Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Grundsätzliches

Abrundung

Geht es Ihnen nicht auch wie mir? Ich muß immer erst eine gewisse Abneigung überwinden, um solche Abhandlungen, die erst gesprochen worden waren, also z. B. wissenschaftliche oder ästhetische Vorträge, gedruckt zu lesen.

Es fehlt mir da nämlich nicht bloß etwas (also die Persönlichkeit, die Stimme des Redners), sondern es stört mich etwas. Was stört mich? Die Zubereitung, die der persönliche Vortrag erheischt und die daher jeder mehr oder weniger, bewußt oder unbewußt, gewährt.

Zunächst die Zutaten: die Einleitung und der Schluß, zwei Dinge, die nichts Wesentliches oder wenigstens nichts Unentbehrliches zur Sache beitragen, sondern ihren Daseinsgrund aus der Psychologie der Versammlung beziehen. Die Einleitung schmeichelt die Versammlung mit sanften logischen Strichen an das Thema heran, der Schluß wärmt sie mit mutigen Gedankenbewegungen wieder von der Stelle. Das ist ja nun nichts Böses, allein es ist etwas sachlich Überflüssiges, das beim Lesen muffig wirkt.

Jene Einleitungen und Schlüsse, die von vornherein für ein Buch geschrieben wurden, tönen ganz anders, gedankengenauer, sachlicher. Abgesehen davon, daß sehr ernste, ich meine wahrheitsernste Denker, die viel Wichtiges zu sagen haben, auch im Buch Einleitung und Schluß verabscheuen. Denn Einleitung und Schluß verallgemeinern, alles Wissenswerte aber ist etwas Bestimmtes, Besonderes. Darum kürzt, wer etwas Rechtes zu sagen hat, auch im Buch die Einleitung und den Schluß, oder läßt gar beides einfach weg. Sehen Sie, wie z. B. Jakob Burkhardt ungeduldig in die Materie hineingerät.

Kompliziert wird der Übelstand der Einleitung und des Schlusses, wenn der Redner aus gebildeten Gründen noch versucht, beides übereinzuklängeln, im Schluß auf die Einleitung zurückzukommen und ähnliches, ein sehr wirksames rhetorisches Rezept, ja sogar, wie manche urteilen, ein Erfordernis aller Redekunst; wie denn z. B. die kirchliche Predigt durchaus nach diesem Schema zu verlaufen pflegt.

Worauf beruht die große, fast unfehlbare Wirkung des Zurückgreifens mit dem Schluß auf die Einleitung? Auf ästhetischen Momenten, nämlich auf den Gesetzen der Proportion und der Abrundung. Die Wahrheit ist aber nicht rund, sondern scharf, nicht freundlich, sondern rauh. Darum unser Unbehagen, wenn wir einen harmonischen Denker an der Wahrheit herumölen sehen; sei es nun aus rhetorischen oder kosmischen Gründen.

Dazu kommen dann noch andere Übelstände: Die gefällige Gruppierung; die Streifung, statt des resoluten Anfassens, die Popularisierung und der unvermeidliche Optimismus (denn kein Redner darf ja doch seine Zuhörer mit trüben Vorstellungen entlassen).

Kurz, in einer meisterhaft abgerundeten mündlichen Ahhandlung kommt so viel Kochkunst zur Verwendung, daß man nachher beim Lesen Mühe hat, das rein Sachliche aus dem schmackhaften Pudding wieder loszupräparieren.


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