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Neunzehntes Kapitel.

Es wird gezeigt, daß das Recht in geistlichen Dingen ganz und gar den höchsten Gewalten zusteht, und daß der äußere Gottesdienst dem Frieden des Staats entsprechen müsse, wenn unser Gehorsam gegen Gott der richtige sein soll.


Wenn ich oben gesagt habe, daß die Inhaber der Staatsgewalt allein das Recht zu allem haben und alles Recht allein von ihrem Beschluß abhängt, so habe ich damit nicht bloß das bürgerliche, sondern auch das geistliche Recht gemeint. Denn auch des geistlichen Rechts Ausleger und Beschützer müssen sie sein. Dies will ich hier ausdrücklich erklären und es soll der eigentliche Gegenstand dieses Kapitels sein, weil es sehr viele giebt, welche bestreiten, daß dieses Recht, nämlich das Recht in geistlichen Dingen, den höchsten Gewalten zustehe, und diese nicht als Ausleger des göttlichen Rechts anerkennen wollen. Diese Leute maßen sich daher die Befugnis an, die Inhaber der Regierung anzuklagen und herunterzusetzen, ja sogar (wie einst Ambrosius den Kaiser Theodosius) mit dem Bann zu belegen. Wir werden im Verlaufe dieses Kapitels sehen, daß sie auf diese Weise die Regierung teilen, ja sogar selbst nach der Regierung trachten. Vorher will ich zeigen, daß die Religion Rechtskraft nur durch den Beschluß derjenigen erlangen kann, welche das Recht zum Befehlen haben, und daß Gott kein besonderes Reich unter den Menschen hat, sondern nur durch diejenigen regiert, welche die Staatsregierung führen; ferner daß der Gottesdienst und die Ausübung der Frömmigkeit dem Frieden und dem Nutzen des Staats entsprechen und darum nur von den höchsten Gewalten bestimmt werden können, welche deswegen auch dessen Ausleger sein müssen.

Ich bemerke ausdrücklich, daß ich nur von der Ausübung der Frömmigkeit und dem äußerlichen Gottesdienst rede, nicht aber von der Frömmigkeit selbst und dem innerlichen Gottesdienst, oder den Mitteln, durch welche der Geist im Innern angeregt wird, Gott mit ganzem Herzen zu verehren. Denn der innere Gottesdienst oder die Frömmigkeit selbst ist das Recht jedes einzelnen, (wie am Schluß des 7. Kapitels gezeigt worden,) welches auf einen andern nicht übertragen werden kann.

Was ich ferner hier unter Reich Gottes verstehe, erhellt, wie ich glaube, zur Genüge aus dem 14. Kapitel; denn es wurde dort gezeigt, daß derjenige das Gesetz Gottes erfüllt, der Gerechtigkeit und Liebe nach Gottes Gebot übt; woraus folgt, daß das Reich Gottes ein solches ist, in welchem Gerechtigkeit und Liebe Rechts- und Gesetzeskraft haben. Und zwar mache ich dabei keinen Unterschied, ob Gott die rechte Übung der Gerechtigkeit und der Liebe durch die natürliche Vernunft oder durch Offenbarung lehrt und befiehlt; denn es ist ganz einerlei, auf welchem Wege dieser Gottesdienst mitgeteilt wurde, sobald er nur höchste Rechtskraft besitzt und den Menschen als höchstes Gesetz gilt.

Wenn ich also jetzt zeigen werde, daß Gerechtigkeit und Liebe Rechts- und Gesetzeskraft nur durch das Recht der Staatsgewalt erlangen können, so ergiebt sich sehr einfach, (da das Recht der Staatsgewalt nur bei den höchsten Gewalten ist,) daß die Religion Gesetzeskraft nur durch den Beschluß derjenigen Personen erlangt, welche das Recht zum Befehlen haben, und daß Gott kein besonderes Reich unter den Menschen hat, sondern sie durch diejenigen regiert, welche die Regierung inne haben.

Daß nun der Gottesdienst der Gerechtigkeit und Liebe Gesetzeskraft nur durch das Recht der Staatsgewalt erlangt, erhellt aus dem Früheren. Denn im 16. Kapitel habe ich gezeigt, daß im Naturzustand die Vernunft kein größeres Recht hat als die Begierde, und sowohl diejenigen, welche nach den Gesetzen der Begierde leben, wie die, welche nach den Gesetzen der Vernunft leben, das Recht zu allem haben, was sie können. Aus diesem Grunde konnten wir auch nicht annehmen, daß es im Naturzustand eine Sünde gebe, und daß in demselben Gott als Richter die Menschen um ihrer Sünden willen strafe, weil da alles nach den allgemeinen Gesetzen der Gesamtnatur geschehe und ein Geschick (um mit Salomo zu reden) den Gerechten wie den Gottlosen, den Reinen wie den Unreinen etc. treffe, und für Gerechtigkeit und Liebe nirgends Raum sei. Damit aber die Vorschriften der wahren Vernunft, d. h. eben (wie im 4. Kapitel über das göttliche Gesetz gezeigt wurde) die göttlichen Vorschriften unbedingte Rechtskraft erhielten, sei es notwendig gewesen, daß jeder Einzelne sein natürliches Recht aufgab und alle dieses Recht entweder auf alle, oder auf einige oder auf einen Einzelnen übertrugen; jetzt erst hatten die Begriffe, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Billigkeit und Unbilligkeit einen Sinn.

Die Gerechtigkeit also, wie überhaupt alle Vorschriften der wahren Vernunft und demgemäß auch die Nächstenliebe, erlangen nur durch das Recht der Staatsgewalt, d. h. (nach dem, was im selbigen Kapitel gezeigt wurde,) nur durch den Beschluß derer, welche das Recht des Befehlens haben, Rechts- und Gesetzeskraft. Weil aber (wie bereits gezeigt) das Reich Gottes einzig und allein in dem Recht der Gerechtigkeit und Liebe, oder der wahren Religion besteht, so folgt, was ich behaupte, daß nämlich Gott kein anderes Reich unter den Menschen hat, als das weltliche und nur durch diejenigen regiert, welche die Staatsgewalt inne haben. Und es ist hierbei, wiederhole ich, ganz einerlei, ob wir die Religion mit der natürlichen Vernunft oder durch prophetische Offenbarung begreifen; da der Beweis allgemein gilt, indem die Religion die gleiche ist und von Gott ganz ebenso geoffenbart wurde, mag man sich diese Offenbarung so oder so vorstellen.

Daher mußte auch jeder von den Hebräern, damit die prophetisch geoffenbarte Religion Rechtskraft bei ihnen erlange, sein Naturrecht zuvor abtreten und alle mußten sich dahin einigen und bestimmen, nur denjenigen Vorschriften zu gehorchen, die ihnen von Gott prophetisch geoffenbart würden; ganz so wie es nach unserer obigen Ausführung in einem demokratischen Staate geschieht, in welchem alle gemeinschaftlich übereinkommen und beschließen, nur nach den Vorschriften der Vernunft zu leben.

Wiewohl aber die Hebräer überdies ihr Recht auf Gott übertragen haben, so konnten sie dies doch mehr im Geiste als in der That vollführen. Denn tatsächlich haben sie (wie wir oben sahen) das Recht der Staatsgewalt ganz und gar behalten, bis sie es auf Moses übertragen haben, welcher auch von dieser Zeit an unbeschränkter König blieb, und durch ihn allein hat Gott die Hebräer regiert. Ferner konnte aus diesem Grunde (daß nämlich die Religion Rechtskraft nur durch das Recht der Staatsgewalt erlangt) Moses diejenigen unter ihnen nicht mit dem Tod bestrafen, die vor dem Vertrag, also zur Zeit, da sie noch ihr eigenes Recht hatten, den Sabbath entweihten, (s. 2. Buch Mose Kap. 15, V. 30,) wie dies nach dem Vertrag der Fall war, (s. 4. Buch Mose Kap. 15, V. 36,) nachdem nämlich ein jeder sein Naturrecht abgetreten und der Sabbath nach dem Staatsrecht Gesetzeskraft erlangt hatte.

Endlich hat deshalb auch nach dem Untergang des Hebräerstaats die geoffenbarte Religion aufgehört, Rechtskraft zu besitzen. Denn wir können nicht bezweifeln, daß von dem Zeitpunkt an, wo die Hebräer ihr Recht auf den König von Babylon übertrugen, das Reich Gottes und das göttliche Recht sofort aufgehört hat. Denn damit war der Vertrag, worin sie gelobt hatten, allem, was Gott reden werde, zu gehorchen, und welcher die Grundlage des Reiches Gottes gewesen war, gänzlich aufgehoben; auch konnten sie ihn von da ab nicht mehr aufrecht halten, da sie kein selbständiges Recht mehr hatten, (wie zur Zeit, da sie in der Wüste oder im Vaterlande waren,) sondern dem König von Babylon unterworfen waren, dem sie in allen Dingen (wie im 16. Kapitel gezeigt worden) gehorchen mußten. Hierzu ermahnte sie auch Jeremia ausdrücklich im 29. Kap., 7. V.: »Befördert«, sagt er, »den Frieden der Stadt, wohin ich euch in Gefangenschaft geführt. Denn ihr Wohl ist auch euer Wohl.« Indessen konnten sie das Wohl jener Stadt nicht als Beamte des Staats fördern, (da sie Gefangene waren,) sondern als Sklaven; und zwar dadurch, daß sie jeden Aufruhr vermieden, in allen Stücken sich gehorsam bewiesen, die Rechte und Gesetze des Landes beobachteten, wenn sie auch sehr verschieden von denen waren, die sie im Vaterlande gewohnt waren, u. s. f.

Aus dem allem folgt aufs augenscheinlichste, daß die Religion bei den Hebräern Rechtskraft nur durch das Recht der Staatsgewalt erlangt hatte, und daß sie nach dessen Zerstörung nicht weiter als Rechtseinrichtung eines besonderen Reiches betrachtet werden konnte, sondern als eine allgemeine Lehre der Vernunft. Ich sage »der Vernunft«, weil die katholische Religion damals noch nicht durch Offenbarung verbreitet war.

Ich ziehe daher mit aller Bestimmtheit die Schlußfolgerung, daß die Religion, ob sie durch die natürliche Vernunft oder prophetisch geoffenbart ist, Gesetzeskraft nur erlangt durch den Beschluß derer, welche das Recht des Befehlens haben, und daß Gott kein besonderes Reich unter den Menschen hat, sondern nur durch diejenigen regiert, welche die Staatsgewalt inne haben.

Dieses folgt auch und wird noch deutlicher aus den Ausführungen des 4. Kapitels. Dort wurde gezeigt, daß alle Beschlüsse Gottes ewige Wahrheit und Notwendigkeit in sich schließen, und daß man sich Gott nicht als Fürst oder Gesetzgeber denken kann, der den Menschen Gesetze giebt. Daher erlangen die durch die natürliche Vernunft oder auf prophetischem Wege geoffenbarten göttlichen Lehren ihre Gesetzeskraft nicht unmittelbar von Gott, sondern notwendig von denen, oder vermittelst derer, welche das Recht haben, zu befehlen und Beschlüsse zu fassen. Wir können uns daher Gott als Regenten der Menschen und gerechten und milden Lenker der menschlichen Angelegenheiten nur in der Weise vorstellen, daß er dies ist durch Vermittlung derer, welche die Staatsgewalt inne haben.

Es wird dies auch durch die Erfahrung bestätigt. Denn die Spuren der göttlichen Gerechtigkeit werden nur da gefunden, wo gerechte Menschen die Regierung inne haben. Wo dies nicht der Fall ist, trifft, wie wir deutlich sehen, das gleiche Geschick den Gerechten wie den Ungerechten, den Reinen wie den Unreinen (um mich wiederholt der Worte Salomos zu bedienen); ein Umstand, welcher viele veranlaßt, an der göttlichen Vorsehung zu zweifeln, weil sie sich die göttliche Regierung unter den Menschen als eine unmittelbare denken, welche die ganze Natur zum Vorteil der Menschen leiten müsse.

Da es sich also aus der Erfahrung wie aus der Vernunft ergiebt, daß das göttliche Recht einzig und allein von dem Beschluß der höchsten Gewalten abhängt, so folgt, daß diese auch dessen Ausleger seien. Auf welche Weise sie es sind, werden wir bald sehen. Zunächst ist es an der Zeit, zu zeigen, daß der äußerliche Gottesdienst und jede religiöse Übung dem Frieden und der Erhaltung des Staats entsprechen müssen, wenn unser Gehorsam gegen Gott der richtige sein soll. Nachdem dies bewiesen, werden wir unschwer einsehen, auf welche Weise die höchsten Gewalten Ausleger der Religion und Frömmigkeit seien.

Die Liebe zum Vaterlande ist ganz gewiß die höchste Frömmigkeit, die jemand an den Tag legen kann. Denn wenn der Staat auseinandergeht, kann alles Gute keinen Bestand haben, alles und jedes wird gefährdet, und Leidenschaft und Gewaltthätigkeit, die jeder am meisten fürchtet, führen das Ruder. Es folgt daraus, daß die größte Wohlthat, die man seinem Nebenmenschen erweist, eine Übelthat sein kann, wenn der Gesamtheit im Staate Schaden daraus erwächst, und daß ebenso umgekehrt das größte Übel, das einem andern zugefügt wird, als frommes Werk zu betrachten ist, wenn es zur Erhaltung des Staats geschieht. So z. B. ist es fromm gehandelt, wenn ich einem, der mit mir streitet und meinen Rock nehmen will, auch noch den Mantel gebe. Wo man sich aber sagen muß, daß eine solche Handlungsweise den Bestand des Staats gefährden müsse, da ist es vielmehr ein frommes Werk, ihn vor Gericht zu fordern, selbst wenn er zum Tode verurteilt werden würde. Aus diesem Grunde wird von Manlius Torquatus gerühmt, daß das Wohl des Volkes die Vaterliebe bei ihm überwog. Ist dem also, so ergiebt sich, daß das Wohl des ganzen Volkes höchstes Gesetz sein müsse, nach welchem sich alle Dinge, menschliche wie göttliche, zu richten haben. Da es nun aber der höchsten Gewalt allein zukommt, was zum Wohle des gesamten Volkes und zur Sicherheit des Staates nötig ist, zu bestimmen, und was sie als notwendig erkannt hat, anzubefehlen, so folgt, daß es auch der höchsten Gewalt allein zukommt, zu bestimmen, wie jeder gegen den Nebenmenschen seine Frömmigkeit, oder mit andern Worten, seinen Gehorsam gegen Gott bethätigen soll.

Hiernach ist es sehr klar, auf welche Weise die höchsten Gewalten Ausleger der Religion seien; wie auch, daß das nicht der richtige Gehorsam gegen Gott sein kann, wenn man die Übung der Frömmigkeit, welche für jedermann Pflicht ist, nicht mit dem Gesamtwohl in Einklang setzt, und folglich kann derjenige den rechten Gehorsam gegen Gott nicht bezeigen, der nicht allen Anordnungen der höchsten Gewalt Gehorsam leistet. Denn da wir alle (ohne Ausnahme) nach Gottes Gebot Frömmigkeit zu üben haben und niemand Schaden zufügen dürfen, so folgt, daß es niemand erlaubt ist, einem andern zum Nachteil eines dritten, und noch viel weniger zum Schaden des gesamten Staats Hilfe zu leisten. Es kann daher auch niemand dem Gebote Gottes gemäß gegen den Nächsten seine Frömmigkeit bethätigen, wenn er nicht seine Frömmigkeit und Religion mit dem öffentlichen Wohl in Einklang bringt. Was aber dem Gesamtstaat vorteilhaft ist, kann der Einzelne nur aus den Beschlüssen der höchsten Gewalten erfahren, denen allein die Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten zukommt. Somit kann nur derjenige auf rechte Weise Frömmigkeit üben und Gott gehorchen, der allen Beschlüssen der höchsten Gewalt Folge leistet.

Dieser Darlegung entspricht auch das wirkliche Verfahren im Staatsleben. Ist jemand von der höchsten Gewalt des Todes schuldig erklärt worden, sei er Einheimischer oder Fremder, Privatmann oder Herr über andere, so darf kein Unterthan demselben Hilfe leisten. So hatten auch die Hebräer, obgleich ihnen geboten war, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, (s. 3. Buch Mose Kap. 19, V. 17 und 18,) dennoch die Pflicht, jemand, der sich gegen die Bestimmungen des Gesetzes verfehlte, dem Richter anzuzeigen, (s. 3. Buch Mose Kap. 5, V. 1 und 5. Buch Mose Kap. 13, V. 8 und 9,) und ihn zu töten, wenn er des Todes schuldig befunden wurde (s. 5. Buch Mose Kap. 17, V. 7). – Die Hebräer mußten ferner, um sich ihre gewonnene Freiheit zu erhalten und im vollen Besitze der eroberten Länder zu bleiben, die Religion ihrem besondern Staatswesen anpassen und sich von den übrigen Völkern abgesondert halten, wie im 17. Kapitel gezeigt wurde. Deshalb war ihnen gesagt worden: Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind (s. Matth. Kap. 5, V. 43). Als sie aber ihr Reich verloren hatten und in die babylonische Gefangenschaft geführt worden waren, gab ihnen Jeremia die Weisung, das Wohl auch derjenigen Stadt zu fördern, in welche sie als Gefangene geführt worden. Und als Christus sah, daß sie über den ganzen Erdkreis zerstreut werden würden, lehrte er sie, alle Menschen ohne Ausnahme zu lieben. Das alles zeigt aufs klarste, daß die Religion zu allen Zeiten dem Wohl des Staats angepaßt wurde.

Sollte aber jemand fragen, mit welchem Recht die Jünger Christi, die doch Privatleute waren, die Religion predigen konnten, so antworte ich, daß sie hierzu das Recht hatten vermöge der Gewalt, die sie von Christus gegen die unreinen Geister empfangen hatten (s. Matth. Kap. 10, V. 1). Denn ich habe oben, am Schluß des 16. Kapitels, ausdrücklich hervorgehoben, daß auch einem Tyrannen jedermann Treue bewahren müsse, derjenige ausgenommen, welchem Gott durch frühere Offenbarung seine besondere Hilfe gegen den Tyrannen verheißen hat. Daher darf niemand dieses Beispiel nachahmen, wenn er nicht auch die Macht hat, Wunder zu verrichten. Es erhellt dies auch daraus, daß Christus zu seinen Jüngern auch gesagt hat, sie sollten diejenigen nicht fürchten, welche die Leiber töten (s. Matth. Kap. 16, V. 28). Wäre dies jedermann gesagt gewesen, so hätte die Einsetzung einer Regierung keinen Wert und das bekannte Wort Salomos: »Mein Sohn, fürchte Gott und den König!« (Spr. Salomo Kap. 24, V. 21) wäre ein gottloses Wort, was doch gewiß nicht der Fall sein kann. Man muß daher notwendig zugeben, daß die Autorität, welche Christus seinen Jüngern erteilt hatte, nur ihnen besonders verliehen war, und andere dieses Beispiel nicht nachahmen können.

Indessen mag ich mich nicht bei den Gründen aufhalten, welche die Gegner für die Trennung des geistlichen vom bürgerlichen Recht geltend machen, und auf welche sie die Behauptung stützen, daß nur das letztere den höchsten Gewalten zukomme, während das erstere der gesamten Kirche zustehe; denn diese Gründe sind so armselig, daß sie keine Widerlegung verdienen. Das eine nur kann ich nicht mit Stillschweigen übergehen, daß sie sich kläglich täuschen, wenn sie zur Rechtfertigung dieser aufrührerischen Ansicht (möge man diesen harten Ausdruck verzeihen) sich auf das Beispiel des Hohenpriesters der Hebräer berufen, dem ehedem das Recht zustand, die Angelegenheiten des Heiligtums zu verwalten. Als ob nicht die Hohenpriester dieses Recht von Moses empfangen hätten, (welcher, wie oben gezeigt wurde, allein die höchste Staatsgewalt inne hatte,) durch dessen Beschluß sie dieses Rechts auch wieder verlustig gehen konnten! Moses hat ja nicht bloß den Aron, sondern auch seinen Sohn Eleazar und seinen Enkel Phineas gewählt und ihnen die Autorität verliehen, das Hohenpriesteramt zu verwalten, und die späteren Hohenpriester behielten diese Autorität in der Weise, daß sie trotz ihres Rechts in Sachen des Heiligtums als Stellvertreter des Moses, d. h. der höchsten Gewalt, erschienen. Denn Moses hatte, wie ich oben zeigte, keinen Nachfolger in der Regierung gewählt, sondern alle seine Ämter so verteilt, daß seine Nachfolger gleichsam seine Verweser waren, welche die Staatsgewalt verwalteten, wie wenn der König nicht tot, sondern nur abwesend wäre. Im zweiten Reich waren dann die Hohenpriester unbeschränkte Inhaber dieses Rechts, nachdem sie mit dem Hohenpriesteramt auch das Recht des Staatsoberhaupts erlangt hatten.

Das Recht des Hohenpriesteramtes war darum immer von der Willensentschließung der höchsten Gewalt abhängig und die Hohenpriester haben es immer nur zugleich mit der weltlichen Oberherrschaft inne gehabt. Ja die Könige besaßen überhaupt das Recht in geistlichen Dingen, (wie bald aus den Ausführungen am Ende dieses Kapitels erhellen wird,) bis auf das eine, daß sie bei den heiligen Verrichtungen im Tempel nicht Hand anlegen durften, weil jeder, der seinen Stammbaum nicht von Aron ableiten konnte, als nichtheilig betrachtet wurde, was ja in einem christlichen Staat nicht der Fall ist. Darum können wir nicht zweifeln, daß heutzutage alle geistlichen Angelegenheiten, (deren Verwaltung zwar besondere Sitten, aber keine besondere Familie erfordert, weshalb auch die Inhaber der Staatsgewalt nicht als Nichtheilige davon ausgeschlossen sind,) einzig und allein zum Recht der höchsten Gewalten gehören, und ihre Autorität oder Bewilligung allein kann das Recht und die Gewalt verleihen, die geistlichen Angelegenheiten zu verwalten, die geistlichen Ämter zu besetzen, die Grundlagen der Kirche und ihre Lehre zu bestimmen und festzustellen, über die Sitten und religiösen Handlungen ein Urteil abzugeben, jemand aus der Kirche auszustoßen oder in dieselbe aufzunehmen, und für die Armen zu sorgen.

Nicht bloß als wahr wird (beziehungsweise wurde) dieses hier bewiesen, sondern hauptsächlich als notwendig, sowohl für die Religion wie für die Erhaltung des Staates. Weiß doch jedermann, welches Gewicht das geistliche Recht und die geistliche Autorität beim Volke hat, und wie sehr jedermann von dem Munde dessen abhängig ist, der dieselbe besitzt, so daß man behaupten darf: wer diese Autorität besitzt, herrscht am meisten über die Gemüter. Wer daher dieselbe den höchsten Gewalten entziehen will, der will die Regierung teilen; woraus notwendig, wie einst bei den Hebräern zwischen den Königen und Hohenpriestern, Streit, und Zwietracht entstehen müssen, deren Ausgleichung ein Ding der Unmöglichkeit ist. Ja wer diese Autorität den höchsten Gewalten entziehen will, der will sich selbst (wie ich schon einmal gesagt habe) einen Weg zur Herrschaft bahnen. Denn worüber kann die Staatsgewalt beschlußfähig sein, wenn ihr dieses Recht abgesprochen wird? Wahrlich über gar nichts, weder über Krieg noch über Frieden, noch über eine sonstige Angelegenheit, wird sie Beschlüsse fassen können, wenn sie die Meinung eines andern einholen muß, um zu erfahren, ob das, was sie selbst für vorteilhaft erachtet, fromm oder gottlos sei; alles wird vielmehr nach der Entschließung dessen geschehen, der das Recht hat, über das, was fromm und nicht fromm, recht und unrecht, Urteil und Bescheid zu geben.

Beispiele hiervon sind in allen Jahrhunderten vorgekommen; ich will nur eines anführen, dem alle andern ähnlich sind. Die römischen Päpste, denen dieses Recht ohne Einschränkung eingeräumt war, brachten nach und nach alle Könige unter ihre Gewalt, bis sie schließlich den höchsten Gipfel der Herrschaft erstiegen hatten. Vergebens strengten sich später die Fürsten und besonders die deutschen Kaiser an, die päpstliche Autorität zu vermindern; nicht ein Titelchen konnten sie ihr nehmen, im Gegenteil ist dieselbe dadurch nur noch mehr gewachsen. So kam es, daß, was die Fürsten mit Feuer und Schwert nicht vollbringen konnten, die Geistlichkeit mit der Feder allein fertig brachte. Schon daran allein kann man leicht erkennen, welche Kraft und Macht die Geistlichkeit besaß, und wie notwendig es ist, daß die höchsten Gewalten diese Autorität sich selbst wahren.

Wenn wir hierbei noch das im vorigen Kapitel Angeführte in Betracht ziehen, so werden wir finden, daß dies auch zum Gedeihen der Religion und Frömmigkeit nicht wenig beiträgt. Denn wir haben oben gesehen, daß sogar die Propheten, die doch mit besonderen Fähigkeiten von Gott begabt waren, weil sie nur Privatleute waren, durch ihr freimütiges Ermahnen, Tadeln und Schelten mehr gereizt als gebessert haben, während sich die Menschen leicht lenken ließen, wenn sie von Königen ermahnt oder gestraft wurden. Ferner haben wir gesehen, daß sehr viele Könige eben darum, weil ihnen dieses Recht nicht unbedingt zukam, von der Religion abfielen und mit ihnen das ganze Volk. Bekanntlich ist dergleichen auch in christlichen Staaten aus gleicher Ursache häufig vorgekommen.

Vielleicht fragt mich hier nun aber jemand: »Wer wird denn hiernach die Frömmigkeit rechtmäßig in Schutz nehmen, wenn die Inhaber der Staatsgewalt gottlos sein wollen? Sind dieselben auch dann als die alleinberechtigten Ausleger der Religion zu betrachten?« – Ich stelle nun aber die Gegenfrage: Wie wenn die Geistlichen, (die doch auch Menschen sind und Privatleute, denen nur die Sorge für ihre Privatangelegenheiten obliegt,) oder welche Personen es seien, denen das Recht in geistlichen Dingen zustehen soll, gottlos sein wollen? Sind dieselben auch dann als die alleinberechtigten Ausleger der Religion zu betrachten? Allein es ist sicher, daß die Inhaber der Staatsgewalt, wenn sie nach ihrem Belieben schalten und walten wollen, alles, geistliche und weltliche Dinge, ins Verderben stürzen, ob sie das Recht in geistlichen Dingen haben oder nicht. Sie werden aber um so schneller alles ins Verderben stürzen, wenn Privatpersonen das göttliche Recht aufrührerisch beanspruchen. Es wird also damit, daß man ihnen dieses Recht abspricht, schlechterdings nichts gewonnen, im Gegenteil wird das Übel dadurch nur noch vergrößert. Denn das eben giebt den Beweggrund ab, daß sie gottlos werden, (wie die Könige der Hebräer, denen dieses Recht nicht unbeschränkt zustand,) und so kommt es, daß das mögliche und zufällige Verderben und Unglück des ganzen Staats zum gewissen und notwendigen wird.

Die Wahrheit sowohl, als auch die Sicherheit des Staats, wie nicht minder das Gedeihen der Frömmigkeit, nötigen uns, zu behaupten, daß auch das göttliche Recht, oder das Recht in geistlichen Dingen, von dem Beschluß der höchsten Gewalten ohne Einschränkung abhängt und daß diese dessen Ausleger und Beschützer sind. Hieraus folgt, daß nur diejenigen Diener des göttlichen Wortes sind, welche vermöge der Autorität der höchsten Gewalten dem Volke die Frömmigkeit so lehren, wie sie nach der Willensmeinung der höchsten Gewalten mit dem öffentlichen Wohl in Einklang steht.

Es erübrigt noch, die Ursache anzugeben, weshalb im christlichen Reiche über dieses Recht immer Streit gewesen ist, da doch die Hebräer, so viel ich weiß, sich niemals darüber entzweit haben. Fürwahr, es könnte als eine Ungeheuerlichkeit erscheinen, daß eine Sache, die so klar und notwendig ist, beständig in Frage stand, und daß die höchsten Gewalten dieses Recht nie ohne Streitigkeiten, ja unter beständiger Gefahr des Aufruhrs und zum Schaden der Religion besessen haben. Wahrlich, wenn sich nicht eine bestimmte Ursache hierfür angeben ließe, so wäre ich geneigt, zu glauben, daß alles, was ich in diesem Kapitel gesagt habe, bloß theoretischen Wert habe, oder zu jener Gattung von Spekulationen gehöre, die niemals praktischen Wert haben können. Faßt man aber die Anfänge der christlichen Religion ins Auge, so tritt die Ursache der fraglichen Erscheinung vollständig klar zu Tage.

Die ersten Lehrer der christlichen Religion waren keine Könige, sondern Privatpersonen, welche, ganz gegen den Willen derer, welche die Staatsgewalt inne hatten und deren Unterthanen sie waren, viele Jahre lang in besonderen Kirchen sich versammelten, geistliche Aemter gründeten und verwalteten, und in allem allein Anordnungen trafen und Beschlüsse faßten, ohne sich dabei um die Staatsgewalt zu kümmern. Als nun im Laufe der Zeit die Religion nach und nach im Staat eingeführt wurde, mußten die Geistlichen die Religion so, wie sie von ihnen ausgebildet worden war, den Kaisern lehren, und dadurch war es ihnen leicht, es dahin zu bringen, daß sie als Lehrer und Ausleger der Religion, und außerdem als Hirten der Kirche, sozusagen als Stellvertreter Gottes, anerkannt wurden. Auch sorgten die Geistlichen aufs beste dafür, daß die späteren christlichen Könige sich diese Autorität nicht beilegen konnten, indem sie nämlich den höheren Dienern der Kirche und dem obersten Ausleger der Religion die Ehe verboten. Dazu kam noch, daß sie die Lehrsätze der Religion dermaßen vermehrt und sie mit der Philosophie derart vermengt hatten, daß der oberste Ausleger der Religion auch ein großer Philosoph und Theolog hätte sein und mit einer Menge wertloser Spekulationen sich hätte abgeben müssen, was doch nur bei Privatpersonen, welche recht viel Zeit übrig haben, der Fall sein kann.

Bei den Hebräern dagegen verhielt sich die Sache ganz anders. Der Anfang ihrer Kirche fiel mit dem Anfang ihres Staats zusammen, und Moses, welcher die Staatsgewalt unbeschränkt inne hatte, lehrte dem Volke die Religion, stiftete die heiligen Aemter und wählte die Personen, welche diese Aemter zu bekleiden hatten. Daher kam es, daß im Hebräerstaat, im Gegensatz zum christlichen Staat, die königliche Autorität das größte Gewicht beim Volke hatte, und daß die Könige es waren, welche das Recht in geistlichen Dingen hauptsächlich inne hatten. Denn wenn auch nach Moses' Tode kein unbeschränkter Inhaber der Staatsgewalt an der Spitze stand, so stand doch das Recht, Beschlüsse zu fassen, sowohl in geistlichen wie in andern Dingen, dem Staatsoberhaupt zu (wie schon gezeigt wurde). Auch mußte das Volk, wenn es über Religion und Frömmigkeit belehrt sein wollte, sich an den obersten Richter ebensowohl wie an den Priester wenden. (S. 5. Buch Mose Kap. 17, V. 9 und 11.) Auch hing die Ordnung und Wahl der geistlichen Aemter fast gänzlich von dem Beschluß der Könige ab, wenn sie auch nicht das gleiche Recht wie Moses besaßen. David ordnete den ganzen Tempelbau an (s. 1. Buch der Chronik Kap. 28, V. 11, 12 etc.); sodann wählte er aus allen Leviten vierundzwanzigtausend für den Gesang, und weitere sechstausend, aus welchen die Richter und Oberen gewählt werden sollten, ferner viertausend Thürhüter, und viertausend für die Instrumentalmusik. (S. desselben Buches 23. Kap., V. 4 und 5.) Ferner teilte er dieselben in einzelne Abteilungen, (deren Vorsteher er ebenfalls wählte,) welche den Tempeldienst der Reihe nach abwechselnd zu verrichten hatten. (S. V. 5 desselben Kapitels.) In ebensoviel Abteilungen teilte er die Priester ein. Um jedoch nicht alles im einzelnen anführen zu müssen, verweise ich den Leser auf das 2. Buch der Chronik Kap. 8, wo es im 13. Vers heißt, daß der Dienst Gottes, so wie ihn Moses eingesetzt hatte, auf Befehl Salomos im Tempel verrichtet worden sei, und im 14. Vers, daß er selbst (Salomo) die Abteilungen der Priester zu ihrem Dienste und die der Leviten etc. eingesetzt habe, nach dem Befehl Davids, des Gottesmanns. Endlich bezeugt der Geschichtschreiber im 15. Vers, daß von der Vorschrift des Königs, die er den Priestern und Leviten erteilt, in keinem Punkte abgewichen wurde, auch nicht in der Verwaltung des Schatzes.

Aus dem allem, wie aus andern geschichtlichen Berichten über die Könige geht sehr deutlich hervor, daß die Ausübung der Religion und der heilige Dienst in jeder Hinsicht einzig und allein vom Befehl des Königs abhing. Wenn ich aber oben sagte, daß die Könige nicht wie Moses das Recht hatten, den Hohenpriester zu wählen, Gott unmittelbar zu befragen, und die Propheten, die zu ihrer Zeit prophezeiten, zu verurteilen, so sagte ich das nur, sofern die Propheten vermöge der Autorität, die sie besaßen, einen neuen König wählen und den Königsmord vergeben konnten; ich meinte aber nicht, daß die Propheten einen König, der etwas Widergesetzliches zu unternehmen wagte, vor Gericht fordern und nach dem Recht gegen ihn verfahren durften. Hätte es aber keine Propheten gegeben, die durch besondere Offenbarung den Königsmördern sichere Verzeihung gewähren konnten, so würden die Könige zu allem, zu heiligen wie weltlichen Dingen, gänzlich und unbeschränkt Macht gehabt haben.

Die höchsten Gewalten der Gegenwart aber, welche keine Propheten haben, und keine anzuerkennen brauchen, (da sie den Gesetzen der Hebräer nicht unterworfen sind,) besitzen, auch wenn sie nicht ehelos sind, dieses Recht unbeschränkt, und sie werden es immer besitzen, wenn sie nur nicht zugeben, daß die religiösen Glaubenssätze vermehrt und mit der Wissenschaft vermengt werden.


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