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Ich vermag nicht den Vermittler eines Musikstückes von dem Erfinder dieses Musikstückes reinlich loszupräparieren. Wer mir etwas Häßliches in die Ohren nötigt, besudelt sich in meinen Augen; wer mir etwas unbekanntes Schönes vorspielt, dem schreibe ich die Tugenden des Erfinders zu gute. Wie einen Wohltäter ehre und liebe ich einen Menschen, der mich musikalische Schönheiten höchsten Ranges zum ersten Mal hat kennen lehren; ich fühle mich ihm lebenslänglich zu Dank verpflichtet und wie durch einen Freundschaftsbund vereint. Er mag mir später antun, was er will; es hilft ihm nichts, ich bleibe sein Schuldner. Und wären es nur zwei unvergeßliche Takte, und hätte ich den Menschen bloß ein einziges Mal gesehen, die entzückenden Töne, die er mich hören ließ, bleiben an seinem Erinnerungsbild hangen und verklären mirs. An einem regnerischen Tage auf der Frohburg stümperte eine Dilettantin die mir damals (1864) noch neue A-Moll-Klaviersonate von Mozart; dieser stümpernden Dilettantin trage ich die A-Moll-Sonate noch heute, nach fünfzig Jahren, nach. In Pfungen lehrte mich eine kranke Dame Cherubini kennen; ob sies wohl gespürt hat, daß ich bis zu ihrem Tode ihr Krankenlager mit einer gewissen Mollmelodie der Abencerragen-Ouvertüre gegrüßt habe? In Winterthur spielte ich mit einem Mädchen, das ich nur dies einzige Mal im Leben gesehen, die Ouvertüre zu »La donna del lago« von Rossini. Es waren ihre Noten, ihr Geschenk. Das anmutige Thema dieser Ouvertüre hält sie mit mir verbunden.
Die meisten meiner musikalischen Wohltäterinnen sind jetzt tot, die letzten am Sterben; nun klingen die Töne über ihrem Grabe weiter, ihr Andenken segnend. Zu den Tränen der trauernden Verwandten, zu dem Hund, der sich winselnd auf ihr Grab legt, bringe ich den Gesang der Töne, mit welchen sie mich einst beschenkten. Und da ihrer so viele sind, ist es wie eine Gemeinde, wie ein Allerseelen guter Menschen; sie kennen zwar einander nicht, aber ich kenne sie sämtlich und weiß, daß sie einander verwandt sind.