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Siebzehntes Kapitel.

Es wird gezeigt, daß niemand auf die höchste Gewalt alles übertragen könne und daß dies auch nicht nötig sei. Über den Staat der Hebräer, wie er zu Mose Lebzeiten und wie er nach dessen Tode, vor der Wahl von Königen, beschaffen war; über seine Vorzüge und woher es kam, daß ein göttlicher Staat untergehen konnte und daß so viele Aufstände in ihm vorkamen.


Die Betrachtung des vorigen Kapitels über das Recht der höchsten Gewalten zu allem, und über das auf sie übertragene natürliche Recht des Einzelnen, stimmt zwar mit der Praxis so ziemlich überein, und diese kann gewiß so gehandhabt werden, daß sie derselben mehr und mehr entspricht; dennoch wird sie zu allen Zeiten in vielen Punkten reine Theorie bleiben. Denn kein Mensch wird jemals seine Macht und demgemäß auch sein Recht so auf einen andern übertragen können, daß er aufhört, ein Mensch zu sein; und es wird niemals eine solche höchste Gewalt geben, die alles so, wie sie es will, ausführen kann. Vergebens würde sie einem Unterthan befehlen, denjenigen zu hassen, der ihm Wohlthaten erwiesen, denjenigen zu lieben, der ihm Schaden zugefügt, von Mißhandlungen sich nicht verletzt zu fühlen, von der Furcht sich nicht befreit zu wünschen, und noch vieles andere dieser Art, was aus den Gesetzen der menschlichen Natur mit Notwendigkeit hervorgeht. Ich denke, daß auch die Erfahrung dies sehr deutlich lehrt. Niemals haben Menschen ihr Recht derart abgetreten und ihre Macht auf einen andern derart übertragen, daß die Übertragenden von denen, welchen sie ihr Recht und ihre Macht übertrugen, nicht gefürchtet wurden, und daß nicht die Staatsgewalt mehr von den Bürgern selbst gefährdet wurde, obgleich diese ihres Rechts verlustig waren, als von auswärtigen Feinden. Und fürwahr, wenn die Menschen ihres natürlichen Rechts in dem Umfang beraubt werden könnten, daß sie hernach gar nichts mehr zu thun vermöchten, als was diejenigen wollen, welche das oberste Recht inne haben, dann dürften diese sicherlich ungestraft mit der größten Gewaltthätigkeit über die Unterthanen herrschen, was wohl niemand in den Sinn kommen wird. Man muß also zugeben, daß sich jeder von seinem Rechte vieles zurückbehält, was deshalb bloß von seinem eigenen Entschluß abhängt, nicht von dem eines andern.

Um nun genau zu wissen, wie weit sich das Recht und die Macht der Staatsgewalt erstreckt, ist zu bemerken, daß nicht das allein die Macht der Staatsgewalt ausmacht, daß sie die Menschen durch Furcht zu zwingen vermag, sondern jedes Mittel überhaupt, durch welches sie bewirken kann, daß die Menschen ihren Befehlen gehorchen, bildet ihre Macht. Denn nicht der Grund des Gehorchens, sondern der Gehorsam macht den Unterthan. Aus welchem Grund auch immer sich jemand entschließt, die Befehle der höchsten Gewalt zu vollziehen, ob aus Furcht vor Strafe, ob aus Hoffnung auf einen Vorteil, ob aus Liebe zum Vaterland, oder aus irgend einem inneren Antrieb, er handelt nach dem Befehle der höchsten Gewalt, obgleich er sich aus eigener Erwägung dazu entschlossen hat. Man darf also daraus, daß jemand aus eigenem Entschluß etwas thut, nicht sofort folgern, daß er nach seinem Rechte, nicht nach dem der Staatsgewalt handelt. Denn wenn der Mensch immer nach eigener Erwägung und Entschließung handelte, mag ihn die Liebe dazu gedrängt oder die Furcht vor einem Übel dazu genötigt haben, so würde es entweder keine Staatsgewalt geben und keinerlei Recht über die Unterthanen, oder dieses muß sich notwendig auf alles erstrecken, wodurch bewirkt werden kann, daß die Menschen sich entschließen, der Staatsgewalt gehorsam zu sein. Handlungen der Unterthanen also, welche den Geboten der höchsten Gewalt entsprechen, geschehen nach dem Rechte der Staatsgewalt, nicht nach dem eigenen Rechte des Handelnden, mag nun die Liebe dazu antreiben, oder Furcht dazu nötigen, oder (was noch häufiger vorkommt) Hoffnung und Furcht zugleich im Spiele sein, mag Ehrfurcht, welche ein aus Furcht und Bewunderung gemischtes Gefühl ist, oder irgend etwas anderes der Beweggrund sein.

Es ergiebt sich dies auch aufs klarste daraus, daß der Gehorsam nicht sowohl die äußere, als vielmehr die innerliche Handlung der Seele betrifft. Darum steht derjenige am meisten unter der Herrschaft eines andern, der bereit ist, mit ganzem Herzen allen seinen Geboten zu gehorchen, und folglich hat die größte Gewalt, wer über die Herzen der Unterthanen herrscht. Hätten diejenigen die größte Gewalt, die am meisten gefürchtet werden, so würden sicherlich die Unterthanen eines Tyrannen die größte Gewalt haben, da sie von ihren Tyrannen am meisten gefürchtet werden. Wenn es ferner auch nicht möglich ist, die Herzen ebenso wie die Zungen zu beherrschen, so stehen dennoch auch die Herzen in gewisser Beziehung unter der Herrschaft der höchsten Gewalt, da ihr viele Mittel zu Gebote stehen, um es dahin zu bringen, daß sehr viele Menschen glauben, lieben, hassen u. s. w., was sie will. Es wird dies freilich nicht geradezu von der obersten Gewalt befohlen, allein es wird, wie eine reiche Erfahrung lehrt, durch die Autorität ihrer Macht und durch ihre Regierung, d. h. durch ihr Recht, bewirkt. Ohne daß sich unser Verstand dagegen sträubt, können wir uns daher Menschen denken, welche lediglich dem Recht der Staatsgewalt zufolge lieben, hassen, verachten, überhaupt zu jeder Gefühlsweise erregt werden.

Obgleich nun aber nach meiner Auffassung das Recht und die Macht der Staatsgewalt sehr ausgedehnt ist, so wird dasselbe doch nie und nirgends so groß sein, daß die Inhaber derselben die unbeschränkte Macht zu allem haben, was sie wollen; was ich bereits deutlich genug gezeigt zu haben glaube. Auf welche Weise aber die Staatsgewalt eingerichtet werden müsse, um trotzdem jederzeit gesichert zu bleiben, habe ich nicht im Sinne auseinanderzusetzen, wie ich schon oben bemerkt habe. Um aber zu meinem Ziele zu kommen, werde ich auf dasjenige aufmerksam machen, was zu gedachtem Zweck die göttliche Offenbarung dem Moses einst gelehrt hat, sodann will ich die Geschichte der Hebräer und ihren Verlauf in Betracht ziehen, um schließlich daraus zu entnehmen, was den Unterthanen von den höchsten Gewalten hauptsächlich eingeräumt werden müsse, damit die Staatsgewalt möglichst sicher sein und gedeihen könne.

Vernunft und Erfahrung lehren aufs deutlichste, daß die Erhaltung der Staatsgewalt ganz besonders abhängig ist von der Treue der Unterthanen, ihrer Tugend und festen Gesinnung, im Befolgen der Gesetze. Auf welche Weise aber die Unterthanen geleitet werden müssen, damit sie in Treue und Tugend standhaft seien, ist nicht so leicht ersichtlich. Denn beide Teile, die Regierenden wie die Regierten sind Menschen, also Wesen, welchen das Vergnügen lieber ist als die Arbeit. Ja man möchte beinahe an dieser Ausgabe verzweifeln, wenn man den mannigfach schwankenden Sinn der Menge kennen gelernt hat. Denn sie wird nicht von der Vernunft, sondern von den Neigungen beherrscht, läßt sich zu allem blindlings hinreißen und wird ebenso leicht vom Geiz wie von der Verschwendung gepackt. Jeder hält sich für den Gescheitesten und will alles nach seinem Kopfe eingerichtet haben, gut und schlecht, gerecht und ungerecht heißt etwas nur, sofern es zum eigenen Nutzen oder Schaden ausschlägt, aus Eitelkeit verachtet man seinesgleichen und läßt sich von niemand Anleitung geben, neidisch auf das größere Ansehen oder das größere Glück des andern (das doch niemals gleich ist) wünscht man ihm Böses und freut sich, wenn ihm Böses widerfährt. Ich brauche nicht alles aufzuzählen, denn jedermann weiß, zu welchem Verbrechen der Widerwille gegen das Wirkliche und die Sucht nach Neuerungen, zu was Jähzorn, zu was Scheu vor Armut die Menschen so häufig verleiten, und wie heftig diese Schwächen ihre Seelen ergreifen und aufregen.

Allem diesem vorzubeugen und die Staatsgewalt so zu gestalten, daß dem Betrug kein Raum bleibt, ja sogar alles so einzurichten, daß jedermann, wie auch seine Sinnesart beschaffen ist, das öffentliche Recht höher stellt als den eigenen Nutzen, das ist die Aufgabe, das die Kunst. Das Bedürfnis hat zwar genötigt, allerlei zu ersinnen, aber man hat es noch niemals so weit gebracht, daß die Staatsgewalt von den Bürgern nicht mehr gefährdet wäre, als von auswärtigen Feinden, und daß die Regierung jene nicht mehr als diese fürchtete. Einen Beleg giebt der von Feinden nie besiegte Römerstaat, der so oft von seinen Bürgern besiegt und schwer bedrängt wurde, ganz besonders im Bürgerkrieg des Vespasian gegen Vitellius. Siehe hierüber Tacitus im Anfang des 4. Buches seiner Geschichte, wo er den jammervollen Anblick der Stadt schildert. Alexander (sagt Curtius am Schluß des 8. Buches) schlug seinen Ruhm bei dem Feinde nicht so hoch an, als den bei den Bürgern, weil er dachte, daß seine Größe von diesen leicht verkannt werden könne. Und sein Verhängnis fürchtend, bittet er seine Freunde: »Stellet ihr mich nur gegen die heimische Arglist und die Fallstricke meiner Umgebung sicher; in die Gefahren der Kriege und Schlachten ziehe ich furchtlos. Philipp war im Treffen sicherer, als im Theater, den Händen seiner Feinde ist er oft entgangen, denen seiner Angehörigen vermochte er nicht auszuweichen. Auch wenn ihr an das Ende anderer Könige denket, werdet ihr mehr solche zählen, die von den ihrigen, als solche, die von Feinden umgebracht wurden.« (S. Qu. Curtius, Buch 9, § 6.)

Aus diesem Grunde haben früher Könige, welche die Herrschaft gewaltsam an sich gerissen, ihrer Sicherheit wegen ihren Unterthanen einzureden gesucht, sie leiteten ihr Geschlecht von den unsterblichen Göttern ab. Sie glaubten nämlich, ihre Unterthanen und andere würden sich lieber von ihnen regieren lassen und sich ihnen bereitwilliger unterwerfen, wenn sie von diesen nicht als ihresgleichen betrachtet, sondern für Götter gehalten würden. So hat Augustus den Römern eingeredet, er stamme von Aeneas ab, der für einen Sohn der Venus gehalten und zu den Göttern gezählt wurde. Er wollte auch haben, daß man ihm in Tempeln ein Götterbildnis errichte und ihn in diesem durch Priester verschiedener Gattungen verehren lasse. (Tacitus, Annalen, 1. Buch.) Alexander wünschte, daß man ihm als Sohn Jupiters huldigen solle. Es geschah dies wohl nicht aus Hochmut, sondern er hatte dazu seine besondere Absicht, wie seine Antwort auf den Vorwurf des Hermolaus zeigt. »Es war«, sagte er, »beinahe zum Lachen, daß Hermolaus von mir verlangte, ich sollte Jupiter den Rücken kehren, durch dessen Orakel ich doch anerkannt werde. Ist denn auch der Ausspruch der Götter in meiner Gewalt? Jupiter hat mir den Namen des Sohnes angeboten, ihn anzunehmen (wohlgemerkt!) war nach den Thaten, die ich vollbracht habe, ganz am Platze. Möchten mich doch auch die Inder für einen Gott halten! Auf dem Ruhm beruht der Krieg und oft schon hat das fälschlich Geglaubte die Stelle der Wahrheit vertreten.« (Curtius, Buch 8, § 8.) Den Grund der Täuschung hat er damit angedeutet. Das Gleiche that Kleon in seiner Rede, mit welcher er die Macedonier zu überreden suchte, ihrem König beizustimmen. Er hatte voll Bewunderung von Alexanders Ruhmesthaten erzählt und seine Verdienste aufgezählt und der Täuschung damit einen Schein von Wahrheit gegeben, worauf er auf ihre Nützlichkeit zu sprechen kommt, indem er fortfährt: »Die Perser handeln nicht bloß fromm, sondern auch klug, daß sie ihre Könige als Götter verehren. Denn die Majestät ist der Schutzgeist der Wohlfahrt«, und er schließt: »Er selbst werde, wenn der König das Mahl eröffnet haben wird, sich zur Erde niederwerfen. Das Gleiche müßten die andern thun, und ganz besonders die, welche mit Weisheit begabt seien.« (S. ebendaselbst Buch 8, § 5.) Aber die Macedonier waren klüger; und Menschen, die nicht ganz ungebildet sind, lassen sich nicht von einem so offenbaren Betrug täuschen und aus Unterthanen zu Sklaven machen, die nur für andere da sind. Andere aber ließen sich leichter bereden, die Majestät sei heilig und vertrete die Stelle Gottes auf Erden, sie sei von Gott, nicht von der Wahl und Zustimmung der Menschen eingesetzt, und werde durch besonderes Walten der Vorsehung und besonderen Schutz Gottes erhalten und geschützt. Noch manches andere dieser Art haben die Monarchen zur Sicherung ihrer Herrschaft ausgesonnen. Ich gehe jedoch nicht weiter darauf ein, und wende mich zu meiner Aufgabe. Ich werde wie gesagt nur das anführen und behandeln, was zu gedachtem Zweck die göttliche Offenbarung einst dem Moses gelehrt hat.

Schon oben im 5. Kapitel habe ich gesagt, daß die Hebräer nach dem Auszug aus Egypten an kein Recht irgend einer Nation gebunden waren, sondern nach Belieben ein neues Recht aufstellen und Länder einnehmen konnten, welche sie wollten. Denn nachdem sie von dem unerträglichen Druck der Egypter befreit und keinem Sterblichen durch einen Vertrag verpflichtet waren, hatten sie ihr natürliches Recht zu allem, was sie vermochten, wieder erlangt, und jeder von ihnen konnte von neuem überlegen, ob er dasselbe behalten oder aber es abtreten und auf einen andern übertragen solle. In diesem natürlichen Zustande also beschlossen sie, auf den Rat des Moses, zu welchem alle das größte Vertrauen hatten, ihr Recht auf keinen Sterblichen, sondern nur auf Gott zu übertragen, und ohne lange zu zögern, gelobten sie alle einmütig und einstimmig, Gott in allen seinen Geboten unbedingten Gehorsam zu leisten und kein anderes Recht anzuerkennen, als was Gott selbst durch prophetische Offenbarung als Recht aufstellen werde. Dieses Gelöbnis oder diese Rechtsübertragung auf Gott ist ganz auf dieselbe Weise geschehen, wie es nach unsrer obigen Ausführung in der bürgerlichen Gesellschaft geschieht, wenn sich die Menschen entschließen, ihr natürliches Recht abzutreten. Denn ausdrücklich haben sie durch Vertrag (s. 2. Buch Mose Kap. 24, V. 7) und Eid freiwillig, ohne durch Gewalt gezwungen oder durch Drohung eingeschüchtert gewesen zu sein, ihr natürliches Recht abgetreten und auf Gott übertragen. Damit ferner dieser Vertrag giltig und fest und kein Verdacht des Betrugs obwalten sollte, hat Gott nicht eher etwas mit ihnen ausgemacht, als bis sie seine wunderbare Macht erfahren hatten, durch welche einzig und allein sie bis dahin erhalten worden waren und in Zukunft erhalten werden konnten. (S. 2. Buch Mose Kap. 19, V. 4 und 5.) Denn eben weil sie glaubten, daß sie durch Gottes Macht allein erhalten werden konnten, haben sie ihre gesamte natürliche Macht, sich zu erhalten, die sie früher in sich selbst zu haben geglaubt haben mochten, auf Gott übertragen, und damit auch ihr gesamtes Recht.

Gott allein war daher der alleinige Inhaber der Staatsgewalt der Hebräer und daher wurde der jüdische Staat allein, kraft dieses Vertrags, mit Recht ein Reich Gottes genannt, und Gott ebenfalls mit Recht König der Hebräer. Folgerichtig waren auch die Feinde dieses Staats Feinde Gottes, die Bürger, welche diese Staatsgewalt an sich reißen wollten, machten sich der Beleidigung der göttlichen Majestät schuldig, und die Rechte des Staats waren Rechte und Gebote Gottes. Deshalb waren in diesem Reiche das bürgerliche Recht und die Religion, die, wie gezeigt worden, lediglich im Gehorsam gegen Gott bestand, eins und dasselbe; indem die Glaubenssätze der Religion nicht als Lehren, sondern als Gesetze und Befehle aufgestellt wurden und die Frömmigkeit als Gerechtigkeit, die Gottlosigkeit als Verbrechen und Ungerechtigkeit betrachtet wurde. Wer von der Religion abfiel, hörte damit auf, ein Bürger dieses Reichs zu sein und wurde für einen Feind gehalten; wer aber für die Religion starb, starb für das Vaterland. Überhaupt wurde zwischen bürgerlichem Recht und Religion nicht der geringste Unterschied gemacht. Aus diesem Grunde konnte der Staat der Hebräer eine Theokratie genannt werden, weil für seine Bürger kein anderes Recht Geltung hatte, als das von Gott geoffenbarte.

Das alles aber beruhte mehr auf der Meinung als aus der Wirklichkeit. Denn tatsächlich war das Recht der Staatsgewalt ganz und gar im Besitze der Hebräer, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, nämlich aus der Art und Weise, wie der Staat verwaltet wurde, welche nun erörtert werden soll.

Da die Hebräer ihr Recht auf keinen andern übertrugen, sondern alle, wie in einer Demokratie, ihr Recht in gleicher Weise abtraten, und wie aus einem Munde riefen: Was Gott spricht (ein Vermittler wurde nicht namhaft gemacht) wollen wir thun, so folgt, daß nach diesem Vertrag alle einander völlig gleich blieben, alle das gleiche Recht hatten, Gott zu befragen, Gesetze zu empfangen und auszulegen, und überhaupt in der ganzen Verwaltung des Staates jeder gleichberechtigt war. Aus diesem Grunde traten erstmals alle insgesamt vor Gott hin, um zu hören, was er befehlen wolle. Bei dieser ersten Huldigung aber erschraken sie so sehr und der redende Gott machte auf sie einen so verblüffenden Eindruck, daß sie ihr Ende nahe glaubten. Angsterfüllt wendeten sie sich an Moses mit den Worten: »Siehe, wir haben Gott reden gehört aus dem Feuer, weshalb sollten wir sterben? Dieses große Feuer wird uns gewiß verzehren. Wenn wir die Stimme Gottes noch einmal hörten, müßten wir sicherlich sterben. Wohlan, tritt du hinan und höre alles, was unser Gott sagt und rede du (nicht Gott) mit uns. Wir wollen allem gehorchen, was Gott dir sagen wird, und alles vollziehen.« Damit hatten sie offenbar den ersten Vertrag aufgehoben und ihr Recht, Gott zu befragen und seine Gebote auszulegen, vollständig auf Moses übertragen. Denn hier gelobten sie nicht wie vorher, allem zu gehorchen, was Gott, sondern was Moses zu ihnen sprechen würde. (S. 5. Buch Mose Kap. 5 nach den zehn Geboten, und Kap. 18, V. 15 und 16.) Moses allein blieb hiernach göttlicher Gesetzgeber und Gesetzausleger, und damit auch oberster Richter, den niemand richten konnte und der allein bei den Hebräern die Stelle Gottes, d. h. die höchste Majestät vertrat; da er allein das Recht hatte, Gott zu befragen, dem Volke die göttlichen Antworten zu überbringen und es zu zwingen, denselben zu gehorchen. Ich sage: er allein; denn wenn jemand bei Mose Lebzeiten im Namen Gottes etwas hätte verkünden wollen, war er, auch wenn er ein wahrer Prophet gewesen wäre, ein Verbrecher, der das höchste Recht gewaltthätig an sich riß. (S. 4. Buch Mose Kap. 11, V. 28.)

Es muß hier bemerkt werden, daß das Volk, obgleich es Moses gewählt hatte, einen Nachfolger an Stelle des Moses von Rechts wegen nicht wählen konnte. Denn damit daß sie ihr Recht, Gott zu befragen, auf Moses übertragen und unbedingt gelobt hatten, ihn als göttliches Orakel anzuerkennen, gingen sie ihres ganzen Rechtes verlustig, und sie mußten denjenigen, welchen Moses zu seinem Nachfolger wählte, als einen von Gott gewählten anerkennen. Hätte Moses bei der Wahl seines Nachfolgers bestimmt, daß dieser, wie er selbst, die ganze Verwaltung des Staates inne haben sollte, daß er also allein das Recht haben sollte, Gott in seinem Zelte zu befragen, und damit auch die Autorität, Gesetze zu geben und abzuschaffen, über Krieg und Frieden zu beschließen, Gesandte zu ernennen, Richter einzusetzen, einen Nachfolger zu wählen und alle Geschäfte einer unbeschränkten höchsten Gewalt zu vollziehen, so wäre der Staat ein rein monarchischer gewesen, mit dem einzigen Unterschied, daß ein anderer monarchischer Staat nach dem Willen Gottes, der aber dem Monarchen selbst verborgen ist, der Hebräerstaat aber nach dem Willen Gottes, welcher nur dem Monarchen bekannt ist, auf bestimmte Weise regiert wurde, beziehungsweise hätte regiert werden müssen. Dieser Unterschied vermindert keineswegs die Herrschaft des Monarchen und sein Recht zu allem, sondern vermehrt sie vielmehr. Übrigens ist in beiden Staatsformen das Volk gleich unfrei und des göttlichen Willens unkundig. Denn in der einen wie in der andern ist alles von dem Munde des Monarchen abhängig und von ihm allein erfährt das Volk, was recht und was unrecht ist, und wenn das Volk glaubt, der Monarch befehle nur, was ihm von Gott geoffenbart worden, so ist es deswegen dem Monarchen keineswegs weniger unterthan, sondern im Gegenteil nur desto mehr.

Indessen hat Moses keinen solchen Nachfolger gewählt sondern er hinterließ den Nachfolgern den Staat derart, daß man ihn weder einen demokratischen, noch einen aristokratischen, noch einen monarchischen, sondern nur einen theokratischen nennen konnte. Denn in demselben hatte der eine das Recht, die Gesetze auszulegen und die Aussprüche Gottes mitzuteilen, der andere das Recht und die Macht, den Staat nach den Gesetzen und göttlichen Antworten, wie sie von jenem ausgelegt und mitgeteilt worden, zu verwalten. Hierüber s. 4. Buch Mose Kap. 27, V. 21. Um dies klarer zu machen, will ich die ganze Verwaltung des Staats ordnungsgemäß beschreiben.

Zuerst erhielt das Volk den Befehl, ein Haus zu bauen, das gleichsam die Residenz Gottes oder der höchsten Majestät dieses Staates sein sollte. Dasselbe wurde nicht auf Kosten einzelner, sondern des ganzen Volkes erbaut, damit das Haus, worin Gott befragt wurde, Gemeingut wäre. Zu Hofleuten und Verwaltern des göttlichen Hofes wurden die Leviten ernannt. Ihnen wurde Aaron, des Moses Bruder, zum Obersten vorgesetzt, gleichsam als der erste nach dem König-Gott, und zu seinen gesetzmäßigen Nachfolgern wurden seine Söhne bestimmt. Aaron, als der erste nach Gott, war also oberster Ausleger der göttlichen Gesetze, und zugleich die Person, welche dem Volke die Antworten des göttlichen Orakels übermittelte und ferner für das Volk zu Gott betete. Hätte er auch noch das Recht, Befehle zu erteilen, gehabt, so würde ihm zu einem unbeschränkten Monarchen nichts gefehlt haben. Allein dieses Recht besaß er nicht, wie denn überhaupt der ganze Stamm Levi vom gesamten Staatswesen dermaßen ausgeschlossen war, daß er mit den andern Stämmen nicht einmal so viel Anteil am Lande erhielt, als er von Rechts wegen hätte beanspruchen können, um wenigstens leben zu können. Es wurde vielmehr bestimmt, daß dieser Stamm von dem übrigen Volke ernährt werden sollte, so zwar, daß er stets vom ganzen Volke hoch in Ehren zu halten wäre, als ein Gott geweihter Stamm.

Aus den übrigen zwölf Stämmen wurde sodann ein Kriegsheer gebildet und demselben befohlen, das Land der Kananiter anzugreifen, dasselbe in zwölf Gebiete zu teilen und diese unter den Stämmen durch das Los zu verteilen. Zu diesem Behufe wurden zwölf Häupter gewählt, einer aus jedem Stamm, welchen zugleich mit Josua und dem Hohenpriester Eleasar das Recht verliehen wurde, das Land in zwölf gleiche Teile einzuteilen und zu verlosen. Zum obersten Feldherrn aber wurde Josua ernannt, dem allein das Recht zustand, in unvorhergesehenen Angelegenheiten Gott zu befragen, aber nicht wie Moses selbständig in seinem Zelt oder in der Stiftshütte, sondern durch den Hohenpriester, welchem allein von Gott Antworten erteilt wurden. Ferner war Josua ermächtigt, die von dem Priester vernommenen Befehle Gottes bekannt zu geben und das Volk zu ihrer Befolgung zu nötigen, Mittel zu deren Ausführung auszusinnen und anzuwenden, aus dem Heere so viel und welche er wollte, auszuheben, Gesandte in seinem Namen auszusenden, dies alles und überhaupt das ganze Kriegsrecht hing lediglich von seinem Beschluß ab.

Josua hatte keinen durch Gesetz bestimmten Nachfolger, ein solcher wurde von niemand als von Gott unmittelbar gewählt, und zwar erst, wenn die Not des gesamten Volkes dies notwendig machte; im übrigen wurden alle Angelegenheiten des Kriegs und Friedens von den Stammhäuptern verwaltet, wie ich bald zeigen werde.

Endlich befahl Moses, daß alle Bürger, vom zwanzigsten bis zum sechzigsten Lebensjahr, zum Kriegsdienst ausgehoben werden sollen, und daß die Regimenter aus dem Volke allein zu bilden seien, welches nicht dem Feldherrn oder Hohenpriester, sondern der Religion oder Gott den Eid der Treue leistete. Sie wurden die Heerscharen oder Schlachtreihen Gottes genannt, wie Gott wiederum bei den Hebräern Gott der Heerscharen hieß. Aus diesem Grunde führte man die Bundeslade bei großen Schlachten, von deren Ausgang des ganzen Volkes Sieg oder Niederlage abhing, in der Mitte des Heeres; weil so das Volk seinen König gleichsam unter sich sah und dadurch angefeuert wurde, mit allen Kräften zu kämpfen.

An diesen von Moses seinen Nachfolgern gegebenen Verordnungen läßt sich leicht erkennen, daß er sie als Verwalter, aber nicht als Herrscher des Staats gewählt hat. Denn er gab niemand das Recht, selbständig und wo er wolle, Gott zu befragen, und folglich verlieh er auch niemand die Autorität, die er selbst hatte, Gesetze aufzustellen und aufzuheben, über Krieg und Frieden zu beschließen, und Verwalter sowohl des Tempels als der Städte zu wählen, was lauter Befugnisse des Inhabers der höchsten Staatsgewalt sind. Denn der Hohepriester hatte zwar das Recht, die Gesetze auszulegen und die Antworten Gottes zu erteilen, aber nicht wie Moses so oft er wollte, sondern nur auf Befragen des Feldherrn, des höchsten Rats, und dergl. Der erste Feldherr und der Rat hinwiederum konnten Gott befragen, so oft sie wollten, allein sie erhielten Gottes Antworten nur durch den Hohenpriester. Daher waren die Aussprüche Gottes aus dem Munde des Hohenpriesters keine gesetzlichen Befehle, wie die aus dem Munde des Moses, sondern nur Antworten; erst nachdem sie von Josua und dem Rat angenommen waren, erhielten sie Gesetzeskraft. Ferner hatte der Hohepriester, welcher Gottes Antworten von Gott empfing, nicht das Heer unter sich und besaß keine Staatsgewalt, wie auf der andern Seite diejenigen, welche das Land nach dem Recht besaßen, nicht berechtigt waren, Gesetze aufzustellen.

Ferner war der Hohepriester, Aaron sowohl wie sein Sohn Eleazar, zwar von Moses gewählt worden, doch hatte nach dem Tode des Moses niemand das Recht, einen Priester zu wählen, sondern der Sohn war der rechtmäßige Nachfolger des Vaters. Auch als Feldherr war Josua von Moses gewählt worden, und der Hohepriester setzte ihn als Feldherrn ein, nicht kraft des dem Hohenpriester verliehenen Rechtes, sondern kraft des Rechtes, welches Moses besaß, der ihn dazu ermächtigte. Daher wählte der Priester nach Josuas Tode niemand an dessen Stelle. Auch die Stammhäupter befragten Gott nicht über einen neuen Feldherrn, sondern jeder von ihnen besaß nunmehr das Recht des Josua über die Heeresabteilung seines Stammes und alle zusammen besaßen dasselbe über das gesamte Heer. Wie es scheint, hatten sie auch keinen obersten Feldherrn nötig, außer wenn sie mit vereinten Kräften gegen einen gemeinschaftlichen Feind kämpfen mußten, und dies war hauptsächlich zu Josuas Zeit der Fall, da sie damals noch keinen festen Wohnsitz hatten und alles noch gemeinschaftlich war. Nachdem aber alle Stämme die durch das Kriegsrecht in Besitz genommenen Länder und die, welche sie ferner erobern sollten, unter sich geteilt hatten, und nicht mehr alles allen gehörte, war kein Grund für einen gemeinschaftlichen Feldherrn mehr vorhanden, da die verschiedenen Stämme seit dieser Teilung nicht sowohl für Volksgenossen als vielmehr für Verbündete zu halten waren. In Bezug auf Gott und die Religion waren sie zwar als Volksgenossen anzusehen; in Bezug auf die gegenseitigen Rechtsverhältnisse hingegen waren die einzelnen Stämme bloße Verbündete; etwa so, wenn von dem gemeinsamen Tempel abgesehen wird, wie die Vereinigten Staaten der Niederlande. Denn die Teilung einer gemeinsamen Sache in einzelne Teile heißt nichts anderes, als daß jeder nunmehr seinen Teil allein besitzt und die andern des Rechts, das sie auf diesen Teil hatten, sich begeben.

Aus diesem Grunde wählte Moses Stammhäupter, von denen jeder nach der Teilung des Reichs für seinen Teil zu sorgen hatte; sein Amt war es, Gott durch den Hohenpriester über Angelegenheiten, die seinen Stamm betrafen, zu befragen, seine Truppen zu befehligen, Städte zu bauen und zu befestigen, Richter in jeder Stadt einzusetzen, gegen die Feinde seines Gebiets zu kämpfen und überhaupt alle Geschäfte des Kriegs und des Friedens zu verwalten. Der Stamm brauchte auch keinen andern Richter anzuerkennen, als Gott selbst, oder einen von Gott eigens gesendeten Propheten. Fiel er aber von Gott ab, so konnte er von den andern Stämmen nicht als Unterthan gerichtet, sondern als vertragsbrüchiger Feind bekriegt werden.

Davon haben wir in der Bibel Beispiele. Nach Josuas Tod nämlich wurde von den Kindern Israels, nicht von dem neuen Oberfeldherrn, Gott befragt. Als sie nun vernahmen, daß der Stamm Juda unter allen Stämmen zuerst seinen Feind bekriegen sollte, verband sich dieser mit dem Stamm Simon allein, um gemeinschaftlich den beiderseitigen Feind zu bekriegen. Die übrigen Stämme waren diesem Bündnis nicht beigetreten, (s. Buch der Richter Kap. 1, 2 und 3,) vielmehr führte jeder Stamm besonders Krieg mit seinem Feinde (wie das erwähnte Kapitel berichtet) und jeder unterwarf sich wen er wollte und schloß ein Bündnis mit wem er wollte, obgleich befohlen worden war, niemand unter keinerlei Vertragsbedingung zu schonen, sondern alle auszurotten. Wegen dieses Fehltritts werden sie zwar getadelt, aber von niemand gerichtlich zu Verantwortung gezogen. Auch lag kein Grund vor, deshalb miteinander Krieg anzufangen und sich in die Angelegenheiten eines andern Stammes zu mischen. Im Gegenteil machten sie einen feindlichen Angriff auf die Benjaminiten, weil diese die übrigen Stämme beleidigt und das Band des Friedens dermaßen zerrissen hatten, daß kein Glied der verbündeten Stämme sichern Aufenthalt bei ihnen nehmen konnte. In drei Schlachten bekämpften sie die Benjaminiten und als sie endlich in der dritten den Sieg erfochten hatten, metzelten sie dieselben nach dem Kriegsrecht nieder, die Unschuldigen ebenso wie die Schuldigen, was sie hernach zu spät bitter bereuten. Die Beispiele bestätigen vollständig, was ich über das Recht der einzelnen Stämme gesagt habe.

Vielleicht fragt nun aber jemand, wer denn die Nachfolger der einzelnen Stammhäupter gewählt habe. Hierüber erfahren wir indessen aus der Bibel selbst nichts Bestimmtes; doch vermute ich, daß der älteste unter den Familienhäuptern der rechtmäßige Nachfolger des Stammesoberhaupts war, da bekanntlich jeder Stamm in Familien abgeteilt war, deren Häupter aus den ältesten Leuten der Familie gewählt wurden. Zu dieser Vermutung berechtigt der Umstand, daß Moses aus den ältesten Leuten siebzig Beiräte wählte, die zusammen mit ihm den höchsten Rat bildeten. Diejenigen Personen nun, welche nach Josuas Tode das Reich verwalteten, heißen in der Bibel »die Ältesten«, und außerdem werden im Hebräischen sehr häufig die Richter als »die Ältesten« bezeichnet, was wohl jeder weiß.

Indessen ist es für meinen Gegenstand von keiner Bedeutung, Gewißheit darüber zu haben. Es genügt, gezeigt zu haben, daß nach dem Tode des Moses nicht eine einzelne Person alle Ämter des obersten Befehlhabers in sich vereinigt hat. Denn da weder von einer Einzelperson, noch von einem einzelnen Rat, noch auch von dem Beschluß des Gesamtvolks alles abhing, sondern manches von einem Stamm, anderes von den übrigen, bei gleicher Berechtigung jedes einzelnen Stammes, verwaltet wurde, so ist die Folgerung einleuchtend, daß das Reich seit dem Tode des Moses weder monarchisch, noch aristokratisch, noch demokratisch war, sondern wie gesagt theokratisch: 1) weil der Reichspalast der Tempel war und nur in Bezug auf ihn, wie schon hervorgehoben, alle Stämme Glieder desselben Staats waren; 2) weil alle Bürger Gott, als ihrem obersten Richter, Treue schwören mußten; 3) endlich, weil der oberste Feldherr, wenn die Wahl eines solchen nötig war, von niemand als von Gott allein gewählt wurde. Dies hat Moses dem Volke im Namen Gottes ausdrücklich verkündet, im 5. Buch Mose Kap. 19, V. 15, und thatsächlich bezeugt es die Wahl Gideons, Simsons und Samuels. Kein Zweifel daher, daß auch die andern gottergebenen Führer auf dieselbe Weise gewählt wurden, wenn auch in der biblischen Geschichte nichts darüber verlautet.

Nachdem dieses klargestellt, ist es Zeit, danach zu sehen, inwieweit diese Art der Staatsverfassung fähig war, die Geister zu zügeln und die Regierenden wie die Regierten im Zaume zu halten und zu verhüten, daß diese Rebellen, jene Tyrannen wurden.

Die Personen, welche die Staatsgewalt verwalten oder inne haben, suchen allen Schlechtigkeiten, die sie verüben, einen Schein des Rechts zu verleihen und dem Volk einzureden, daß ihre Handlungsweise eine ehrenwerte sei; was ihnen leicht gelingt, da die ganze Auslegung des Gesetzes nur von ihnen abhängt. Unzweifelhaft ist eben dieser Umstand die Ursache, daß sie sich die größte Freiheit zu allem, was sie wollen und ihre Begierde ihnen eingiebt, herausnehmen, während sie an dieser Freiheit beträchtlich geschmälert werden, wenn das Recht, die Gesetze auszulegen, jemand anders zusteht, und wenn zugleich die Gesetze in einer jedermann einleuchtenden Weise ausgelegt werden, so daß über die Richtigkeit der Auslegung niemand im Zweifel sein kann. Hieraus erhellt, daß die Staatsoberhäupter der Hebräer weit weniger Gelegenheit hatten, Unthaten zu verüben durch den Umstand, daß das Recht, die Gesetze auszulegen, gänzlich den Leviten übertragen war, (s. 5. Buch Mose Kap. 21, V. 5,) die weder an der Staatsverwaltung noch an dem Grund und Boden einen Anteil hatten, gleich den übrigen Stämmen, und deren Glück und Ehre von der wahren Auslegung der Gesetze abhing. Ferner dadurch, daß dem gesamten Volke geboten war, alle sieben Jahre an einem bestimmten Ort sich zu versammeln, wo es von dem Priester über das Gesetz belehrt werden sollte, und daß überdies jahraus jahrein jedermann für sich das Buch des Gesetzes mit größter Aufmerksamkeit lesen und wieder lesen sollte. (S. 5. Buch Mose Kap. 31, V. 9 etc. und Kap. 6, V. 7.) Die Staatsoberhäupter mußten also schon um ihrer selbst willen sehr darauf bedacht sein, in der ganzen Verwaltung das geschriebene und jedermann hinlänglich verständliche Gesetz sich zur Richtschnur zu nehmen, wenn sie bei dem Volke in hohem Ansehen stehen wollten. Thaten sie das, so ehrte sie das Volk als Verwalter des göttlichen Reichs und Stellvertreter Gottes; thaten sie es nicht, so konnten sie dem glühendsten Hasse des Volkes, wie gewöhnlich der theologische ist, nicht entgehen.

Um die zügellose Willkür der Staatsoberhäupter einzuschränken, kam noch eine andere Einrichtung von großer Wichtigkeit hinzu, nämlich daß das Heer aus allen Bürgern (vom zwanzigsten bis zum sechzigsten Lebensjahr ohne Ausnahme) gebildet wurde, und daß die Staatsoberhäupter keine fremden Söldlinge im Heer aufnehmen durften. Dies, sage ich, war von großer Wichtigkeit; denn es ist gewiß, daß die Fürsten nur durch Truppen, denen sie Sold bezahlen, ihr Volk unterdrücken können, und daß sie nichts mehr fürchten, als eine freie Bürgerwehr, durch deren Tapferkeit, Anstrengung und Blut die Freiheit und der Ruhm des Vaterlandes errungen worden ist. Deshalb hat Alexander, als er zum zweitenmal gegen Darius kämpfen wollte und den Rat des Parmenion vernommen hatte, nicht diesen gescholten, welcher den Rat gab, sondern den Polysperchon, der mit jenem übereinstimmte. Denn, wie Curtius im 4. Buch, 13 sagt, Alexander getraute sich nicht, den Parmenion, den er erst kurz vorher heftiger als es seine Absicht war angefahren hatte, nochmals zu kränken. Auch konnte er die Freiheit der Macedonier, die er, wie schon erwähnt, am meisten fürchtete, nicht eher unterdrücken, als bis er die Zahl der aus den Gefangenen genommenen Soldaten so vermehrt hatte, daß sie die Zahl der macedonischen Truppen überstieg; erst dann konnte er seiner ungestümen, durch den Freiheitssinn der besten Bürger lange eingeschränkten Willkür den Zügel schießen lassen. Wenn also dieser Freiheitssinn einer Bürgerwehr schon die Fürsten eines weltlichen Staats, welche den ganzen Ruhm erfochtener Siege sich allein anzumaßen pflegen, in Schranken hält, um wie viel mehr mußte derselbe die Staatsoberhäupter der Hebräer in Schranken halten, deren Truppen nicht für den Ruhm eines Fürsten, sondern für die Ehre Gottes kämpften und erst nach Empfang der göttlichen Antwort eine Schlacht unternahmen.

Es kam weiter hinzu, daß alle Oberhäupter der Hebräer durch das Band der Religion mit den andern verbunden waren. Wenn einer von ihr abgefallen wäre und begonnen hätte, das göttliche Recht der Einzelnen zu verletzen, so konnte er dadurch von den übrigen als Feind betrachtet und rechtmäßig unterdrückt werden.

Es kam drittens hinzu die Furcht vor irgend einem neuen Propheten. Bewies nämlich ein Mann von tadellosem Lebenswandel durch gewisse bewährte Zeichen, daß er ein Prophet sei, so hatte er damit das höchste Recht, Befehle zu erteilen, erlangt. Er konnte dies nämlich so wie Moses, im Namen des ihm allein geoffenbarten Gottes, nicht bloß wie die Staatsoberhäupter im Namen des durch den Priester befragten Gottes.

Dazu kam viertens, daß das Staatsoberhaupt vor andern Bürgern weder durch Adel noch durch Erbrecht einen Vorzug hatte, und die Verwaltung des Reichs ihm nur wegen seines Alters und seiner Tugend übertragen wurde.

Endlich kam hinzu, daß die Staatsoberhäupter und das gesamte Heer den Krieg nicht mehr als den Frieden wünschen konnten. Denn weil das Heer wie gesagt nur aus Bürgern bestand, lagen die Geschäfte des Friedens denselben Menschen ob, welchen die Geschäfte des Kriegs oblagen. Die Soldaten im Felde waren zugleich Bürger in der Stadt, der Anführer im Felde zugleich Richter im Gericht, der Heerführer im Felde zugleich Oberhaupt im Staate. Deshalb konnte niemand den Krieg um des Krieges willen wünschen, sondern um des Friedens oder der Freiheit willen. Auch wird wohl das Staatsoberhaupt alle Neuerungen möglichst vermieden haben, um nicht den Hohenpriester angehen und vor demselben stehen zu müssen, was seine Würde beeinträchtigen mußte.

Soviel über die Gründe, welche die Staatsoberhäupter bewogen, sich in ihren Schranken zu halten. – Sehen wir nun, wodurch das Volk in seinen Schranken gehalten wurde. Auch dieses ist aus der Staatsverfassung aufs klarste ersichtlich. Schon bei einer oberflächlichen Betrachtung derselben muß man die Überzeugung gewinnen, daß sie in den Herzen der Bürger eine innige Liebe zu ihrem Vaterlande erzeugen mußte, so daß ihnen alles eher in den Sinn kommen konnte, als der Verrat am Vaterlande oder der Abfall von ihm. Alle mußten sie ihm vielmehr so anhänglich sein, daß sie lieber das schlimmste, als eine fremde Herrschaft dulden wollten. Denn da sie ihr Recht auf Gott übertragen hatten und im Glauben lebten, ihr Reich sei ein Reich Gottes, sie selbst seien die einzigen Kinder Gottes, die übrigen Völker aber Gottes Feinde, weshalb sie gegen dieselben einen glühenden Haß nährten, (was sie für Frömmigkeit hielten, s. Psalm 139, V. 21 und 22,) so konnten sie nichts mehr verabscheuen, als einem fremden Staat Treue zu schwören und Gehorsam zu geloben, und nichts konnte ihnen ehrloser und fluchwürdiger vorkommen, als der Verrat am Vaterlande, d. h. an dem Reiche des Gottes, den sie verehrten. Schon eine Reise ins Ausland, um sich dort niederzulassen, galt für schändlich, weil der Dienst Gottes, an welchen sie jederzeit gebunden waren, nur allein im Vaterlande ausgeübt werden durfte. Daher klagte David gegen Saul, der ihn nötigte, ins Ausland zu flüchten: »Wenn es Menschen sind, welche dich gegen mich reizen, so sind sie verflucht, weil sie mich ausschließen vom Wandel im Erbteil Gottes, indem sie sagen: Fort, diene fremden Göttern.« Aus diesem Grunde wurde auch kein Bürger mit der Verbannung bestraft, was hier besonders hervorzuheben ist; denn der Missethäter verdient zwar Strafe, aber nicht Schmach.

Die Liebe der Hebräer zu ihrem Vaterlande war also keine gewöhnliche Liebe, sie war Frömmigkeit, welche zugleich mit dem Haß gegen die andern Völker durch den täglichen Gottesdienst so gehegt und genährt wurde, daß sie zur zweiten Natur werden mußte. Denn ihr täglicher Gottesdienst war nicht bloß ganz anderer Art als der Gottesdienst der andern Völker, (woher es auch kam, daß sie eine ganz eigentümliche und scharf abgesonderte Stellung unter allen Völkern einnahmen,) sondern geradezu gegen diesen gerichtet. Aus solcher täglich wiederkehrenden feindseligen Erwähnung mußte ein dauernder Haß entstehen, der tiefer als irgend etwas in der Seele wurzelte; denn es war ein aus großer Gottergebenheit und Frömmigkeit entsprungener Haß, der für fromm gehalten wurde, und einen stärkeren und hartnäckigeren kann es fürwahr nicht geben. Es fehlte auch die gewöhnliche Ursache nicht, welche den Haß beständig mehr und mehr entflammt, nämlich die Erwiderung desselben. Die andern Völker mußten wiederum gegen die Hebräer von tiefstem Haß erfüllt sein.

Wie sehr das alles, nämlich die Freiheit im Staate, die Anhänglichkeit am Vaterlande, das unbeschränkte Recht auf alle andern Staaten, der nicht bloß erlaubte, sondern sogar von der Frömmigkeit gebotene Haß gegen die andern Völker, das Bewußtsein, von diesen allen gehaßt zu werden, die Besonderheit ihrer Sitten und Gebräuche, wie sehr, sage ich, dieses geeignet war, die Herzen der Hebräer zu stärken, für ihr Vaterland alles mit außerordentlicher Standhaftigkeit und Tapferkeit zu erdulden, muß die Vernunft jedem sagen, wie es auch durch die Geschichte bezeugt ist. Denn nie haben sie unter einer fremden Herrschaft aushalten können, so lange ihre Hauptstadt stand, weshalb ja auch Jerusalem die Stadt des Aufruhrs genannt wurde (s. Esra Kap. 4, V. 12 und 15). Auch das zweite Reich (das kaum ein Schatten des ersten war, nachdem die Priester sich auch die weltliche Herrschaft angemaßt hatten) konnte nur sehr schwer von den Römern zerstört werden, wie Tacitus im 2. Buche seiner Geschichte mit folgenden Worten bezeugt: »Vespasian hatte den jüdischen Krieg nahezu zu Ende gebracht, nur die Einnahme Jerusalems war noch übrig, ein hartes und schwieriges Werk, mehr wegen des Sinnes der Bevölkerung und ihres zähen Aberglaubens, als weil die Belagerten Kraft genug besessen hätten, die Nöten der Belagerung zu ertragen.«

Aber neben diesen Eigentümlichkeiten des Hebräerstaats, deren Wert bloß von der Meinung abhängt, war noch eine Besonderheit von innerem Werte vorhanden, durch welche die Bürger abgehalten werden mußten, an Abfall zu denken und Lust zu bekommen, das Vaterland zu verlassen, nämlich der Nutzen, das Mark und der Nerv aller menschlichen Handlungen. Und diesen, sage ich, ihren Nutzen, fanden die Bürger in diesem Staate ganz besonders. Denn nirgends besaßen Bürger ihre Güter mit größerem Rechte als die Unterthanen dieses Staates, die den gleichen Teil an Land und Feld besaßen wie das Staatsoberhaupt, und wo jeder für alle Zeiten Besitzer seines Anteils blieb. Denn wenn jemand aus Armut sein Grundstück oder seinen Acker zu verkaufen gezwungen war, so mußte ihm das verkaufte Gut mit dem Eintritt des Jubeljahres wieder vollständig zurückgegeben werden; und noch andere Einrichtungen dieser Art waren getroffen, damit die unbeweglichen Güter des Bürgers nicht in fremde Hände kommen können. Auch konnte die Armut nirgends erträglicher sein, als hier, wo die Liebe gegen den Nächsten, d. h. gegen den Mitbürger, als heilige Pflicht geübt werden mußte, um die Gnade Gottes, ihres Königs zu erlangen.

Den hebräischen Bürgern konnte es also nur in ihrem Vaterlande wohl ergehen, außerhalb desselben aber war großer Nachteil und Schmach.

Nicht bloß zu ihrer Anhänglichkeit am Vaterlande, sondern auch zur Verhütung von Bürgerkriegen und zur Beseitigung der Anlässe von Streitigkeiten trug ferner der Umstand wesentlich bei, daß niemand seinesgleichen, sondern nur Gott diente, und daß Liebe und Wohlthun gegen den Mitbürger als höchste Frömmigkeit galt; und diese wurde nicht wenig durch den gegenseitigen Haß gefördert, der zwischen den Hebräern und allen übrigen Völkern bestand.

Weiter trug hierzu erheblich die strenge Zucht des Gehorsams bei, worin sie erzogen wurden, indem sie nämlich alles nach der bestimmten Vorschrift des Gesetzes thun mußten. Denn sie durften nicht nach Belieben ackern, sondern nur zu bestimmten Zeiten und Jahren und nicht mit zweierlei Viehgattungen zugleich. Auch das Säen und Ernten war nur auf bestimmte Weise und zu gewissen Zeiten gestattet, wie denn überhaupt ihr ganzes Leben eine beständige Übung im Gehorsam war. (S. hierüber Kap. 5, über den Wert der religiösen Gebräuche.) Hieran vollständig gewöhnt, konnten sie diese Verpflichtungen nicht als Knechtschaft ansehen, sondern mußten sich als Freie dabei fühlen, und es mußte so weit kommen, daß niemand nach dem Verbotenen, sondern nur nach dem Gebotenen Verlangen trug.

Nicht wenig scheint auch dazu beigetragen zu haben, daß sie zu gewissen Jahreszeiten verpflichtet waren, sich der Ruhe und der Freude hinzugeben, nicht um ihrer Neigung, sondern um Gott aus Neigung zu gehorchen. Dreimal im Jahre waren sie Gottes Gäste, (s. 5. Buch Mose Kap. 16,) am siebenten Tag in der Woche mußten sie sich jeder Arbeit enthalten und sich der Ruhe hingeben, daneben waren noch andere Zeiten ausgezeichnet, an welchen anständige Lustbarkeiten und Gastmahle nicht bloß erlaubt, sondern geboten waren, meines Erachtens eines der wirksamsten Mittel, die Herzen der Menschen zu lenken. Denn nichts kann die Herzen mehr einnehmen, als die Freude, die aus der Ehrfurcht, in welcher Liebe mit Bewunderung vereinigt ist, entspringt. Sie konnten auch dieser Freudentage nicht leicht durch Gewohnheit überdrüssig werden, da die Feierlichkeiten der Festtage selten und mannigfaltig waren.

Hierzu kam noch die große Verehrung des Tempels, welche infolge seines eigentümlichen Gottesdienstes und der Gebräuche, welche vor dem Eintritt in denselben beobachtet werden mußten, stets eine innige blieb, so daß noch die heutigen Juden nicht ohne großen Schauder jene Schandthat des Manasse lesen, der es gewagt hat, im Tempel selbst ein Götzenbild aufzustellen.

Auch für die Gesetze, welche im Allerheiligsten aufs sorgfältigste aufbewahrt wurden, hatte das Volk die gleiche Verehrung. Es war daher in dieser Hinsicht Unzufriedenheit und Vorurteil von dem Volke nicht zu fürchten. Denn niemand wagte es, über göttliche Dinge zu urteilen, da sie allem, was ihnen unter der Autorität einer im Tempel erteilten göttlichen Antwort oder eines von Gott erlassenen Gesetzes befohlen wurde, gehorchen mußten, ohne es mit der eigenen Vernunft zu prüfen.

Damit glaube ich, die Grundzüge der Verfassung dieses Staates wenn auch kurz, so doch genügend klar gemacht zu haben. Nun wären noch die Ursachen zu untersuchen, welchen es zuzuschreiben ist, daß die Hebräer von dem Gesetze so oft abgefallen sind, daß sie so oft unterjocht worden sind, und daß endlich dieses Reich gänzlich zerstört werden konnte.

Vielleicht möchte aber jemand behaupten, es sei die Folge der Hartnäckigkeit des Volkes gewesen. Doch das wäre kindisch. Denn weshalb war dieses Volk hartnäckiger als andere Völker? Etwa von Natur? Aber die Natur schafft ja keine Völker, sondern nur Menschen, welche erst durch Sprache, Gesetze und angenommene Sitten sich in einzelne Völker trennen. Nur von diesen beiden, den Gesetzen und Sitten, kann die Besonderheit des Geistes, des Charakters und der Vorurteile bei den verschiedenen Völkern herrühren. Wenn man also zugeben müßte, daß die Hebräer hartnäckiger waren als andere Völker, so müßte das einem Fehler in ihren Gesetzen oder angenommenen Sitten zugeschrieben werden. Und das ist ja auch richtig, daß Gott, wenn er ihr Reich hätte dauerhafter machen wollen, ihnen auch andere Rechte und Gesetze gegeben und eine andere Form der Regierung eingeführt hätte. Was kann man daher anderes sagen, als daß sie den göttlichen Zorn erregt hatten, nicht bloß wie Jeremia Kap. 32, V. 31 sagt, schon von der Erbauung Jerusalems an, sondern schon von der Gesetzgebung an. Dieses bezeugt auch Ezechiel Kap. 20, V. 25, indem er sagt: »Auch ich gab ihnen Bestimmungen, die nicht gut, und Gesetze, durch welche sie nicht leben können, indem ich sie verunreinigte, dadurch, daß ich jede Öffnung der Gebärmutter (d. i. Erstgeburt) verstieß, um sie zu verderben, damit sie erkennen, daß ich Jehovah bin.«

Um diese Worte und die Ursache ihres Verderbens recht zu verstehen, muß bemerkt werden, daß ursprünglich beabsichtigt war, mit sämtlichen heiligen Verrichtungen die Erstgeborenen zu betrauen, nicht die Leviten (s. 4. Buch Mose Kap. 8, V. 17). Da aber alle außer den Leviten das Kalb anbeteten, wurden die Erstgeborenen verstoßen und verunreinigt und an deren Statt die Leviten erwählt (5. Buch Mose Kap. 10, V. 8). Diese Änderung ist derart, daß ich, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr mich veranlaßt fühle, mit Tacitus zu sagen, damals war Gottes Sorge nicht ihre Sicherheit, es war seine Rache. Und ich kann mich nicht genug darüber wundern, daß der Zorn im Herzen des Himmels so groß war, daß er sogar in der Aufstellung der Gesetze, welche doch immer nur die Ehre, Wohlfahrt und Sicherheit bezwecken, sich von der Absicht, sich zu rächen und das Volk zu strafen, leiten ließ, so daß die Gesetze eigentlich nicht als Gesetze, d. h. zu des Volkes Wohlfahrt, sondern mehr als Strafen und Züchtigungen ausgesehen haben.

Denn alle Gaben, die sie den Leviten und Priestern zu bringen hatten, wie auch die Auslösung ihrer Erstgeborenen durch Geld, das sie den Leviten für jeden Kopf geben mußten, endlich die Alleinberechtigung der Leviten zum Betreten des Heiligtums, waren für sie ein beständiger Vorwurf ihrer Unreinheit und Verstoßung. Auch die Leviten waren so daran, daß ihnen das Volk beständig Vorwürfe machen konnte. Denn ohne Zweifel gab es unter so vielen tausenden von Leviten eine Menge unverschämte Aftertheologen. Daher die Neigung des Volks, die Handlungen der Leviten, welche eben auch Menschen waren, argwöhnisch zu beobachten, und, wie es zu gehen pflegt, die ganze Klasse wegen der Fehler einzelner anzuklagen. Daraus entsprang denn beständige Unzufriedenheit, wie auch Unmut darüber, daß man müßige und unbeliebte Menschen, die nicht einmal blutsverwandt mit den andern waren, ernähren mußte, besonders wenn das Getreide teuer war.

Was Wunder also, wenn in ruhigen Zeiten, als die öffentlichen Wunderthaten aufgehört hatten und es keine Männer von außerordentlichem Ansehen mehr gab, der gereizte und habsüchtige Sinn des Volkes lässig zu werden begann, und sich schließlich von dem zwar göttlichen aber in seinen Augen schimpflichen und verdächtigen Religionsdienst abwendete und nach einem neuen verlangte, und daß die Staatsoberhäupter, welche stets auf Wege nach der Alleinherrschaft sinnen, dem Volk alles gewährten und einen neuen Religionsdienst einführten, um das Volk sich zu verbinden und dem Priester abspenstig zu machen.

Wäre der Staat nach der ursprünglichen Absicht eingerichtet worden, so hätten alle Stämme immer gleiches Recht und gleiche Ehre gehabt und alles wäre aufs beste gesichert gewesen. Denn wer hätte das heilige Recht seiner Blutsverwandten antasten mögen? Was könnte man lieber thun, als seine Blutsverwandten, Brüder, oder Eltern aus Achtung vor der Religion zu ernähren, sich von ihnen in der Auslegung der Religion unterrichten zu lassen und die göttlichen Antworten von ihnen zu empfangen? Es wären auch auf diese Weise alle Stämme viel enger miteinander verbunden geblieben, wenn alle das gleiche Recht zur Bekleidung der heiligen Ämter gehabt hätten. – Ja es wäre auch von der Wahl der Leviten nichts zu befürchten gewesen, wenn sie eine andere Ursache gehabt hätte als Zorn und Rachsucht. Aber sie hatten, wie gesagt, den Zorn Gottes sich zugezogen, der, um die Worte des Ezechiel zu wiederholen, mit ihren Gaben sie verunreinigte, indem er jede Öffnung der Gebärmutter zurückwies, um sie zu verderben.

Es wird das auch durch die biblische Geschichte bestätigt. Als das Volk in der Wüste eine Zeit lang Muße genug hatte, wurden viele Männer, und zwar Männer aus den besseren Kreisen, über diese Wahl aufgebracht, und sie bewirkte, daß man zu glauben anfing, Moses habe nicht auf Gottes Geheiß, sondern nach seinem Belieben alle Einrichtungen getroffen, indem er nämlich seinen Stamm von den andern Stämmen ausgewählt und das Priesteramt seinem Bruder für alle Zeiten übertragen habe. Sie empörten sich daher gegen ihn und riefen, daß alle gleich heilig seien und Moses sich widerrechtlich über alle andern erhebe. Er konnte sie auch auf keine Weise beruhigen, und nur durch die Anwendung eines Wunders, zum Zeichen seiner Glaubwürdigkeit, wurden die Empörer getötet. Hierauf aber entstand ein neuer und allgemeiner Volksaufruhr, da man glaubte, die Empörer seien nicht durch ein Gericht Gottes, sondern durch die Kunst des Moses getötet worden. Erst nach einem großen Sterben oder einer großen Pest erlahmte das Volk und der Aufruhr wurde gedämpft; aber alle zogen den Tod dem Leben vor. Der Aufruhr hatte sich gelegt, aber die Eintracht war nicht hergestellt. Es bezeugt dies die Bibel selbst im 5. Buch Mose Kap. 31, V. 21, wo Gott dem Moses vorhersagt, daß das Volk nach seinem Tode von dem Dienste Gottes abfallen werde, und hinzusetzt: »Denn ich kenne seinen Hang, und was es heute im Schilde führt, so lange ich es noch nicht hineinführte in das Land, das ich ihm zugeschworen.« Und bald darauf sagt Moses zum Volke selbst: »Denn ich kenne deinen aufrührerischen Sinn und deine Hartnäckigkeit. Wenn ihr schon bei meinen Lebzeiten aufrührerisch gewesen seid gegen Gott, um wie viel mehr nach meinem Tode.«

Bekanntlich ist dies auch in der That eingetroffen. Daher die großen Änderungen, wie auch die große Zügellosigkeit, Üppigkeit und Lässigkeit, wodurch alles abwärts zu gehen anfing, bis sie nach häufigen Unterjochungen das göttliche Recht völlig brachen und einen sterblichen König verlangten. Nun war nicht mehr der Tempel, sondern der Hof königliche Residenz, und sämtliche Stämme waren nicht mehr durch das göttliche Recht und das Priestertum zu einem Volke vereinigt, sondern durch den gemeinschaftlichen König. Dies gab reichlichen Stoff zu neuen Unruhen und das Ende war der Zusammenbruch des ganzen Reichs. Denn nichts können Könige weniger ertragen als ein unsicheres Königtum und eine Regierung in der Regierung. Die ersten Könige, welche aus dem Volk gewählt waren, begnügten sich mit dem Grad der Würde, den sie erlangt hatten. Die Söhne aber, welche sich der Regierung vermöge des Erbfolgerechts bemächtigten, fingen an, nach und nach alles zu ändern, um unbeschränkte Alleinherrscher zu sein, da ihnen ein wesentlicher Teil der Herrschaft abging, so lange das Recht der Gesetzgebung nicht in ihren Händen war, sondern in denen des Priesters, der die Gesetze im Allerheiligsten verwahrte und sie dem Volke auslegte. Dadurch waren sie gleichsam Unterthanen der Gesetze, die sie von Rechts wegen weder abschaffen noch durch neue von gleichem Ansehen vermehren konnten. Weiter auch darum, weil das Recht der Leviten die Könige ebenso wie die Unterthanen als Ungeweihte von den heiligen Ämtern ausschloß; endlich auch weil die Sicherheit ihrer Herrschaft gänzlich von dem Willen eines einzelnen, der als Prophet galt, abhing, wovon sie selbst Beispiele erlebt hatten. Denn mit welcher Freiheit konnte Samuel dem Saul alles was er wollte befehlen, und wie leicht konnte er wegen eines einzigen Fehltritts des letzteren die Regierung auf David übertragen! Somit hatten die Könige eine Regierung in der Regierung und ihr Königtum war ein unsicheres.

Diese Mißstände zu beseitigen, gestatteten sie, andere Tempel andern Göttern zu weihen, so daß eine Anfrage bei den Leviten überflüssig wurde. Sodann suchten sie nach Leuten, die im Namen Gottes weissagten, um diese Propheten den wahren gegenüber zu stellen.

Allein sie mochten versuchen, was sie wollten, ihren Zweck erreichten sie dennoch niemals. Denn die Propheten, auf alles vorbereitet, warteten eine gelegene Zeit ab, nämlich die Regierung eines Nachfolgers, welche immer eine unsichere ist, so lange noch der Vorgänger in frischer Erinnerung ist. Da konnten sie nun leicht unter Berufung auf die göttliche Autorität einen begeisterten, durch Tugend ausgezeichneten König auf den Thron bringen, der das göttliche Recht wieder herstellen und das Reich oder einen Teil desselben rechtmäßig besitzen sollte.

Indessen konnte dieses Verfahren der Propheten dennoch nichts fruchten. Denn wenn sie auch einen Tyrannen loswurden, so blieben doch die Ursachen, und ihr Vorgehen hatte keine andere Folge, als daß sie einen neuen Tyrannen durch vieles Blutvergießen unter den Bürgern erkauft hatten. Darum nahmen die Zwistigkeiten und Bürgerkriege kein Ende. Die Ursachen, welche bewirkten, daß das göttliche Recht verletzt wurde, blieben stets dieselben und konnten nur zugleich mit dem ganzen Reiche beseitigt werden.

Aus den vorstehenden Ausführungen ersehen wir, auf welche Weise die Religion in den Staat der Hebräer eingeführt wurde und wie dieses Reich hätte von Dauer sein können, wenn der gerechte Zorn des Gesetzgebers dies gestattet hätte. Da dies aber nicht der Fall war, so mußte es schließlich untergehen. – Ich habe indessen hier nur von dem ersten Reich gesprochen. Das zweite war kaum ein Schatten des ersten, da die Juden persische Unterthanen und den Rechtsverhältnissen der Perser unterworfen waren. Als sie aber ihre Freiheit erlangt hatten, maßten sich die Hohenpriester das Recht der Oberherrschaft an, kraft welcher sie unbeschränkt herrschten. Daher die heftige Sucht der Priester, das Hohenpriesteramt zu erlangen und zugleich zu regieren. Es ist daher nicht nötig, über das zweite Reich ein mehreres zu sagen.

Ob aber das erste Reich in der Weise, wie es nach unserer Auffassung dauerhaft gewesen wäre, nachahmungswert sei, oder ob es ein frommes Werk sei, es möglichst nachzuahmen, wird sich aus den folgenden Kapiteln ergeben. Hier will ich nur noch zum Beschluß das hervorheben, was ich schon früher angedeutet habe, nämlich daß aus den Erörterungen dieses Kapitels hervorgeht, wie das göttliche Recht oder das Recht der Religion aus einem Vertrage entspringt, da ohne einen solchen nur das natürliche Recht in Geltung ist, und daß somit die Hebräer gegen andere Völker, welche in diesem Vertrag nicht einbegriffen waren, keinerlei Verpflichtung durch die Gebote der Religion hatten; solche hatten sie nur gegen ihre Mitbürger.


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