Carl Spitteler
Lachende Wahrheiten
Carl Spitteler

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»Fröhlich sei mein Abendessen«

Es war nach der Aufführung von Sodoms Ende, als ich in einer Wirtschaft, die sich respektiert, ein Männlein, das sich nicht respektiert, im Tone des Jesaias gegen Direktion und Kommission wettern hörte, weil sie es wagte, einem ehrsamen Publikum Stücke zu bieten, in welche man sich schämen müßte, seine Frau mitzunehmen. Ich war tief erschüttert, und trug mich ernstlich mit dem Gedanken, einer löblichen Erziehungsdirektion einen Gedankenschatz über die Bedeutung der Schaubühne als einer moralischen Erziehungsanstalt zu schenken, frei nach Schiller; da mußte ich letzten Montag den Schmerz erleben, das nämliche Männlein nicht nur mit seiner Frau, sondern obendrein noch mit drei blühenden Töchtern im Don Juan thronen zu sehen, die Gesichter von Andacht strahlend, wie in einer Osterpredigt. Daß das, dessen bloße Andeutung ihn in Sodoms Ende bis zu sittenreformatorischen Anwandlungen empörte, ihm jetzt nicht weniger als viermal beinahe auf offener Szene dargestellt wurde, schien weder ihn noch seine Fräulein im mindesten zu genieren. Dergleichen Rätsel der menschlichen Natur vermögen aber selbst die klarste Weltanschauung zu verwirren, ich fand es daher einstweilen für dringender, den Ursachen nachzuspüren, warum das nämliche Vorkommnis verletzt, wenn es einmal, dagegen erbaut, wenn es viermal dargestellt wird. Gewöhnt man sich vielleicht daran? Oder liegt es an dem Unterschied der Jahreszeit? so daß das sittliche Gefühl im Oktober empfindlicher reagiert als im Januar? Oder wohnt etwa der Musik die Kraft inne, Laster in Tugend und Skandal in Erbauung zu verwandeln? Hat doch schon Beaumarchais behauptet: »Was zu unmoralisch ist, um gesagt zu werden, das singt man«. Oder lautet das Wort nicht so?

Doch das beiläufig. Heute möchte ich einmal abschütteln, was mir schon lange auf dem Herzen liegt. »Fröhlich sei mein Abendessen,« sagt Don Juan ausdrücklich im letzten Akt. Diese Worte lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig; ebensowenig wie das Orchester, das er sich zur Tafelmusik herbestellt hat und von dem wir die lustigsten Weisen vernehmen. Aber was sehen wir? In einem prächtigen maurischen Saale, in welchem Hunderte von Gästen bequem Platz fänden, sitzt der Bedauernswerte einsam und verloren neben zwei magern spindeldürren Choristinnen, welche vor Verlegenheit nicht wissen, was sie mit ihrer Person anfangen sollen, und kneipt im geheimen Champagner, wie ein durchgebrannter Reisender in spanischen Weinen, der aus der gestohlenen Kasse seines Prinzipals sich zwei Weiblein in das Hinterstübchen eines Ballsaales geholt hat. Folgerichtig müßte das Gespenst ihm sein Sündenregister durch das Guckloch einer spanischen Wand vorsingen. Wahrlich, wenn das ein fröhliches Abendessen sein soll, dann ist Don Juan nicht anspruchsvoll! Natürlich befindet sich die Regie in gewaltiger Verlegenheit, wie sie die beiden Dämchen im ungeeigneten Moment wieder verschwinden lassen soll. Entweder die Unglücklichen rennen beim Anblick der Elvira sofort davon, wie Gespenster beim Hahnenschrei; als ob jemals ein weibliches Wesen einer Nebenbuhlerin den Platz räumte! oder Don Juan bekomplimentiert sie eigenhändig zur Tür hinaus (nachdem er sie zum Abendessen eingeladen!), wie ich es von einem berühmten Don Juan-Darsteller gesehen habe. Wenn aber Don Juan nicht galanter ist als so, dann glaube ich ihm von seinen tausendunddrei Eroberungen nicht eine einzige. Wer weist jemals einer Dame die Tür? Eine sonderbare Marotte ferner von einer Statue, bei ihrem respektablen Körpergewicht sich vom Kirchhof her wegen vier Personen die Treppe heraufzubemühen. Es gibt keine Wunder in Privatzirkeln; metaphysische Herrschaften sind, wie jedermann weiß, geizig mit ihrer Erscheinung und wählen hierzu einen Anlaß, wo sie mit ihrem Auftreten eines sensationellen Erfolges sicher sind. Steinerne Gastspieler lieben so wenig wie andere leere Häuser. Ein jüngstes Gericht, das einem einzelnen auf die Bude steigt, das heißt Spatzen mit Kanonen totschießen.

Wenn dann vollends, wie es neulich bei uns geschah, das Gespenst frisch und froh auf den von der Regie angewiesenen Platz neben der Kulisse hinüber beinelt, um sich dort mit abgewandtem Antlitz behaglich vom elektrischen Licht bestrahlen zu lassen, wie ein Käfer vom Sonnenschein, wo nehme ich dann das Bangen her?

Die Szene hat vielmehr zu verlaufen, wie sie auf hauptstädtischen Theatern zur Seltenheit etwa gesehen wird: Don Juan, als geborener Grandseigneur und erblicher Schloßherr, hat eine zahlreiche glänzende Ballgesellschaft versammelt, die ganze Szene voll. Mitten im fröhlichsten Festjubel und Tanz erscheint Elvira gleich einer Wahnsinnigen, um ihren Dreivierteltakt abzusingen. Die Gesellschaft, erstaunt, aber mit höflicher Zurückhaltung, läßt sie gewähren und singen, zischelt wohl auch ein wenig, um dem Publikum die Mühe abzunehmen. Don Juan lädt Elvira mit überlegener ironischer Lebensart achtungsvoll zum Sitzen ein, was sie ausschlägt; wonach sie in Verblüffung über die falsche Situation, in welche sie sich gebracht, beschämt flüchtet. Die peinliche Szene hinterläßt einige Befangenheit, welche jedoch den ermunternden Winken Don Juans, den Ball fortzusetzen, weicht. Später spiegelt sich der Schreck Leporellos auf den Gesichtern der Versammlung wieder; dem Gastgeber folgen Herren und Damen, um nachzusehen, was es gibt. Eine grauenvolle Verwirrung folgt, und beim Anblick des wirklichen Gespenstes stiebt alles mit Geschrei auseinander, durch Türen und Fenster flüchtend. Es gälte sogar den Versuch, einen Teil der Gäste zurückbleiben zu lassen. Mit dieser Siebenmeilenstimme singt doch ein Gespenst nur, wenn sich die Mühe lohnt; vor Don Juan allein könnte der Komtur sein Geschäft pizzicantando abwickeln. Wir haben so oft danach geforscht, wie die Alten ihren Chor gebrauchten; denken wir auch einmal darüber nach, wozu wir ihn benutzen können. Wenn man mir aber einwenden wollte, die Texttreue verbiete die Einführung des Chors in die Finale des zweiten Aktes, so antworte ich: mit welchem Recht läßt man ihn denn im Finale des ersten Aktes beharren, während ihn doch Mozart verschwinden heißt? Was aber dem einen Finale recht ist, ist dem andern billig.


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