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Über die Wunder.
Wie man dasjenige Wissen, welches die menschliche Denkkraft übersteigt, ein göttliches nennt, so pflegt man auch einen Vorgang, dessen Ursache gemeiniglich unbekannt ist, göttlich oder ein Werk Gottes zu nennen. Denn der gewöhnliche Mensch glaubt, Gottes Macht und Vorsehung zeige sich am deutlichsten, wenn in der Natur etwas geschieht, was ungewöhnlich ist und der Meinung, die er sich aus den alltäglichen Vorgängen über die Natur gebildet hat, nicht entspricht; besonders dann, wenn dieser Vorgang gewinnbringend oder vorteilhaft für ihn ist. Das Volk glaubt deshalb, das Dasein Gottes könne nicht deutlicher bewiesen werden, als wenn die Natur – wie es sich einbildet – ihre Ordnung nicht einhält, und es meint daher, derjenige glaube nicht an Gott oder wenigstens an die göttliche Vorsehung, der die Dinge und die Wunder durch natürliche Ursachen erklärt oder zu begreifen sucht. Mau meint nämlich, Gott wirke nicht, solange die Natur nach gewohnter Ordnung wirkt, und umgekehrt sei die Macht der Natur und die natürlichen Ursachen solange unthätig, solange Gott wirkt. Sie stellen sich also zwei von einander getrennte Mächte vor, die Macht Gottes und die Macht der natürlichen Dinge, welche letztere von Gott nur auf gewisse Weise beeinflußt oder (wie heutzutage die meisten annehmen) geschaffen sei. Sie wissen aber selber gar nicht, was sie unter beiden und was sie unter Gott und unter Natur verstehen; sondern stellen sich die Macht Gottes als eine Art Herrschaft irgend einer königlichen Majestät, die der Natur als eine Kraft oder einen Anstoß vor. Daher nennt das Volk die außergewöhnlichen Werke der Natur Wunder, oder Werke Gottes, und will, teils aus Frömmigkeit, teils aus Lust am Widerspruch denen gegenüber, welche die Naturwissenschaften pflegen, nichts von den natürlichen Ursachen der Dinge wissen, sondern verlangt nur solche Dinge zu hören, welche es am wenigsten versteht und daher am meisten bewundert. Weil nämlich die Menge nur dann sich getrieben fühlt, Gott anzubeten und alles auf seine Herrschaft und seinen Willen zu beziehen, wenn sie die natürlichen Ursachen hinwegdenkt und die Dinge außerhalb der Naturordnung vorstellt, darum bewundert sie die Macht Gottes nicht mehr, als wenn sie sich die Macht der Natur gleichsam von Gott bezwungen denkt.
Es scheint sich das von den ersten Juden herzuschreiben, welche ihre Wunder erzählten in der Absicht, die Heiden ihrer Zeit, welche sichtbare Götter, Sonne, Mond, Erde, Wasser, Luft u. s. f. anbeteten, zu widerlegen und ihnen zu beweisen, daß diese Götter schwach und unbeständig oder veränderlich wären und unter der Herrschaft eines unsichtbaren Gottes ständen, wobei sie ihnen zugleich zu zeigen suchten, daß die ganze Natur von der Macht des Gottes, den sie anbeteten, zu ihrem Vorteil gelenkt werde. Dies gefiel den Leuten so gut, daß sie bis auf diese Zeit nicht aufhörten, Wunder zu erdichten, damit man von ihnen glauben sollte, sie seien Gott lieber als alle andern Menschen und nur um ihretwillen habe Gott alles geschaffen und leite alles fortwährend. Was maßt sich die Thorheit der Menge nicht alles an, dadurch daß sie weder von Gott noch von der Natur den kleinsten gesunden Begriff hat, göttliches Wollen mit menschlichem verwechselt und sich die Natur so beschränkt vorstellt, daß sie den Menschen für ihren Mittelpunkt hält.
Die Meinungen und Vorurteile der Menge über Natur und Wunder hätte ich damit ausführlich genug erörtert. Um aber den Gegenstand des Weiteren ordnungsgemäß zu beleuchten, will ich nun zeigen:
daß nichts wider die Natur geschieht, sondern daß dieselbe für alle Zeiten eine feste, unabänderliche Ordnung einhält; zugleich, was unter Wunder zu verstehen ist;
daß wir aus den Wundern weder das Wesen noch das Dasein und demzufolge auch nicht die Vorsehung Gottes erkennen können, alles das vielmehr weit besser aus der festen und unabänderlichen Ordnung der Natur erkannt wird;
will ich an einigen Beispielen aus der Bibel zeigen, daß die Bibel selbst unter Gottes Befehl, Gottes Willen und demgemäß auch unter Vorsehung nichts anderes versteht, als eben die Naturordnung selbst, die aus ihren ewigen Gesetzen notwendig folgt;
endlich will ich die Auslegung der biblischen Wunder und anderes, was über die Wundererzählungen zu bemerken ist, behandeln.
Das ist es vorzugsweise, was zum Gegenstand dieses Kapitels gehört und meines Erachtens außerdem für den Zweck dieses ganzen Buches von großem Belang ist.
Der erste Satz ergiebt sich leicht aus dem, was im 4. Kapitel über das göttliche Gesetz ausgeführt wurde, wonach alles, was Gott will oder bestimmt, ewige Notwendigkeit und Wahrheit in sich schließt. Wir haben dort gesehen, daß das Denken Gottes und das Wollen Gottes eins und dasselbe sind und daß wir daher eins und dasselbe behaupten, ob wir sagen, Gott will etwas, oder Gott erkennt etwas; mit derselben Notwendigkeit, mit der aus der göttlichen Natur und Vollkommenheit folgt, daß Gott eine Sache, so wie sie ist, erkennt, folgt deshalb auch, daß Gott diese Sache, so wie sie ist, will. Da aber alles nur nach göttlichem Beschluß notwendig wahr ist, so folgt aufs klarste, daß die allgemeinen Naturgesetze reine göttliche Beschlüsse sind, die aus der Notwendigkeit und Vollkommenheit der göttlichen Natur folgen. Wenn also in der Natur etwas geschehen würde, das mit ihren allgemeinen Gesetzen in Widerspruch steht, so würde das mit dem Beschluß, dem Denken und der Natur Gottes ebenfalls im Widerspruch stehen; oder wenn jemand behaupten will, Gott thue etwas gegen die Naturgesetze, so muß er notgedrungen auch behaupten, Gott thue etwas gegen seine eigene Natur, was höchst widersinnig ist. Es könnte dies auch leicht daraus bewiesen werden, daß die Macht der Natur die göttliche Macht und Kraft selbst ist und die göttliche Macht das eigentliche Wesen Gottes ist; doch will ich hier nicht näher daraus entgehen.
Es geschieht also in der Natur Ich verstehe hier unter Natur nicht bloß den sinnlichen Stoff und seine Bewegungsformen, sondern außer dem sinnlichen Stoff noch vieles andere. (Anmerkung des Verfassers.) nichts, was mit ihren allgemeinen Gesetzen in Widerspruch steht, aber auch nichts, was mit denselben nicht übereinstimmte oder aus denselben nicht folgte. Denn alles, was geschieht, geschieht durch den Willen und ewigen Ratschluß Gottes, d. h. wie gesagt, alles was geschieht, geschieht nach Gesetzen und Regeln, welche ewige Notwendigkeit und Wahrheit in sich schließen. Die Natur beobachtet diese Gesetze und Regeln, welche ewige Notwendigkeit und Wahrheit in sich schließen, ob sie uns gleich nicht alle bekannt sind, dennoch immer, und hält daher eine feste und unveränderliche Ordnung ein. Nie wird ein gesunder Verstand auf den Gedanken kommen, der Natur eine beschränkte Macht und Kraft beizulegen und von ihren Gesetzen zu behaupten, sie seien nur für einzelnes, nicht aber für alles passend. Denn wenn die Kraft und Macht der Natur die Kraft und Macht Gottes selbst ist, die Gesetze und Regeln der Natur aber die göttlichen Beschlüsse selbst, so müssen wir durchaus annehmen, daß die Macht der Natur unbegrenzt ist und ihre Gesetze so umfassend sind, daß sie sich auf alles, was auch vom göttlichen Denken selbst erkannt wird, erstrecken. Denn was anderes müßte man sonst annehmen, als daß Gott die Natur so ohnmächtig geschaffen und ihr so dürftige Gesetze und Regeln gegeben hat, daß er ihr häufig von neuem zu Hilfe kommen muß, wenn er sie erhalten und die Dinge nach seinem Wunsch geschehen lassen will; eine gewiß höchst unvernünftige Annahme.
Daraus aber, daß in der Natur nichts geschieht, was nicht aus ihren Gesetzen folgt, daß ihre Gesetze auf alles, was auch vom göttlichen Denken selbst erkannt wird, sich erstrecken, und daß die Natur eine feste, unwandelbare Ordnung einhält, folgt aufs klarste, daß das Wort Wunder nur in Bezug auf die menschliche Einsicht einen Sinn hat und nichts anderes bezeichnet als ein Werk, dessen natürliche Ursache wir nicht durch das Beispiel eines andern bekannten Dinges erklären können, oder daß wenigstens der es nicht kann, der es als Wunder beschreibt oder erzählt. Ich könnte zwar sagen, ein Wunder ist etwas, dessen Ursache nicht aus den durch die natürliche Einsicht erforschten Naturgesetzen erklärt werden kann. Da aber die Wunder dem Begriffsvermögen des gewöhnlichen Volkes wegen geschehen sind, welches von den Grundgesetzen der natürlichen Dinge gar keine Kenntnis hatte, so ist es gewiß, daß die Alten alles für ein Wunder gehalten haben, was sie nicht ebenso erklären konnten, wie die Menge die natürlichen Dinge zu erklären pflegt, nämlich dadurch, daß sie sich eines andern ähnlichen Falls erinnert, den sie sich ohne Verwunderung vorzustellen pflegt. Denn die Menge bildet sich ein, eine Sache vollständig zu verstehen, wenn sie sich über dieselbe nicht verwundert. Die Alten und beinahe alle Menschen bis auf die Gegenwart hatten kein anderes Kennzeichen für ein Wunder als dieses und darum wird ohne Zweifel in der Bibel so manches als ein Wunder erzählt, dessen Ursachen mit bekannten Naturgesetzen leicht erklärt werden können. Schon oben im 2. Kapitel habe ich das angedeutet, als vom Stillstand der Sonne zu Josuas Zeiten und von ihrem Zurückweichen zu Ahas' Zeiten die Rede war; doch soll hierüber bald ausführlicher abgehandelt werden, wenn die Erklärung der Wunder, die ich zugesagt habe, an die Reihe kommt.
Vorerst wollen wir zum zweiten Punkt übergehen und zeigen, daß wir weder Gottes Wesen, noch Dasein, noch Vorsehung aus den Wundern zu erkennen vermögen, sondern im Gegenteil weit besser aus der festen und unveränderlichen Ordnung der Natur. Dies zu beweisen, fahre ich folgendermaßen fort.
Da das Dasein Gottes nicht an und für sich gewiß ist, so muß dasselbe notwendig aus Begriffen gefolgert werden, deren Wahrheit so fest und unerschütterlich ist, daß es keine Macht geben kann und keine denkbar ist, welche sie ändern könnte. Uns wenigstens müssen sie von der Zeit an, wo wir das Dasein Gottes aus ihnen schließen, so erscheinen, wenn wir dasselbe aus ihnen derart schließen wollen, daß jede Ungewißheit des Zweifels wegfällt. Denn wenn wir denken könnten, daß diese Begriffe von irgend einer Macht, welche es auch immer sei, verändert werden könnten, so würden wir ihre Wahrheit bezweifeln und demzufolge auch die Wahrheit dessen, was wir aus ihnen gefolgert, nämlich das Dasein Gottes, und es gäbe überhaupt über keinen Gegenstand eine Gewißheit. Ferner wissen wir, daß was mit der Natur übereinstimmt oder im Widerspruch steht, auch mit ihren Gesetzen übereinstimmen oder in Widerspruch stehen muß. Wenn es also denkbar wäre, daß in der Natur durch irgend welche Macht etwas geschehen könnte, das mit der Natur im Widerspruch steht, so müßte das auch mit jenen Hauptbegriffen im Widerspruch stehen. Wir müßten es also entweder als widersinnig verwerfen, oder müßten wir an jenen Hauptbegriffen (wie bereits gezeigt) und demzufolge auch an Gott und an allem Wissen überhaupt zweifeln. Weit entfernt also, daß die Wunder, sofern wir darunter ein mit der Ordnung der Natur im Widerspruch stehendes Werk verstehen, uns das Dasein Gottes beweisen, sind sie im Gegenteil geeignet, uns daran zweifeln zu lassen; da wir ohne sie vollständig darüber gewiß sein können, sofern wir nämlich wissen, daß alles einer gewissen, unabänderlichen Ordnung der Natur folgt.
Gesetzt aber auch, ein Wunder sei etwas, was durch natürliche Ursachen nicht erklärt werden kann, so kann dies einen doppelten Sinn haben; entweder soll damit gesagt sein, es liegen zwar natürliche Ursachen zu Grunde, aber sie können von der menschlichen Erkenntnis nicht ergründet werden, oder aber daß keine andere Ursache als Gott oder der Wille Gottes dafür angenommen wird. Da nun aber alles, was durch natürliche Ursachen geschieht, ebenfalls nur durch Gottes Macht und Willen geschieht, so läuft dies schließlich doch wieder darauf hinaus, daß ein Wunder, mag es natürliche Ursachen haben oder nicht, ein Werk sei, das nicht ursächlich erklärt werden könne, oder mit andern Worten ein Werk, das die menschliche Fassungskraft übersteigt. Aus einem Werk aber, und vollends aus einem, das unsere Fassungskraft übersteigt, können wir keine Erkenntnis schöpfen. Denn was wir klar und deutlich erkennen, das muß entweder durch sich selbst oder durch ein anderes, das durch sich selbst klar und bestimmt erkannt wird, sich uns offenbaren. Also können wir aus einem Wunder oder einem unsere Fassungskraft übersteigenden Werk weder das Dasein Gottes, noch überhaupt irgend etwas von Gott oder der Natur erfahren, sondern umgekehrt, weil wir wissen, daß von Gott alles bestimmt und angeordnet ist und die Werke der Natur aus Gottes Wesen sich ergeben, die Gesetze der Natur aber Gottes ewige Beschlüsse und Willensäußerungen sind, so muß unbedingt gefolgert werden, daß wir Gott und seinen Willen um so besser erkennen, je besser wir die natürlichen Dinge erkennen und je klarer wir einsehen, wie sie von ihrer ersten Ursache abhängen und nach ewigen Naturgesetzen wirken.
Somit können hinsichtlich unserer Erkenntnis mit weit größerem Rechte die Werke, welche wir klar und deutlich verstehen, Gottes Werke heißen und auf den göttlichen Willen bezogen werden, als diejenigen, welche wir gar nicht verstehen, wenn auch diese auf die Einbildungskraft einen tiefen Eindruck machen und die Menschen zur Bewunderung hinreißen; weil nur diejenigen Werke der Natur, die wir klar und deutlich verstehen, erhabenere Gedanken über Gott eingeben und Gottes Willen und Beschlüsse sehr deutlich ankündigen. Diejenigen sind also thatsächlich unsinnig, welche zum Willen Gottes ihre Zuflucht nehmen, sobald sie etwas nicht begreifen; fürwahr! eine lächerliche Art, seine Unwissenheit einzugestehen.
Ich sage ferner: wenn wir indessen aus den Wundern auch etwas folgern könnten, so könnte doch auf keine Weise das Dasein Gottes aus ihnen gefolgert werden. Denn da das Wunder ein begrenztes Werk ist und nur eine gewisse begrenzte Macht ausdrückt, so ist es gewiß, daß wir aus einer solchen Wirkung nicht auf das Dasein einer Ursache schließen können, deren Macht unbegrenzt ist, sondern höchstens auf eine Ursache, deren Macht größer ist. Ich sage höchstens; denn es kann auch aus vielen zusammenwirkenden Ursachen irgend ein Werk entstehen, dessen Kraft und Macht zwar kleiner ist als die Macht aller seiner Ursachen zusammen, aber viel größer als die Macht jeder einzelnen Ursache. Weil aber die Gesetze der Natur (wie schon gezeigt) sich ins Unendliche ausdehnen und unter einem gewissen Gesichtspunkt der Ewigkeit von uns begriffen werden, und die Natur ihnen gemäß nach bestimmter und unwandelbarer Ordnung fortwirkt, so bekunden sie uns insofern auf gewisse Weise die Unendlichkeit, Ewigkeit und Unveränderlichkeit Gottes.
Wir ziehen also den Schluß, daß wir durch Wunder Gott, sein Dasein und seine Vorsehung nicht zu erkennen vermögen, sondern daß wir das viel besser aus der festen und unwandelbaren Naturordnung folgern können. Bei dieser Schlußfolgerung gebrauche ich das Wort Wunder von einem Werk, welches die menschliche Fassungskraft übersteigt oder wenigstens zu übersteigen scheint. Wenn es dagegen ein Werk bezeichnen soll, das die Ordnung der Natur stört oder durchbricht, oder mit ihren Gesetzen im Widerspruch steht, so könnte es (wie bereits gezeigt) nicht nur keine Gotteserkenntnis gewähren, sondern es würde sogar die Gotteserkenntnis, zu welcher wir auf natürlichem Wege gelangt sind, benehmen und uns über Gott und alles zweifeln lassen.
Ich lasse hier auch keinen Unterschied gelten zwischen einem widernatürlichen und einem übernatürlichen Werke (das ist, wie manche sich ausdrücken, ein Werk, welches mit der Natur zwar nicht im Widerspruch steht, aber von ihr auch nicht hervorgebracht oder bewirkt werden kann). Denn da ein Wunder nicht außer der Natur, sondern in der Natur selbst geschieht – wenn es auch als übernatürlich bezeichnet wird – so muß es doch notwendig die Ordnung der Natur durchbrechen, von der wir wissen, daß sie sonst überall nach Gottes Ratschluß eine feste und unveränderliche ist. Geschähe also in der Natur etwas, was aus ihren Gesetzen sich nicht ergiebt, so müßte das notwendig mit der Ordnung, welche Gott für alle Zeiten durch allgemeine Naturgesetze der Natur auferlegt hat, im Widerspruch stehen, und es würde daher auch wider die Natur und ihre Gesetze sein und der Glaube daran würde uns an allem zweifeln machen und zum Atheismus führen. – Damit glaube ich den zweiten Satz mit hinlänglich starken Gründen bewiesen zu haben und wir können aus ihnen wiederholt den Schluß ziehen, daß sowohl ein widernatürliches als auch ein übernatürliches Wunder der reinste Unsinn ist; weshalb unter Wunder in der heiligen Schrift wie gesagt nichts anderes verstanden werden kann, als ein Werk der Natur, das die menschliche Fassungskraft übersteigt oder zu übersteigen scheint.
Bevor ich zum dritten Punkt übergehe, will ich diese meine Ansicht, nämlich daß wir Gott nicht aus den Wundern erkennen können, durch die Autorität der Bibel unterstützen. Sie lehrt es zwar nirgends ausdrücklich, doch kann es leicht aus ihr gefolgert werden, namentlich daraus, daß Moses (5. Buch Mose Kap. 13) lehrt, man solle einen falschen Propheten, auch wenn er Wunder thut, dennoch zum Tode verurteilen. Er sagt nämlich: »Und (wenn auch) das Zeichen und Wunder, das er dir geweissagt etc., so sollst du (dennoch) den Worten dieses Propheten nicht glauben etc., weil der Herr euer Gott euch versucht etc. Jener Prophet (also) soll mit dem Tode bestraft werden.« Daraus folgt deutlich, daß Wunder auch von falschen Propheten verrichtet werden können, und daß Menschen, die nicht in der wahren Erkenntnis und Liebe Gottes recht fest sind, aus Wundern ebenso leicht falsche Götter wie den wahren Gott annehmen können. Denn er fügt hinzu: »Dieweil Jehovah euer Gott euch versucht, um zu wissen, ob ihr ihn liebet mit eurem ganzen Herzen und eurer ganzen Seele.« – Ferner haben die Israeliten aus so vielen Wundern sich doch keinen gesunden Begriff von Gott bilden können, wie die Erfahrung selbst gezeigt hat. Denn als sie sich einbildeten, Moses sei von ihnen gegangen, haben sie von Aaron eine sichtbare Gottheit verlangt, und ein Kalb, o Schmach! war die Gottesidee, die sie sich aus so vielen Wundern gebildet hatten. – Assaph, der so viele Wunder gehört hatte, zweifelte an der Vorsehung Gottes und wäre beinahe vom rechten Weg abgewichen, wenn er nicht schließlich doch noch die wahre Seligkeit erkannt hätte (s. Psalm 73). – Auch Salomo, zu dessen Zeiten die Angelegenheiten der Juden in höchster Blüte standen, kommt auf die Vermutung, daß alles durch Zufall geschieht. S. Prediger Sal. Kap. 3, V. 19, 20 und 21 und Kap. 9, V. 2 und 3 etc. – Endlich auch waren fast alle Propheten sehr darüber im Dunkeln, wie die Ordnung der Natur und das Schicksal der Menschen mit den Begriffen, die sie sich von der Vorsehung Gottes gebildet hatten, zu vereinbaren wären. Die Philosophen dagegen, die nicht aus Wundern, sondern aus klaren Begriffen ihr Wissen zu schöpfen suchen, waren sich immer sehr klar hierüber; nämlich solche Philosophen, welche das wahre Glück in Tugend und Seelenruhe allein erblicken und einsehen, daß die Natur nicht ihnen, sondern umgekehrt sie der Natur gehorchen müssen; weil sie nämlich genau wissen, daß Gott die Natur so leitet, wie es ihre allgemeinen Gesetze, nicht aber wie es die besonderen Gesetze der menschlichen Natur verlangen, und Gott daher nicht bloß auf das Menschengeschlecht, sondern auf die ganze Natur Rücksicht nimmt.
Auch die Bibel selbst bestätigt es hienach, daß die Wunder einen wahren Begriff von Gott nicht geben und die Vorsehung Gottes nicht deutlich lehren. – Wenn es nun aber in der Bibel öfters heißt, Gott habe Wunder gethan, um sich den Menschen kund zu thun, wie z. B. im 2. Buch Mose Kap. 10, V. 2, wonach Gott die Ägypter getäuscht und seine Zeichen gegeben habe, damit die Israeliten erkennen, daß er Gott sei, so folgt daraus noch nicht, daß die Wunder das wirklich lehren, sondern nur, daß die Juden solche Meinungen gehabt haben, daß sie durch jene Wunder leicht überzeugt werden konnten. Schon oben im 2. Kapitel habe ich klar gezeigt, daß die Gründe, welche die Propheten gebrauchen oder welche aus der Offenbarung gebildet werden, nicht aus allgemeinen, für alle Menschen geltenden Begriffen hergeholt werden, sondern aus Begriffen, welche trotz ihrer Unvernünftigkeit zugestanden werden mußten und aus den Meinungen derer, welchen die Offenbarung zuteil wurde oder welche der heilige Geist überzeugen wollte; es wurde dort mit vielen Beispielen belegt, besonders auch mit dem des Paulus, der unter Griechen ein Grieche und unter Juden ein Jude war.
Wenn nun aber auch jene Wunder die Ägypter und Juden auf Grund der ihnen zugestandenen Meinungen überzeugten, so konnten sie doch keine wahre Idee und Erkenntnis von Gott geben, sondern sie nur zu dem Eingeständnis bringen, daß es ein göttliches Wesen gebe, das mächtiger sei als alle ihnen bekannten Wesen, und das für die Hebräer, denen damals alles über Erwarten glücklich verlief, mehr als für alle andern Menschen Sorge trage; nicht aber daß Gott für alle Menschen in gleicher Weise sorge, was nur die Philosophie lehren kann. Die Juden und alle, welche die Vorsehung Gottes nur aus dem schwankenden Stand der menschlichen Angelegenheiten und dem ungleichen Schicksal der Menschen erkannt haben, bildeten sich daher ein, die Juden wären Gott lieber gewesen als andere Menschen, ob sie gleich die übrigen Menschen an wahrer menschlicher Vollkommenheit keineswegs übertrafen, was schon im 3. Kapitel gezeigt worden.
Ich komme nun zum dritten Satz und will aus der Bibel nachweisen, daß die Beschlüsse und Gebote Gottes, und demzufolge auch die Vorsehung, in Wirklichkeit nichts anderes sind als die Ordnung der Natur. Ich will nämlich zeigen, daß die Bibel, wenn sie sagt, das oder jenes sei von Gott oder vom Willen Gottes geschehen, in Wirklichkeit das nicht anders meint, als daß es den Gesetzen und der Ordnung der Natur gemäß geschehen sei, nicht aber, wie die Menge glaubt, daß die Natur so lange aufgehört habe zu wirken, oder daß ihre Ordnung eine zeitlang durchbrochen worden sei. Indessen lehrt die Bibel solches, was nicht ihre Lehre betrifft, nicht eben geradezu, da es nicht ihre Sache ist, die Dinge nach ihren natürlichen Ursachen zu erklären oder rein spekulative Lehren zu erteilen (wie ich in der Abhandlung über das göttliche Gesetz gezeigt habe). Daher muß ich das, was hier bewiesen werden soll, aus einigen biblischen Geschichten, welche zufällig weitläufiger und mit vielen Nebenumständen erzählt werden, durch Folgerung ableiten; es sollen deshalb einige solche Geschichten angeführt werden.
Im 1. Buche Samuelis Kap. 9, V. 15 und 16 wird erzählt, daß Gott dem Samuel offenbarte, daß er ihm den Saul schicken werde. Aber Gott schickte ihn keineswegs zu Samuel so, wie Menschen einen zum andern schicken, sondern diese Sendung Gottes ist nichts anders gewesen als die Ordnung der Natur selbst. Saul suchte nämlich die Eselinnen, welche er verloren hatte (wie im angeführten Kapitel angegeben wird) und als er schon zu überlegen anfing, ob er nicht ohne dieselben nach Hause zurückkehren solle, ließ er sich von seinem Diener raten, den Samuel zu hören, um von ihm zu erfahren, wo er sie finden könne. In der ganzen Erzählung steht nirgends, daß Saul einen andern Befehl Gottes, den Samuel zu hören, erhalten hätte, als diesen natürlichen. – In Psalm 105, V. 24 heißt es, Gott habe das Herz der Ägypter verändert, daß sie die Israeliten haßten. Auch diese Veränderung war eine sehr natürliche, wie aus 2. Buche Mose Kap. 1 erhellt, woselbst der nicht unerhebliche Grund angegeben wird, der sie bewog, die Israeliten zu Sklaven zu machen. – Im 1. Buch Mose Kap. 9, V. 13 sagt Gott zu Noah, er werde seinen Bogen in die Wolke legen; welche göttliche Handlung gleichfalls nichts anderes ist, als die Brechung und Zurückwerfung der Sonnenstrahlen in den Wassertropfen. – In Psalm 147, V. 18 wird das natürliche Wesen und die natürliche Wärme des Windes, durch welche der Reif und der Schnee schmelzen, Gottes Wort genannt; und im 15. Vers heißen Wind und Kälte der Spruch und das Wort Gottes. – Wind und Feuer heißen im Psalm 104, V. 4 Boten und Diener Gottes, und viel dergleichen findet sich noch in der Bibel, was aufs klarste beweist, daß unter Gottes Beschluß, Befehl, Spruch und Wort nichts anderes gemeint ist, als das Wirken und die Ordnung der Natur. Daher unterliegt es keinem Zweifel, daß alles, was in der Bibel erzählt wird, auf natürliche Weise geschehen ist und nur auf Gott zurückgeführt wird, weil, wie schon gezeigt, es nicht Sache der Bibel ist, die Dinge nach ihren natürlichen Ursachen zu erklären, sondern nur solche Dinge, welche auf die Einbildungskraft einen tiefen Eindruck machen, zu erzählen, und zwar in einer Methode und einem Stil, der am besten geeignet ist, Bewunderung zu erwecken und so den Herzen des Volkes Ergebung einzuflößen.
Wenn nun wiederum manches in der heiligen Schrift gefunden wird, wovon wir die Ursachen nicht angeben können, und das außerhalb, ja gegen die Naturordnung geschehen zu sein scheint, so muß uns dergleichen nicht aufstoßen; wir haben vielmehr bestimmt anzunehmen, daß das, was sich in Wirklichkeit zugetragen hat, auf natürlichem Wege geschehen ist. Dies wird auch dadurch bestätigt, daß bei den Wundern viele Nebenumstände vorkamen, obgleich solche nicht überall berichtet werden, besonders wenn sie im dichterischen Stil dargestellt sind; diese Nebenumstände der Wunder, sage ich, zeigen deutlich, daß diese natürliche Ursachen erfordern. So z. B. mußte Moses Asche in die Luft streuen, damit die Ägypter mit der Krätze behaftet würden (s. 2. Buch Mose Kap. 9, V. 10). Die Heuschrecken kamen ebenfalls durch einen natürlichen Befehl Gottes, nämlich durch einen Tag und Nacht unausgesetzt wehenden Ostwind, in die Gegend von Ägypten, und verließen es wieder durch einen heftigen Westwind (s. 2. Buch Mose Kap. 10, V. 14 und 19). Durch einen gleichen göttlichen Befehl öffnete das Meer den Juden einen Weg (s. 2. Buch Mose Kap. 14, V. 21), nämlich durch den Südostwind, der die ganze Nacht heftig wehte. Als ferner Elisa den Knaben, der für tot gehalten wurde, auferweckte, mußte er sich einigemal auf den Knaben legen, bis der Knabe allmählich warm wurde und dann die Augen öffnete (s. 2. Buch der Könige Kap. 4, V. 34 und 35). So werden auch im Evangelium Johannis Kap. 9 einige Umstände berichtet, welche Christus angewendet hat, um den Blinden zu heilen, und noch vieles dieser Art findet sich in der Bibel, woraus zur Genüge hervorgeht, daß die Wunder einen ganz andern Befehl Gottes erfordern, als einen göttlichen Machtspruch, wie man zu sagen pflegt. Man muß also annehmen, daß, wenn auch die Nebenumstände der Wunder und ihre natürlichen Ursachen nicht immer und nicht vollständig erwähnt werden, die Wunder dennoch nicht ohne solche geschehen sind. Das geht auch aus 2. Buch Mose Kap. 14, V. 27 hervor, wo nur erzählt wird, daß das Meer auf einen bloßen Wink des Moses wieder anschwoll, von einem Winde aber nichts erwähnt wird. Im Liede dagegen (Kap. 15, V. 10) heißt es, dies sei dadurch geschehen, daß Gott mit seinem Winde (d. h. mit einem sehr starken Winde) geblasen hat. In der Erzählung ist dieser Umstand ausgelassen und das Wunder erscheint dadurch größer.
Es könnte nun aber vielleicht jemand den Einwand erheben, daß wir in der Bibel doch wiederum sehr vieles finden, was auf keine Weise durch natürliche Ursachen erklärlich scheint, wie daß menschliche Sünden und menschliche Gebete die Ursachen von Überschwemmungen oder von der Fruchtbarkeit der Erde sein können, oder daß der Glaube die Blinden heilen kann und anderes dieser Art, worüber die Bibel berichtet. Allein hierauf glaube ich schon geantwortet zu haben, indem ich gezeigt habe, daß die Bibel die Dinge nicht auf ihre nächsten Ursachen zurückführt, sondern sie nur in einer Ordnung und mit Redewendungen berichtet, welche besonders geeignet sind, die Menschen und namentlich das gewöhnliche Volk zur Ergebenheit zu führen. Deshalb redet die Bibel über Gott und andere Dinge höchst uneigentlich, weil sie nämlich nicht die Vernunft überzeugen, sondern auf die menschliche Phantasie oder Einbildungskraft einwirken und sie einnehmen will. Wenn die Bibel die Zerstörung eines Reiches so erzählen würde, wie politische Geschichtschreiber es thun, so würde das auf das Volk keinen Eindruck machen; einen großen dagegen, wenn sie alles dichterisch schildert und auf Gott zurückführt, wie sie es zu machen pflegt. Wenn also die Bibel berichtet, die Erde sei wegen der menschlichen Sünden unfruchtbar gewesen oder Blinde seien durch den Glauben geheilt worden, so darf uns das nicht mehr überraschen, als wenn sie berichtet, daß Gott über die menschlichen Sünden zürne, sich betrübe, verheißene und erwiesene Wohlthaten bereue, oder daß Gott durch den Anblick eines Zeichens sich einer Verheißung erinnere und vieles andere, das entweder dichterisch ausgedrückt, oder nach den Ansichten und Vorurteilen des Schreibers dargestellt ist.
Wir können also ausnahmslos behaupten, daß alle wirklichen Ereignisse, von denen die Bibel berichtet, wie alles nach den Gesetzen der Natur sich zugetragen haben müssen; sollte sich in der Bibel aber etwas finden, worüber man den unumstößlichen Beweis führen kann, daß es mit den Naturgesetzen im Widerspruch steht, oder nicht aus ihnen abgeleitet werden kann, so muß man entschieden annehmen, daß es von entweihenden Händen der heiligen Schrift hinzugefügt worden sei. Denn was gegen die Natur ist, ist auch gegen die Vernunft, und was gegen die Vernunft ist, ist unsinnig und somit zu verwerfen.
Es ist nun noch einiges Wenige über die Erklärung der Wunder zu bemerken oder vielmehr zu wiederholen, (denn die Hauptsache ist schon gesagt), und mit dem einen und andern Beispiel zu belegen, was ich als vierten Punkt zu behandeln versprochen habe. Ich will dies deshalb thun, damit niemand durch falsche Erklärung eines Wunders voreilig annehme, er habe in der Bibel etwas gefunden, was der natürlichen Vernunft widerspricht.
Es kommt sehr selten vor, daß Menschen eine Begebenheit so einfach, wie sie sich zugetragen hat, erzählen, ohne daß sie dem Bericht etwas von ihrer persönlichen Auffassung beimischen. Sogar werden sie häufig, wenn sie etwas neues sehen oder hören, von ihren vorgefaßten Meinungen, wenn sie nicht sehr auf der Hut sind, in einem solchen Grade voreingenommen, daß das, was sie sehen oder erzählen hören, in ihrem Kopf eine ganz andere Gestalt annimmt; namentlich dann, wenn das betreffende Ereignis die Begriffe des Erzählers oder Zuhörers übersteigt und am meisten, wenn er ein Interesse daran hat, daß sich die Sache auf irgend eine Weise zugetragen hat. Daher kommt es, daß in Chroniken und Geschichtswerken mehr die Ansichten der Verfasser als die eigentlichen Begebenheiten zu Tage treten und daß ein und derselbe Fall, wenn zwei Menschen von verschiedenen Ansichten denselben erzählen, oft so verschieden berichtet wird, daß sie von zweierlei Begebenheiten zu reden scheinen; es ist daher auch häufig nicht sehr schwer, aus den Geschichten allein die Ansichten der Chronisten und Geschichtschreiber zu ermitteln. Zur Bestätigung dessen könnte ich viele Beispiele anführen, sowohl von Philosophen, welche über Naturgeschichte geschrieben haben, als auch von Chronisten. Ich halte das aber für überflüssig und beschränke mich auf die Anführung eines einzigen Falls aus der biblischen Geschichte; über die andern mag sich der Leser sein eigenes Urteil bilden.
Zu Josuas Zeiten glaubten die Hebräer, (wie schon oben erwähnt,) wie heute noch das gewöhnliche Volk, die Sonne bewege sich in ihrem Tageslauf, wie der Ausdruck lautet, die Erde aber stehe still. Dieser angenommenen Meinung paßten sie das Wunder an, das sich bei ihrem Kampf gegen jene fünf Könige zutrug. Sie erzählten daher nicht schlicht: jener Tag war außergewöhnlich lang, sondern: Sonne und Mond standen still oder hielten in ihrem Lauf inne. Damit konnten sie auch in den damaligen Zeiten die Heiden, welche die Sonne anbeteten, überzeugen und ihnen durch die Erfahrung beweisen, daß die Sonne unter der Macht eines andern höheren Wesens stehe, auf dessen Wink sie ihre natürliche Ordnung zu ändern gezwungen sei. Also teils aus religiösem Interesse, teils ihren vorgefaßten Meinungen zufolge haben sie die Sache ganz anders, als wie sie sich in Wirklichkeit zutrug, aufgefaßt und erzählt.
Um also die biblischen Wunder zu erklären und aus den Berichten darüber den wahren Sachverhalt herauszufinden, muß man die Meinungen der Personen kennen, die sie zuerst erzählt haben und derer, die sie uns schriftlich hinterlassen haben, und diese ihre Meinungen müssen von den sinnlichen Wahrnehmungen, die sie gehabt haben konnten, unterschieden werden; andernfalls würden wir ihre Meinungen und Urteile mit dem Wunder selbst, wie es sich wirklich zugetragen hat, vermengen. Doch nicht bloß hierzu ist es gut, ihre Meinungen zu kennen, sondern es bewahrt uns auch davor, Vorgänge, die überhaupt bloß in der Einbildung wahrgenommen wurden und lediglich prophetische Gesichte waren, mit wirklichen Begebenheiten zu verwechseln. Denn allerlei wird als wirkliche Thatsache in der Bibel erzählt und daher auch allgemein dafür gehalten, was eigentlich bloße Vorstellung und Einbildung war; so z. B. daß Gott (das höchste Wesen) vom Himmel herabgestiegen sei (s. 2. Buch Mose Kap. 19, V. 28, und 5. Buch Mose Kap. 5, V. 28) und der Berg Sinai darum geraucht habe, weil Gott, in Feuer gehüllt, auf ihn herabkam; oder daß Elias in einem feurigen Wagen und mit feurigen Pferden zum Himmel gefahren sei. Das alles waren im Grunde nichts als Bilder der Einbildungskraft, wie sie den Meinungen derer entsprachen, die sie uns als das überliefert haben, wofür sie dieselben hielten, nämlich als wirkliche Begebenheiten. Denn wer nur ein wenig heller denkt als das gewöhnliche Volk, der weiß, daß Gott keine rechte und linke Hand hat, sich weder bewegt noch ausruht, und auch nicht an einem bestimmten Ort, sondern durchaus unendlich ist und daß er alle Vollkommenheiten in sich vereinigt. Dieses, sage ich, wissen alle, welche nach den Begriffen des reinen Verstandes sich ihr Urteil bilden und nicht nach den Eindrücken, welche die Einbildungskraft von den äußern Sinnen empfängt, wie gewöhnlich das Volk, das sich deshalb Gott als körperlich vorstellt, wie einen königlichen Machthaber, dessen Thron auf der Himmelswölbung gedacht wird, über den Sternen, deren Entfernung von der Erde man für gering hält. Solchen und ähnlichen Meinungen entsprechen (wie gesagt) sehr viele in der Bibel erzählte Vorfälle und daher brauchen die Philosophen sie nicht für wirkliche Begebenheiten zu halten.
Schließlich ist auch, um zu ermitteln, wie der wahre Hergang bei den Wundern war, die Kenntnis der Redensarten und bildlichen Ausdrücke in der hebräischen Sprache vonnöten. Wer darauf nicht sein Augenmerk hat, wird der Bibel viele Wunder andichten, an welche die biblischen Erzähler selbst nie gedacht haben, und er wird daher nicht bloß die Begebenheiten und Wunder anders auffassen, als wie sie sich zugetragen haben, sondern auch die Meinung der Verfasser der heiligen Schrift gänzlich mißverstehen. Sacharia z. B. sagt im 14. Kap., 7. V., wo er von einem künftigen Krieg redet: »Es wird sein ein einziger Tag, Gott allein bekannt, (denn er wird) nicht Tag und nicht Nacht sein, aber zur Abendzeit wird Licht sein«. Mit diesen Worten scheint er ein großes Wunder anzukündigen, während er damit weiter nichts sagen will, als daß den ganzen Tag über die Schlacht schwankend und der Ausgang Gott allein bekannt sein wird, daß sie aber gegen Abend den Sieg gewinnen werden. Denn mit solchen Redensarten pflegten die Propheten die Siege und Niederlagen der Völker zu weissagen und zu beschreiben. – Ähnliches findet sich bei Jesaja, der im 13. Kapitel die Zerstörung Babylons folgendermaßen schildert: »Denn die Sterne des Himmels und seine Gestirne werden nicht mit ihrem Lichte leuchten, die Sonne wird bei ihrem Aufgang sich verfinstern und der Mond den Glanz seines Lichtes nicht ausstrahlen«. Dies hält doch wohl sicherlich niemand für ein wirkliches Ereignis, das sich bei der Zerstörung jenes Reiches zutrug; so wenig als das, was der Prophet kurz darauf hinzufügt: »Darum will ich den Himmel erzittern lassen und die Erde soll von ihrer Stelle gerückt werden«. Ebenso sagt Jesaja im letzten Vers des 48. Kapitels, wo er den Juden verkünden will, daß sie aus Babylon nach Jerusalem wohlbehalten zurückkehren und unterwegs keinen Durst leiden werden: »Und sie haben keinen Durst gelitten, er führte sie durch die Wüste und ließ ihnen Wasser aus den Felsen fließen; er schlug den Stein und es flossen die Wasser hervor.« Mit diesen Worten, sage ich, will er nichts anderes sagen, als daß die Juden in der Wüste Quellen finden werden, was oft vorkommt, mit welchen sie ihren Durst stillen werden. Denn als sie mit Bewilligung des Cyrus nach Jerusalem zogen, sind ihnen bekanntlich dergleichen Wunder nicht geschehen.
Dergleichen begegnet uns in der heiligen Schrift vieles, was bloß bei den Juden gebräuchliche Redensarten waren. Es ist unnötig, alles im einzelnen anzuführen; nur im allgemeinen sei bemerkt, daß die Hebräer gewohnt waren, mit solchen Redensarten nicht bloß ihre Reden auszuschmücken, sondern auch hauptsächlich, sich auf gottergebene Weise auszudrücken. Aus diesem Grunde findet sich auch in der heiligen Schrift, daß »Gott segnen« gesagt wird statt » fluchen« (s. 1. Buch der Könige Kap. 21, V. 10 und Job Kap. 2, V. 9), und aus dem gleichen Grunde bezogen sie alles auf Gott. Daher scheint die Bibel lauter Wunder zu berichten, wo sie von allernatürlichsten Dingen spricht, wovon ich schon oben etliche Beispiele angeführt habe. Wenn also die Bibel sagt, Gott habe das Herz Pharaos verhärtet, so will sie offenbar nichts anderes damit sagen, als daß Pharao verstockt gewesen, und wenn sie sagt, Gott habe die Fenster des Himmels geöffnet, so will sie bloß ausdrücken, daß es stark geregnet hat, und dergleichen mehr.
Wenn man daher dies fest im Auge behält und noch dazu bedenkt, daß vieles sehr kurz, ohne alle Nebenumstände, und beinahe verstümmelt erzählt wird, so wird man in der Bibel fast gar nichts finden, wovon sich beweisen ließe, daß es der natürlichen Vernunft widerspricht; im Gegenteil wird dadurch vieles scheinbar Dunkle bei einigem Nachdenken aufgehellt und leicht erklärt werden können.
Damit glaube ich das, was ich beweisen wollte, deutlich genug bewiesen zu haben. Bevor ich jedoch dieses Kapitel beschließe, will ich mich noch über etwas hierher Gehöriges erklären, nämlich darüber, daß ich hier bei den Wundern nach einer ganz andern Methode verfahren bin als bei der Prophetie. Von dieser habe ich nichts behauptet, als was ich aus den in der heiligen Schrift geoffenbarten Grundlehren ableiten konnte; hier dagegen habe ich das Hauptsächlichste lediglich aus den Grundsätzen gefolgert, die aus der natürlichen Vernunft geschöpft sind. Es geschah dies indessen aus reiflicher Überlegung: Die Prophetie übersteigt das menschliche Begriffsvermögen und ist eine rein theologische Frage; ich konnte daher über ihr eigentliches Wesen nichts behaupten und überhaupt nichts von ihr wissen, als was aus den geoffenbarten Grundlehren hervorgeht. Dort also war ich genötigt, eine Geschichte der Prophetie zusammenzustellen und daraus einzelne Lehrsätze zu bilden, die mich über das Wesen der Prophetie und ihre Eigenschaften so gut als möglich belehrten. Hier dagegen, bei den Wundern, handelt es sich um eine rein philosophische Frage (nämlich ob man zugeben kann, daß in der Natur etwas geschieht, was mit ihren Gesetzen im Widerspruch steht oder nicht aus ihnen abgeleitet werden kann). Da war ein solches Verfahren nicht nötig, im Gegenteil hielt ich es für geratener, diese Untersuchung aus den Grundsätzen zu entwickeln, die aus der natürlichen Vernunft geschöpft sind. Ich sage, ich hielt es für geratener; denn allerdings hätte ich sie auch aus den Lehrsätzen und Grundlehren der Bibel allein lösen können; was ich nun kurz zeigen will, damit es jedermann einleuchtend sei.
Von der Natur im allgemeinen versichert die Bibel an einzelnen Stellen, daß sie eine feste und unveränderliche Ordnung beobachte; so in Psalm 148, V. 6 und Jeremia Kap. 21, V. 35 und 36. Außerdem lehrt der Philosoph in seinem Prediger Kap. 1, V. 10 aufs deutlichste, daß nichts neues in der Natur geschehe, und in den Versen 11 und 12 sagt er, dieses erläuternd: wenn auch manchmal etwas geschehe, was neu zu sein scheint, so sei dies in Wirklichkeit nichts neues, sondern in früheren Jahrhunderten, die in Vergessenheit geraten sind, schon dagewesen. Denn, wie er selbst sagt, das Geschlecht der Gegenwart hat keine Erinnerung für die Geschlechter der Vergangenheit, und die künftigen Geschlechter werden für das Geschlecht der Gegenwart kein Gedächtnis haben. Ferner sagt er Kap. 3, V. 11, Gott habe alles zu seiner Zeit recht geordnet, und V. 14 sagt er, er wisse wohl, daß was Gott mache, in Ewigkeit bleiben wird, und ihm nichts hinzugefügt und nichts genommen werden könne.
Das alles lehrt aufs deutlichste, daß die Natur eine feste, unveränderliche Ordnung bewahrt, daß Gott in allen Jahrhunderten, bekannten und unbekannten, derselbe gewesen, und daß die Naturgesetze so vollkommen und furchtbar sind, daß ihnen weder hinzugefügt noch weggenommen werden kann, die Wunder aber nur der menschlichen Unwissenheit etwas neues zu sein scheinen. Dies wird also in der Bibel ausdrücklich gelehrt, aber nirgends, daß in der Natur etwas geschehe, was mit ihren Gesetzen im Widerspruch stünde oder nicht aus ihnen abzuleiten wäre; daher darf man solches der Bibel auch nicht andichten. Hierzu kommt noch, daß Wunder Ursachen und Nebenumstände erfordern (wie schon gezeigt) und nicht aus ich weiß nicht welcher königlichen Macht, die das Volk Gott beilegt, folgen, sondern aus der göttlichen Macht und dem göttlichen Beschluß, das heißt, (wie ebenfalls aus der Bibel nachgewiesen wurde,) aus den Gesetzen der Natur und ihrer Ordnung; endlich, daß Wunder auch von Betrügern verrichtet werden können, wovon man sich durch 5. Buch Mose Kap. 13, und Matthäus Kap. 24, V. 24 überzeugen kann. Es erhellt ferner aus dem Vorstehenden aufs klarste, daß die Wunder natürliche Ereignisse waren und daher so zu erklären sind, daß sie weder als etwas neues (um mit Salomo zu reden) noch der Natur Widersprechendes erscheinen, sondern womöglich als gewöhnliche Naturereignisse, wie solche sehr häufig vorkommen, und damit sich jedermann die Wunder auf solche Weise erklären kann, habe ich einige der heiligen Schrift entlehnte Regeln angegeben.
Wenn ich nun aber auch sage, daß die Bibel dieses lehrt, so meine ich das nicht so, als ob diese Lehre zu den Lehren gehörte, die zur Glückseligkeit notwendig sind, sondern nur daß die Propheten die Wunder ebenso wie ich aufgefaßt haben. Es steht daher jedem frei, davon zu halten, was ihm zur Förderung der Gottesverehrung und der innigen Hingebung an die Religion als das bessere erscheint. So denkt auch Josephus, der am Schluß des 2. Buches seiner Altertümer schreibt: »Niemand aber stoße sich an das Wort Wunder, wenn ältere, harmlose Leute glauben, der Weg der Rettung sei durch das Meer gegangen, ob durch den göttlichen Willen oder von selbst. Auch den Gefährten des Alexander, Königs von Macedonien, hat sich einst das Pamphylische Meer zerteilt. Weil nämlich ein andrer Weg nicht vorhanden war, gewährte es ihnen den Durchgang nach dem Willen Gottes, damit die Macht der Perser gestürzt würde. Dies bestätigen alle, welche die Thaten Alexanders des Großen beschrieben haben. Es mag also jeder davon denken, was ihm gut dünkt.« Das sind die Worte des Josephus und dessen Ansicht über den Wunderglauben.