicht wieder auf.

»Der Korb steht im Schlafzimmer des Sahib«, zischelte er. »Wenn du den Deckel aufhebst –«

»Schon gut«, winkte Ria herrisch ab. »Geh jetzt und besorge das Pferd. Ich werde mich schon zurechtfinden.«

Wie ein Schatten verschwand der Hindu im Dunkel der Nacht. Ria Pombal war allein. Zögernd ging sie auf den Bungalow zu. Langsam setzte sie den Fuß auf die erste Stufe. Zum ersten Male in all diesen Stunden kam es über sie wie Unentschlossenheit – nun, da sie dicht vor der Ausführung einer ungeheuerlichen Rachetat stand. Ein unklares Gefühl, das sie von dieser Schwelle zurückscheuchte, kam über sie.

Da zuckte sie heftig zusammen. Sie glaubte auf den Wegen des Parkes einen leisen Schritt gehört zu haben. Hastig, wie auf der Flucht, eilte sie die wenigen Stufen hinan und verschwand im Innern des Hauses.

Hier war sie von vollkommener Dunkelheit umgeben. Eine ganze Minute lang stand sie und lauschte. Ihr Herz pochte in hörbaren Schlägen. Doch im Hause regte sich nichts. Da zog sie eine elektrische Taschenlampe hervor und schaltete das Licht ein. Ein dünner, scharfer Strahl erhellte den Raum. Sie blickte umher. Sie befand sich in einem kleinen, hübsch möblierten Raum, halb Wohn-, halb Arbeitszimmer. Die Tür zum Nebenzimmer stand weit offen. Ria warf einen Blick hinein. Es war das Schlafzimmer. In einem Winkel des Gemaches stand das Lager, von einem dichten Moskitonetz umgeben.

Ein zerrissenes, irres Lächeln verzerrte das leichenhaft starre Gesicht des jungen Weibes. Sie nahm den Korb, den Kurullu inmitten des Zimmers niedergestellt hatte, hob ihn auf das Bett und begann mit hastigen Händen die Verschnürung zu lösen, die den Deckel befestigte. Der Korb war mit frischen Blättern und Gras angefüllt und machte so einen durchaus harmlosen Eindruck. Wie gebannt starrte Ria, in der einen Hand die Lampe, die den scharfen Strahl auf das Innere des Korbes richtete, auf den geheimnisvollen Inhalt, der sich plötzlich zu regen begann. Ein leises, scharfes Zischen ertönte – ein seltsamer, geheimnisvoller, unheimlicher Laut, der auch in dem Ohre des Nichtkundigen wie eine Warnung vor entsetzlicher Gefahr geklungen hätte.

Plötzlich fuhr Ria Pombal einen Schritt zurück. Eine mächtige Kobra hob ihren häßlichen aufgeblähten Kopf aus dem Blätterwerk hervor. Bösartig züngelte sie dem scharfen Lichtstrahl entgegen. Ria wich mit einem leisen Aufschrei zurück – die Lampe entglitt ihrer Hand.

Da vernahm sie auf der hölzernen Treppe des Bungalows einen hastigen Schritt – dann im Vorzimmer –

Sie wollte in einen Winkel des Gemaches flüchten, doch ihre Füße waren wie gelähmt und sie vermochte nicht, sich von der Stelle zu bewegen.

Da flammte das elektrische Licht auf. Strahlende Helle erfüllte das Zimmer. Auf der Schwelle stand Ponks.

»Ah!«

Ein kurzer, überraschter, scharfer Ausruf – dann stand er dicht vor dem wie versteinert dastehenden Weibe und ergriff mit festem Druck ihre Hand.

»Ria Pombal – Sie hier? – Was machen Sie hier? Sie sehen mich erstaunt.«

Totenbleich war ihr Antlitz.

»Ria Pombal, ich frage Sie, was Sie hier machen? Wer hat Sie geheißen, hierherzukommen?«

Ihre Lippen blieben fest verschlossen. Nur ihre Augen sprachen. Und was sie sprachen, das war Zorn, Haß, Wut, Verachtung. Und unbändige Rachsucht. Was sie geplant hatte, das erkannte Ponks noch nicht, denn Rias Körper verdeckte ihm die Aussicht auf das Bett und auf den Korb, aus dem sich langsam, mit fürchterlicher Heimlichkeit, fünf große Kobras hervorringelten.

»Königin der Finsternis« nennt der Hindu diese Giftschlange, deren Biß unabwendbaren Tod bringt.

»Sie wollen nicht sprechen. Gut, ich werde Sie zwingen«, sagte Ponks mit leiser Stimme. »Ich glaube fast, ich weiß, wie ich Ihre Miene zu deuten habe. Ich ahne die Absicht, die Sie zu mir geführt hat.«

Er trat ganz dicht zu ihr heran, so daß ihre Körper sich berührten. Sie erhob abwehrend die Hände gegen ihn, doch er ergriff sie bei den Gelenken und preßte sie so fest, daß sie einen Schmerzensschrei ausstieß.

»Lassen Sie los – Sie Verbrecher – Mörder – oder –«

»Ah, das ist ja eine ganz neue Sprache, die Sie gegen mich führen. Ich war also auf dem richtigen Wege. Sie scheinen aber ganz vergessen zu haben, daß wir hier in der Wildnis sind, meine Schönste. Hier herrscht nur ein Gesetz, wie der Stärkere es vorschreibt. Und von uns beiden bin wohl ich der Stärkere.«

Langsam drängte er sie gegen sein Bett. Sie wehrte sich mit aller Kraft. Doch gegen seine Stärke war sie völlig wehrlos. Ihr Widerstand aber entflammte Ponks zu plötzlich hervorbrechender Wut.

»Jetzt reden Sie endlich, wenn Sie nicht wollen, daß ich Sie erwürge!« brüllte er, alle Vorsicht vergessend, und versuchte sie auf das Bett, auf dem der Schlangenkorb stand, niederzudrücken.

»Hilfe – Hilfe!« kreischte sie. Messerscharf durchschnitt der Schrei die Stille der Nacht.

Da griff Ponks blitzschnell mit der einen Hand nach ihrer Kehle, fuhr aber mit einem rauhen Aufschrei des Entsetzens zurück. Seine Hand hatte ein kaltes, bewegliches Etwas berührt. Blitzschnell erwachte er aus dem Taumel seiner Wut. Er erkannte die ungeheure Gefahr, in der er und das Weib schwebten. Ein scharfes Zischen ertönte. Blitzschnell fuhr der Kopf einer Kobra gegen die Hand der quer über dem Bett liegenden, krampfhaft nach Atem ringenden Frau. Ein schriller Aufschrei voller Entsetzen.

Ria Pombal taumelte empor. Ein großer roter Blutstropfen lag wie ein Rubin auf dem weißen Fleisch ihres Handgelenks. Mit verglasten Augen stierte Ponks auf die winzige Wunde. Er wußte, was sie zu bedeuten hatte. Wie ein Blitz fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, daß diese Frau noch zu retten war. Er hatte einen Schlangenstein in der Tasche. Er brauchte ihn nur auf die Wunde zu pressen, so saugte der Stein das Blut mit dem verhängnisvollen Tropfen Gift aus der Wunde heraus. Mit wirbelnder Schnelligkeit flogen die Gedanken durch sein Hirn. Rettete er sie, dann hatte er in Zukunft an ihr ein blind ergebenes Werkzeug. Vielleicht! Ließ er sie sterben, dann war er von einer lästigen Mitwisserin vieler dunkler Taten befreit, ohne dadurch sein eigenes Schuldkonto noch mehr zu belasten.

Wo lag da sein Vorteil?

Und schon tastete seine Hand unwillkürlich nach dem Schlangenstein.

Und mit jedem Bruchteil einer Sekunde trat der Tod, der schon grinsend in einem Winkel des Raumes stand, näher an sein Opfer heran.

Starr und unbeweglich stand Ria Pombal und blickte wie gebannt auf die unscheinbare Wunde an ihrem Handgelenk dicht neben der Pulsader. Sie vermochte nicht zu glauben, daß dieser winzige Stich sie am Leben treffen würde. Sie wollte spöttisch auflachen. Da rieselte ein leises Zittern durch ihre Glieder. Ein Schwindel erfaßte sie. Für Sekunden war ihre ganze Denktätigkeit gelähmt. Es war ihr, als stocke der Schlag ihres Herzens. Etwas Unaussprechliches, Geheimnisvolles, aber Furchtbares arbeitete in ihrem Blute. Etwas, das ihren Blick trübte und einen Schleier um sie spannte.

Plötzlich aber sah Ria Pombal in diesem unklaren Dämmern, das um sie wob, das starrende, gespannte Gesicht von Ponks. Da strafften sich mit einem Ruck ihre Lebensgeister. Noch einmal raffte sie all ihre Energie zusammen.

»Mörder!« gellte ihr Schrei durch die Stille. »Vielfacher Mörder, stirb mit mir!«

Mit blitzschnellem Griff erfaßte sie eine der Schlangen und schleuderte sie Ponks ins Gesicht. Doch der Wurf war nicht günstig. Ponks ward wohl von dem Körper, doch nicht von dem Biß der Schlange getroffen. Das Reptil ringelte an seinen Kleidern herab zu Boden, bevor es seinen verhängnisvollen Biß anbringen konnte. Im nächsten Augenblick lag es zertreten zu den Füßen des Mannes, der in diesem Augenblick fürchterlicher Gefahr seine ganze Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte. Er griff nach einem derben Knotenstock und mit einigen geschickten Schlägen hatte er auch die anderen Schlangen unschädlich gemacht.

Darüber ertönten hastige Schritte. Sanders, gefolgt von zwei Dienern, stürzte in das Zimmer. Ihnen folgte auf dem Fuße der Prinz. Als Sanders Ria Pombal erblickte, stand er starr und schaute fragend von einem zum anderen. Ponks aber nahm nicht die geringste Notiz von ihm. Er wollte sich mit einer Erklärung an den Prinzen wenden, doch dieser schob ihn kurz zur Seite. Mit einem Blick hatte er die Lage erkannt, eilte zu Ria Pombal und fing die Umsinkende mit seinen Armen auf. Vorsichtig legte er sie auf das Bett nieder, nahm die Hand und warf einen prüfenden Blick auf die Wunde. Dann rief er den Dienern ein paar hastige Worte in der Sprache seines Landes zu. Diese eilten fort.

Noch einmal prüfte der Prinz die Wunde, schüttelte düster den Kopf und zog ein feines Messerchen hervor. Mit zwei geschickten Schnitten öffnete er die Wunde, die nur aus einem winzigen Punkt mit schwarzen Rändern bestand. Nun trat auch Ponks heran.

»Ist noch Hoffnung?« fragte er heiser.

Der Prinz antwortete nicht. Aufmerksam und gespannt blickte er auf die Wunde, denn jetzt mußte es sich herausstellen, ob die Verletzte noch zu retten war oder nicht. Sprudelte das Blut frisch und rot aus der Wunde, dann durfte man noch hoffen.

Der Prinz hatte inzwischen einen kleinen flachen Stein aus der Tasche genommen und auf die Wunde gelegt. Doch sein Gesicht wurde immer düsterer. Der Stein sog sich nicht voll Blut. Langsam traten ein paar Tropfen Blut aus den Einschnitten, doch es war schwärzlich und trug bereits die Anzeichen der Zersetzung.

Mit einem bedauernden Achselzucken erhob sich Prinz Rami.

»Die Königin der Nacht hat ein weiteres Opfer«, sagte er leise. »Diese arme Frau muß sterben. Nichts kann sie retten.«

Eben eilten die beiden Diener herzu. Der eine brachte Whisky, der andere starken heißen Kaffee. Der Prinz versuchte, der Kranken etwas von beiden Flüssigkeiten einzuflößen. Da schlug diese langsam die Augen auf. Ein heftiger Krampf verzerrte ihr Gesicht.

»Was empfinden Sie?« fragte der Prinz.

»Schmerzen – entsetzliche Schmerzen!« wimmerte die Unglückliche. »Ich bin gelähmt – Glassplitter treiben durch meine Adern. Hoheit bitte – sagen Sie mir – muß ich sterben?«

Der Prinz schwieg. Er hatte nicht den Mut, die Frage zu beantworten.

»Sie schweigen – also – muß ich sterben!« jammerte Ria verzweifelt. »O Gott – sterben – bevor ich meine Rache genossen habe –«

»An wem wollten Sie sich rächen?« fragte der Prinz sanft.

»An ihm – Ponks!« stieß sie hervor. Ihre Zähne knirschten vor wahnsinnigen Schmerzen.

»Was tat Ihnen dieser Mann?«

»Aber Hoheit!« rief Ponks, vortretend, mit einem Ton des Vorwurfs, »Sie werden dem Geschwätz einer Hysterischen, die noch dazu unter der Folter eines etwas außergewöhnlichen Todes geistig zusammengebrochen ist, keine Bedeutung beimessen!«

»Mein Geist ist so klar wie der deine!« schrie die Sterbende mit einem Aufflackern ihrer letzten Kraft. »Hoheit – hören Sie mich an! – Ich – ich wollte – ihn töten – ihn, den Mörder – Dieb – Räuber – Fälscher – Betrüger – Ponks. Hoheit, hüten Sie sich – vor ihm. Auch Sie will er – Hilfe, Erbarmen, tötet mich –«

Ihr Kopf fiel auf die Seite. Ihre Zähne knirschten schauerlich aufeinander. Ein Schütteln, wie ein gewaltiger Frost, durchrüttelte ihren Körper. Noch einmal öffnete sie ihre Augen, versuchte zu sprechen, doch nur ein undeutliches Geräusch drang durch ihre fest aufeinandergebissenen Zähne hindurch. Da erhob sie mit letzter Kraft ihre Hand, den Finger anklagend und zugleich drohend auf Ponks gerichtet, die Augen mit dem brechenden Blick beschwörend das Auge des Prinzen suchend.

»Kann ich noch etwas für Sie tun?« fragte der Prinz erschüttert und beugte sich zu der Sterbenden hinab.

Sie stieß ein paar rauhe Laute hervor, immer noch in der seltsam beschwörenden Art, so als wollte sie den Prinzen zum Erben ihrer Rache machen. Plötzlich aber sank ihr erhobener Arm auf die Decke nieder, ein scharfes Zucken ging durch ihren Leib, wiederholte sich ein paarmal, ein letztes schwaches Ächzen.

Dann lag ihr Leib still und starr. Ria Pombal war tot.

*

»Wie kam das?« fragte der Prinz, als er eine halbe Stunde später mit Ponks in seinem Arbeitszimmer saß.

»Ich stehe selbst vor einem Rätsel, Hoheit«, versicherte Ponks, der inzwischen seine alte Kaltblütigkeit zurückerlangt hatte. »Als ich von der Jagd zurückkam, sah ich Licht in meinem Zimmer. Es erlosch, als ich den Bungalow betrat. Ich eilte ins Zimmer, schaltete das Licht ein – und fand Miß Pombal. In einem Zustand, der sofort bei mir die Vermutung hervorrief, daß ihr Verstand durch irgendein erschütterndes Erlebnis in Verwirrung geraten sein müsse. Darüber erlangte ich bald Gewißheit. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Unglückliche gekommen war, ein Attentat auf mein Leben auszuführen. Sie hatte sich einen Korb mit Schlangen verschafft und in mein Zimmer getragen. Hierbei überraschte ich sie, ohne sogleich die drohende Gefahr zu erkennen. Darauf entstand zwischen mir und der Frau eine sehr heftige Szene. Ria Pombal war bis zur Tollheit erregt, doch gelang es mir nicht, den Grund dieses Zustandes zu erkennen. Ich versuchte, sie zu beruhigen. Sie mißverstand aber meine Absicht, floh vor mir, stolperte über den Teppich, fiel auf mein Bett und der Schlangenkorb öffnete sich. Bevor ich es verhindern konnte, wurde die Ärmste von einer Kobra gebissen. Ich kann nur wiederholen, Hoheit, daß der Vorgang mir unverständlich ist.«

»Auch diese sonderbare plötzliche Geistesverwirrung der sonst so kühlen Frau?« fragte der Prinz mit einem durchdringenden Blick auf das Gesicht des Abenteurers.

»Das verstehe ich noch am ehesten«, log der mit erstaunlicher Kaltblütigkeit. »Frau Pombal ist Hysterikerin. Schon seit längerer Zeit habe ich erwogen, sie aus meinem Dienst zu entlassen, in der Sorge, sie könne durch einen törichten Streich unsere Sache in Gefahr bringen.«

»Warum haben Sie es denn nicht getan?«

»Weil ich auf eine günstige Wirkung des veränderten Klimas hoffte.«

»Und die Vorwürfe, die Miß Pombal Ihnen machte?«

Ponks lächelte nachsichtig und hob leicht die Schultern.

»Sie wissen, Hoheit, was man von den Vorwürfen eines Halbverrückten zu halten hat. Die Ärmste tut mir leid, darum verzeihe ich ihr. Ihr Schicksal beklage ich aufrichtig. Allerdings gestehe ich ehrlich, daß dieser Ausgang mich von einer gewissen Sorge befreit.«

»Ich bedaure den Fall auf das lebhafteste!« rief der Prinz mit einer Schärfe des Tons, die Ponks bei ihm noch nie wahrgenommen hatte. »Ich kann mich über den Tod dieser Frau nicht so leicht hinwegsetzen wie Sie. Wenn sie eine Gefahr für unser Unternehmen war, dann hätten sich gewiß noch andere Mittel gefunden als ihren Tod.«

Ponks flog förmlich von seinem Stuhle empor.

»Aber Hoheit – das klingt ja beinahe, als wenn Sie mich für diesen Unglücksfall verantwortlich machten!« rief er beinahe barsch.

»Ich habe das nicht gesagt«, erwiderte der Prinz kalt. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich jetzt ungestört über den peinlichen Vorfall nachdenken lassen wollten.«

Damit erhob er sich, neigte leicht den Kopf und trat in das Nebenzimmer. Ponks erblaßte vor Schreck und Wut. Ein paar Sekunden lang stand er regungslos und starrte auf die Türe, hinter der Rami verschwunden war. Es schien, als wolle er ihm folgen. Dann aber wandte er sich um und verließ das Gemach.

*

Schon in früher Morgenstunde stand Panja vor Elisabeth und Dr. Schreyer und berichtete mit der ruhigen, ergebungsvollen Schwermut der Kinder seines Landes, was sich gestern abend zugetragen hatte. Er war erstaunt, daß seine beiden Zuhörer diesen Fall so tragisch nahmen, ließ aber diese Verwunderung natürlich nicht merken. Ein Menschenleben ist dem Inder nichts Bedeutendes. Und die »finstere Königin« fordert täglich ihre Opfer. Immerhin ist es etwas anderes, ob ein armer, halbbekleideter Hindu diesen todbringenden Stich empfängt – oder ob eine weiße Memsahib einen ganzen Korb voll der gefürchteten Bestien in das Zimmer eines weißen Sahibs trägt. Panja war kein Dummkopf und wußte aus dem, was er gesehen und gehört, wie aus dem, was sein Schwager Nadir erlauscht hatte, für seine Herrschaft einen interessanten Bericht zusammenzustellen – und außerdem ein Bild der Sachlage, das der Wahrheit sehr nahekam. Panja, der auf seine Weise ein Philosoph war, hatte sich durch die letzten Vorgänge zu der Erkenntnis durchgerungen, daß die weißen Menschen, die sich immer als die Herren aufspielten, im Grunde ihres Herzens gar nicht so sehr viel anders seien als die farbigen. Diese Erkenntnis aber fügte er seinem Bericht nicht hinzu.

Kaum war Panja entlassen, als er hastig wieder hereingeschlüpft kam.

»Sahib, der Prinz!«

Schreyer bemerkte sofort, daß Ramis Miene ungewöhnlich ernst und auch ein wenig finster war. Dennoch begrüßte der Prinz den Doktor sehr herzlich. Sein Blick glitt durch das Gemach.

»Ich glaube soeben mit einem flüchtigen Blick das Gesicht der Mistreß Darlington am Fenster gesehen zu haben. Ich begreife, daß die Dame sich in ihrer durch die Umstände bedingten Verkleidung vor mir nicht sehen lassen möchte. Ich bitte Sie, Frau Darlington zu sagen, daß ich ihren Mut bewundere und mich freuen würde, sie bei besserer Gelegenheit in ihrer wahren Gestalt kennen zu lernen.«

»Ich werde meiner Braut diese Worte mit besonderem Vergnügen übermitteln«, versprach Schreyer.

»Nicht nötig!« ertönte eine Stimme. Elisabeth war durch den Teppichvorhang hereingetreten und bot dem Prinzen mit einem freimütigen Lächeln die Hand. Rami verneigte sich tief.

»Ich freue mich sehr, eine so mutige und entschlossene Frau kennen zu lernen. Es wäre mir sehr betrüblich gewesen, wenn Sie sich dauernd vor mir verborgen hätten. Aber ich verstehe Sie sehr gut. Sicher ist, daß Sie diese Verkleidung nicht mehr lange nötig haben. Sie haben schon gehört, was sich gestern abend ereignet hat?«

»Ja. Es ist eine richtige Tragödie.«

»Wissen Sie schon, daß Ponks verschwunden ist?«

»Wie, was – verschwunden? Wohin?« fuhr der Doktor elektrisiert auf.

»Vorläufig nach Bombay, wie ein Brief besagt, den er für mich zurückgelassen hat. Aber ich glaube mir diese Reise erklären zu können. Gestern abend nach dem Drama habe ich noch mit ihm gesprochen und er sagte mir nichts von seiner Absicht, nach Bombay zu reisen. Heute vor Morgengrauen ist er von hier fortgeritten.«

»Was aber mag ihn zu dieser fluchtartigen Reise bewogen haben?« fragte Elisabeth.

»Ich glaube fast, eine Unbesonnenheit von mir«, gestand der Prinz. »Ich war von dem gestrigen Drama so ergriffen, ich möchte fast sagen, erbittert gegen Ponks, daß ich nicht umhin konnte, ihm mein Mißtrauen gegen seine Person deutlicher zum Ausdruck zu bringen, als nach Lage der Sache gut war. Nun denke ich, er hat das als eine Warnung aufgefaßt, ist nach Bombay, um das Geld abzuheben und wird dann zu entkommen versuchen.«

»Und glauben Sie, daß ihm das gelingen wird?« fragte Schreyer beunruhigt.

Der Prinz schüttelte verneinend den Kopf.

»Denken Sie daran, was ich Ihnen gestern sagte. Durch seine unerwartete Flucht mag es Ponks vielleicht gelungen sein, sich für einige Stunden der Beobachtung zu entziehen. Wohlgemerkt: ich sage, vielleicht. Sicher ist das keineswegs, denn einer der Späher, die ihn ständig zu beobachten haben, Guru, ist zugleich mit Ponks verschwunden. Der Bursche ist ein ausgezeichneter Läufer.«

»Mein Entschluß ist schon gefaßt«, entschied Dr. Schreyer. »Ich reise noch heute nach Bombay.«

»Das dachte ich mir, und darum kam ich zu Ihnen. Wenn es Ihnen recht ist, reisen wir zusammen.«

»Wann können wir günstigenfalls in Bombay sein?« fragte Elisabeth.

»Leider nicht vor morgen mittag. Ponks hat einen Vorsprung von einer Nacht und einem ganzen Vormittag. Er wird diese Zeit ausnutzen.«

»Und was ist mit Sanders?« fragte Schreyer. »Ist er auch verschwunden?«

»Nein, er war von der Abreise seines Freundes ebenso überrascht wie ich. Daß seine Überraschung echt war, unterliegt keinem Zweifel. Ich weiß nicht, bis zu welchem Grade er in diesem Handel ein betrogener Betrüger ist. Übrigens dieser Herr Sanders –« der Prinz lächelte und hob leicht die Achseln. »Ich halte ihn für einen Menschen, der nur in Gesellschaft Ponks' gefährlich ist. Allein ist er ein ganz alltäglicher Spitzbube. Er mag vorläufig hierbleiben. Niemand soll von unserer Reise vorher etwas erfahren, als Nadir, mein Kammerdiener, Pandani und Panja. Panja und Nadir sollen uns begleiten.«

»Und wann reisen wir?«

»Heute vor Sonnenuntergang. Die Diener werden Fackeln mitnehmen, damit wir bei dem Ritt durch den Wald Licht haben. Oder fürchten Sie sich vor dem Ritt durch den Urwald, gnädige Frau?«

»Ich fürchte mich vor gar nichts«, antwortete Elisabeth lachend.

»Bravo!« sagte der Prinz und nickte ihr zu, dann reichte er den beiden die Hand zum Abschied.

*

Ponks hatte in der Tat die Bahn erreicht, bevor der Zug abgefahren war, und war gegen Sonnenuntergang in Bombay angekommen. Es war die Zeit des stärksten Betriebes. Das Wetter war herrlich und die Straßen der Riesenstadt von einem wirren Gewimmel beschäftigter und eiliger Menschen angefüllt.

Ponks ahnte nicht, daß sich in dem Augenblick, da er aus dem Bahnhof heraustrat, ein uralter Fakir an seine Fersen heftete, der bis dahin unbeweglich auf den Stufen des Bahnhofsgebäudes gesessen hatte. Anscheinend war er in seine Gebete und Betrachtungen so vertieft, daß er für nichts von dem, was um ihn vorging, Sinn und Aufmerksamkeit hatte. In Wirklichkeit aber ging keiner der Reisenden an ihm vorüber, ohne daß das Geierauge des Alten für eine Sekunde sein Gesicht gestreift hätte.

Dieser Mann also folgte Ponks, ohne ihn für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Er begleitete ihn zur Bank, wo er Zeuge war, wie man Ponks eine ungeheuer große Summe Geldes ausbezahlte, die jener in einem schmalen Koffer aus weichem Leder verbarg.

Darauf begab sich Ponks in ein Hotel dritten Ranges. Hier reinigte er sich vom Staube der Reise, trat ins Restaurant und speiste mit Behagen.

Inzwischen war die Dunkelheit eingetreten. Der Straßenverkehr hatte immer noch nicht abgenommen. Ponks begab sich, nachdem er zu Abend gegessen hatte, auf sein Zimmer und ließ den Wirt kommen. Von diesem kaufte er für schweres Geld einen vollständigen, noch leidlich gut erhaltenen Anzug, wie ihn die brahminischen Priester niederen Grades tragen. Diesen Anzug legte er an, verbarg darunter seinen Schatz und verließ das Hotel.

Der Fakir hatte sich, nachdem Ponks im Hause verschwunden war, auf der Treppe niedergelassen und versank wieder in seine religiösen Betrachtungen. Eine Magd brachte ihm nach einiger Zeit eine Schüssel Reis heraus. Er dankte und aß. Darauf kreuzte er die Arme auf der Brust und starrte teilnahmlos vor sich nieder.

Abermals nach einiger Zeit traten zwei junge Hindus an ihn heran, wechselten ein paar leise Worte mit ihm und entfernten sich wieder. Auch der Fakir erhob sich und verschwand in der Dunkelheit. Das war wenige Minuten, bevor Ponks das Hotel verließ.

Wie planlos durchschritt der Abenteurer mehrere Straßen, doch hielt er die südliche Richtung bei. In der Nähe des Viktoriadocks wandte er sich unmittelbar zum Strande, hier schlenderte er langsam seines Weges dahin. Die Ufer waren schon beinahe verödet. Nur hier und da hockte ein Bootsführer in seinem Fahrzeug und harrte des höchst unwahrscheinlichen Falles, daß noch jemand seine Dienste in Anspruch nehmen würde.

Scheinbar ganz planlos spazierte Ponks einher und musterte die wenigen noch vorhandenen Fahrzeuge. Nach einiger Zeit entdeckte er ein kleines, gutgebautes Segelboot. Ein weißhaariger Singhalese saß darin, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf zwischen den Fäusten, träumend. Als Ponks sich ihm näherte, sprang er auf und begann ihm die Vorzüge seines Bootes in geläufiger Rede auseinandersetzen. Ponks aber machte seinem Redefluß durch eine herrische Gebärde ein Ende.

»Willst du dir ein englisches Pfund verdienen, Alter?«

»Ein englisches Pfund? O Sahib!« schrie der Mann auf und traute offenbar seinen Ohren nicht. »Sag mir, Sahib, was ich für dich tun soll!«

»Wo wohnst du?«

»Dort drüben auf der Elefanteninsel, Sahib.«

»Wer wohnt mit dir dort?«

»Niemand als mein Weib und mein Enkelsohn.«

»Hast du einen Raum, in dem du mich ein paar Tage lang beherbergen kannst?«

Der braune Bursche kratzte zaghaft seinen Kopf. Er hatte schon lange bemerkt, daß in der Brahmanenkleidung ein weißer Sahib steckte und wußte nicht, was er davon denken sollte, daß der Fremde bei ihm wohnen wollte.

»Einen Raum hätte ich wohl, Sahib. Doch er ist zu schlecht für dich.«

»Laß das meine Sorge sein. Also höre! Hier gebe ich dir ein Pfund englisch. Fahre mich zur Elefanteninsel. Ich werde ein paar Tage bei dir bleiben. In diesen Tagen darfst weder du noch dein Weib das Haus verlassen, verstanden?«

Der Alte nickte.

»Für jeden Tag, den ich bei dir bleibe, bekommst du ein Pfund englisch. Bist du einverstanden?«

Ob der Mann einverstanden war! So viel Geld verdiente er sonst in einem Jahre nicht. Und nicht so leicht.

»Sahib, ich will die Götter bitten, daß es dir so gut bei mir gefallen möge, daß du nie wieder fortgehst.«

»Schwätze nicht, Bursche, sondern rudere!« befahl Ponks.

Kaum hatte das Boot sich einige Meter vom Ufer entfernt, als aus der Dunkelheit die beiden Hindus auftauchten, die vor dem Hotel mit dem Fakir gesprochen hatten. Mit ihren Blicken verfolgten sie das Fahrzeug, bis es auf der vom Mondlicht silbern übersprühten Wasserfläche ferne verschwunden war. Dann verschwanden auch sie – lautlos wie Schatten.


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