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Über Zeichenunterricht

Auch wir haben einst unter unsern Schulkameraden edle malerische Keime beobachtet, auch wir haben mitansehen müssen, wie dieselben mit allen Lehrkünsten gewaltsam unterdrückt wurden, wie sie in der Zeichenschule nicht allein nichts lernten, sondern noch obendrein alle Lust und alles Vertrauen zu sich und zu dem Lehrer verloren. Die Talentvollsten nahmen in der Zeichenstunde ein Blatt unter das Reißbrett und zeichneten im geheimen darauf, mit großer Angst, dabei entdeckt zu werden. Wehe jenem, der ertappt wurde: gerade der Zeichner aus Herzenslust stand bei dem Zeichenlehrer in der tiefsten Ungnade. Wer gab dem armen jungen Talente einen Rat, wer lieh ihm Hülfe? Es kam vor, daß Knaben sich gegenseitig oder bei ihren Eltern und Tanten darüber erkundigten, ob die Lokalfarbe durch den Bleistift angedeutet werden müsse oder ob man sich ganz allein an Licht und Schatten zu halten habe. Jahrelang grübelten einzelne über solche natürliche und berechtigte Fragen umsonst. Keinem wäre es je eingefallen, beim Zeichenlehrer Rat zu holen. Wozu auch? Um sich schelten zu lassen? Es wäre ihm gegangen wie dem angehenden Poeten, der, die Seele voll leuchtender Bilder und voll der schönsten unersetzlichen Jugendkraft, auf einer Bibliothek nach Schiller fragte und dafür von dem wachehaltenden Professor angegrunzt wurde: »Lernen Sie lieber eine Rede von Cicero auswendig!« O Jugend, wie wirst du von Pedanten verraten! Und da wundert man sich, wenn fertige Künstler, nachdem sie mit tausend Nöten ihr Heiligtum aus den Knöcherfingern der Pädagogen gerettet, zeitlebens für alles Schul- und Gymnasialwesen eine kräftige Verwünschung und eine glühende Feindschaft bereit haben.

Wie ging es ehedem in der Zeichenschule zu? Mit Parabeln, Quadraten und Parallelepipedonten wurde der junge Knabe empfangen, welcher, das Auge voll der herrlichsten Naturbilder, auf die Zeichenbank gepflanzt wurde. Rechtlinigkeit, die manche große Meister zeitlebens nicht erreichen, ohne darum an Wert zu verlieren, galt für das erste Ziel. Ein Glück, wenn ein Mut und eine Lust nicht schon daran zugrunde gingen. Dann rückte man an die Ornamente. Jahrelang wurde da herumgeschnörkelt mit Säbellinien und baumstarken parallelen Schattenstrichen in den Vertiefungen. Etwa vier, wenns hoch kam, sechs Ornamente, die einen auf blauem, die andern auf braunem Papier, diese mit Bleistift, jene mit Kreide gesägt, kamen jährlich zustande, zur Eitelkeit der Eltern, zur Prahlerei des Examens und zur bittern Reue des talentvollen Knaben, der mittlerweile Hunderte von Heften führerlos und ratverlassen aus unvertilglicher Malerlust zu Hause beschmiert hatte. Das Examen, diese Heuchelei der Schule, war überhaupt das oberste Ziel, wie für alles, so für das Zeichnen. Wenn nur die Wände am Ende des Jahres mit gebürsteten, mühseligen Klaubereien vollhingen, dann war alles in Ordnung. »Willst du Landschaften oder Figuren zeichnen?« wurden die Ersten der Zeichenklasse gefragt. Wer die Landschaft wählte, der bekam einen Strauch zu zeichnen, der ihn ungefähr drei Monate mit seinen Ästen gefangen nahm; dann kam ein zweiter Strauch an die Reihe, endlich vielleicht ein Baum. Jede angenommene Vorlage bedeutete einen vierteljährlichen Kontrakt, das heißt für ein Kind ein Lebensalter; und zwar konnte man den Kontrakt natürlich nicht kündigen. Wem das Gehölz nach zwei Monaten zu verleiden begann, der mußte gleichwohl weiter mit der Kreide darin herumkriechen, bis das schwarze Schaf, denn danach sah es nach hundert Verbesserungen meistens aus, endlich examenfähig dastand. Nach einem halben Dutzend solcher Schafe war auch die Schule aus, und der Knabe wurde als mittelmäßig begabt entlassen. Wer sich an die Figuren getraute, was als ein großes Wagnis geschildert wurde, dem rückte man einen Gipskopf vor, vorausgesetzt, daß er nicht erst eine Anzahl großer Zehen und Ohren konterfeien mußte. Doch genug davon, das Seufzen beginnt sich bei dem Schreiber dieser Zeilen bedenklich in Knurren zu verwandeln.


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