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Folgenden Brauch übte ich in meiner Jugend, wie etwas Selbstverständliches, wie ein natürliches Menschenrecht. Wenn ich irgendwo in der Welt aus einem Hause ein Musikstück tönen hörte, das mich durch seine Schönheit entzückte, das ich aber noch nicht kannte, begab ich mich ohne weiteres in jenes Haus, klopfte an und erbat mir unbefangen den Namen des Schöpfers und den Titel des Werkes. Bei diesem Beginnen leitete mich unbewußt die Voraussetzung, jeder Mensch, welcher der Schönheit huldigt, sei herzensgut und liebenswürdig, so daß es mir gar nicht in den Sinn kam, ich könnte als fremder Eindringling abgewiesen werden. Das ist mir denn auch in der Tat nie begegnet. Wahrscheinlich sah man mir meine beschriebene, sachliche Teilnahme an dem Kunstwerk an, kurz, man willfahrte mir gerne, und meistens wurde ich eingeladen, wiederzukommen.
Aber nicht bloß für berechtigt hielt ich mich, sondern auch für verpflichtet. Nämlich zu Dank. Wer mich ein Musikstück ersten Ranges, das ich vorher noch nicht gekannt hatte, hören ließ, den betrachtete ich fortan als meinen Wohltäter. Sein Bild blieb in meinem Gedächtnis untrennbar mit dem Musikstück verbunden, das er mir vermittelt hatte. Ob ich ihn vielleicht nur dieses einzige Mal im Leben sah, ich widmete ihm treue Freundschaft.
Sie sind nun freilich so ziemlich alle tot, meine musikalischen Wohltäterinnen. Ihr Andenken aber segnet neben den Tränen der trauernden Verwandten der Gesang der Töne, mit welchen sie mich einst beschenkten. Und da ihrer so manche sind, ist es wie eine Gemeinde, wie ein Allerseelen guter Menschen. Sie kennen zwar einander nicht, ich aber kenne sie und weiß, daß sie sämtlich miteinander verwandt sind.