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Drittes Kapitel.

Über die Berufung der Hebräer und ob die Gabe der Prophetie ihnen allein eigen gewesen.


Das wahre Glück und die echte Glückseligkeit besteht darin, daß man des Guten teilhaftig ist, nicht aber in dem Ruhm, daß man es allein genießen darf und andere Menschen davon ausgeschlossen sind. Denn wer sich deswegen für glücklicher hält, weil es ihm allein wohl ergeht, andern aber nicht, oder weil er glückseliger und vom Glück begünstigter ist als die andern, der kennt das wahre Glück und die wahre Glückseligkeit nicht, und die Freude, die er darüber empfindet, ist entweder eine kindische oder sie entspringt aus Neid und einem bösen Herzen. Besteht z. B. das wahre Glück und die echte Glückseligkeit in der Weisheit und Erkenntnis der Wahrheit, so kann für den Weisen der Umstand nichts dazu beitragen, daß er weiser ist als die übrigen oder daß sie die Wahrheit nicht kennen, da solches seine Weisheit, also sein wahres Glück, nicht im geringsten vermehrt. Wer sich also hierüber freut, der freut sich über das Übel eines andern, ist somit neidisch und schlecht und kennt weder die wahre Weisheit noch den Frieden eines rechten Lebens. Da nun die Bibel, um die Hebräer zum Gehorsam gegen das Gesetz zu ermahnen, von Gott sagt, er habe sie unter allen Völkern sich auserwählt (s. 5. Buch Mose Kap. 10, V. 15), er sei ihnen nahe, andern Völkern aber nicht (5. Buch Mose Kap. 4, V. 4 und 7), habe nur ihnen gerechte Gesetze gegeben (daselbst V. 8) und sich nur ihnen geoffenbart, andern nicht (daselbst V. 32 etc.), so redet sie zu ihnen ihren Begriffen gemäß, da sie, wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde und von Moses selbst bezeugt wird (s. 5. Buch Mose Kap. 9, V. 6), die wahre Glückseligkeit nicht kannten. Denn ganz gewiß wären sie nicht weniger glückselig gewesen, wenn Gott alle Menschen ebenso wie sie zum Heil berufen hätte; Gott würde ihnen nicht weniger gnädig gewesen sein, wenn er andern Völkern so nahe wie ihnen gewesen wäre; ihre Gesetze wären nicht weniger gerecht und sie selbst nicht weniger weise gewesen, wenn diese Gesetze allen Menschen vorgeschrieben worden wären; die Wunder hätten Gottes Macht nicht minder bekundet, wenn sie auch um andrer Völker willen geschehen wären; die Hebräer wären endlich nicht minder verpflichtet gewesen, Gott zu verehren, wenn Gott alle diese Gaben unter alle Menschen ausgeteilt hätte. Wenn aber Gott zu Salomo sagt (s. 1. Buch der Könige Kap. 3, V. 12), daß niemand nach ihm jemals so weise sein werde wie er, so ist dies wohl nur eine Redensart, um dessen hohe Weisheit auszudrücken. Sei dem aber wie ihm wolle, so ist es unglaublich, daß Gott dem Salomo, um sein Glück zu vermehren, versprochen haben soll, er werde niemals jemand so viel Weisheit spenden; solches hätte weder die Erkenntnis Salomos vermehrt, noch hätte der kluge König Gott weniger für seine Gabe gedankt, wenn Gott gesagt hätte, er habe dieselbe Weisheit allen Menschen zugeteilt.

Wenn ich nun aber auch behaupte, daß Moses in den angeführten Stellen des Pentateuch mit den Hebräern nach ihren Begriffen geredet habe, so will ich doch nicht bestreiten, weder daß Gott jene Gesetze des Pentateuch ihnen allein vorgeschrieben hat, noch daß Gott nur mit ihnen geredet hat, noch auch daß die Hebräer Wunder gesehen haben, wie sie in solcher Zahl in keiner andern Nation geschehen sind. Was ich sagen will, ist, daß Moses die Hebräer auf eine solche Art und namentlich mit solchen Gründen ermahnen wollte, welche ihren kindischen Begriffen gemäß geeignet waren, sie zur Verehrung Gottes zu veranlassen. Ferner wollte ich zeigen, daß die Hebräer andere Völker weder an Wissen noch an Frömmigkeit, sondern in ganz anderer Hinsicht überragt haben, oder (um mit der Bibel nach den Begriffen der Hebräer zu reden) daß sie weder zu einem rechten Lebenswandel noch zu hohem Wissen von Gott auserwählt waren, obgleich sie oft dazu ermahnt wurden, sondern zu etwas ganz anderem. Was dies gewesen, will ich nun ordnungsgemäß vortragen.

Bevor ich beginne, will ich kurz erklären, was ich unter den Ausdrücken: Leitung Gottes, äußerer und innerer Beistand Gottes, Auserwählung Gottes, und Schicksal im Nachstehenden verstehe.

Unter Leitung Gottes verstehe ich feste und unabänderliche Ordnung der Natur oder die Verkettung der natürlichen Dinge. Schon oben habe ich gesagt und anderwärts näher ausgeführt, daß die allgemeinen Gesetze der Natur, nach welchen alles wird und geschieht, nichts anderes sind, als die ewigen Ratschlüsse Gottes, welche stets ewige Wahrheit und Notwendigkeit in sich schließen. Es ist daher ganz einerlei, ob wir sagen, alles geschieht nach den Gesetzen der Natur oder ob wir sagen alles werde von Gottes Ratschluß und Leitung geordnet. – Weil ferner die Macht aller natürlichen Dinge nichts anderes ist als eben die Macht Gottes selbst, durch welche allein alles wird und geschieht, so folgt, daß was immer der Mensch – der ja ebenfalls ein Teil der Natur ist – um seiner selbst willen, zu seiner Selbsterhaltung thut, und ebenso was die Natur ohne sein Zuthun ihm leistet, daß ihm das alles von der göttlichen Macht allein geleistet wird, welche bald durch die menschliche Natur selbst, bald durch äußere Dinge wirkt. Darum können wir ohne Anstand alles, was die menschliche Natur aus ihrer eigenen Macht zu ihrer Selbsterhaltung vollbringen, kann, den innern Beistand Gottes, und was außerdem durch die Macht äußerer Ursachen zum Nutzen des Menschen geschieht, den äußern Beistand Gottes nennen. – Daraus ergiebt sich nun auch unschwer, was unter Auserwählung Gottes zu verstehen ist. Da nämlich niemand anders handeln kann, als nach der bestimmten Ordnung der Natur, das ist nach der Leitung und dem Ratschluß Gottes, so folgt, daß jeder nur die Lebensweise sich wählt und nur das thut, wozu ihn Gott besonders beruft, der ihn zu dem betreffenden Werk oder der betreffenden Lebensweise aus andern erwählt. – Unter Schicksal endlich verstehe ich nichts anderes als die Leitung Gottes, soweit sie durch äußerliche und unvermutete Ursachen die menschlichen Angelegenheiten leitet. –

Nach diesen Vorbemerkungen kehren wir zu unserem Vorwurf zurück und wollen nun sehen, welchem Umstand es zuzuschreiben sei, daß das hebräische Volk das auserwählte Volk Gottes genannt wird. Wir werden darauf kommen, wenn wir folgendermaßen fortfahren.

Alles menschliche Verlangen, soweit solches statthaft ist, läßt sich auf drei Hauptarten zurückführen: die Dinge aus ihren ersten Ursachen zu begreifen; die Leidenschaften zu bezähmen oder eine tugendhafte Gesinnung sich anzueignen; und endlich sicher und gesund zu leben. Die Mittel, welche der ersten und zweiten Art unmittelbar dienen und als die nächsten und wirksamsten Ursachen betrachtet werden können, sind in der menschlichen Natur selbst enthalten, so daß deren Erwerbung hauptsächlich von unserer Macht oder den Gesetzen der menschlichen Natur allein ahhängt. Aus diesem Grunde läßt sich bestimmt behaupten, daß diese Gaben nicht einem einzelnen Volke eigentümlich, sondern von jeher Gemeingut des ganzen Menschengeschlechts gewesen seien; man müßte denn träumen wollen, die Natur hätte ehedem verschiedene Gattungen von Menschen geschaffen. Die Mittel hingegen, welche der Sicherheit des Lebens und der Erhaltung des Leibes dienen, liegen hauptsächlich in äußerlichen Dingen; sie werden darum Glücksgüter genannt, weil sie nämlich hauptsächlich von der uns unbekannten Leitung äußerer Ursachen abhängig sind, so daß hierin der Thor fast ebenso glücklich oder unglücklich sein kann wie der Kluge. Bei alldem kann auch zur Sicherheit des Lebens und zum Schutz gegen Angriffe von Menschen und Tieren die menschliche Leitung und Wachsamkeit viel beitragen. Vernunft und Erfahrung lehren, daß es kein besseres Mittel hierfür giebt, als eine Gesellschaft mit festen Gesetzen zu bilden, ein passendes Land einzunehmen und die Kräfte aller gleichsam in einen Körper, nämlich den gesellschaftlichen, zu vereinigen. Die Bildung und Erhaltung einer solchen Gesellschaft erfordert aber ein beträchtliches Maß von Geschick und Aufmerksamkeit, und darum wird eine solche Gesellschaft sicherer sein, längeren Bestand haben und weniger vom Glück abhängen, wenn sie von klugen und eifrigen Menschen gegründet und regiert wird; anderseits wird sie großenteils vom Glück abhängen und nicht so lange Bestand haben, wenn sie aus ungebildeten Menschen besteht. Besteht sie trotzdem lange, so verdankt sie das fremder Leitung, nicht der eigenen; und wenn sie sogar große Gefahren überwindet und ihre Angelegenheiten einen glücklichen Verlauf nehmen, so kann sie nicht anders als die göttliche Leitung (sofern nämlich Gott durch verborgene äußere Ursachen und nicht durch die menschliche Natur und den menschlichen Geist wirkt) bewundern und anbeten, da ihr damit etwas ganz Unerwartetes und Unvermutetes widerfährt, was in der That als ein Wunder gelten kann.

Die Völker unterscheiden sich also von einander nur durch ihre gesellschaftlichen Zustände und durch die Gesetze, unter welchen sie leben und regiert werden, und auch das hebräische Volk ist nicht wegen seiner besonderen Erkenntnis oder Seelenruhe von Gott aus andern Völkern auserwählt gewesen, sondern wegen seiner gesellschaftlichen Zustände und der glücklichen Umstände, durch welche es sein Reich erlangt und so viele Jahre erhalten hat. Dies ergiebt sich sehr deutlich aus der Bibel selbst; wer sie auch nur oberflächlich durchblättert, sieht klar, daß die Hebräer nur darin andere Völker übertrafen, daß sie die Angelegenheiten, welche die Sicherheit des Lebens betreffen, glücklich zustande gebracht und große Gefahren überwunden haben, und zwar hauptsächlich durch Gottes äußern Beistand, während sie in andern Dingen den übrigen Völkern gleich waren und auch Gott allen Völkern in gleicher Weise gnädig war.

In Bezug auf die Erkenntnis ist es ausgemacht, (wie schon im vorigen Kapitel gezeigt,) daß die Hebräer von Gott und Natur sehr gewöhnliche Begriffe hatten; daher können sie nicht bezüglich ihrer höheren Erkenntnis von Gott auserwählt gewesen sein. Aber auch ebensowenig wegen ihres tugendhaften und besseren Lebenswandels; denn auch hierin standen sie mit andern Völkern auf gleicher Stufe und nur einzelne Personen waren auserwählt. Ihre Auserwählung und Berufung bestand also nur in dem zeitlichen Glück und den Vorteilen ihres Staatswesens. Wir finden auch nirgends, daß Gott den Erzvätern oder ihren Nachfolgern etwas anderes als dies verheißen hätte; im Gegenteil wird im Gesetz nichts anderes für den Gehorsam verheißen, als andauerndes Glück des Staates und andere Annehmlichkeiten des Lebens, wogegen ihnen für Ungehorsam und Bundesbruch der Untergang des Reichs und schwere Leiden in Aussicht gestellt werden. Kein Wunder, ist doch der Zweck der ganzen Gesellschaft und des Reichs kein anderer, (was aus dem Gesagten erhellt und später eingehender gezeigt werden soll,) als die Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens. Nun kann aber ein Staat nur Bestand haben durch Gesetze, denen jeder gehorcht; wollten dagegen alle Glieder eines Gemeinwesens sich von den Gesetzen lossagen, so würden sie ebendadurch das Gemeinwesen auflösen und dem Staat den Untergang bereiten. Es konnte somit dem Gemeinwesen der Hebräer für treue Beobachtung der Gesetze nichts anderes verheißen werden, als Sicherheit und Bequemlichkeit des Lebens, und umgekehrt konnte ihnen für ihren Ungehorsam keine sicherere Strafe verkündigt werden, als Zerstörung des Reichs und andere Übel, sowohl allgemeine, welche die Zerstörung des Reichs überhaupt nach sich zieht, als auch besondere, welche für die Hebräer die Zerstörung ihres Reichs herbeiführen mußte; worüber jedoch hier nicht ausführlicher gesprochen zu werden braucht.

Dies nur füge ich hinzu, daß auch die Gesetze des Alten Testaments nur den Juden geoffenbart und vorgeschrieben gewesen sind, denn da sie Gott zur Gründung eines besonderen Gemeinwesens und eines besonderen Staates auserwählte, mußten sie notwendig auch ganz besondere Gesetze haben. Ob aber Gott auch andern Völkern besondere Gesetze vorgeschrieben und ihren Gesetzgebern sich prophetisch geoffenbart hat, d. h. unter solchen Eigenschaften, unter welchen sie sich Gott vorzustellen pflegten, kann ich nicht mit Bestimmtheit behaupten. Aus der Bibel selbst erhellt wenigstens soviel, daß auch andere Völker durch Gottes äußere Leitung Staaten und besondere Gesetze gehabt haben; zum Beweis will ich nur zwei Bibelstellen anführen. Im 1. Buch Mose Kap. 14, V. 18, 19 und 20 wird berichtet, daß Melchisedek König von Jerusalem und Priester des höchsten Gottes gewesen sei und den Abraham, gemäß priesterlichem Brauch (s. 4. Buch Mose Kap. 6, V. 23) gesegnet habe, und daß Gottes Liebling Abraham seinerseits ihm als Priester Gottes den zehnten Teil seiner ganzen Beute gegeben habe. Das zeigt zur Genüge, daß Gott, ehe er das israelitische Volk gründete, Könige und Priester in Jerusalem eingesetzt und ihnen Bräuche und Gesetze vorgeschrieben hatte; ob freilich auf prophetische Weise, bin ich wie gesagt ungewiß, doch glaube ich wenigstens annehmen zu dürfen, daß Abraham während seines dortigen Aufenthalts gewissenhaft nach diesen Gesetzen gelebt hat. Dem Abraham waren nämlich von Gott keinerlei Bräuche vorgeschrieben, nichtsdestoweniger heißt es im 1. Buch Mose Kap. 26, V. 5, Abraham habe den Gottesdienst, die Vorschriften, Einrichtungen und Gesetze Gottes beobachtet, was ohne Zweifel von dem Gottesdienst, den Vorschriften, Einrichtungen und Gesetzen des Königs Melchisedek zu verstehen ist. – Maleachi Kap. 1, V. 10 und 11 rügt die Juden mit folgenden Worten: »Wer ist unter euch, der die Pforten (nämlich meines Tempels) schlösse, damit auf meinen Altar nicht vergeblich Feuer gebracht werde, an euch habe ich kein Wohlgefallen etc. Denn von Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang ist mein Name groß unter den Völkern, und überall wird mir Weihrauch und reines Opfer dargebracht; denn mein Name ist groß unter den Völkern, spricht der Gott der Heerscharen.« Diese Worte, welche, wenn man ihnen nicht Gewalt anthun will, sich nur auf die damalige Zeit beziehen können, bezeugen hinlänglich, daß die Juden damals von Gott nicht mehr als andere Völker geliebt wurden, ja daß in jener Zeit Gott sich andern Völkern mehr durch Wunder kund that als den Juden, die damals ohne Wunder ihren Staat zum Teil wieder erlangt hatten; sogar daß die Völker religiöse Einrichtungen und gottesdienstliche Bräuche hatten, durch welche sie Gott wohlgefällig waren.

Ich lasse nun aber dies beiseite, da es meinem Zweck genügt, den Nachweis geführt zu haben, daß die Auserwählung der Juden sich auf nichts andres bezog, als auf ihr zeitliches leibliches Glück und ihre Freiheit; oder mit andern Worten auf ihren Staat und die Mittel und Wege, wodurch sie denselben erlangt haben und folglich auch auf die Gesetze, soweit solche zur Erhaltung ihres besonderen Staates notwendig waren, wie auch auf die Art, wie diese Gesetze geoffenbart wurden; daß die Juden aber in andern Dingen und in dem, worin diese wahre Glückseligkeit des Menschen besteht, allen Völkern gleich waren. Wenn daher in der Bibel (s. 5. Buch Mose Kap. 4, V. 7) gesagt wird, daß keinem andern Volk seine Götter so nahe gewesen seien wie Gott den Juden, so ist dies nur von ihrem Staat und auch nur von jener Zeit zu verstehen, wo so viele Wunder unter ihnen geschehen sind etc.; denn in Bezug auf Erkenntnis und Tugend, das ist in Bezug auf die Glückseligkeit ist Gott allen Völkern in gleicher Weise gnädig, wie bereits gesagt und durch die Vernunft selbst bewiesen worden, was aber auch aus der Bibel selbst zur Genüge hervorgeht. Sagt doch der Psalmist in Psalm 145, V. 18: »Gott ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn in Wahrheit anrufen«, und in demselben Psalm V. 9: »Gütig ist Gott gegen alle und seine Barmherzigkeit (erstreckt sich) auf alle, die er geschaffen«. In Psalm 33, V. 15 wird auch ausdrücklich gesagt, daß Gott allen das gleiche Erkenntnisvermögen gegeben habe; die Worte lauten: »Er bildet ihr Herz auf gleiche Weise«. Das Herz wurde nämlich von den Hebräern für den Sitz des Lebens und des Denkens gehalten, was sattsam bekannt ist. Ferner geht aus Hiob Kap. 28, V. 28 hervor, daß Gott dem ganzen Menschengeschlecht das Gesetz vorgeschrieben, Gott zu ehren und sich schlechter Werke zu enthalten oder Gutes zu thun; daher war Hiob, obzwar ein Heide, Gott der liebste von allen Menschen, weil er alle an Frömmigkeit und Religion überragte. Weiter erhellt aus Jona Kap. 4, V. 2 aufs deutlichste, daß Gott nicht bloß den Juden, sondern allen Menschen gnädig, barmherzig, langmütig und reich an Güte sei und das verhängte Übel zurücknehme. Denn Jona sagt: »Deshalb beschloß ich, nach Tarsis zu fliehen, weil ich weiß (nämlich aus den Worten des Moses im 2. Buch Mose Kap. 34, V. 6), daß du Gott gnädig, barmherzig etc. seist und daher den heidnischen Ninivitern vergeben werdest.« Wir können also den Schluß ziehen, (da Gott allen Völkern gleich gnädig ist und die Hebräer nur in Bezug auf Gemeinwesen und Staat von Gott auserwählt waren,) daß jeder einzelne Jude für sich allein betrachtet, nicht als Glied des jüdischen Staates, keine Gabe Gottes vor andern voraus habe und daß zwischen ihm und einem Heiden kein Unterschied sei.

Da es sich nun also verhält, daß Gott allen gleich gnädig, barmherzig etc. ist, und das Amt des Propheten nicht sowohl darin bestand, die besonderen Gesetze seines Vaterlandes, als vielmehr die wahre Tugend zu lehren und die Menschen über sie zu ermahnen, so ist es kein Zweifel, daß alle Völker Propheten gehabt haben und die prophetische Gabe den Hebräern nicht eigentümlich gewesen ist. Dies bestätigt auch thatsächlich die weltliche wie die heilige Geschichte. Und obgleich aus den heiligen Geschichten des alten Testaments nicht hervorgeht, daß andere Völker so viele Propheten wie die Hebräer gehabt haben, und sogar nirgends gesagt wird, daß ein heidnischer Prophet den andern Völkern ausdrücklich geschickt worden sei, so hat dies keine Bedeutung, da die Hebräer nur auf die Aufzeichnung ihrer eigenen Geschichte, nicht auch anderer Völker, bedacht waren. Es genügt daher, daß nach dem alten Testament auch Heiden und Unbeschnittene wie Noah, Henoch, Abimelech, Bileam etc. prophezeit haben, ferner daß die hebräischen Propheten nicht bloß zu ihrem Volke, sondern auch zu vielen andern Völkern von Gott gesendet worden sind. Hesekiel z. B. hat allen damals bekannten Völkern geweissagt; Obadja sogar, soviel wir wissen, nur den Idumäern; Jona war vorzugsweise den Bewohnern Ninivehs Prophet. Jesaja klagt und weissagt über die Trübsale und besingt die Wiederherstellung nicht bloß der Juden, sondern auch anderer Völker; denn er sagt Kap. 16, V. 9: »Darum will ich mit Thränen Jaeser beweinen« und in Kap. 19 weissagt er den Ägyptern zuerst ihre Leiden und hernach ihre Wiederherstellung (s. die Verse 19, 20, 21 und 25 desselben Kapitels). Er sagt nämlich, Gott werde ihnen einen Erlöser senden, der sie befreien wird und Gott werde sich ihnen kund thun und die Ägypter werden Gott mit Opfern und Gaben ehren; schließlich nennt er dieses Volk: »Ägypten, das gesegnete Volk Gottes«; das sind Stellen, welche sehr zu beachten sind. Endlich wird Jeremia Prophet der Völker überhaupt, nicht bloß Prophet des hebräischen Stammes genannt (s. Kap. 1, V. 5). Auch er beweint weissagend die Leiden der Völker und weissagt ihre Wiederherstellung; denn er sagt Kap. 48, V. 31 von den Moabitern: »Darum muß ich über Moab heulen und über ganz Moab wehklagen etc.« und V. 36: »Darum tobt mein Herz über Moab wie eine Pauke«. Schließlich weissagt er ihnen ihre Wiederherstellung wie auch die Wiederherstellung der Ägypter, Ammoniter und Elamiter.

Unzweifelhaft haben also auch andere Völker ihre Propheten gehabt so gut wie die Juden, welche ihnen selbst und auch den Juden weissagten. Zwar die Bibel berichtet nur von Bileam allein, daß ihm die Zukunft der Juden und anderer Völker geoffenbart worden sei; doch ist nicht anzunehmen, daß Bileam bloß bei jenem Anlaß prophezeit habe, da aus jener Erzählung selbst deutlich hervorgeht, daß er schon lange vorher durch seine Prophetie und andere göttliche Gaben berühmt war. Sagt doch Balak, da er ihn beruft (4. Buch Mose Kap. 22, V. 6): »weil ich weiß, daß gesegnet ist, wen du segnest, und verflucht ist, wen du verfluchst«. Bileam besaß also ebendieselbe Eigenschaft, welche Gott dem Abraham verliehen hatte (s. 1. Buch Mose Kap. 12, V. 3). Auch hat Bileam, als ein Mann, dem prophetische Erscheinungen nichts seltenes waren, den Boten geantwortet, sie möchten bei ihm bleiben, bis ihm der Wille Gottes geoffenbart würde. Beim Prophezeien, d. h. wenn er die wahrhaftigen Gedanken Gottes verkündete, pflegte er von sich zu sagen: »Spruch dessen, der die Worte Gottes hört und kennt das Wissen (oder den Gedanken und das Vorherwissen) des Höchsten, der schaut die Erscheinung des Allmächtigen, niederfallend, doch mit enthüllten Augen«. Nachdem er endlich die Hebräer auf Gottes Geheiß gesegnet hatte, begann er (gewohnheitsgemäß), andern Völkern zu prophezeien und ihre künftigen Schicksale zu verkünden. Alles das beweist mehr als genug, daß er immer Prophet gewesen oder auch sonst noch prophezeit hat, und daß er (was hier besonders hervorzuheben ist) das gehabt hat, was die Propheten vornehmlich von der Wahrheit ihrer Prophetie überzeugte, nämlich eine dem Rechten und Guten zugewendete Seele. Denn nicht wenn er wollte segnete oder verfluchte er, wie Balak glaubte, sondern wen Gott segnen oder fluchen wollte; wie er denn dem Balak antwortet: »Auch wenn mir Balak so viel Silber und Gold geben wollte, als sein Haus fassen könnte, so könnte ich doch nicht den Befehl Gottes überschreiten und nach eigenem Gutdünken Gutes oder Böses thun; nur was Gott redet werde ich reden«. Wenn ihm aber Gott zürnte, als er unterwegs war, so war dies auch mit Moses der Fall, als er auf Gottes Befehl nach Ägypten reiste (s. 2. Buch Mose Kap. 4, V. 24); wenn er Geld für seine Prophezeiung annahm, so that dies auch Samuel (s. 1. Buch Sam. Kap. 9, V. 2 und 8); und wenn er irgendwie gesündigt hat (s. 2. Brief Petri Kap. 2, V. 15 und 16 und Brief Judä V. 11), so »ist niemand so gerecht, daß er immer Gutes thäte und niemals sündigte« (s. Prediger Sal. Kap. 7, V. 20). Bileams Worte mußten in der That bei Gott großes Gewicht gehabt haben und seine Macht zu verfluchen muß sehr groß gewesen sein, da es in der Bibel so häufig vorkommt, daß Gottes Barmherzigkeit gegen Israel damit bewiesen wird, daß Gott auf Bileam nicht hören wollte und seinen Fluch in Segen verwandelt hat (s. 5. Buch Mose Kap. 23, V. 6; Josua Kap. 24, V. 10; Nehemia Kap. 13, V. 2). Er war also ohne Zweifel Gott sehr angenehm, denn die Worte und Verwünschungen der Gottlosen haben auf Gott keinen Einfluß. – Bileam war sonach ein wahrer Prophet und wenn er dennoch von Josua (Kap. 13, V. 22) »Wahrsager« oder »Augur« genannt wird, so ist es sicher, daß diese Benennung auch in gutem Sinne zu nehmen ist und daß diejenigen, welche die Heiden Auguren oder Wahrsager zu nennen pflegten, echte Propheten gewesen sind; diejenigen freilich, welche die Bibel öfters anklagt und verdammt, waren falsche Wahrsager, welche die Heiden ebenso betrogen haben, wie die falschen Propheten die Juden, was auch aus andern Bibelstellen sattsam sich ergiebt.

Wir dürfen also den Schluß ziehen, daß die Gabe der Prophetie kein besonderer Vorzug der Juden gewesen, sondern bei allen Völkern vorgekommen ist. Die Pharisäer freilich versichern im Gegenteil sehr eifrig, diese göttliche Gabe sei ihrem Volke allein eigentümlich gewesen, andere Völker hätten die Zukunft vermöge irgend einer ich weiß nicht welcher teuflischen Kraft (auf welche Einfälle käme nicht der Aberglaube) vorhergesagt. Hauptsächlich berufen sie sich dabei auf die Stelle im Alten Testament (2. Buch Mose Kap. 33, V. 16), wo Moses zu Gott sagt: »Woran soll aber erkannt werden, daß ich und dein Volk Gunst gesunden in deinen Augen? Gewiß dadurch, daß du mit uns gehest und ich und dein Volk gesondert sind von jedem andern Volke auf der Oberfläche der Erde«. Aus dieser Stelle wollen sie beweisen, daß Moses Gott gebeten habe, den Juden gegenwärtig zu sein und sich ihnen prophetisch zu offenbaren, diese Gunst aber keinem andern Volke zu gewähren. Lächerlich fürwahr, daß Moses den Heiden die Gegenwart Gottes mißgönnte und so etwas von Gott zu erbitten gewagt haben soll! Die Sache verhält sich aber so. Nachdem Moses den widerspenstigen Sinn und Geist seines Volkes kennen gelernt hatte, war es ihm klar, daß die Hebräer ohne großartige Wunder und ohne besonderen äußerlichen Beistand Gottes das begonnene Werk nicht würden vollenden können und sogar unfehlbar zu Grunde gehen müßten ohne solche Hilfe; darum bat er Gott um seinen besonderen Beistand, um gewiß zu sein, daß sie Gott erhalten wolle. Denn so sagt er Kap. 34, V. 9: »Wenn ich Gunst gefunden in deinen Augen, o Herr, so möge der Herr, ich flehe darum, unter uns wandeln, da dieses Volk ein hartnäckiges Volk etc.« Der Grund also, weshalb er Gott um seinen besonderen äußerlichen Beistand bittet, ist die Hartnäckigkeit des Volkes. Noch deutlicher zeigt die Antwort Gottes, daß Moses um weiter nichts als um diesen äußern Beistand Gottes gebeten habe; Gott antwortet nämlich sogleich (V. 20 desselben Kapitels): »Siehe, ich schließe einen Bund, vor deinem ganzen Volk will ich Wunder vollbringen, wie sie auf der ganzen Erde und unter allen Völkern nie gesehen wurden etc.« Moses spricht hier also bloß von der Erwählung der Hebräer, wie ich sie erklärt habe, sonst hat er von Gott nichts verlangt.

Indessen finde ich in dem Briefe Pauli an die Römer eine Stelle, die ich mehr beanstande. In Kap. 3, V. 1 und 2 scheint Paulus das Gegenteil von meiner Ansicht zu lehren; er sagt nämlich: »Welches ist also der Vorzug des Juden? oder welchen Nutzen hat die Beschneidung? einen großen in jedem Fall. Der vornehmste ist, daß ihm die Aussprüche Gottes anvertraut worden sind«. Fassen wir aber die Lehre ins Auge, welche hier Paulus hauptsächlich darlegen will, so finden wir nichts, was meiner Ansicht widerspricht, im Gegenteil lehrt Paulus ganz dasselbe. Denn er sagt im 29. Vers desselben Kapitels, daß Gott sowohl der Juden wie der Heiden Gott sei, und im Kap. 2, V. 25 und 26: »Wenn der Beschnittene vom Gesetz abtrünnig wird, so wird die Beschneidung zur Vorhaut werden, und umgekehrt, wenn der Unbeschnittene die Vorschriften des Gesetzes beobachtet, so wird ihm die Vorhaut als Beschneidung angerechnet«. Weiter sagt er Kap. 4, V. 9, alle in gleicher Weise, Juden wie Heiden, stehen unter der Sünde und ohne Befehl und Gesetz gebe es keine Sünde. Hieraus geht also aufs klarste hervor, daß das Gesetz allen ohne Unterschied (wie schon oben aus Hiob Kap. 28, V. 28 erwiesen worden) geoffenbart worden ist und alle unter demselben gelebt haben; ich meine das Gesetz, welches lediglich die wahre Tugend betrifft, nicht aber jenes, welches nach den Verhältnissen und der Beschaffenheit irgend eines einzelnen Staates aufgestellt und dem Geist eines einzelnen Volkes angepaßt wurde. Weiter schließt Paulus daraus, daß Gott aller Völker Gott, d. h. allen in gleicher Weise gnädig ist, und alle ohne Unterschied unter dem Gesetze und der Sünde waren, daß Gott allen Völkern seinen Christus gesandt habe, um alle zumal aus der Knechtschaft der Sünde zu befreien, auf daß sie fortan nicht durch den Zwang des Gesetzes, sondern durch festen Entschluß des Willens das Gute thuen. Somit lehrt Paulus ganz genau das, was ich behaupte. Wenn er dennoch sagt: »Nur den Juden sind Gottes Worte anvertraut gewesen«, so ist dies entweder so zu verstehen, daß die Gesetze nur ihnen auch schriftlich anvertraut waren, den andern Völkern aber bloß durch Offenbarung und im Innern, oder aber muß man annehmen, Paulus habe (um die etwaigen Einwände der Juden zu entkräften,) den Begriffen und Meinungen gemäß, die damals bei den Juden gang und gäbe waren, geantwortet; denn nach dem, was er teils gesehen, teils gehört hatte, war er Grieche mit den Griechen und Jude mit den Juden.

Es erübrigt nur noch, auf einige Gegengründe zu antworten, welche für die Ansicht geltend gemacht werden, daß die Auserwählung der Hebräer nicht bloß eine zeitliche, auf ihren Staat allein bezügliche, sondern eine ewige gewesen sei. Wir sehen, sagt man, daß die Juden, die nach dem Untergang ihres Staates schon so viele Jahre allenthalben zerstreut und von allen Völkern abgesondert leben, noch immer vorhanden sind, was bei keinem andern Volke vorgekommen ist. Ferner, daß die heilige Schrift an vielen Stellen zu lehren scheint, daß sich Gott die Juden für alle Zeiten auserwählt hat und sie also die Auserwählten Gottes bleiben, obschon sie ihres Reichs verlustig gingen. Es sind vorzugsweise folgende Stellen, welche diese ewige Auserwählung sehr deutlich lehren sollen: 1. Jeremia Kap. 32, V. 36, wo der Prophet bezeugt, daß der Samen Israels für ewige Zeiten das Volk Gottes bleiben werde, indem er sie nämlich mit der festen Ordnung des Himmels und der Natur vergleicht. 2. Hesekiel Kap. 20, V. 32 etc., wo der Prophet zu sagen scheint, daß Gott die Juden, obgleich sie geflissentlich den Dienst Gottes verlassen wollten, wieder sammeln werde, aus allen Ländern, wohin sie zerstreut worden, und sie in die Wüste der Völker führen werde, wie er ihre Vorfahren in die Wüste Ägyptens geführt, von wo er sie endlich, nachdem die Aufrührerischen und Abtrünnigen ausgeschieden, zum Berge seiner Heiligkeit führen werde, wo das ganze Haus Israel ihm dienen werde. Noch andere Stellen werden gewöhnlich angeführt, namentlich von den Pharisäern, ich hoffe jedoch allen zu genügen, wenn ich auf diese beiden erwidere.

Diese Erwiderung wird mir nicht schwer werden, wenn ich aus der Bibel beweise, daß Gott die Hebräer nicht auf ewige Zeiten auserwählt hat, sondern nur unter den Bedingungen, unter welchen er früher die Kananiter auserwählt hatte, welche ebenfalls, wie oben gezeigt, Priester hatten, die Gott eifrig dienten und gleichwohl wegen ihrer Üppigkeit, Nachlässigkeit und Abgötterei von Gott verworfen wurden. Moses ermahnt nämlich im 3. Buch Mose Kap. 18, V. 27 und 28 die Israeliten, sich nicht durch Blutschande zu beflecken wie die Kananiter, damit sie das Land nicht ausspeie, wie es die Völker ausgespien hat, welche jene Gegenden bewohnten. Und im 5. Buch Mose Kap. 8, V. 19 und 20 bedroht er sie ausdrücklich mit gänzlichem Untergang, indem er sagt: »Ich bezeuge euch heute, daß ihr gänzlich untergehen werdet, wie die Völker, welche Gott euretwegen hat untergehen lassen, so werdet ihr untergehen«. Derartige Stellen finden sich im Gesetze mehrfach, welche ausdrücklich sagen, daß Gott das hebräische Volk nicht unbedingt und nicht für alle Zeiten auserwählt hat. Wenn ihnen aber die Propheten einen neuen und ewigen Bund der Gotteserkenntnis, Liebe und Gnade weissagen, so ist leicht einzusehen, daß diese Verheißung nur den Frommen gegeben ist; heißt es doch in dem eben angeführten Kapitel des Hesekiel ausdrücklich, daß Gott die Aufrührer und Abtrünnigen von ihnen aussondern werde, und ebenso heißt es in Zephanja Kap. 3, V. 12 und 13, daß Gott die Hochmütigen aus ihrer Mitte nehmen und die Armen übrig lassen werde. Da nun diese Auserwählung die wahre Tugend betrifft, so kann sie nicht bloß den frommen Juden versprochen sein, während alle andern Frommen davon ausgeschlossen sind; vielmehr muß angenommen werden, daß die wahren Propheten der Heiden, – daß alle Völker solche hatten, ist oben gezeigt worden – den Rechtschaffenen in ihrem Volke dasselbe verheißen und sie damit getröstet haben. Daher ist dieser ewige Bund der Gotteserkenntnis und Liebe ein allgemeiner, wie gleichfalls aus Zephanja Kap. 3, V. 10 und 11 aufs klarste hervorgeht, und es kann sonach hierin keinerlei Unterschied zwischen Juden und Heiden zugegeben werden, wie denn den Juden überhaupt keine andere Erwählung ausschließlich eigen war, als jene einzige, die wir oben namhaft gemacht.

Daß die Propheten, wenn sie von jener Auserwählung sprechen, die sich bloß auf die echte Tugend bezieht, vieles von Opfern und andern gottesdienstlichen Bräuchen wie auch vom Wiederaufbau des Tempels und der Stadt Jerusalem einmischten, erklärt sich daraus, daß sie nach der Art und Weise der Prophetie geistige Dinge in solchen Bildern ausdrücken wollten; zugleich wollten sie den Juden, deren Propheten sie waren, die Wiederherstellung ihres Staates und Tempels, welche in der Zeit des Cyrus erwartet wurde, ankündigen. Heutzutage haben daher die Juden nichts voraus, was sie sich andern Völkern gegenüber zuschreiben könnten. Was aber den Umstand betrifft, daß sie trotz jahrelanger Zerstreuung und ohne eigenen Staat sich erhalten haben, so kann man sich darüber nicht wundern, wenn man bedenkt, daß sie sich von allen Völkern in einer Weise absonderten, welche ihnen den Haß aller Völker zuziehen mußte; und zwar bestand diese Absonderung nicht bloß in äußerlichen Brauchen, welche denen anderer Völker schnurstracks entgegen sind, sondern auch im Zeichen der Beschneidung, die sie gewissenhaft beobachten. Daß der Haß der Völker es ist, welcher sie vorzugsweise erhält, das hat die Erfahrung gelehrt. Als der König von Spanien einst gegen die Juden mit Zwang vorging und ihnen die Wahl ließ, entweder die Staatsreligion anzunehmen oder in die Verbannung zu gehen, nahmen sehr viele Juden die Religion der Päpste an. Da nun diesen, welche die Staatsreligion annahmen, alle Rechte der eingeborenen Spanier gewährt und sie für alle Ehrenstellen tauglich erklärt wurden, vermischten sie sich bald dergestalt mit den Spaniern, daß nach kurzer Zeit keine Spur und kein Andenken ihrer Herkunft mehr vorhanden war. Das Gegenteil war bei denen der Fall, welche der König von Portugal zwang, die Religion seines Landes anzunehmen; diese blieben auch nach ihrer Bekehrung zur Staatsreligion von den übrigen Einwohnern stets abgesondert: ganz natürlich, weil ihnen die Fähigkeit, Ehrenstellen zu bekleiden, nicht zuerkannt wurde.

Das Zeichen der Beschneidung ist meines Erachtens in dieser Hinsicht von so großem Belang, daß ich glauben möchte, es allein sei fähig, dieses Volk für alle Zeiten zu erhalten; ja ich halte es für sehr möglich, daß die Juden, vorausgesetzt, daß die Grundlagen ihrer Religion sie nicht verweichlichen, wenn einmal die Gelegenheit günstig sein sollte – die menschlichen Verhältnisse sind ja dein Wechsel unterworfen – ihr ehemaliges Reich wieder aufrichten werden und Gott sie wieder von neuem erwählen werde. Ein merkwürdiges Beispiel der Art haben wir an den Chinesen, welche ebenfalls ein gewisses Zeichen am Kopfe sehr gewissenhaft bewahren und sich dadurch von allen andern unterscheiden. So getrennt haben sie sich Jahrtausende erhalten, so daß sie dem Alter nach alle übrigen Völker überragen. Auch sie haben ihr Reich nicht immer behauptet, allein sie haben es schon einmal wieder erlangt, nachdem sie es verloren hatten und ohne Zweifel werden sie es auch wiederum erlangen, wenn die Tartaren durch Üppigkeit des Reichtums und durch Bequemlichkeit mehr und mehr erschlaffen werden.

Will übrigens jemand die Meinung verteidigen, daß die Juden aus dem oder jenem Grunde von Gott für alle Zeiten auserwählt seien, so will ich ihm nichts in den Weg legen, wenn er nur zugiebt, daß diese Erwählung – mag sie nun eine zeitliche oder ewige sein – soweit sie den Juden eigentümlich ist, sich nur auf ihren Staat und leibliche Annehmlichkeiten bezieht (da sich nur dadurch ein Volk vom andern unterscheiden kann); daß aber in Bezug auf die Erkenntnis und die echte Tugend kein Volk vom andern sich unterscheidet und folglich auch in dieser Hinsicht kein Volk vor einem andern von Gott auserwählt ist.


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