Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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Revolverhumanität

Die Welt kennt bereits eine Revolverpresse, sie soll, wie es scheint, jetzt noch eine Revolverhumanität erhalten.

Da wird nun schon seit langen Monaten ein unbescholtener, ehrenhafter Universitätsprofessor methodisch gehetzt, ruhelos und schonungslos, aus dem einzigen Grunde, weil er sich erkühnte, über ein asiatisches Volk eine mißliebige Meinung zu äußern.

Das kann ja nett werden. Ein mildtätiger Terrorismus? Philanthropische Zeloten, eine Sammelbüchse in der Linken, einen Maulkorb in der Rechten? Ein »Ring« des vereinigten Albion, Zion und Samarien, welcher jeden, der sich in Wohltätigkeitsangelegenheiten ein unabhängiges Urteil erlaubt, als Moabiter denunziert? Eine angloarmenische Zensur über unsere Universitäten?

Es bleibe dahingestellt, ob die auffallende Bevorzugung kleinasiatischen Elendes vor jedem anderen menschlichen Elende billig, daß heißt verhältnismäßig sei und ob sie wirklich nur deswegen stattfindet, weil vergossenes Blut gen Himmel schreit oder nicht vielleicht eher, weil verletzte Politik von London schreit. Sondern so lautet die Frage, ob wir eine Menschenliebe mit dem Dolche haben wollen, wie Dörings Seife mit der Eule. Ob niemand mehr sollte mucksen dürfen, sobald es dem ersten besten Meetingheiligen beliebt, eine Türkenhetze auszuposaunen.

Mildtätiger Terrorismus. Wirklich, wir sind gar nicht so weit mehr davon entfernt. Was ist denn Terrorismus? Das Schweigen aller, wenn einer geopfert wird. Mehr braucht es nicht. Es ist nicht die geringste, tatsächliche Macht vonnöten, um einen Terrorismus zu begründen; es genügt, daß jedermann sich ducke.

Und mir scheint, wir hätten uns schon zu lange geduckt. Ein Hochschullehrer, wegen Armenierlästerung in den Grund und Boden verhetzt, verdächtigt, vermeuchelt! Ich wußte bisher von Gotteslästerung, hingegen Armenierlästerung, dieses Verbrechen ist mir neu. Wenn das so fortgeht, wird es bald ungefährlicher sein, in Rußland ein freies Wort über den Zaren, als bei uns ein freies Wort über Kleinasien verlauten zu lassen.

Da wird nun nicht anders zu helfen sein, als daß die Unbeteiligten dem isolierten Opfer philanthropischen Nächstenhasses an die Seite springen, bis die Beteiligten sich des gemeinsamen Interesses an der Freiheit der Meinungsäußerung erinnern.

Wer aber das allerdringendste Interesse daran hat, daß die schmähliche Berner Professorenhetze ein Ende nehme, das sind just die Armenier und ihre Beschützer, Fürsprecher und Freunde. Denn wenn etwas imstande ist, einem die sogenannte »Armenierbewegung« (d. h. den Landsturm der Frommen gegen die andersgläubige Türkei) gründlich zu verleiden, so ist es solch eine Einschüchterungskanonade. Nichts kühlt die Teilnahme jäher ab, als wenn über der bittenden Hand eine Bombe aus dem Ärmel zum Vorschein kommt, sei sie nun mit Pulver oder mit Gift oder mit Verdächtigungen geladen. Und nun vollends so eine wohlorganisierte internationale Lazarus-Artillerie! Streitbare Märtyrer!

»Mitchristen,« schön. Aber Dyna-Mitchristen? Diese Marke von Brüdern im Herrn schmeckt meinem westeuropäischen Gaumen ein bißchen zu gepfeffert, zu nitroglyzerinsauer.

Nein, moralische Metzeleien in der Schweiz, als Anhang zu den Metzeleien in Armenien, im Namen der Menschlichkeit verübt, das ist ja die reinste Wohltätigkeitstürkei. Noch ein paar Monate solcher Krokodilsmenschlichkeit und wir werden in den Fall kommen, mildtätige Sammlungen für die grausam dahingeschlachteten Opfer der Nächstenliebe eröffnen zu müssen.


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