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Mein Schaffen und meine Werke

Es ist eine eigentümliche, dem Geschmack wenig zusagende Aufgabe, über sein eigenes Schaffen öffentlich zu schreiben oder zu reden. Allein sie kann notwendig werden, und wenn sie notwendig geworden ist, gilt kein Sträuben.

Zunächst, wenn es einmal so weit gekommen ist, daß andere über einen reden, so wird es mehr und mehr unnatürlich, daß der eine, der doch manches am besten wissen muß, beharrlich schweige. Es kann ferner geschehen, daß in dem Schaffen eines Dichters Rätsel enthalten sind, also Dinge, deren Erklärung man begehrt und, da man sie unmöglich selber erraten kann, vom Dichter erwartet.

Dieser Fall scheint mir hier vorzuliegen. Sie haben einen Schriftsteller vor sich, dessen literarische Persönlichkeit ein wahres Proteusgesicht aufweist: heute ein symbolisches, schwerverständliches Innenwerk, morgen eine helle, freundliche Kindergeschichte, jetzt ein Epos, jetzt wieder eine Prosaerzählung im naturalistischen Stil, und so weiter. Das sieht beinahe so aus (nicht wahr?), als ob der Verfasser von einer sonderbaren Springkrankheit befallen wäre oder als ob er ratlos herumgetastet hätte, ewig sich selber suchend, bis er endlich durch einen glücklichen Zufall das Epos fand. Sie ahnen wohl, daß (dem Anschein zum Trotz) es sich anders verhält, daß hinter der Proteusmaske eine einheitliche Persönlichkeit atmet. Allein es ist Ihnen natürlich ganz unmöglich, die Gesichtszüge dieser Persönlichkeit und die Gründe ihrer vielgestaltigen Verwandlungen zu erkennen, wenn ich es Ihnen nicht selber mitteile. Deshalb halte ich mich für berechtigt und entschuldigt, wenn ich Ihnen heute einige intime Nachrichten mitteile, von welchen ich glaube, daß sie den Schlüssel zu meinem Schaffen und zu meinen Werken bedeuten. Also eine Einsicht und Übersicht über meine Schriftstellertätigkeit von innen heraus.

Weit entfernt, herumgetastet und erst im Alter das Epos gefunden zu haben, war ich mir schon als zweiundzwanzigjähriger Student klar bewußt, daß die epische Poesie meine Lebensaufgabe sei. Ich würde auch, wenn mirs das Schicksal erlaubt hätte, nie eine andere Zeile geschrieben haben. Ich sage: epische Poesie, nicht kosmische und symbolische Poesie: diese habe ich erst später hinzugewonnen, und zwar als Nebenprovinzen. Man hat mich oft gefragt (und ich habe michs selber ebenfalls oft gefragt), was das Wesen der epischen Poesie wäre. Jacob Burckhardt hat hierüber ein schönes, zutreffendes Wort ausgesprochen, mit welchem man sich begnügen kann: »Das Epos«, sagt er, »ist das königliche Vorrecht, alles in lebendiges Geschehen zu verwandeln.« Ich persönlich verspüre das Epos als eine Ausströmung des Mutes, der Abenteurerlust, der Freude an dem äußeren Glanz des Daseins. Das Epos ist im höchsten Grade weltlich. Aber oberweltlich, nicht irdisch. Und niemals realistisch, niemals prosaisch. Ein realistisches, prosaisches Epos, das wäre wie ein auf dem Bauch kriechender Adler.

Der Schriftsteller nun, von welchem wir sprechen, war mit Leib und Seele, bis in die letzte Faser ein geborener Epiker, und fühlte und wußte das schon mit zweiundzwanzig Jahren. Mehr noch, der Zweiundzwanzigjährige hatte schon eine ganze epische Phantasiewelt geschaffen, ja er hatte sogar eine stattliche Reihe von epischen Werken fertig auskomponiert, es fehlte bloß die letzte Ausarbeitung, die Niederschrift. Und wohlverstanden, es handelt sich nicht etwa um bloße Anfängereien. Nein, die epischen Werke des Zweiundzwanzigjährigen hatten ebensoviel Daseinsberechtigung wie der »Olympische Frühling« des Sechzigjährigen. Den Beweis hierfür erblicke ich in der Tatsache, daß mich alle jene Pläne zeitlebens nicht losgelassen haben; ja daß es nicht gänzlich ausgeschlossen ist, daß ich den einen oder den andern noch ausführe, falls mir Gesundheit und Kraft dazu verbleiben. Mehrere davon sind dreißig Jahre später zu Balladen verkürzt worden, einen habe ich alle paar Jahre von neuem auf meinen Arbeitstisch gelegt, keinen habe ich je aufgegeben und verwunden. Wie wenig verwunden, gesteht das Gedicht »Demiurg der Richter« in meinen »Literarischen Gleichnissen«.

Ich muß daher über die ungeschriebenen Epen des Studenten ein paar Worte sprechen, denn in ihnen liegt der Kern aller meiner späteren Werke; wer von jenen nicht weiß (und wer kann denn von ihnen wissen als ich selber?), dem muß mein Schaffen immer rätselhaft bleiben. Da war zunächst ein romantisches Epos im ritterlichen Stil, namens »Johannes«. Gemeint ist der sagenhafte König Johannes Presbyter von Abessinien, der in der Phantasie der Kreuzfahrer eine so große Rolle spielte. Der Reiz dieses Stoffes war und ist für mich ein doppelter: Einmal das Ideal des weißen Rassenadels inmitten eines Tohuwabohu untergeordneter und feindlich gesinnter Völkerschaften, von den Arabern und Türken bis zu den Negern. Also eine Art Farbenskala. Dann das trauliche Mithineinspielen des nationalen Schutzheiligen, des Apostels Johannes, nicht bloß in die Reichsgeschäfte, sondern auch in die patrizischen Familienangelegenheiten. Also eine Art Oligarchenidyll. Ich könnte Ihnen Genaueres davon sagen, allein die Möglichkeit, daß ich dieses Epos doch vielleicht noch vollende, hindert mich daran. Sie kennen ja gewiß den Aberglauben aller Künstler, daß es Unheil bringe, wenn man über Werke, die erst im Werden sind, Geheimnisse ausplaudert. Der »Johannes« ist jenes Epos, das ich immer von neuem wieder in Angriff zu nehmen versuchte, in Zwischenräumen von fünf bis zehn Jahren. Mindestens sechsmal bin ich darangegangen. Einmal wurden sogar mehrere Gesänge davon veröffentlicht, und Gottfried Keller mahnte mich dringend zur Fortsetzung und Fertigstellung. Die Fortsetzung wurde mir jedoch verunmöglicht. Und noch ganz zuletzt, unmittelbar nach Vollendung des »Olympischen Frühlings«, ging ich wieder mit dem ganzen Ernst und Willen daran. Gänzlich aufgegeben habe ichs noch keineswegs.

Dann ein enthusiastisches Epos, »Atlantis«. Der bekannte Sagenstoff von einem im Ozean untergegangenen Weltteil. Meine Behandlung dieses Stoffes war folgende: Die Voraussicht des nahen Untergangs versetzt die Menschheit in einen ekstatischen und orgiastischen Seelenzustand; nicht sinnlicher oder frivoler Art wie in den Pestzeiten, sondern umgekehrt: es erfolgt eine allgemeine Erhöhung und Vergrößerung der Stimmung. Alles Kleinliche, zum Beispiel Stand und Rang, fällt dahin, es erfolgt ein täglich sich erneuerndes und stetig sich steigerndes Fest der Liebe, und zwar ein doppeltes: ein Fest der allgemeinen Verbrüderung und darüber als Gipfel ein Fest der Liebe zwischen Jüngling und Jungfrau.

Dreißig Jahre später verkürzte ich diesen Stoff mit den nötigen Veränderungen zu einer poetischen Erzählung. Sie finden diese in meinem Balladenbuch unter dem Titel »Das Sterbefest«.

Dann eine stolze, mutige epische Vision, in sechs Gesängen gedacht, die »Hochzeit des Theseus«. Alles edle Erdenglück: Heldenhoheit, Ruhm und Liebessüßigkeit von den Göttern auf ein einziges Haupt in einer einzigen Hochzeitsnacht gesammelt. Auch diese epische Dichtung wurde dreißig Jahre später zur Ballade verkürzt und hiermit notdürftig gerettet.

Dann das wichtigste von allen: ein gewaltiges, kühnes und großartig angelegtes Epos: »Herakles«. Diesen »Herakles«, obschon er nie gedruckt, nicht einmal geschrieben worden ist, betrachte ich als das Hauptwerk meines Lebens. Wenn ich mich je als Dichter verspüre, so fühle ich mich nicht zunächst als den Verfasser des »Prometheus« oder des »Olympischen Frühlings«, sondern in erster Linie als den Verfasser des »Herakles«. »Herakles« war geschlossener komponiert als der »Olympische Frühling«, er spannte und gipfelte nach dem Schlusse. Zum »Herakles« verhält sich der »Olympische Frühling« wie eine symphonische Phantasie zur Symphonie. Der verschiedene Stoff verlangte eben eine verschiedene Behandlung.

Und nun die Frage, die Ihnen gewiß schon längst auf der Zunge liegt: Warum wurden diese epischen Werke des Studenten, wenn sie doch bis zur Niederschrift fertig waren, nicht einfach von ihm niedergeschrieben? Die Antwort lautet: Ich hatte damals als einsamer Wildfremdling in der Poesie die abenteuerlichsten Vorstellungen von der Arbeit des Dichters. Mein verhängnisvoller Hauptirrtum war dieser: Ich meinte, nicht bloß die Erfindung und plastische Gestaltung eines Werkes, sondern auch die Umwandlung der Bilder zu Sprache und Vers geschehen auf dem Phantasiewege, also unbewußt und ungewollt, durch visionäre Eingebung. Folglich mußte ich es für die Pflicht eines ehrlichen Künstlers halten, geduldig abzuwarten, bis die Phantasie die Umwandlung würde vollzogen haben. Drücke ich mich verständlich aus? Ich will sagen: ich wußte gar nicht einmal, daß man eine Dichtung schreiben müsse, ich meinte, sie werde einem geschrieben. Das klingt so abenteuerlich, daß Sie einige Mühe haben werden, an die Möglichkeit eines so haarsträubenden Irrtums zu glauben. Sie werden es mit leichterer Mühe glauben können, wenn ich Ihnen mitteile, daß vier Jahre früher der Achtzehnjährige gemeint hatte, man müsse ein Drama auf eine einzige Seite Papier dichten, und wenn der Raum für den Text nicht ausreiche, müsse man entweder den Text in Miniaturschrift denkschreiben oder, wenn das nicht ginge, sich ein imaginäres haushohes oder himmelhohes Papier vorstellen und dadrauf dichten. Ich fürchte beinahe, Sie haben noch größere Mühe, das zu glauben, als das andere; denn das klingt ja geradezu verrückt. Im Grunde ist es jedoch durchaus nicht unvernünftig. Was würden Sie denn dazu sagen, wenn Ihnen ein Maler den Kopf und Hals eines Pferdes zeigte und dann die Leinwand umdrehte mit den Worten: »Hier haben Sie den Rücken und den Bauch dazu, die Hinterbeine finden Sie dort drüben auf der andern Staffelei?« Nun, ebenso hatte ich mir das Dramendichten auch gedacht; man dürfe mit der Schrift nicht auf die Rückseite und gar noch auf spätere Seiten verweisen, sondern es müsse alles auf demselben Blatt stehen. Es war also weder verrückt noch unvernünftig, es war vielmehr eine ganz gute Wahrheit, nur eine Wahrheit aus einer anderen Kunst bezogen. Und ähnlich, wie der Achtzehnjährige mit dem Drama geirrt hatte, irrte nun der Zweiundzwanzigjährige mit dem Epos. Er wußte und fühlte, daß man eine Sonate im Kopfe bis auf die letzte Note auskomponieren kann ohne Hilfe des Klaviers, er getraute sich das nötigenfalls zu können, und man kanns wirklich können. Und so, meinte er, könne und solle es auch in der Dichtkunst mit einem Epos geschehen. Also wartete er ab und komponierte drauflos, bis ihm seine epischen Werke im Kopfe Wort für Wort würden fertig geschrieben worden sein. Dieses Geschriebenwerden geschieht nun natürlich nie. Sondern anstatt die Bilder in Sprache zu übersetzen, schickt die Phantasie nur unaufhörlich neue Bilder. Und so schuf sie denn in der Tat zu dem Thema »Herakles«, welches mehr und mehr alle andern Themen in den Hintergrund drängte, eine jubelnde sonnige Bilderwelt von täglich sich mehrendem Reichtum. Allein je üppiger die Bilderwelt gedieh, desto weiter wurde ich von der Fertigstellung in Sprache und Vers weggetrieben, ich arbeitete also geradezu in entgegengesetzter Richtung zur Vollendung.

Bekanntlich hält sich dann auch die Phantasie nicht an ein ihr aufgegebenes Thema; sondern wenn einmal ihre Schleusen geöffnet sind, so bringt sie, was sie will, nicht, was ich will. Und so kamen mir denn durch meinen »Herakles« die fremdartigsten schönen Dinge zugeflogen. Und unter den vielen fremdartigen schönen Dingen war eines, das mich dadurch überraschte, daß es mir von selber fix und fertig anzukommen schien. Das war ein Gleichnis: Das Schicksal des Strebers, verglichen mit dem Schicksal des echten, ehrlichen Großen. Der Streber glaubt gescheit zu sein, indem er pfiffig handelt, der Große erweist sich aber schließlich doch als der Gescheitere. Der dummpfiffige Streber heißt mit einem griechischen Wort Epimetheus; der Wortlaut dieses Namens will nämlich auf deutsch sagen: einer, der erst hinterdrein denkt; der Gescheitere führt den Namen Prometheus, dieses griechische Wort bedeutet auf deutsch: einer, der vorausdenkt. Dieses Gleichnis kam mir, gleichzeitig mit dem Gedankensinn, in mythologischer Fassung (ein andrer hätte einen Roman daraus gemacht): Der Satan dreht eine farbige Scheibe vor den Augen der beiden, mit dem Versprechen, demjenigen von ihnen, der ihm seine Seele ausliefere, alles Erdenglück zu schenken. Epimetheus läßt sich infolge seiner Pfiffigkeit von dem farbigen Gaukelspiel blenden und verführen, Prometheus dagegen bleibt seiner Seele treu. Dieses Geschichtlein schien mir derart fertig, daß ich mir sagte: »Machen wir doch vorderhand schnell das.« In acht Tagen, meinte ich, wollte ichs haben. Statt acht Tage hat mich das Gleichnis Epimetheus und Prometheus dreizehn Jahre meines Lebens gekostet. Warum dreizehn Jahre?

Immer der alte Irrtum: Ich arbeitete mich beständig weiter von der Vollendung weg, weil ich dachte, Sprache und Vers, Feder, Tinte und Papier, gegen welche Dinge ich überdies einen natürlichen Widerwillen hatte, würden mir schließlich von der Phantasie zwangsweise zugeschoben kommen. Unzählige Tausende von Varianten über das eine Thema, nirgends ein Ufer, niemals ein Ende. Das hätte ebensogut dreißig oder vierzig Jahre dauern können wie dreizehn, oder auch ewig dauern. Zum Glück zwang schließlich eine akute Seelenkrisis dieser grausamen angstvollen Sisyphusarbeit ein Ende ab, indem sie mich nötigte, auf Tod und Leben irgendeine der tausend Varianten des Prometheus plötzlich aufs Papier zu werfen, einerlei welche, und gleichviel in was für einem Stil. Weil ich aber keine Verse zu machen verstand, und weil anderseits das tiefe Pathos des Werkes mich zu gehobenem rhythmischen Tonfall und zu einer schweren, massiven Sprache nötigte, so wurde jener eigentümliche Stil daraus, welcher, wie man mir sagt, den Leser an die Sprache der Propheten erinnert. So entstand mein Erstlingswerk »Prometheus und Epimetheus«.

Muß ich nun jene dreizehnjährige Arbeit, die ich infolge eines Irrtums an dies eine Prometheusthema aufwandte, als eine verlorene betrachten? Sie werden, auch ohne daß ich es sage, erraten, daß das nicht der Fall ist. Als hauptsächlichste Gewinnste möchte ich folgende bezeichnen: Auf der künstlerischen Seite: Bereicherung der Phantasie; denn Variantentätigkeit bereichert. Ferner Vermehrung der Künstlerkraft; wer sich anderthalb Jahrzehnte lang an unmöglichen Aufgaben wundgearbeitet hat, dem erscheint später jede mögliche Aufgabe leicht. Auf poetischem Gebiet: Die Erschließung der kosmischen und der symbolischen Poesie, die mir früher fremd gewesen war. Auf dem Gebiete des Charakters: ein pathetisches Verhältnis zur Poesie, das an Ernst, an Demut und Ergebenheit sowie an Zähigkeit einer Religion gleichkommt. Aus diesem religiösen Verhältnis zur Poesie habe ich dann später die Kraft bezogen (die ich sehr gut brauchen konnte!), der Ungunst des Schicksals zu widerstehen, ohne innerlich Schaden zu nehmen, und unbekümmert um die Weisheiten und Torheiten eines kleinen Zeitalters ruhig meinen Weg zu gehen. Sie können mitunter behaupten hören, ich wäre »verbittert«. Das ist bloß ein frommer Wunsch. Den Gefallen habe ich ihnen nicht getan.

Hiermit kennen Sie nun die beiden Hauptquellen meiner Poesie, erstens die epischen Dichtungen des Studenten (das nenne ich meine sonnige Quelle), und zweitens die symbolischen und kosmischen Visionen des verzweifelnden Sisyphus, der sich an dem Prometheusthema abquälte (das nenne ich meine schwarze Quelle). Alles, was folgt, ist nur ein Ausfluß dieser beiden Quellen.

Also im Vorfrühjahr 1880 zu meinem fünfunddreißigjährigen Geburtstag schrieb ich eine der unzähligen Varianten des »Prometheus und Epimetheus« aufs Papier, und im Spätherbst desselben Jahres auf Weihnachten lag es gedruckt und veröffentlicht in Buchform vor mir. Bloß eine vorläufige Skizze, wie ich meinte, ich wollte es sogar ursprünglich auf dem Titelblatt eine »lyrische Skizze« taufen. Zum Verfassernamen wählte ich ein Pseudonym. Ich will Ihnen sagen, warum: Einmal aus Schamhaftigkeit, um nicht als ein solcher im hellen Tageslicht herumzuspazieren, der seine innersten Seelengeheimnisse der Öffentlichkeit preisgegeben hat. Hauptsächlich aber aus dem folgenden Grunde: In der langen Zwischenzeit (während das Buch gedruckt wurde) war es mir widerfahren, daß ich einige übermütige Feuilletonaufsätze im Berner »Bund« losließ, wahrscheinlich zur Reaktion gegen die dreizehnjährige furchtbare Anspannung. Kurz, dem pathetischen Dichter des Prometheus war unversehens ein Feuilletonist aus dem Ärmel gefallen. Darüber nun wurmten mich Gewissensbeschwerden. Jedenfalls mußte ich den Dichter von dem Feuilletonisten säuberlich trennen; also gab ich dem Dichter zur Unterscheidung von dem Feuilletonisten einen andern Namen, »Felix Tandem«, das wollte sagen: der nach dreizehn Jahren ›endlich glücklich‹ mit einem Buch fertig Gewordene. Diese Namensunterscheidung wollte ich auch künftig zeitlebens einhalten, um den Leser gleich auf dem Titel zu unterrichten, ob das, was ich biete, aus innerstem Herzen, also aus dichterischer Notwendigkeit stamme, mithin von Felix Tandem, oder ob bloß von der Oberhaut oder dem Gehirn oder andern unwesentlichen Gegenden. Ich würde zum Beispiel den »Olympischen Frühling« wieder unter dem Namen Felix Tandem herausgegeben haben. Ich erlebte aber dann später wegen des Pseudonyms so viele spöttische und hämische Bemerkungen, daß mir schließlich dieses System verekelt wurde.

Meine Meinung bei der Veröffentlichung dieser ›vorläufigen Skizze‹ war diese gewesen: ich wollte, gestärkt durch den ehrerbietigen Gruß der Besten der deutschen Nation, belehrt durch die Kritik der Gescheitesten, sofort den »Prometheus« noch einmal durcharbeiten, diesmal endgültig, und hernach mit frischem Mute die dreizehn Jahre lang zurückgestellten epischen Werke vollbringen. So meinte ichs, und so hätte es auch kommen sollen.

Es kam aber anders. Ein halbes Jahr nach Veröffentlichung des ersten Teiles meines »Prometheus« fand ich mich als Schulmeister in einem kleinen Städtchen, mit dreißig wöchentlichen Stunden überladen. Da war es natürlich mit aller großen Poesie vorbei. Was war denn da geschehen? Gar nichts war geschehen. Das Buch war dem Publikum von der damaligen wortführenden Kritik verschwiegen, gerechter und genauer gesagt: unterschlagen worden. Ich blieb nach wie vor eine Null, fand sämtliche Zugänge zur Literatur verschlossen und mußte mir deshalb meinen Lebensunterhalt anderwärtig zu verdienen suchen, so gut es ging. Es ging aber nicht so gut, es ging mühsam, und zwar zehn Jahre lang immer mühsamer. Es half mir auch nicht das mindeste, daß die berühmtesten Männer jener Zeit meinem Buch außerordentlichen Wert beimaßen, denn da keiner seine Wertschätzung öffentlich aussprach, brauchte die Presse keine Notiz davon zu nehmen. Was aber die Schweizer Presse, mit andern, deutlicheren Worten: was Widmann im Berner »Bund« sagte, verhallte an der Grenze.

Was war nun unter diesen Umständen meine Aufgabe? Meine Aufgabe war, nicht etwa zu klagen – es hat mich nie ein Mensch klagen gehört –, auch nicht zu schnauben (ich habe aber doch geschnoben), sondern geduldig zu hoffen und zu warten, ob sich vielleicht in späteren Lebensjahren mein Schicksal zum Bessern wenden würde, und dafür zu sorgen, daß ich dazumal nicht unterdessen an meinen Fähigkeiten würde Schaden gelitten haben. Ich durfte daher nicht untätig hoffen und warten, denn Untätigkeit schädigt das Mark eines Talentes; ich mußte immer etwas arbeiten, auch über der Arbeit darauf bedacht sein, daß ich dabei, statt zu verlernen, vielleicht etwas hinzulerne, was mir später, wenn ich wieder zum Epos gelangen sollte, auf Umwegen von Nutzen sein könnte. In der Kunst aber lernt man nicht etwa so, daß man zunächst etwas Halbgutes herstellt, dann etwas Dreiviertelgutes und allmählich immer Besseres. Halbgutes fördert ja nicht, sondern stößt einen rückwärts. Sondern man muß immer alles, was man angreift, gleich das erste Mal ganz recht machen. Diese Einsicht veranlaßte mich, selbst auf die kleinsten Stoffe jedesmal die allergrößte Sorgfalt zu verwenden. Fröhlich darauflos gepfuscht habe ich bloß ein einziges Mal, ganz am Anfang, unmittelbar nach dem »Prometheus«, in meinem »Extramundana«. Da hatte ich eben noch nicht gelernt, auf einem stummen Klavier säuberlich zu spielen. Später habe ichs dann gelernt. An Übung auf dem stummen Klavier fehlte mirs nicht.

Zum Lernen gehört unter anderem auch die Ausweitung der natürlichen Begabung. Die Ausweitung geschieht dadurch, daß man just jene Gebiete der Kunst aufsucht, die der natürlichen Begabung am fernsten hegen, und diese siegreich bewältigt. Womöglich sämtliche Gebiete der Kunst, wie die Maler der italienischen Renaissance. Von da stammt mein Proteusgesicht, also die Verschiedenartigkeit derjenigen Bücher unter meinen Büchern, die zeitlich zwischen dem »Prometheus« und dem »Olympischen Frühling« liegen. Ich versuchte eben jedes Feld der Poesie und Schriftstellerei mit je einem Stein zu besetzen, um hiermit meine Kunst zu üben und zu betätigen. Jeweilen ein einziger Stein für jedes Feld genügte für meinen Zweck. Hernach wechselte ich sofort wieder das Feld. Wäre alles, was ich schrieb, auch gedruckt worden – es konnte aber bloß die kleinere Hälfte gedruckt werden –, so würden Sie sehen, daß ich so ziemlich sämtliche Gebiete der Poesie und Schriftstellerei mit je einem Stein besetzte.

Indem ich Ihnen hiermit meine Zwischenwerke zwischen »Prometheus« und »Olympischer Frühling«, also reichlich drei Vierteile meiner gedruckten Bücher, als Lernwerke bezeichne, bitte ich Sie, sich hierdurch ja nicht täuschen zu lassen. Es liegt mir natürlich ferne, meine eigenen Bücher entwerten und sie Ihnen verleiden zu wollen. Selbstverständlich sind auch die Zwischenwerke immer der dichterischen Notwendigkeit entsprungen; sie stammen, wie alle Poesie, aus dem Herzen. Auch schmeichle ich mir mit der Hoffnung, daß sie sowohl selbständigen Daseinswert enthalten, als auch den Vergleich mit ähnlichen Werken anderer nicht zu scheuen brauchen. Ich weiß sogar, daß manche Beurteiler diese meine kleinen Bücher höher schätzen als meine beiden großangelegten Werke, daß namhafte Leute mich einen fragwürdigen Epiker, dagegen einen guten Lyriker nennen. Allein gesetzt selbst den Fall, diese hätten recht, was ich nicht glaube, so bin ich doch so durch und durch Epiker, daß mir der Titel eines mittelmäßigen Epikers immer noch lieber wäre als der eines guten Lyrikers. Jedenfalls muß ich heute, da die Zeit mich zur Beschränkung nötigt, die Zwischenwerke mit ein paar orientierenden Worten abfertigen, wobei ich die ungedruckten völlig übergehe.

Das nächste, was ich nach dem »Prometheus« veröffentlichen konnte, war das Buch »Extramundana«. »Extramundana« ist das Werk des kosmischen Dichters. Ich hatte mir eine Reihe von Möglichkeiten in der Phantasie ausgedacht, wie ein Dichter die Weltentstehung und den Weltuntergang mythisch darstellen könnte. Von dem Mythos über die Weltentstehung hatte ich eine ganze Menge bereit (ich glaube, dreiundsechzig waren es), aus dieser Menge gab ich sieben als Stichproben heraus. Dies ist der Inhalt von »Extramundana«.

Beispiele dieses Inhalts: Die Welt ist die Folge eines Preisausschreibens eines metaphysischen Weltbaukomitees. Hunderte von Weltbauplänen laufen ein; das Komitee erteilt den Preis natürlich dem dümmsten und schlechtesten aller Pläne, und dieser Plan wird dann auch ausgeführt. Ein anderes Beispiel: Die Welt wird auf dem Wege der Mathematik von Astronomen ins Dasein gerechnet (ähnlich wie unsere Philosophen sie mit Begriffen ausspekulieren); die schwierigere Aufgabe wird sein, sie wieder wegzurechnen. Und so weiter. Später sollte dann das Gegebene dazu kommen: Mythen über den Weltuntergang, von welchen auch schon einige bereit waren.

Manche wollen die »Extramundana« zu meinen bedeutenden Werken zählen, neben dem »Prometheus« und dem »Olympischen Frühling«. Ich bin der gegenteiligen Ansicht. Für mich bedeutet »Extramundana« ein Beispiel, wie mans nicht machen soll, eine ernste Warnung vor der Gefahr des Abstrakten und Abstrusen. Gottfried Keller nannte mir die mythischen Personen der »Extramundana« ›Nürnberger Spielwarenfiguren‹. Und vollends Fritz Mauthner, den ich hochschätze und dem ich noch heute dafür danke, erwies mir den Dienst, die »Extramundana« öffentlich dermaßen zu zerzausen, daß kein gutes Haar daran blieb. Beiläufig gemeldet, die Zerreißung meiner »Extramundana« durch Fritz Mauthner blieb lange Jahre hindurch die einzige Aufmerksamkeit, deren ich mich von der deutschen Presse zu erfreuen hatte. Ich mußte beiden recht geben. Damals wurde ich inne, daß ich auch in der mythischen Poesie niemals aufhören dürfe, echte Menschen zu zeichnen, und begann zu ahnen, daß ich mein Talent mehr mit Realistik, mit Leben speisen müsse. Das ist dann auch in der Folge geschehen und kam später dem »Olympischen Frühling« zugute.

Ferner empfand ich, während ich die »Extramundana« schrieb, daß manche dieser mythischen Geschichten durch Verkürzung zur Ballade gewonnen hätten. Eine solche Verkürzung war mir jedoch damals unmöglich, weil ich den gereimten Vers nicht konnte und glaubte, Verse zu reimen wäre so unendlich schwierig, daß ich es nie können werde. Ich war damals schon siebenunddreißig Jahre alt. Kann ein Siebenunddreißigjähriger, der noch nie ein Klavier versucht hat, jemals ein meisterhafter Klavierspieler werden? Oder einer, der nie gezeichnet und gemalt hat, mit siebenunddreißig Jahren hoffen, noch ein namhafter Maler zu werden? Gewiß nicht. So stellte ich mirs mit den Versen in der Poesie vor. Ich fühlte zwar in den »Extramundana«, ich sollte eigentlich gelegentlich lernen, Verse zu reimen; allein ich war verzweifelt bange, ob ich das jemals werde lernen können. Einstweilen schwang sich mein Mut in den »Extramundana« zum ungereimten Vers auf, und ich war mächtig erfreut und überrascht, als mir dies kühne Wagnis nicht allzu übel gelang.

Daß die Ausführung der »Extramundana« ein bißchen hastig und oberflächlich geriet, habe ich Ihnen schon gestanden. Ich warf das nur so schnell hin, wie man einen Brief schreibt. Ich sagte mir eben: es wird ja doch nicht gedruckt, und wenn es auch gedruckt würde, so liest es niemand. Die Voraussetzung war richtig: niemand las es.

Allein gerade »Extramundana« bekehrte mich zu der Einsicht, daß mans sich selber schuldig ist, auch solche Bücher, die niemand liest und die wahrscheinlich nicht einmal gedruckt werden, sorgfältig auszuarbeiten.

In den »Schmetterlingen« habe ich mich dann endlich an den gefürchteten Reim gewagt. Allerdings mit Hilfe eines Reimlexikons. (Heute brauche ich das Reimlexikon nicht mehr.) Die Sibylle in den »Schmetterlingen« ist das erste sogenannte ›Gedicht‹ meines Lebens. Und einmal daran, reimte ich dann gleich aus Leibeskräften. Einzelne der Schmetterlinge bekunden eine wahre Reimorgie.

»Friedli der Kolderi«. Eine kleine Sammlung von Prosaerzählungen. Das Auswahlprinzip dieser Sammlung war folgendes: Ich wollte Proben des verschiedensten Prosastils bieten: französische Feuilletonerzählung, deutsche Märchen, russischen Naturalismus. Zweck der Veröffentlichung war, den Bann des Schicksals zu brechen, welches mir viele Jahre lang jede Veröffentlichung verunmöglicht hatte. Der Zweck wurde auch erreicht, der Bann wurde durch »Friedli der Kolderi« gebrochen.

»Gustav«. Ein Idyll in Prosa. »Gustav« ist ein kleiner Ausschnitt aus der übermütigen, noch unveröffentlichten Prosaerzählung »Das Wettfasten«.

»Die Mädchenfeinde«. Eine Kindergeschichte, auf persönlichen Erinnerungen fußend. Das künstlerische Motiv war, zu versuchen, ob man die alleinseligmachende Novelle nicht vielleicht auch könnte. Nämlich Anno 1890, als diese Geschichte geschrieben wurde, galt nichts als die Novelle.

»Literarische Gleichnisse«. Ein Ausbruch des Zorns und des Schmerzes aus dem Elend der Kleinarbeit heraus, nebst glücklicherweise unbegründeten Todesahnungen. Das tragische Kerngedicht, um welches sich alles andere gruppierte, heißt »Nur ein König«. Bei dieser Gelegenheit schrieb ich mir denn zugleich ein für allemal die Galle von der Leber. Als Titelblatt dachte ich mir einen aufrechten Tiger, der den Beschauer anfletscht und mit erhobenen Pranken bedroht.

»Balladen«. Poetisches Motiv: Poesie. Künstlerisches Motiv: Formale Vorbereitung auf ein etwaiges zukünftiges Epos. Also Formgymnastik. Mit dem bestimmten Nebenzweck, für das deutsche Epos das geeignete Versmaß zu erspüren. In dem Gedicht »Der Rundgang der Venus« habe ichs dann gefunden: den sechsfüßigen Jambus. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir zu bemerken, daß ich den sechsfüßigen Jambus keineswegs von den Franzosen habe, sondern von Schiller. Daß man aber meine sechsfüßigen Jamben Alexandriner nennt, finde ich ein bißchen – wie soll ich sagen? – nun, nennen wirs beim Namen: unwissend.

»Der Gotthard«. Ein Baedeker. Allzu peinliche sachliche Gewissenhaftigkeit hat das Buch literarisch geschädigt. Jetzt würde ich das Thema anders, leichter anfassen: ich würde, statt die Gegenden direkt darzustellen, meine Wanderungen erzählen.

»Conrad der Leutnant«. Ursprünglich eine weggelassene Episode aus dem »Wettfasten«. Später eine Nummer aus einem geplanten Zyklus: »Drei Sonntage«. Zuletzt: selbständige Erzählung naturalistischen Stils. Grund, warum ich das in naturalistischem Stil schrieb: Vor einem künftigen Epos wollte ich mir beweisen, daß ich auch im naturalistischen Stil schreiben könnte, wenn ich wollte. Nun sollten mir, bitte, die Naturalisten, die damals das Maul so weit aufrissen, ihrerseits beweisen, daß sie auch ein Epos schreiben könnten, wenn sie wollten. Die schwierige Form der ›Darstellung‹ wählte ich, um mir die Prosa schwer zu machen. Ein Künstler muß sich nämlich immer zugleich Aufgaben stellen.

»Lachende Wahrheiten«. Eine Sammlung von beiläufigen Auslassungen. Mir wäre es nie eingefallen, diese beiläufigen Auslassungen zu sammeln und herauszugeben. Auch bemerke ich ausdrücklich, daß die »Lachenden Wahrheiten« keineswegs meine innersten Gedanken über Kunst und Poesie enthalten. Diese innersten Gedanken verschweige ich, weil ich der Ansicht bin: wer der ästhetischen Weisheit bedarf, dem nützt sie nichts, und wer ihrer nicht bedarf, der braucht sie nicht. Ferner, weil ich urteile: es wird in Deutschland schon ohnehin viel zu viel über Kunst und Poesie geredet. Sondern die Aufsätze der »Lachenden Wahrheiten« sind so zu verstehen: Wenn ich arbeite und ein Marienkäferchen krabbelt mir übers Papier, so schaue ich mir das interessante artige Tierlein gerne an und teile vielleicht andern meine Beobachtungen über das niedliche Tierlein beiläufig mit. Oder es zappelt mir eine Spinne übers Gesicht, dann schlage ich sie beiläufig tot. Oder während ich arbeite, geschieht im Korridor von fremden Leuten Lärm und Unfug. Dann öffne ich etwa die Tür und rufe schnell einige gebührende Worte in den Korridor. Nachher schließe ich wieder die Tür zu und arbeite ruhig weiter.

So sind die Aufsätze der »Lachenden Wahrheiten« entstanden, und so sind sie zu verstehen.

Wer daher urteilt, diese Aufsätze entbehren der Tiefe, der hat leichtes Spiel. Es fällt mir gar nicht ein, auf logisch-prosaischem Wege tief sein zu wollen; für den Tiefsinn habe ich die Poesie, und auch die Poesie für etwas Besseres als den Tiefsinn.

»Imago«. Inhalt: Tasso unter den Demokraten.

»Glockenlieder«. Ein Erlösungsflug in die blaue Luft aus dem verhaßten Schraubstock der Prosaarbeit, in welchen mich »Imago« zwang.

Das sind also die gedruckten Zwischenwerke und Nebenwerke.

Zehn Jahre nach dem »Prometheus« gestaltete sich dann meine äußere Lage besser, und im Jahre 1891 wurde ich frei und unabhängig. Nun hätte mich von Schicksals wegen nichts mehr gehindert, die vierundzwanzig Jahre lang zurückgestellte epische Poesie sofort vorzunehmen. Allein jetzt geschah das, was ich im zweiten Teile des »Prometheus« geahnt und vorausgesagt hatte: nun fand ich den Willen dazu nicht mehr lebendig. Den hatte ich eben tief chloroformieren müssen, um warten und Kleinarbeit liefern zu können. Und jetzt wirkte das Chloroform noch manches Jahr nach. Allmählich meldete sich dann doch das Heimweh und mit dem Heimweh die Sehnsucht, und schließlich zwang mir die pathetische Erinnerung an die großgemute epische Jugendzeit die Feder in die Hand. Das mahnende Gespenst des »Herakles« ließ mir keine Ruhe mehr. So entstand der »Olympische Frühling«. Die Meinung war, vor dem eigenen Sterben noch schnell dem toten Felix Tandem ein ehrendes Denkmal auf sein Grab zu setzen, eine Andeutung dessen, was er unter günstigen Umständen etwa würde geleistet haben. Der »Olympische Frühling« ist mithin ein jüngerer, nachgeborener Bruder und Erbe meines Herakles. Die Arbeit selber wirkte dann wie ein Zauberstab, der den totgeglaubten Felix Tandem jung und gesund wieder aufweckte. Wenn Sie vielleicht in der epischen Führung des »Olympischen Frühlings« eine sichere Hand gewahren, so wissen Sie jetzt, woher das kommt: das kommt von den epischen Kompositionen des zweiundzwanzigjährigen Studenten. Ich befand mich hier im Epos nicht bloß in meinem Element, sondern ich war auch schon geübt. Über Ausarbeitung, Sprache und Vers aber hatte ich diesmal zum Glück weniger unrichtige Vorstellungen als dazumal; ich hatte eben in der Zwischenzeit gelernt.

Was nun weiter?

Es wird hauptsächlich darauf ankommen, wieviel Lebenskraft und Gesundheit mir noch verbleibt. Das kann ich natürlich nicht vorauswissen, und darum kann ich auch nicht voraussagen, ob noch etwas nachkommt und was etwa. Das immerhin glaube ich versichern zu können, daß, so lange mir Gesundheit und Kraft treu bleiben, auch ich hinfort der wiedergewonnenen hohen Poesie, also dem Epos und der kosmischen Dichtung treu bleiben werde.


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