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»Faust-idee«, »Prometheus-idee«, »Ewige Juden-idee«, »Don Juan-idee«. Ich habe Leute gekannt, welche behaupteten, sich etwas dabei zu denken. Nun, in jedem Falle ist es eine hübsche Entdeckung, daß man bloß hinter einen beliebigen Eigennamen das Wörtchen Idee zu setzen braucht, um ein Riesenei von erhabenen Gefühlen, ein wahres Vogel Rock-Nest von Tiefsinn ins Leben zu rufen. Natürlich, jetzt, da das Geheimnis einmal gefunden ist, kann es ein Schulbube. Semiramis-idee, Zeus-idee, Herakles-idee, Cäsar-idee, Brutus-idee, Hohenstaufen-idee, Karl der Zwölfte-idee, – ein Pfänderspiel ist schwierig dagegen. Ich mache mich anheischig, an einem Regennachmittag zweitausend neue -Ideen zu gebären.
Am besten gefällt mir's, wenn die Ideen ihrerseits mit andern Ideen zu einem gemeinsamen Ideenzug zusammengekoppelt werden wie Harmonikawagen. Antinous-Achilles-Mozart-Raphael-idee. Das ist ja ein wahrer Omnibus. Laß sehen, ob ich es auch kann: »Uranos-Kronos-Titan-Hannibal-Spartakus-Michel-Angelo-Beethoven-Rembrandt-Goethe-Napoleon-idee.« Geht das?
»In gewissem Sinn, wenn Sie wollen, – es kommt darauf an, wie Sie es verstehen, – geht es allerdings.«
Nun gut, es gereicht mir zum Troste, daß ich es auch kann.
Dieser philosophischen Dampfmaschine durch den Nebel der Jahrhunderte möchte ich beileibe keinen Knüppel auf die Schienen werfen. Ich verstehe, es ist ein Vergnügungszug. Nur an einer einzigen Idee nehme ich ein Ärgernis. Sagen Sie mir: was ist eine »Don Juan-idee?«
»Nun, die Idee der Unwiderstehlichkeit, wie sie sich auf grund einer genialen Persönlichkeit – –« Sind Sie fertig? Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche. Bitte, zeigen Sie mir in Don Juan irgend etwas Geniales oder Unwiderstehliches. Zwei Notzuchtversuche, beinahe vor den Augen des Publikums, das eine Mal unter feiger Verkleidung, Ermordung eines Greises, Verlassung und Verhöhnung einer treuen Geliebten, mit Beigabe von ein bißchen Galgenmut Matthäi am letzten – das sind die Akten. Eine merkwürdige Unwiderstehlichkeit, wenn einer in der Notzucht sein Heil suchen muß, ja wenn ihm diese nicht einmal gelingt, trotzdem er Graf ist, in einem feudalen Zeitalter, im Lande der primae noctis und eines der Opfer sein leibeigenes Bauernmädchen.
Also Notzucht, wenn man sie nur fleißig übt, ist genial, ist eine geniale Idee. Eine geniale Idee! Und wenn sie einem hartnäckig mißlingt, so ist das die Idee der Unwiderstehlichkeit. Nun solcherlei Ideen gibt es Gottseidank einen reichen Segen in unsern Zuchthäusern, mit abstehenden Ohren am Kopf und Ketten an den Beinen. Sagen Sie's ihnen doch, daß sie Ideen sind, es wird sie freuen, es wird sie trösten. Nur bitte ich um Konsequenz. Wenn Don Juan eine Idee ist, dann müssen wir die interessanten Individuen, welche im Rebberg oder im Eisenbahnwagen eine Frau überfallen, zu Doktoren der Philosophie ernennen, damit sie uns ein Kollegium über die reine Vernunft lesen, nebst einem Stipendium zur Weiterausbildung ihrer genialen Anlagen.
Meinetwegen, im Grunde läßt sich ja alles auf einen einfachen Sprachunterschied zurückführen: gefällt Euch das Wort »Idee« besser als »Schuft«, so habe ich nichts dagegen. Warum aber »Idee«, wenn einer etwas in Andalusien, und »Schuft«, wenn er das Nämliche in Deutschland tut, das ist mir nicht klar. Oder wird vielleicht Notzucht dadurch ideal, daß man Bariton dazu singt?
Dieses also in Friede und Freundschaft. Man kann ja andrer Ansicht sein, nicht wahr, und einander doch von Herzen lieb haben. Wo ich aber Friede und Freundschaft künde, wo ich meine Gegner nicht mehr so völlig von ganzem Herzen lieb haben kann, wie ich sollte und wollte, das ist vor dem Unternehmen, dem andalusischen Ideenwicht zuliebe den andern, den Tenor, den Ottavio für lächerlich auszugeben. Wo und wann, meine Herrn und Damen, war jemals Liebestreue und Vertrauen eines Edelmannes gegenüber seiner Braut etwas Lächerliches? Etwa in Deutschland, dem gelobten Lande der Treue? Man nenne mir doch eine einzige Stelle der Oper, wo Don Ottavio sich lächerlich benimmt. Gewiß, wenn deutsche Darsteller singen »ich schwäche«, statt »ich schwöre«, dann ist das schwach, dann wird er lächerlich. Ich meine, der Darsteller, nicht Ottavio.
Nein, sowohl der Librettist wie der Komponist haben Ottavio ernst genommen und sympathisch gemeint; das ließe sich beweisen, und wenn ich gut unterrichtet bin, ist es mittlerweile auch bewiesen worden. Die Oper Don Juan bedeutet eine Verherrlichung der Treue, wie Fidelio.
Oder wäre etwa Ottavio auf Umwegen lächerlich, dadurch, daß Anna im geheimen nicht ihn, sondern Don Juan liebte? Das ließe sich zur Not behaupten, falls sie ein verheiratetes Paar wären, doch auch dann nur, wenn einer zuvor alle seine Moral und seine Grundsätze in die Tasche steckt, um dafür Anschauungen fremder Völker und Zeiten hervorzukramen. – Dagegen ein Bräutigam lächerlich, weil seine Braut ihn hintergeht, weil sie ihm verschweigt, daß sie einen andern liebt, – nein, selbst die frivolsten Zeitalter verabscheuen in solchem Fall die falsche Braut. Übrigens ist es ja gar nicht wahr, daß Donna Anna Don Juan liebt, erstens, weil das Gegenteil wahr ist, ich meine, weil im Texte auch nicht der mindeste Anhaltspunkt dafür, hingegen eine Menge ausdrücklicher Aussagen des Gegenteils stehen; zweitens, weil es unmöglich ist. Niemals und nirgends erwidert eine anständige Frau einen feigen Notzuchtversuch mit Liebe.
Ich habe gesagt, wo meine Entrüstung anfängt, ich will nicht verschweigen, wo sie den Gipfel erreicht. Sie erreicht den Gipfel, wenn ich lesen muß, wie deutsche Ästhetiker uns mit triumphierendem Schmunzeln, als handle es sich um einen ästhetischen Gewinn, ins Ohr zischeln, so rein, wie sie sich anstelle, wäre Donna Anna schwerlich aus dem Attentat losgekommen, vielmehr verschweige sie ihrem Bräutigam das Saftigste. Diese Vorstellung soll uns die Oper versüßen. Es ist übrigens nützlich, daß diese anmutige Insinuation ausgesprochen und gedruckt wurde. Denn sie dient zum Exempel, in welche Abgründe des Geschmackes literarische Kuppelsucht und literarhistorische Geniedienerei ein Zeitalter unmerklich führen können.