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Neuntes Kapitel.

Weitere Untersuchungen über diese Bücher; nämlich ob Esra die letzte Hand an sie gelegt und ob die Randbemerkungen, die sich in hebräischen Handschriften finden, verschiedene Lesarten waren.


Wie sehr die vorstehende Untersuchung über den wahren Verfasser dieser Bücher zu ihrem richtigen Verständnis beiträgt, ist schon aus den Stellen leicht ersichtlich, die wir zur Bekräftigung unserer Ansicht über diesen Gegenstand angeführt haben und welche ohne dieselbe jedermann dunkel erscheinen müssen. Aber nicht allein auf den wahren Verfasser dieser Bücher hat man zu achten, sondern auf noch mancherlei, was der gemeine Aberglaube in der Regel übersehen läßt. Dahin gehört vor allem, daß Esra (den ich so lange für den Verfasser der genannten Bücher halte, bis mir jemand einen andern mit mehr Sicherheit nachweist) an die in diesen Büchern enthaltenen Erzählungen nicht die letzte Hand gelegt hat. Auch hat er die Geschichten von verschiedenen Schriftstellern zusammengetragen und sie sogar manchmal nur einfach abgeschrieben, dieselben aber weder gehörig untersucht, noch richtig geordnet und sie so der Nachwelt hinterlassen. Welche Ursachen ihn abgehalten haben (wenn nicht etwa ein frühzeitiger Tod) dieses Werk in jeder Beziehung zu vollenden, kann ich nicht vermuten. Daß es sich aber in der That so verhält, können wir, obgleich uns die ältesten hebräischen Geschichtschreiber fehlen, an den wenigen noch vorhandenen Bruchstücken derselben aufs deutlichste erkennen. Denn die Geschichte des Hiskias im 2. Buch der Könige Kap. 18, von V. 17 an, ist von dem Bericht des Jesaja abgeschrieben, wie er sich in der Chronik der Könige von Juda findet. Denn man liest diese ganze Geschichte in dem Buche des Jesaja, welches in der Chronik der Könige von Juda enthalten war (s. 2. Buch der Chronik Kap. 32, vorletzten Vers), mit denselben Worten, ganz geringfügige Abweichungen ausgenommen, aus denen nur geschlossen werden kann, daß verschiedene Lesarten von dieser jesajanischen Erzählung vorhanden waren; wenn man nicht auch hier von Geheimnissen träumen will. – Ferner ist das letzte Kapitel des 2. Buches der Könige in den letzten Kapiteln des Jeremia, 39 und 40, enthalten. Auch das 7. Kapitel im 2. Buch Samuelis ist im 1. Buch der Chronik Kap. 17 abgeschrieben; doch sind an verschiedenen Stellen die Worte merkwürdig verändert, und man erkennt leicht, daß diese beiden Kapitel zwei verschiedenen Exemplaren der Geschichte Nathans entnommen sind. Endlich ist auch das Verzeichnis der Könige von Idumäa, welches im 1. Buch Mose Kap. 36 von V. 30 an steht, mit den gleichen Worten im 1. Buch der Chronik aufgeführt, obgleich der Verfasser dieses Buches seine Berichte offenbar aus andern Geschichtschreibern geschöpft hat, nicht aus diesen zwölf Büchern, die wir dem Esra zugeschrieben haben. Besäßen wir die Geschichtschreiber im Original, so wäre die Sache glatt; weil sie uns aber wie gesagt fehlen, so müssen wir eben die Geschichten selbst prüfen, und zwar ihre Anordnung und Verbindung, ihre mannigfache Wiederholung und ihre Widersprüche in der Zeitangabe; nur so werden wir uns über alles andere ein Urteil bilden können.

Wir wollen also diese Geschichten, zum mindesten die erheblichsten, untersuchen, und beginnen mit der Geschichte von Juda und Tamar, welche der Verfasser im 1. Buch Mose Kap. 38 so zu erzählen anfängt: »Es geschah aber in jener Zeit, daß Juda von seinen Brüdern wegging«. Diese Zeit muß offenbar auf jene Zeit bezogen werden, von welcher unmittelbar vorher die Rede war; dennoch aber kann sie sich nicht auf die Zeit beziehen, von welcher im 1. Buch Moses unmittelbar vorher erzählt wird. Denn von dieser Zeit an, derjenigen nämlich, da Joseph nach Ägypten geführt wurde, bis zu jener Zeit, da der Erzvater Jakob mit seiner ganzen Familie dahin aufbrach, können wir nicht mehr als zweiundzwanzig Jahre zählen. Denn als Joseph von seinen Brüdern verkauft wurde, war er 17 Jahre alt, und als ihn Pharao aus dem Gefängnis rufen ließ, war er 30 Jahre alt. Zählen wir noch die 7 Jahre der Fruchtbarkeit und die 2 der Hungersnot hinzu, so kommen zweiundzwanzig Jahre heraus. Nun aber wird kein Mensch begreifen können, daß sich in diesem Zeitraum so viele Dinge haben zutragen können, nämlich folgende: Juda ehelicht eine Frau; dieselbe gebiert ihm drei Knaben, einen nach dem andern; der erstgeborene dieser Knaben ehelicht die Tamar, nachdem er erwachsen war; er stirbt und der zweite heiratet die verwittwete Tamar; auch er stirbt und es vergeht eine längere Zeit, nach welcher Juda selbst mit seiner eigenen Schwiegertochter Tamar, die er nicht kannte, sich einläßt; sie gebiert ihm Zwillinge, von welchen der eine immer noch in diesem Zeitraum Vater wird. – Das alles kann unmöglich auf jene Zeit bezogen werden, von welcher in jener Stelle des 1. Buches Mose die Rede ist und es muß sich somit auf eine andere Zeit beziehen, von welcher eine Stelle in einem andern Buche unmittelbar vorher handelte. Esra hat also diese Geschichte einfach abgeschrieben und ohne nähere Untersuchung sie den andern einverleibt.

Aber nicht dieses Kapitel allein, sondern die ganze Geschichte von Joseph und Jakob ist unstreitig aus verschiedenen Geschichtschreibern gezogen und abgeschrieben worden; so wenig stimmt sie mit sich selbst überein. Im 47. Kapitel des 1. Buches Mose heißt es nämlich, Jakob sei 130 Jahre alt gewesen, als er erstmals von Joseph zu Pharao geführt wurde, um ihn zu begrüßen. Zieht man davon ab: 22 Jahre, die er wegen Josephs Abwesenheit in Trauer verbrachte; weitere 17 Jahre, welche Joseph alt war, als er verkauft wurde; ferner 7 Jahre, die Jakob um Rachel diente: so ergiebt sich, daß er in sehr vorgerücktem Alter gestanden haben muß, als er die Lea zum Weibe nahm, nämlich im Alter von vierundachtzig Jahren. Dagegen konnte Dina kaum sieben Jahre alt gewesen sein, als ihr Sichem Gewalt anthat. Simeon und Levi aber waren kaum zwölf und elf Jahre alt, als sie jene ganze Stadt plünderten und alle ihre Einwohner mit dem Schwert niedermachten.

Ich habe nicht nötig, hier den ganzen Pentateuch durchzugehen. Wer darauf merkt, daß in diesen fünf Büchern alles, Gebote wie Geschichten, durcheinander, ohne Ordnung und ohne Rücksicht auf die Zeit, mitgeteilt wird, und daß die gleiche Begebenheit häufig wiederholt und manchmal sogar auf andere Weise wiederholt wird, der wird überzeugt sein müssen, daß das alles blindlings zusammengetragen und zusammengewürfelt wurde, um es später besser prüfen und in Ordnung bringen zu können.

Nicht bloß der Inhalt der fünf Bücher des Pentateuch, auch die andern bis zur Zerstörung Jerusalems sich erstreckenden Erzählungen sind auf dieselbe Weise zusammengetragen worden. Wer bemerkt nicht, daß im 2. Kapitel des Buches der Richter vom 6. Vers an ein neuer Geschichtschreiber (der ebenfalls die Thaten Josuas beschrieben hatte) benutzt ist und dessen Worte einfach abgeschrieben sind. Denn nachdem unser Verfasser im letzten Kapitel des Buches Josua erzählt hat, daß Josua starb und begraben wurde, und am Anfang des Buches der Richter versprochen hat, zu erzählen, was sich nach dessen Tod zutrug, wie kam er dazu, wenn er den Faden seiner Geschichte verfolgen wollte, dem Vorangegangenen anzufügen, was er hier von Josua zu erzählen beginnt! – So sind auch die beiden Kapitel 17 und 18 im 1. Buche Samuelis einem andern Geschichtschreiber entnommen, nach welchem David an den Hof Sauls durch einen ganz andern Anlaß kam, als durch jenen, welchen das 16. Kapitel desselben Buches angiebt. Nach jener Darstellung nämlich ist David nicht auf den Rat der Knechte Sauls von diesem berufen worden und zu ihm gegangen (wie im 16. Kapitel erzählt wird), sondern als er von seinem Vater zu seinen Brüdern ins Lager geschickt wurde, da erst ist er dem Saul zufällig bekannt geworden, gelegentlich jenes Sieges, den er über den Philister Goliat errang, und ist von Saul am Hofe behalten worden. – Das Gleiche vermute ich vom 26. Kapitel desselben Buches, nämlich daß der Verfasser die Geschichte, die das 24. Kapitel enthält, nach dem Bericht eines andern erzählt.

Ich verlasse nun diesen Punkt und wende mich zur Prüfung der Zeitrechnung. Im 6. Kapitel des 1. Buches der Könige heißt es, daß Salomo den Tempel im Jahre 480 nach dem Auszug aus Ägypten gebaut hat. Aus den Geschichten selbst aber ergiebt sich ein viel längerer Zeitraum.

???tabelle

Nämlich: Jahre

Moses war Anführer des Volks in der Wüste 40
Auf Josua, welcher 110 Jahre alt wurde, kommen nach der Meinung des
Josephus und anderer nicht mehr als 26
Kusan Rishgataim hielt das Volk in Knechtschaft 8
Othniel Sohn des Kenaz war Richter 40
Eglon, König von Moab, herrschte über das Volk 18
Ehud und Schamgar waren Richter 80
Jachin, König von Kanaan, hielt das Volk abermals in Unterwürfigkeit 20
Hierauf hatte das Volk Ruhe 40
Dann kam es in die Gewalt Midjans 7
Zur Zeit Gideons lebte es in Freiheit 40
Unter Abimelechs Herrschaft aber 3
Tola der Sohn des Pua war Richter 23
Jair aber 22
Das Volk kam nun wieder in die Gewalt der Philistäer und Ammoniter 18
Jephta war Richter 6
Absan von Bethlehem 7
Elon vom Stamme Sabulon 10
Abdon aus Pirhaton 8
Wieder kam das Volk unter die Herrschaft der Philistäer 40
Simson war Richter 20
Eli 40
Abermals kam das Volk in die Gewalt der Philistäer, bevor es durch
Samuel befreit wurde 20
David regierte 40
Salomo vor Erbauung des Tempels 4

Alle diese Jahre zusammen geben 580 Jahre.

Dazu sind aber noch die Jahre des Jahrhunderts zu zählen, in welchem nach Josuas Tod der hebräische Staat blühte, bis er von Kusan Rishgataim unterjocht wurde. Die Zahl dieser Jahre muß groß gewesen sein, denn ich kann mir nicht denken, daß gleich nach dem Tode Josuas alle, die seine Wunderthaten gesehen hatten, auf einmal gestorben wären, noch daß ihre Nachkommen Knall und Fall sich von den Gesetzen losgesagt und aus der höchsten Tugend in die tiefste Lüderlichkeit und Schlaffheit gesunken seien, und ebensowenig, daß Kusan Rishgataim sie im Nu, gesagt gethan, unterworfen habe. Jedes einzelne dieser Ereignisse erfordert beinahe ein ganzes Menschenalter und es ist daher nicht zu zweifeln, daß die Bibel im Buch der Richter Kap. 2, V. 7, 9 und 10 die Geschichte vieler Jahre, die mit Stillschweigen übergangen ist, zusammenfaßt. – Es kommen aber weiter noch die Jahre dazu, in welchen Samuel Richter war und deren Zahl die Bibel ebenfalls nicht angiebt. Ferner müssen die Regierungsjahre des Saul hinzugezählt werden; dieselben sind in der obigen Rechnung ausgelassen, weil aus der Geschichte Sauls nicht genügend ersichtlich ist, wie lange er regiert hat. Es heißt zwar im 1. Buch Samuelis Kap. 13, V. 1, er habe zwei Jahre lang regiert; doch ist hier der Text gleichfalls verstümmelt und aus der Geschichte selbst können wir eine größere Zahl herausrechnen. Daß der Text verstümmelt ist, kann niemand bezweifeln, der auch nur die Anfangsgründe der hebräischen Sprache versteht. Derselbe beginnt nämlich: בןשנהשאולבמלכוושׁתישניםמכךעלישראל »Saul war ein Jahr alt, als er zur Regierung kam, und zwei Jahre regierte er über Israel«. Wer, sage ich, sieht nicht, daß die Zahl der Lebensjahre Sauls beim Antritt seiner Regierung weggeblieben ist? Aber auch das wird niemand bezweifeln wollen, daß sich aus der Geschichte selbst eine größere Zahl der Regierungsjahre ergiebt. Denn in Kap. 27, V. 7 desselben Kapitels heißt es, David habe sich bei den Philistern, zu welchen er sich vor Saul flüchtete, ein Jahr und vier Monate aufgehalten. Hiernach bliebe für die übrigen Ereignisse ein Zeitraum von acht Monaten; was doch wohl niemand glauben wird. Josephus hat wenigstens am Schluß des sechsten Buches der Altertümer die Stelle so verbessert: »Saul regierte also bei Lebzeiten Samuelis achtzehn Jahre, nach dessen Tod aber zwei Jahre«. Außerdem stimmt die ganze Geschichte im 13. Kapitel nicht zu dem vorangehenden. Zu Ende des 7. Kap. wird erzählt, die Philister hätten durch die Hebräer eine solche Niederlage erlitten, daß sie bei Lebzeiten Samuels nicht mehr wagten, die Grenzen Israels zu überschreiten; hier dagegen heißt es, die Hebräer seien (bei Lebzeiten Samuels) von den Philistern überfallen worden und durch diese in so großes Elend und so große Armut gekommen, daß sie keine Waffen mehr zu ihrer Verteidigung besaßen, und auch keine Mittel, solche anzufertigen.

Es würde wahrlich Schweiß genug kosten, wollte ich alle diese Geschichten, die im 1. Buch Samuelis stehen, dermaßen in Einklang zu bringen versuchen, daß man ihre Abfassung und Anordnung für das Werk eines einzigen Geschichtschreibers halten könnte. Doch will ich jetzt wieder zu meiner Aufgabe zurückkehren und nochmals bemerken, daß die Regierungsjahre des Saul der obigen Berechnung hinzugefügt werden müssen. Endlich habe ich auch die Jahre nicht mitgezählt, in welchen die Hebräer ohne Regierung waren, weil ihre Zahl aus der Bibel nicht ersichtlich ist. Die Zeit ist mir unbekannt, sage ich, in welcher sich ereignete, was vom 17. Kap. an bis zum Schluß des Buches der Richter erzählt wird.

Es folgt aus dem Vorstehenden also klar, daß diese Geschichten weder eine richtige Gesamtberechnung der Jahre ermöglichen, noch in Bezug auf einen Zeitabschnitt immer übereinstimmen, daß sie vielmehr verschiedene Zeitrechnungen enthalten. Man wird demnach zugeben müssen, daß sie aus verschiedenen Geschichtschreibern zusammengetragen und bis jetzt weder in richtige Ordnung gebracht noch näher geprüft worden sind.

Nicht minder scheinen die Bücher der Chronik der Könige von Juda und die Bücher der Chronik der Könige von Israel in Bezug auf die Zeitrechnung einander zu widersprechen. In der Chronik der Könige von Israel heißt es, daß Jehoram, der Sohn Ahabs die Regierung antrat im zweiten Jahre der Regierung Jehorams, des Sohnes Josaphats (s. 2. Buch der Könige Kap. 1, V. 17); dagegen in der Chronik der Könige von Juda, daß Jehoram der Sohn Josaphats im fünften Regierungsjahr des Jehoram, des Sohnes von Ahab, zur Regierung kam (s. Kap. 8, V. 16 in diesem Buche). Vergleicht man außerdem die Geschichten in den Büchern der Chronik mit denen in den Büchern der Könige, so findet man noch viel solche Widersprüche. Ich habe nicht nötig, hier dieselben anzuführen, und noch viel weniger die Hirngespinste, womit gewisse Schriftsteller diese Geschichten mit einander in Einklang zu bringen suchen. Was die Rabbinen behaupten, ist der bare Unsinn; die Erklärer aber, welche ich gelesen, träumen, erdichten und thun der Sprache die größte Gewalt an. Wenn z. B. im 2. Buch der Chronik gesagt wird, Ahasia war zweiundvierzig Jahre alt, da er zur Regierung gelangte, so faseln einige Ausleger, daß diese Jahre von der Regierung des Omri, aber nicht von der Geburt des Ahasia anfingen. Wenn sie beweisen könnten, daß das in der That die Meinung des Verfassers der Bücher der Chronik gewesen sei, so würde ich ohne Anstand behaupten, derselbe habe nicht richtig zu reden gewußt. In dieser Weise faseln sie noch vielerlei, so daß, wenn sie recht hätten, ich unbedingt sagen würde, die alten Hebräer hätten weder richtig zu sprechen noch ordnungsmäßig zu erzählen verstanden. Auch könnte es alsdann gar keine bestimmte Richtschnur und Regel im Auslegen der Bibel geben, sondern man dürfte ihr alles Mögliche andichten.

Sollte nun aber jemand glauben, ich rede hier zu allgemein und ohne genügende Grundlage, so muß ich ihn bitten, daß er selbst sich daran machen und uns irgend eine bestimmte Ordnung in diesen Geschichten zeigen möge, welche auch andere Geschichtschreiber in ihren geschichtlichen Aufzeichnungen befolgen könnten, ohne sich eine Blöße zu geben. Und wenn er die Geschichten auslegt und miteinander in Einklang zu bringen sucht, so möge er die Redensarten und Ausdrücke, wie auch die zur Gliederung und Verbindung dienenden Sätze, so scharf dabei im Auge behalten und so auslegen, daß man dieselben beim Schreiben im Sinne seiner Auslegung in Anwendung bringen könnte. Bringt er das zustande, so will ich ihm sofort die Hand reichen und ihn als Meister verehren. Ich für meine Person gestehe, daß ich es nicht im entferntesten zustande habe bringen können, so viele Mühe ich mir auch gegeben habe. Ich will noch hinzufügen, daß ich hier nichts schreibe, was nicht das Ergebnis langen und tiefen Nachdenkens wäre, und ob mir gleich in meiner Jugend die gewöhnlichen Ansichten über die Bibel eingeflößt worden sind, so mußte ich sie schließlich doch aufgeben. – Ich habe indes keinen Anlaß, den Leser länger hierbei aufzuhalten und zu einer verzweifelten Sache aufzufordern; doch mußte ich mich über die Sache aussprechen, um meine Meinung so deutlich als möglich zu erklären. Ich wende mich nun zu dem, was ich ferner über das Schicksal dieser Bücher zu bemerken habe.

Außer dem bereits Erwähnten ist ferner zu bemerken, daß diese Bücher von der Nachwelt nicht so sorgfältig bewahrt worden sind, daß sich keine Fehler eingeschlichen hätten. Schon die alten Schriftsteller haben viele zweifelhafte Lesarten bemerkt, außerdem auch manche verstümmelte Stellen; doch haben sie nicht alle bemerkt, die vorhanden sind. Ob aber diese Fehler so auffallend sind, daß sie den Leser lange aufhalten, das lasse ich vorläufig dahingestellt sein. Ich halte sie indessen für nicht erheblich, wenigstens für solche, welche die Bibel mit freiem Urteil lesen; und mit Bestimmtheit kann ich behaupten, daß ich in Betreff der Sittenlehren weder einen Fehler gefunden habe, noch eine Verschiedenheit der Lesart, welche die Sittenlehren dunkel oder zweifelhaft machen könnte. Die Meisten wollen aber überhaupt nicht zugeben, daß in der Bibel irgend ein Fehler vorhanden sei, denn sie meinen, Gott habe durch besondere Vorsehung die ganze Bibel vor jeder Entstellung bewahrt, die verschiedenen Lesarten aber seien Zeichen tiefster Geheimnisse. Das Gleiche behaupten sie von den Sternchen, welche in der Mitte des 28. Abschnitts vorkommen, sogar in den Spitzen der Buchstaben wittern sie große Geheimnisse. Ob sie dergleichen aus Dummheit und Altweiberfrömmigkeit sagen, ob aus Anmaßung und Arglist, um ganz allein für die Inhaber der göttlichen Geheimnisse gehalten zu werden, weiß ich nicht; so viel aber weiß ich, daß ich nichts bei ihnen gelesen habe, was wie ein Geheimnis aussieht, sondern eitel kindisches Zeug. Ich habe auch einige windige Kabbalisten gelesen und sogar kennen gelernt und konnte mich über ihre Unsinnigkeiten nicht genug wundern.

Kein Mensch von gesundem Urteil wird zweifeln können, daß sich in der Bibel Fehler eingeschlichen haben, wenn er z. B. jene (bereits aus 1. Buch Samuelis Kap. 13, V. 1 angeführte) Stelle von Saul liest; oder 2. Buch Samuelis Kap. 6, V. 2, wo es heißt: »Und David machte sich auf und ging und alles Volk, das bei ihm war, aus Juda, um die Bundeslade Gottes von da wegzubringen.« Niemand kann übersehen, daß hier der Ort, wohin sie gingen, um die Bundeslade daselbst zu holen, nämlich Kirjat Jearim, ausgelassen ist. Es kann auch nicht bestritten werden, daß 2. Buch Samuelis Kap. 13, V. 37 verwirrt und verstümmelt ist. Es heißt da: »Und Absalon floh und ging zu Ptolemäus, dem Sohn des Hamihud, König von Gesur und trauerte über seinen Sohn alle Tage und Absalon floh und ging nach Gesur und blieb daselbst drei Jahre.« Solche Stellen erinnere ich mich in früherer Zeit mehrere angemerkt zu haben, doch sind mir dieselben im Augenblick nicht gegenwärtig.

Bezüglich der Randbemerkungen, welche in den hebräischen Handschriften mitunter vorkommen, kann man ebenfalls nicht zweifeln, daß dieselben zweifelhafte Lesarten sind, wenn man beachtet, daß die meisten durch die große Ähnlichkeit, welche einzelne hebräische Buchstaben mit einander haben, entstanden sind. Das כ Kaf hat große Ähnlichkeit mit dem ב Beth, das י Jod mit dem ו Vau, das ד Daleth mit dem ר Res u. s. f. S. z. B. im 2. Buch Samuelis Kap. 5, letzten Vers, wo es heißt: »Und in derselben Zeit, in welcher du hören wirst«, steht am Rande כשמעד » sobald du hören wirst«. So auch im Buche der Richter Kap. 21, V. 22 וְהָיָ֡ה כִּֽי־יָבֹ֣אוּאֲבוֹתָם֩א֨וֹ אֲחֵיהֶ֜ם לָרִ֣יב »Wenn aber ihre Väter oder Brüder in Menge (d. h. häufig) zu uns kommen«, steht am Rande לריב »zu hadern«. Und so viele. – Ferner sind Randbemerkungen auf den Gebrauch von Buchstaben zurückzuführen, welche quiescierende genannt werden, die nämlich sehr häufig nicht ausgesprochen werden und von denen einer für den andern gebraucht wird. Z. B. im 3. Buch Mose Kap. 25, V. 30 steht וְ֠קָ֠םהַבַּ֨יִתאֲשֶׁרבָּעִ֜יראֲשֶׁר־ל֣וֹחמָ֗ה »So bleibt das Haus, das in der Stadt ist, das keine Mauer hat«, am Rande steht אשר לו חמה »das eine Mauer hat«, u. s. f.

Das alles ist von selbst klar und deutlich; trotzdem will ich auf die Gründe antworten, womit einige Pharisäer glauben machen wollen, daß diese Randbemerkungen von den Verfassern der heiligen Schriften selbst beigefügt oder angegeben worden seien, um irgend ein Geheimnis anzudeuten.

Der erste Grund, der übrigens von geringer Bedeutung ist, wird aus der gebräuchlichen Art, wie die Bibel vorgelesen wird, Spinoza meint das Vorlesen in den Synagogen aus den hebräischen Rollen. (Anmerkung des Übersetzers.) hergeholt. Wenn, sagen sie, diese Noten nichts anderes als eine andere Lesart anzeigen, wie kommt es dann, daß beim Vorlesen der Bibel der Brauch sich einbürgerte, daß überall der Sinn, den die Lesart der Randbemerkung ausdrückt, vorgezogen wird, da doch die Späteren nicht entscheiden konnten, welche Lesart die richtige sei? Hatten sie aber Grund zur Annahme, daß die Lesart der Randbemerkung die richtige sei, warum haben sie dieselbe am Rand angemerkt? vielmehr hätten sie alsdann den Text so schreiben müssen, wie sie glaubten, daß er gelesen werden müsse, statt daß sie den Sinn und die Lesart, welche sie am meisten billigten, am Rande anmerkten. – Der zweite Grund, der sich eher hören läßt, wird aus der Sache selbst gezogen. Fehler werden nämlich in Handschriften nicht absichtlich gemacht, sondern schleichen sich zufällig ein; was aber auf solche Weise entsteht, fällt bald so, bald anders aus! Nun ist aber in den fünf Büchern Mose das Wort נערה »Mädchen«, mit Ausnahme einer einzigen Stelle, überall gegen die grammatikalische Regel defekt, nämlich ohne den Buchstab ה geschrieben, am Rande dagegen richtig, nach der allgemeinen Regel der Grammatik. Erklärt sich das etwa auch aus einem Versehen des Abschreibers? Welch sonderbarer Zufall sollte bewirkt haben, daß die Feder immer sich übereilte, so oft sie dieses Wort zu schreiben hatte? Auch hätte man ja diesen fehlenden Buchstaben leicht und ohne Bedenken nach der grammatikalischen Regel ergänzen und das Versehen berichtigen können. Daraus also, daß diese Lesarten nicht vom Zufall herrühren können und daß man solche augenscheinliche Fehler nicht verbessert hat, folgert man, daß sie ursprünglich von den Verfassern selbst mit Absicht gemacht wurden, um damit irgend etwas anzudeuten.

Auf diese Einwände ist jedoch die Antwort leicht zu geben. Der Beweis, den sie aus einem Gebrauch, der sich bei ihnen eingebürgert hat, ableiten, hat für mich nicht die geringste Bedeutung. Ich kann nicht wissen, auf welchem Aberglauben dieser Gebrauch beruht, vielleicht darauf, daß man beide Lesarten für gleich gut und zulässig hielt, weshalb man, um keine von beiden zurückzusetzen, die eine in der Schrift, die andere beim Vorlesen anwendete. Man traute sich wohl in einer so wichtigen Sache kein bestimmtes Urteil zu; um also nicht möglicherweise die falsche Lesart für die echte zu nehmen, wollten sie keiner von beiden den Vorzug geben, was sie natürlich gethan hätten, wenn sie eine Lesart allein für die Schrift und für das Vorlesen bestimmt hätten; zumal ja in den heiligen Rollen die Randbemerkungen nicht verzeichnet sind. – Vielleicht aber erklärt sich jener Gebrauch daraus, daß sie einige Stellen, selbst wenn sie richtig abgeschrieben waren, anders vorgelesen haben wollten, nämlich so wie die Randbemerkung lautete, und deswegen führten sie überhaupt ein, daß die Bibel den Randbemerkungen gemäß vorgelesen werden sollte. Ich will gleich den Grund angeben, der die Schreiber bewogen hat, bei manchen Stellen am Rande zu bemerken, daß sie anders gelesen werden sollen. Nicht alle Randbemerkungen sind zweifelhafte Lesarten, sondern auch außer Gebrauch gekommene Lesarten sind angemerkt, nämlich veraltete Wörter, wie auch Ausdrücke, welche mit Rücksicht auf die Sittlichkeitsbegriffe jener Zeit in öffentlicher Versammlung nicht wohl vorgelesen werden durften. Denn die alten Schriftsteller, die an nichts Unrechtes dabei dachten, nannten alle Dinge beim rechten Namen und gebrauchten keine höfischen Zweideutigkeiten. Als aber Schlechtigkeit und Üppigkeit eingerissen war, fing man an, für anstößig zu halten, was von den Alten ohne Anstoß gesagt wurde. War es nun zwar nicht nötig, um dieser Ursache willen die Bibel selbst abzuändern, so führte man doch mit Rücksicht auf die Schwachheit des Volkes den Brauch ein, daß Wörter, welche Beischlaf oder körperliche Entledigungen bedeuten, in öffentlicher Versammlung mit anständigeren Ausdrücken verlesen wurden, so nämlich, wie die Randbemerkung angiebt. – Welcher Grund es nun immer gewesen sein mag, auf den der Brauch sich stützte, die Bibel nach den Randbemerkungen zu lesen und auszulegen, so viel ist gewiß, daß der Grund nicht der gewesen sein kann, daß man annahm, die Randbemerkungen müßten die wahre Auslegung enthalten. Denn außerdem, daß die Rabbinen im Talmud selbst oft von den Masoreten abweichen und andere Lesarten hatten, die sie billigten, wie ich bald zeigen werde, finden sich am Rande auch Lesarten, die dem Sprachgebrauch weniger angemessen zu sein scheinen. Z. B. im 2. Buche Samuelis Kap. 14, V. 22 heißt es: אשר עשההמלךאת דבר עבדו »weil der König that nach dem Willen seines Knechtes«. Der Ausdruck: »nach dem Willen seines Knechtes« ist ganz regelmäßig und entspricht dem Ausdruck im 15. Vers desselben Kapitels; die Randbemerkung aber (»deines Knechtes«) entspricht der Person des Zeitworts nicht. So auch im letzten Vers des 16. Kapitels im gleichen Buche heißt es: כַּאֲשֶׁ֥ריִשְׁאַלבִּדְבַ֣רהָאֱלֹהִ֑ים »als ob man befragte (d. h. als ob befragt würde) das Wort Gottes«. Die Randbemerkung fügt איש »jemand« hinzu als Nominativ des Zeitworts, was nicht ganz richtig zu sein scheint, da es in dieser Sprache üblich ist, die unpersönlichen Zeitwörter in der dritten Person der Einzahl zu gebrauchen, was dem Grammatiker wohl bekannt ist. Derartige Randbemerkungen giebt es noch viele, die in keiner Beziehung vor der Lesart des Textes den Vorzug verdienen.

Die Antwort auf den zweiten Grund der Pharisäer ergiebt sich gleichfalls aus dem vorhin Gesagten, daß es sich nämlich bei den Randbemerkungen nicht immer um zweifelhafte Lesarten handelt, sondern auch um veraltete Wörter. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß in der hebräischen Sprache wie in allen Sprachen im Laufe der Zeit viele Wörter außer Gebrauch kamen und veraltet wurden. Die Schreiber in späterer Zeit haben, wenn sie an solche Wörter kamen, die in ihrer Zeit gebräuchliche Form am Rande angemerkt, damit sie hiernach dem Volke vorgelesen werden sollten. Deshalb ist das Wort נער nahgar überall mit einer Bemerkung versehen, weil es in alter Zeit beide Geschlechter bezeichnete, wie im Lateinischen das Wort juvenis. So lautete auch der Name der Hauptstadt der Hebräer in alter Zeit ירושלם » Jerusalem«, nicht aber » Jerusalaim«. Ebenso verhält es sich, wie ich glaube, mit dem Fürwort הוא »er« und »sie«; nämlich daß die Späteren das ו vau in י jod verwandelt haben, (eine in der hebräischen Sprache häufig vorkommende Verwandlung,) wenn sie das weibliche Geschlecht bezeichnen wollten. Die Alten pflegten die weibliche Form von der männlichen bloß durch die Vokale zu unterscheiden. So findet sich auch manche unregelmäßige Form der Wörter bei den Früheren so, bei den Späteren anders. Endlich auch haben die Alten die Zusatzbuchstaben אמנתין in eigener Weise zur Ausschmückung verwendet. Alles das könnte ich mit vielen Beispielen belegen, doch möchte ich den Leser damit nicht belästigen und aufhalten. Fragt aber jemand, woher ich das weiß, so antworte ich, daß ich jene veralteten Formen bei den ältesten Schriftstellern, nämlich den biblischen, häufig gefunden habe, während sie die Späteren nicht nachahmen wollten. Das allein ist ja die Ursache, daß in andern obgleich auch schon toten Sprachen die veralteten Wörter erkannt werden.

Vielleicht aber macht mir jemand den weiteren Einwurf: Wenn die meisten dieser Randbemerkungen zweifelhafte Lesarten sind, wie kommt es, daß sich nirgends mehr als zwei Lesarten für eine Stelle finden? Weshalb nicht auch einmal drei oder mehr? Ferner kann man einwenden, daß in manchen mit Randbemerkungen versehenen Stellen die Lesart des Textes mit der Grammatik in so offenbarem Widerspruch steht, daß die Annahme, die Schreiber hätten geschwankt und an der richtigen Lesart gezweifelt, durchaus unwahrscheinlich ist. – Die Antwort auf diese beiden Einwände ist ebenfalls nicht schwer.

Was den ersten Einwand betrifft, so hat es in der That mehr Lesarten gegeben, als wir in unseren Handschriften angemerkt finden. Denn im Talmud sind viele Lesarten erwähnt, die von den Masoreten übergangen sind, und sie weichen in vielen Stellen so offenbar von der masoretischen Lesart ab, daß jener abergläubische Korrektor der Bombergianischen Bibelausgabe sich genötigt sah, in seiner Vorrede zu gestehen, daß er die beiden nicht zu vereinigen wisse. Er sagt: »Und hier weiß ich nicht zu antworten, als was ich schon oben geantwortet,« nämlich, »daß es die Gewohnheit des Talmuds ist, den Masoreten zu widersprechen«. Wir können also nicht mit genügendem Grunde behaupten, daß es nie mehr als zwei Lesarten für eine Stelle gegeben habe. Doch gebe ich gerne zu, und glaube selbst, daß für eine Stelle nie mehr als zwei Lesarten gefunden wurden und zwar aus zwei Gründen: erstens, sofern die Ursache, aus welcher die Verschiedenheit dieser Lesarten entsprang, nicht mehr als zwei Lesarten zulassen kann. Wir haben nämlich gesehen, daß dieselben hauptsächlich von der Ähnlichkeit gewisser Buchstaben herrühren; der Zweifel bestand also fast immer darin, welcher von beiden Buchstaben geschrieben werden mußte: ב beth oder כ kaf, י jod oder ו vau, ד dalet oder ר res etc. Es sind das Buchstaben, die am meisten gebraucht werden, weshalb es sich oft treffen konnte, daß beide einen erträglichen Sinn gaben. Ferner handelt es sich bei diesen Lesarten darum, ob eine Silbe lang oder kurz ist, also um die Quantität, und diese wird durch jene Buchstaben, die wir ruhende (quiescentes) nennen, bezeichnet. Dazu kommt noch, daß nicht alle Randbemerkungen zweifelhafte Lesarten sind, sondern viele, wie gesagt, der Anständigkeit wegen oder zur Erläuterung ungebräuchlicher und veralteter Wörter beigesetzt sind. – Der zweite Grund, weshalb ich annehmen möchte, daß für eine Stelle nur zwei Lesarten gefunden wurden, ist der, daß ich glaube, die Schreiber haben nur sehr wenig Exemplare vorgefunden, vielleicht nicht mehr als zwei oder drei. Im »Traktat der Schreiber« סופרים Kap. 6 werden nur drei Exemplare erwähnt, welche zu Esras Zeiten gefunden worden sein sollen, weil sie nämlich dort behaupten, die Randbemerkungen seien von Esra beigesetzt worden. Wie dem auch sein mag: wenn sie nur drei gehabt haben, ist es leicht begreiflich, daß zwei davon bei einer Stelle miteinander übereinstimmten; ja man müßte es höchst wunderbar finden, wenn sich in drei Exemplaren drei verschiedene Lesarten von einer Stelle gefunden haben würden. Woher es aber kam, daß nach Esra ein so großer Mangel an Exemplaren vorhanden war, kann den nicht wundern, der das 1. Kapitel im 1. Buch der Makkabäer, oder das 7. Kapitel im 12. Buch der Altertümer des Josephus liest. Es streift vielmehr ans Wunderbare, daß selbst diese wenigen nach einer so großen und so lang dauernden Verfolgung noch erhalten waren; darüber, denke ich, wird niemand im Zweifel sein, der jene Geschichte mit einiger Aufmerksamkeit liest. – Wir haben also die Gründe kennen gelernt, weshalb wir nirgends mehr als zwei Lesarten begegnen und man hat daher nicht die geringste Berechtigung, aus dem Umstand, daß überall nur zwei Lesarten vorkommen, den Schluß zu ziehen, die Bibel sei da, wo solche Anmerkungen vorkommen, mit Fleiß unrichtig geschrieben, um Geheimnisse anzudeuten.

Was aber den andern Umstand betrifft, daß manche Stellen so unrichtig geschrieben sind, daß niemals daran gezweifelt werden konnte, daß sie dem Schreibebrauch aller Zeiten widerstreiten, weshalb sie unbedingt hätten verbessert werden müssen, statt mit Randbemerkung versehen zu werden, so berührt mich dieser Einwand wenig. Denn ich bin nicht verpflichtet, zu wissen, welche Scheu die Betreffenden bewogen hat, es zu unterlassen. Vielleicht thaten sie es in ihrer Herzenseinfalt, indem sie diese Bücher so, wie sie dieselben in wenigen Urschriften vorfanden, der Nachwelt überliefern wollten, und so haben sie denn die Verschiedenheiten in den Urschriften vermerkt, nicht eben als zweifelhafte, sondern als verschiedene Lesarten. Ich selbst habe sie nur deshalb zweifelhafte genannt, weil ich finde, daß beinahe alle wirklich zweifelhaft sind, so daß ich durchaus nicht weiß, welche der andern vorzuziehen ist.

Endlich haben die Schreiber außer diesen zweifelhaften Lesarten auch noch viele verstümmelte Stellen bezeichnet (indem sie mitten in einem Abschnitt einen leeren Raum ließen). Die Masoreten geben die Zahl dieser Stellen an; sie zählen nämlich 28 Stellen, wo mitten in einem Abschnitt ein leerer Raum gelassen ist. Ob sie auch in der Zahl irgend ein Geheimnis verborgen glauben, weiß ich nicht. Die Pharisäer sehen aber gewissenhaft darauf, daß dieser Zwischenraum eine bestimmte Länge habe. Ich will ein einziges Beispiel anführen. Im 1. Buch Mose Kap. 4, V. 8 heißt es: »Und Kain sprach zu seinem Bruder Abel … Und es geschah, als beide auf dem Felde waren, daß Kain etc.« Hier ist da ein leerer Raum gelassen, wo wir erfahren wollen, was denn eigentlich Kain zu seinem Bruder gesagt hatte. Derart finden sich (außer den bereits angeführten) 28 von den Schreibern ausgelassene Stellen. Ohne diesen leeren Raum würden indessen viele dieser Stellen nicht verstümmelt erscheinen. Doch genug hiervon.


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