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Viertes Kapitel.

Über das göttliche Gesetz.


Das Wort Gesetz an und für sich bezeichnet etwas, demzufolge jede Persönlichkeit, entweder alle oder einige derselben Gattung, auf eine und dieselbe feste und bestimmte Weise handelt; diese aber hängt entweder von der Notwendigkeit oder von dem menschlichen Willen ab. Ein Gesetz, das von der Notwendigkeit abhängt, ist ein solches, welches aus der Natur der Sache selbst oder aus ihrer Definition mit Notwendigkeit folgt. Ein Gesetz aber, das vom menschlichen Willen abhängt und eigentlich Recht genannt wird, ist ein solches, welches die Menschen sich oder anderen vorschreiben, um sicher und angenehm zu leben oder zu irgend einem andern Zweck. So z. B. ist es ein allgemeines aus der Naturnotwendigkeit folgendes Gesetz aller Körper, daß jeder Körper, der mit einem anderen kleineren zusammenstößt, so viel von seiner Bewegung verliert, als er dem andern davon mitteilt. Ebenso ist es ein aus der menschlichen Natur notwendig folgendes Gesetz, daß der Mensch, sobald er sich irgend einer Sache erinnert, sich alsbald auch anderer Sachen erinnert, welche mit jener Ähnlichkeit haben, oder welche gleichzeitig mit ihr wahrgenommen wurden. Dagegen hängt es vom menschlichen Willen ab, daß die Menschen etwas von ihrem Naturrecht freiwillig oder gezwungen aufgeben und an eine bestimmte Lebensweise sich binden.

Wenn ich nun auch unbedingt zugebe, daß alles durch allgemein geltende Naturgesetze bestimmt wird, nach einer gewissen und bestimmten Art zu sein und zu wirken, so sage ich dennoch, daß die Gesetze letzterer Art vom menschlichen Willen abhängig sind: 1. weil der Mensch selbst, soweit er ein Teil der Natur ist, auch einen Teil der Naturkraft ausmacht. Was also aus der Notwendigkeit der menschlichen Natur folgt, d. h. aus der Natur sofern sie als bestimmt durch die menschliche Natur gedacht wird, das folgt, obgleich notwendig, dennoch aus der menschlichen Macht. Daher ist es vollkommen richtig, wenn man sagt, daß die Aufstellung solcher Gesetze vom menschlichen Willen abhängt, weil sie vorzugsweise von der Macht des menschlichen Geistes in dem Sinne abhängt, daß der menschliche Geist, soweit er die Dinge unter dem Gesichtspunkte des Wahren und Falschen begreift, auch ohne diese Gesetze klar gedacht werden kann, keineswegs aber ohne daß ihm ein notwendiges Gesetz, wie ich es eben definiert, bei der Aufstellung jener Gesetze zu Grunde liegt. – 2. habe ich auch deswegen gesagt, daß diese Gesetze vom menschlichen Willen abhängig sind, weil wir die Dinge nach ihren nächsten Ursachen definieren und erläutern müssen, indem die Betrachtung derselben unter dem Gesichtspunkt des Schicksals und der allgemeinen Verkettung der Ursachen zu nichts führt, wenn es sich darum handelt, uns richtige und klar geordnete Gedanken über die Einzeldinge zu bilden. Dazu kommt noch, daß wir die allgemeine Reihenfolge und Verkettung der Dinge, d. h. die Art und Weise, wie die Dinge in Wirklichkeit geordnet und verkettet sind, gar nicht kennen, weshalb es für das praktische Leben besser, ja notwendig ist, die Dinge als möglich zu betrachten. So viel über das Gesetz an und für sich.

Nun wird aber das Wort Gesetz, wie es scheint durch Übertragung auch auf andere Dinge angewendet und man versteht gemeiniglich darunter nichts anderes als einen Befehl, welchen die Menschen befolgen oder mißachten können, weil derselbe der menschlichen Macht gewisse Grenzen zieht, über welche sie hinausstrebt und nichts gebietet, was die Kräfte übersteigt. Hiernach scheint das Wort Gesetz noch besonders so definiert werden zu können: Das Gesetz ist die Lebensweise, welche ein Mensch sich oder andern zu einem gewissen Zwecke vorschreibt.

Weil nun aber der wahre Zweck der Gesetze nur wenigen Menschen einzuleuchten pflegt, die meisten dagegen fast ganz unfähig sind, denselben zu erfassen und nichts weniger als vernunftgemäß leben, so haben die Gesetzgeber, um alle in gleicher Weise zu verpflichten, weislich einen andern Zweck angegeben, der von jenem, welcher aus der Natur der Gesetze mit Notwendigkeit folgt, sehr verschieden ist. Sie versprachen nämlich denen, welche die Gesetze beherzigen, solche Dinge, welche die Menge sehr liebt, und drohten denen, welche sie verletzen, mit Dingen, welche sie sehr fürchtet. Auf diese Weise suchten sie die Menge, wie Pferde durch die Zügel, so gut als möglich im Zaume zu halten. Daher kommt es, daß unter Gesetz meistens die Lebensweise verstanden wurde, welche den Menschen durch den Befehl anderer Menschen vorgeschrieben wird, und daß man dementsprechend von solchen, die das Gesetz befolgen, sagt, sie leben unter den Gesetzen, und daß dieselben zu dienen scheinen. In der That, wer jedem das seine giebt, weil er den Galgen fürchtet, der handelt gezwungen durch den Befehl eines andern und die Furcht vor einem angedrohten Übel, und kann nicht gerecht genannt werden. Wer dagegen jedem das seine giebt, weil er den wahren Grund der Gesetze und ihre Notwendigkeit begreift, der handelt nach festem Entschlusse und aus eigenem, nicht fremdem Antrieb und verdient daher gerecht genannt zu werden. Ich glaube, daß dies auch Paulus im Sinne hat, wenn er sagt, daß diejenigen, welche unter dem Gesetze leben, durch das Gesetz nicht gerechtfertigt werden können. Denn die Gerechtigkeit ist nach der gebräuchlichen Definition der feste und beharrliche Wille, jedem das seine zu geben. Daher sagt Salomo in den Sprüchen Kap. 21, V. 15, der Gerechte freue sich, wenn Gericht geübt wird, die Schlechten aber ängstigen sich.

Da also das Gesetz nichts anderes ist, als die Lebensweise, welche die Menschen zu einem gewissen Zweck sich oder andern vorschreiben, so scheint das Gesetz in ein göttliches und ein menschliches zu zerfallen. Unter dem menschlichen Gesetz verstehe ich die Lebensweise, welche bloß den Schutz des Lebens und des Gemeinwesens bezweckt, unter dem göttlichen Gesetz dasjenige, welches nur das höchste Gut, nämlich die wahre Erkenntnis und Liebe Gottes betrifft. Der Grund, weswegen ich dieses Gesetz ein göttliches nenne, beruht auf der Natur des höchsten Gutes, die ich kurz und so klar als möglich darthun will.

Da der bessere Teil unseres Wesens die Erkenntnis ist, so müssen wir ohne Zweifel vor allem diese nach Kräften zu vervollkommnen suchen, wenn wir wahrhaft unser Bestes anstreben wollen; denn in der Vollkommenheit unserer Erkenntnis kann allein unser höchstes Gut bestehen. Da ferner unser ganzes Wissen und die Gewißheit, die in Wahrheit allen Zweifel hebt, von der Erkenntnis Gottes allein abhängt, weil ohne Gott nichts sein und begriffen werden kann, und weil man über das zweifeln kann, solange man keine klare und bestimmte Idee von Gott hat, so folgt, daß unser höchstes Gut und unsere Vollkommenheit von der Erkenntnis Gottes allein abhängt u. s. f.

Da ferner ohne Gott nichts sein und begriffen werden kann, so muß jegliches Ding in der Natur den Begriff Gottes in Bezug auf sein Wesen und seine Vollkommenheit in sich schließen und ausdrücken. Je mehr wir sonach die natürlichen Dinge erkennen, desto größer und vollkommner wird auch unsere Gotteserkenntnis; oder (weil die Erkenntnis einer Wirkung durch ihre Ursache nichts anderes ist, als die Erkenntnis einer Eigenschaft der Ursache) je mehr wir die natürlichen Dinge erkennen, desto vollkommener erkennen wir das Wesen Gottes (der die Ursache aller Dinge ist). Unsere ganze Erkenntnis oder mit andern Worten unser höchstes Gut hängt nicht bloß von der Erkenntnis Gottes ab, sondern besteht durchaus in dieser. Dies ergiebt sich auch daraus, daß der Mensch um so vollkommner ist, je besser und vollkommener die Sache ist, die er vor allen andern liebt, und umgekehrt; derjenige muß daher der vollkommenste und der höchsten Glückseligkeit am meisten teilhaftig sein, der die reingeistige Erkenntnis Gottes, des vollkommensten Wesens, über alles liebt und sich derselben am meisten erfreut.

Unser höchstes Gut und unsere Glückseligkeit läuft sonach auf die Erkenntnis und Liebe Gottes hinaus. Daher können die Mittel, welche dieser Zweck aller menschlichen Handlungen, nämlich Gott selbst, sofern dessen Idee in uns ist, erfordert, Befehle Gottes genannt werden, weil sie gleichsam von Gott selbst, sofern er unserem Geiste innewohnt, uns vorgeschrieben sind, und darum heißt die Lebensweise, welche diesem Zweck entspricht, ganz richtig das göttliche Gesetz. – Was für Mittel das aber sind und welche Lebensweise es ist, die dieses Ziel erfordert, und wie sich daraus allgemeine Grundsätze für ein gutes Gemeinwesen und Vorschriften für den Verkehr mit den Menschen ergeben, das gehört in die allgemeine Ethik. Hier will ich nur in der Behandlung des göttlichen Gesetzes überhaupt fortfahren.

Wenn nach dem Vorstehenden die Liebe zu Gott das höchste Glück des Menschen ist, die Glückseligkeit, der letzte Zweck und das Endziel aller menschlichen Handlungen, so ist es klar, daß nur derjenige das göttliche Gesetz befolgt, der Gott zu lieben trachtet, nicht aus Furcht vor Strafe oder aus Liebe zu andern Dingen, wie Vergnügungen, Ruhm u. s. f., sondern bloß darum, weil er Gott erkennt oder weil er weiß, daß die Erkenntnis und Liebe Gottes das höchste Gut ist. Der Hauptinhalt des göttlichen Gesetzes und dessen oberstes Gebot ist sonach, Gott als das höchste Gut zu lieben und zwar, wie bereits bemerkt, nicht aus Furcht vor irgend einer Strafe oder einem Übel, noch aus Liebe zu einer andern Sache, an der wir uns erfreuen möchten. Denn in der Idee Gottes selbst ist die Wahrheit enthalten, daß Gott unser höchstes Gut ist oder daß die Erkenntnis und Liebe Gottes der letzte Zweck ist, auf welchen alle unsere Handlungen gerichtet sein müssen. Der sinnliche Mensch aber kann das nicht einsehen und es kommt ihm thöricht vor, weil er eine zu dürftige Erkenntnis Gottes hat und weil er in diesem höchsten Gute nichts findet, das er mit Händen greifen und essen könnte oder was die Sinnlichkeit zu erregen vermag, welche die Hauptquelle seiner Freuden ist, da es einzig im Wissen und reinen Denken besteht. Wer aber die Einsicht erlangt hat, daß es nichts höheres giebt als die Erkenntnis und einen gesunden Geist, wird es zweifellos als das vorzüglichste schätzen.

Damit habe ich erklärt, worin das göttliche Gesetz vorzugsweise besteht und auch was menschliche Gesetze seien; zu letzteren gehören alle diejenigen Gesetze, welche einen andern Zweck verfolgen, es wäre denn, daß sie auf Offenbarung beruhen, denn auch unter diesem Gesichtspunkt werden die Dinge auf Gott bezogen (wie ich oben gezeigt) und in diesem Sinne kann auch das mosaische Gesetz, obgleich es kein allgemeines, sondern hauptsächlich auf den Geist eines einzelnen Volkes berechnet und zu dessen Erhaltung bestimmt war, dennoch Gesetz Gottes oder göttliches Gesetz heißen, sofern wir nämlich glauben, daß es prophetischer Offenbarung entstammt.

Wenn wir nun das Wesen des natürlichen göttlichen Gesetzes näher betrachten, so werden wir finden: 1. daß es ein allgemeines, d. h. für alle Menschen in gleicher Weise giltig ist; da es aus der allgemeinen menschlichen Natur abgeleitet worden ist. – 2. daß es den Glauben an Geschichten irgend welcher Art nicht nötig hat; denn da dieses natürliche göttliche Gesetz aus der Betrachtung der Menschennatur sich von selbst ergiebt, so ist klar, daß wir es ebensowohl in Adam wie in jedem andern Menschen, und ebensowohl in einem Menschen, der unter Menschen lebt, wie in einem Einsiedler erkennen können. Auch kann der Glaube an Geschichten, mag derselbe auch ein unerschütterlicher sein, uns die Erkenntnis Gottes nicht gewähren und folglich auch nicht die Liebe zu Gott, welche aus der Gotteserkenntnis entspringt. Die Erkenntnis Gottes muß vielmehr aus allgemein anerkannten Begriffen, die ihre Gewißheit in sich selbst tragen, geschöpft werden. Weit entfernt daher, daß der Glaube an Geschichten ein notwendiges Erfordernis wäre, um unser höchstes Gut zu erlangen. Indessen will ich doch nicht bestreiten, daß das Lesen solcher Geschichten in Bezug auf das bürgerliche Leben recht nützlich ist, wenn auch der Glaube an sie die Erkenntnis und Liebe Gottes uns nicht einzuflößen vermag. Denn je besser wir die Sitten und Verhältnisse der Menschen, die in ihren Handlungen am klarsten zu Tage treten, beobachten und kennen lernen, desto sicherer können wir unter ihnen leben und desto eher vermögen wir unsere Handlungen und unser Leben ihrer Denkart, soweit dies die Vernunft erheischt, anzupassen. – 3. sehen wir, daß dieses natürliche göttliche Gesetz keine frommen Bräuche nötig hat, d. h. Handlungen, welche an sich selbst gleichgültig sind und nur zufolge gewisser Einrichtungen gut heißen, oder welche ein zur Glückseligkeit notwendiges Gut sinnbildlich darstellen, oder wenn man lieber will Handlungen, deren Grund die menschliche Fassungskraft übersteigt. Denn die natürliche Einsicht erfordert keine Dinge, die mit ihr nichts zu schaffen haben, sondern nur was wir als gut oder als Mittel für unsere Glückseligkeit klar zu erkennen vermögen. Dinge aber, die bloß auf Grund von Befehlen oder Einrichtungen gut sind, oder nur darum, weil sie ein gewisses Gut sinnbildlich darstellen, können unsere Erkenntnis nicht vervollkommnen; sie sind bloße Schatten und können nicht zu den Handlungen gezählt werden, welche gleichsam Sprößlinge und Früchte der Erkenntnis und des gesunden Denkens sind. Dies braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. – 4. endlich sehen wir, daß der höchste Lohn des göttlichen Gesetzes das Gesetz selbst ist, nämlich Gott erkennen und ihn aus wahrer Freiheit und mit ganzer und standhafter Seele lieben; die höchste Strafe dagegen der Mangel dieses Gutes und die Knechtschaft der Sinnlichkeit, oder eine schwankende, wetterwendische Seele.

Nach diesen Auseinandersetzungen haben wir weiter zu untersuchen: 1. ob wir nach der natürlichen Einsicht uns Gott als einen Gesetzgeber oder Fürsten denken können, welcher dem Menschen Gesetze vorschreibt. – 2. was die heilige Schrift von der natürlichen Einsicht und von diesem natürlichen Gesetze lehrt. – 3. zu welchem Zweck die religiösen Gebräuche ehemals eingeführt wurden. – 4. endlich, was von der Kenntnis der heiligen Geschichten und dem Glauben an sie zu halten sei. – Die beiden ersten Punkte sollen noch in diesem Kapitel, die beiden andern im folgenden behandelt werden.

Die Beantwortung der ersten Frage ergiebt sich leicht aus der Natur des göttlichen Willens, welcher sich von dem göttlichen Denken nur in unserer Auffassung unterscheidet. Mit andern Worten, der göttliche Wille und das göttliche Denken sind in Wahrheit an sich ein und dasselbe, der Unterschied besteht lediglich in unserem Geiste, indem wir zwischen beiden unterscheiden, je nachdem wir das göttliche Denken ins Auge fassen. Wenn wir z. B. an der Natur eines Dreiecks nur das beachten, daß es in der göttlichen Natur von Ewigkeit als ewige Wahrheit enthalten ist, so sagen wir, Gott habe die Idee eines Dreiecks oder Gott erkenne die Natur eines Dreiecks. Wenn wir aber weiter noch bedenken, daß die Natur des Dreiecks auf diese Weise in der göttlichen Natur enthalten ist bloß vermöge der Notwendigkeit der göttlichen Natur, aber nicht vermöge der Notwendigkeit des Wesens und der Natur des Dreiecks, ja daß die Notwendigkeit des Wesens und der Eigenschaften des Dreiecks, sofern sie auch als ewige Wahrheiten aufgefaßt werden, lediglich von der Notwendigkeit der göttlichen Natur und des göttlichen Denkens abhängt, nicht aber von der Natur des Dreiecks, so nennen wir das, was wir vorher das göttliche Denken genannt haben, den Willen oder den Ratschluß Gottes. In Bezug auf Gott selbst ist es daher ganz gleich, ob wir sagen, Gott habe von Ewigkeit her beschlossen und gewollt, daß die drei Winkel eines Dreiecks zwei rechten Winkel gleich seien, oder ob wir sagen, Gott habe dieses erkannt. Daraus folgt, daß was Gott bejaht oder verneint, immer eine ewige Notwendigkeit oder Wahrheit enthält.

Wenn also z. B. Gott zu Adam gesprochen hat, er wolle nicht, daß Adam von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen esse, so läge ein Widerspruch darin, daß Adam von jenem Baume habe essen können; indem es unmöglich gewesen wäre, daß Adam davon aß, da jener göttliche Befehl eine ewige Notwendigkeit und Wahrheit enthalten mußte. Wenn daher die Bibel gleichwohl erzählt, Gott habe es Adam verboten und dieser habe dennoch davon gegessen, so muß man notgedrungen annehmen, Gott habe dem Adam nur das Übel offenbart, das ihn ganz gewiß treffen werde, wenn er von jenem Baume essen würde, aber nicht, daß jenes Übel notwendig eintreffen müsse. Daher kam es auch, daß Adam jene Offenbarung nicht als ewige und notwendige Wahrheit aufgefaßt hat, sondern als Gesetz, d. h. als eine Verordnung, auf welche ein Vorteil oder ein Nachteil folgt, nicht aus der Notwendigkeit und Natur der begangenen That, sondern bloß nach dem Belieben und dem unbedingten Befehl eines Herrschers. Also war diese Offenbarung nur in Bezug auf Adam allein und nur zufolge seiner mangelhaften Erkenntnis ein Gesetz und Gott war für ihn gleichsam Gesetzgeber oder Fürst.

Aus dem gleichen Grunde, nämlich wegen mangelhafter Erkenntnis, waren die zehn Gebote nur in Bezug auf die Hebräer Gesetz. Weil sie nämlich das Dasein Gottes und die ewige Wahrheit nicht kannten, mußten sie dasjenige, was ihnen in den zehn Geboten geoffenbart wurde, nämlich daß Gott existiert und daß er allein anzubeten ist, als ein Gesetz auffassen. Hätte Gott unmittelbar, ohne Anwendung körperlicher Mittel mit ihnen geredet, so würden sie es nicht als Gebot, sondern als ewige Wahrheit aufgefaßt haben.

Was ich hier über die Israeliten und Adam gesagt habe, gilt von sämtlichen Propheten, welche im Namen Gottes Gesetze geschrieben haben; auch sie haben die göttlichen Ratschlüsse nicht vollkommen, als ewige Wahrheit, aufgefaßt. So muß z. B. von Moses selbst angenommen werden, daß er aus der Offenbarung oder aus den ihm geoffenbarten Grundgedanken die Art und Weise erkannt hat, wie das israelitische Volk am besten in einem gewissen Laude vereint werden und ein vollständiges Gemeinwesen oder einen Staat bilden, wie nicht minder die Art und Weise, wie sein Volk am besten zum Gehorsam bewogen werden könne; es ist ihm aber nicht bekannt gewesen oder geoffenbart worden, weder daß jene Art und Weise die beste war, noch daß durch den Gehorsam des gesamten in jenem Lande vereinigten Volkes das angestrebte Ziel notwendig erreicht werden mußte. Darum hat er das alles nicht als ewige Wahrheiten, sondern als Befehle und Verordnungen aufgefaßt und als Gesetze Gottes vorgeschrieben. So kam es, daß er sich Gott als barmherzigen, gerechten etc. Führer, Gesetzgeber oder König vorstellte, während doch das alles Eigenschaften der menschlichen Natur allein sind, welche von der göttlichen Natur ganz und gar ferngehalten werden müssen.

Indessen gilt dies nur von den Propheten, die im Namen Gottes Gesetze vorgeschrieben haben, nicht aber von Christus. Denn von Christus muß man annehmen, daß er die Dinge in ihrer wahren Gestalt und vollkommen erkannt hat, obgleich auch er wie es scheint im Namen Gottes Gesetze niedergeschrieben hat. Denn Christus war nicht sowohl Prophet, als vielmehr der Mund Gottes, indem Gott durch den Geist Christi (wie im 1. Kapitel gezeigt worden) wie ehedem durch Engel, nämlich durch eine erschaffene Stimme, durch Gesichte u. s. f., dem Menschengeschlecht mehreres geoffenbart hat. Es wäre deshalb ebenso ungereimt, zu behaupten, Gott habe seine Offenbarungen den Meinungen Christi angepaßt, als wenn man behauptete, Gott habe ehedem seine Offenbarungen den Meinungen der Engel, d. h. der geschaffenen Stimme oder Gesichte, angepaßt, um den Propheten mitzuteilen, was er ihnen offenbaren wollte. Nichts Thörichteres könnte aufgestellt werden, zumal Christus nicht bloß zur Belehrung der Juden allein, sondern des ganzen Menschengeschlechts gesandt war; weshalb es nicht genügt hätte, wenn sein Geist bloß den Meinungen der Juden angepaßt gewesen wäre, sondern er mußte den allen Menschen gemeinsamen Meinungen und Überzeugungen, d. h. den allgemein menschlichen und wahren Begriffen angepaßt sein. Schon daraus, daß Gott sich Christus oder seinem Geiste unmittelbar geoffenbart hat, und nicht wie den Propheten durch Worte oder Bilder, ergiebt sich mit Gewißheit, daß Christus die geoffenbarten Dinge in voller Wahrheit erfaßt oder begriffen hat; denn nur dann wird etwas erkannt, wenn es mit klarem Geiste ohne Worte und Bilder erfaßt wird. Christus hat also die geoffenbarten Dinge in Wahrheit und vollkommen erfaßt; wenn er sie daher jemals als Gesetze vorgeschrieben hat, so that er dies wegen der Unwissenheit und Verstocktheit des Volkes. Er handelte also hierin wie Gott selbst, da er sich dem Geist des Volkes anpaßte, und daher kommt es, daß er, obzwar seine Reden etwas deutlicher sind als die der andern Propheten, dennoch dunkel und häufig durch Gleichnisse die geoffenbarten Dinge gelehrt hat, namentlich wenn er mit Leuten redete, denen es noch nicht gegeben war, das Himmelreich zu verstehen (s. Matthäus Kap. 13, V. 10 etc.). Solchen dagegen, welchen es gegeben war, die Geheimnisse des Himmels zu verstehen, hat er die Dinge ohne Zweifel als ewige Wahrheiten gelehrt, aber nicht als Gesetze vorgeschrieben; auf diese Weise befreite er sie von der Knechtschaft des Gesetzes, und befestigte und bestätigte dennoch das Gesetz nur noch mehr und schrieb es ihnen tief in das Herz. Dies scheint auch Paulus an einigen Stellen anzudeuten, nämlich im Brief an die Römer Kap. 7, V. 6 und Kap. 3, V. 28. Aber auch er will nicht offen reden, sondern spricht, wie er selbst im Kap. 3, V. 5 und Kap. 6, V. 19 desselben Briefes sagt, auf menschliche Weise. Ausdrücklich sagt er dies, wenn er Gott gerecht nennt und ihm, unzweifelhaft ebenfalls der menschlichen Schwachheit wegen, Barmherzigkeit, Gnade, Zorn u. s. w. zuschreibt und seine Worte dem Geist des Volkes oder (wie er selbst im ersten Korintherbrief Kap. 3, V. 1 und 2 sich ausdrückt) der fleischlichen Menschen anpaßt. Denn im Römerbrief Kap. 9, V. 18 lehrt er bestimmt, daß der Zorn Gottes und seine Barmherzigkeit nicht von den Werken der Menschen, sondern einzig und allein von der Berufung, d. h. dem Willen Gottes abhängen; ferner daß durch Werke des Gesetzes niemand gerecht werde, sondern allein durch den Glauben (s. Römerbrief Kap. 3, V. 28), worunter er sicherlich nichts anderes versteht, als die volle Zustimmung des Geistes; endlich lehrt er, daß niemand selig werden kann, der nicht den Geist Christi in sich hat (s. Römerbrief Kap. 8, V. 9), durch welchen man nämlich die Gesetze Gottes als ewige Wahrheiten erfaßt.

Wir können hiernach behaupten, daß Gott nur mit Rücksicht auf die Fassungskraft der Menge und bloß wegen deren mangelhafter Denkfähigkeit als Gesetzgeber oder Fürst geschildert und gerecht, barmherzig u. s. f. genannt wird; daß er aber in Wahrheit zufolge der Notwendigkeit seiner Natur und seiner Vollkommenheit allein handelt und alles leitet, und daß seine Befehle und Willensentschließungen ewige Wahrheiten sind und stets mit Notwendigkeit erfolgen.

Damit wäre der erste Punkt, den ich zu erörtern mir vorgenommen, erledigt. Wir schreiten nun zum zweiten und wollen die heilige Schrift durchblättern, um zu erfahren, was sie über die natürliche Einsicht und über dieses göttliche Gesetz lehrt.

Das erste, was uns hier begegnet, ist die Geschichte des ersten Menschen, worin erzählt wird, Gott habe dem Adam verboten, von der Frucht am Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen. Es soll das wohl heißen, Gott habe dem Adam befohlen, das Gute zu thun und um des Guten willen nach demselben zu streben, nicht weil es dem Bösen entgegengesetzt ist; mit andern Worten, er solle nach dem Guten streben aus Liebe zum Guten, nicht aus Furcht vor einem Übel. Denn wie bereits gezeigt wurde, handelt derjenige aus freier Überzeugung, der das Gute aus reiner Erkenntnis und Liebe des Guten thut; wer es aber thut aus Furcht vor einem Übel, der steht unter dem Zwang jenes Übels, handelt knechtisch und lebt unter der Herrschaft eines andern. Diese eine Vorschrift, welche Gott dem Adam erteilte, umfaßt somit das ganze natürliche göttliche Gesetz und stimmt vollständig mit dem Gebot der natürlichen Einsicht überein. Die ganze Erzählung oder Parabel vom ersten Menschen ließe sich daher unschwer nach diesem Grundgedanken erklären; doch ziehe ich es vor, darüber hinwegzugehen, weil ich erstens nicht mit Bestimmtheit behaupten kann, daß meine Auslegung dem Sinn des Verfassers entspricht, und weil zweitens die meisten nicht zugeben wollen, daß diese Erzählung eine Parabel ist, sondern fest behaupten, es sei eine wirkliche Geschichte.

Es wird also besser sein, andere Bibelstellen anzuführen, und zwar besonders solche, die von jemand herrühren, der aus natürlicher Erleuchtung, in welcher er alle seine Zeitgenossen überragte, gesprochen hat, und dessen Sprüche vom Volk ebenso heilig gehalten werden wie die der Propheten; Salomo meine ich, dem in der Bibel nicht sowohl Prophetie und Frömmigkeit, als vielmehr Klugheit und Weisheit nachgerühmt wird. Er nun nennt in seinen Sprüchen die menschliche Erkenntnis die Quelle des wahren Lebens und läßt das Unglück allein in der Thorheit bestehen. In Kap. 16, V. 23 sagt er: »Eine Quelle des Lebens (ist) der Verstand seinem Herrn Ein Hebräismus, d. h. eine der hebräischen Sprache eigentümliche Ausdrucksweise. Sowohl von einer Sache als auch von einer Eigenschaft, die jemand besitzt, wird gesagt, er sei der Herr derselben. So heißt der Vogel im Hebräischen »Herr der Flügel«, weil er Flügel besitzt; der Verständige heißt Herr des Verstandes, weil er Weisheit besitzt. (Anmerkung des Verfassers.) und die Strafe der Thoren ist die Thorheit.« Hierbei ist zu bemerken, daß im Hebräischen unter »Leben« schlechtweg das wahre Leben zu verstehen ist, was aus 5. Buch Mose Kap. 30, V. 19 erhellt. Die Frucht der Erkenntnis besteht also lediglich in der richtigen Lebensweise, die Strafe lediglich darin, daß man derselben nicht teilhaftig ist, was vollständig mit dem übereinstimmt, was unter Punkt 4 über das natürliche göttliche Gesetz bemerkt worden.

Ausdrücklich wird nun aber auch von jenem Weisen gelehrt, daß diese Quelle des Lebens oder die Erkenntnis allein, wie schon gezeigt, den Weisen Gesetze vorschreibt. Er sagt nämlich in Kap. 13, V. 24: »Das Gesetz des Weisen (ist) die Quelle des Lebens«, d. h., wie aus der eben angeführten Stelle erhellt, die Erkenntnis. Weiter lehrt er Kap. 3, V. 13 mit ausdrücklichen Worten, daß die Erkenntnis den Menschen selig und glücklich macht und die wahre Seelenruhe gewährt. Er sagt nämlich: »Selig ist der Mensch, der Weisheit findet und der Menschensohn, welcher Einsicht erlangt hat.« Der Grund ist, (wie er V. 16 und 17 fortfährt,) weil »sie unmittelbar Länge der Tage Ein Hebräismus, welcher Leben bedeutet. (Anmerkung des Verfassers.) verleiht, mittelbar Reichtum und Ehre; ihre Wege (welche eben die Weisheit zeigt) sind lieblich und alle ihre Pfade Frieden.« Somit leben auch nach der Ansicht Salomos nur die Weisen mit friedlicher und standhafter Seele; anders als die Gottlosen, deren Gemüt vom Kampf der Leidenschaften beunruhigt wird und die daher (wie auch Jesaja Kap. 50, V. 20 sagt) weder Frieden noch Ruhe haben.

Namentlich aber ist schließlich aus den Sprüchen Salomos eine Stelle im 2. Kapitel anzuführen, welche unsere Ansicht aufs deutlichste bestätigt. Er beginnt nämlich daselbst im 3. Vers: »Denn wenn du die Klugheit anrufen und der Einsicht deine Stimme geben wirst etc., so wirst du die Furcht Gottes verstehen und das Wissen Gottes (oder vielmehr die Liebe, denn das Wort » jada« bedeutet beides) wirst du finden. Denn (man beachte wohl!) Gott giebt Weisheit, aus seinem Munde (strömt) Wissen und Einsicht.« Mit diesen Worten sagt er aufs deutlichste, erstens, daß die Weisheit allein oder die Erkenntnis uns lehrt, Gott weislich zu fürchten, d. h. ihn mit wahrer Ergebenheit zu verehren. Ferner lehrt er, daß Weisheit und Wissen aus dem Munde Gottes fließt und daß Gott sie verleiht. Dasselbe habe ich oben gezeigt, nämlich daß unsere Erkenntnis und unser Wissen lediglich von der Idee oder der Erkenntnis, die wir von Gott haben, abhängt, daraus entspringt und durch sie vollkommen wird. Im 9. Vers fährt er weiter fort zu lehren, daß dieses Wissen die wahre Ethik und Politik enthält und daß beide sich daraus ableiten: »Dann wirst du verstehen Gerechtigkeit und Gericht und Redlichkeit (und) jeden geraden Pfad«. Damit nicht zufrieden fährt er fort: »Wenn die Weisheit einzieht in dein Herz und Erkenntnis dir lieblich schmecken wird, so wird deine Vorsicht dich bewachen und deine Klugheit מזמה » mesimah« bedeutet eigentlich: Nachdenken, Überlegung, Aufmerksamkeit. (Anmerkung des Verfassers.) dich behüten.« Das alles paßt genau auf das natürliche Wissen; denn aus ihm lernt man die Ethik und wahre Tugend, sobald man die Erkenntnis der Dinge erlangt und den Vorzug des Wissens gekostet hat. Daher hängt auch nach Salomos Ansicht das Glück und die Ruhe dessen, der die natürliche Erkenntnis ausbildet, nicht von der Macht des Schicksals (oder vom äußerlichen Beistande Gottes) ab, sondern vorzugsweise von der innern Vortrefflichkeit (oder vom innern Beistand Gottes), weil er nämlich durch Aufmerksamkeit, Thätigkeit und richtige Überlegung sich zu erhalten weiß.

Schließlich darf hier auch eine Stelle im Römerbrief Kap. 1, V. 20 nicht übergangen werden, wo Paulus (nach der Übersetzung des Tremellius aus dem syrischen Text) folgendes sagt: »Das verborgene Wesen Gottes wird aus den Grundlagen der Welt in seinen Geschöpfen durch die Erkenntnis begriffen, wie auch seine Kraft und Göttlichkeit, welche in Ewigkeit währt, also daß ihnen keine Ausflucht bleibt.« Damit sagt er deutlich genug, daß jeder mit seiner natürlichen Einsicht die Kraft Gottes und seine ewige Göttlichkeit klar erkennen und daraus erfahren und folgern kann, was er erstreben und was er meiden soll. Daher zieht er auch den Schluß, daß niemand eine Ausflucht hat und sich durch Unwissenheit entschuldigen kann, was ganz gewiß nicht der Fall wäre, wenn hier von einer übernatürlichen Erleuchtung die Rede wäre, oder von den leiblichen Leiden Christi und seiner Auferstehung etc. Daher fährt er auch bald darauf im 24. Vers fort: »Deshalb hat Gott sie hingegeben den unreinen Begierden ihres Herzens« und so fort bis zu Ende des Kapitels, wo er die Nachteile der Unwissenheit beschreibt und sie gleichsam als Strafe der Unwissenheit aufzählt, ganz in Übereinstimmung mit dem bereits angeführten salomonischen Spruch Kap. 16, V. 22: »Die Strafe der Thorheit ist Thorheit«. Es ist daher kein Wunder, daß Paulus sagt, die Übelthäter hätten keine Entschuldigung. Denn wie einer sät, so erntet er, die Folgen des Bösen sind wieder Böses, wenn es nicht auf verständige Weise wieder gut gemacht wird, und die Folgen des Guten sind wieder Gutes, wenn es von fester Gesinnung begleitet wird.

Die Bibel empfiehlt somit unbedingt die natürliche Erkenntnis und das natürliche göttliche Gesetz. Damit habe ich den Gegenstand dieses Kapitels erledigt.


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