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Vierzehntes Kapitel.

Was der Glaube sei und welche Menschen Gläubige seien. Ferner werden die Grundlagen des Glaubens näher bestimmt. Sodann wird der Glaube von der Philosophie getrennt.


Bei einiger Aufmerksamkeit kann niemand verkennen, daß, wenn man erfahren will, was der wahre Glaube sei, man vor allem wissen muß, daß die Bibel nicht bloß der Fassungskraft der Propheten angepaßt ist, sondern auch der Fassungskraft des vielköpfigen und wankelmütigen Volks der Juden. Denn wer alles, was in der Bibel enthalten ist, samt und sonders als allgemein und unbedingt giltige Lehre von Gott hinnimmt und nicht genau beachtet, was der Fassungskraft des Volks angepaßt ist, der muß notwendig die Meinungen des Volks mit der göttlichen Lehre vermengen, menschliche Einfälle und menschliches Belieben als göttliche Vorschriften ausgeben und das Ansehen der Bibel mißbrauchen. Wer, sage ich, wüßte nicht, daß hauptsächlich deswegen die verschiedenen Sekten so vielerlei und so entgegengesetzte Meinungen als Glaubenslehren aufstellen und auf zahlreiche biblische Belege sich stützen, weshalb es längst bei den Niederländern zum Sprichwort geworden ist: » Geen ketter sonder letter« Kein Ketzer ohne Buchstabe.. Denn die heiligen Bücher sind nicht bloß von einem einzigen Menschen, noch für das Volk eines einzigen Zeitalters geschrieben worden, sondern von vielen Männern von verschiedenem Geiste und aus verschiedenen Zeitaltern, und wollte man die Zeit aller biblischen Schriftsteller berechnen, so kämen vielleicht zweitausend Jahre oder gar noch mehr heraus. Indessen will ich darum jenen Sektirern keinen Vorwurf wegen Gottlosigkeit machen, weil sie die Worte der Bibel ihren Meinungen anpassen. Denn so wie einst die Bibel selbst der Fassungskraft des Volkes sich angepaßt hat, so mag sie auch jeder seiner eigenen Fassungskraft anpassen, wenn er findet, daß dadurch sein Herz mit größerer Bereitwilligkeit Gott gehorsam sein werde in Bezug auf Gerechtigkeit und Liebe. Darüber aber mache ich ihnen einen Vorwurf, daß sie diese Freiheit nicht auch andern gestatten wollen, sondern alle, die mit ihnen nicht übereinstimmen, als Feinde Gottes verfolgen, mögen dieselben auch noch so ehrbar und tugendhaft sein, während sie diejenigen, die mit ihnen gleicher Ansicht sind, und wären sie noch so große Schwächlinge an sittlicher Gesinnung, als Erwählte Gottes lieben. Wahrlich, Schlechteres und Staatsgefährlicheres kann nicht ersonnen werden!

Um nun aber zu ermitteln, wie weit die Denkfreiheit in Bezug auf den Glauben für jedermann sich erstreckt und welche Menschen wir auch bei abweichender Meinung als Gläubige ansehen müssen, ist es nötig, den Glauben und seine Grundlagen genau zu bestimmen. Dies habe ich mir mit dem vorliegenden Kapitel zur Aufgabe gemacht, in welchem zugleich der Glaube von der Philosophie getrennt werden soll, was der Hauptzweck des ganzen Werks ist.

Um dabei ordnungsgemäß zu verfahren, werde ich den Hauptzweck der ganzen Bibel wiederholen, da derselbe bei dieser Untersuchung über den Glauben als Leitfaden dienen muß.

Im vorigen Kapitel habe ich gesagt, der Zweck der Bibel sei bloß, den Gehorsam zu lehren. Es wird dies wohl niemand in Abrede stellen können. Denn wer sähe nicht, daß beide Testamente weiter nichts sind als eine Anleitung zum Gehorsam? daß beide nichts anderes wollen, als daß die Menschen mit ganzem Herzen gehorsam sein sollen? Denn – abgesehen von den Ausführungen des vorigen Kapitels – Moses wollte die Israeliten nicht durch Gründe überzeugen, sondern durch einen Vertrag, durch Eide und Wohlthaten verpflichten, auch hielt er das Volk zur Unterwürfigkeit gegen die Gesetze an durch angedrohte Strafen im Falle seines Ungehorsams und durch verheißene Belohnungen im Falle seines Gehorsams; lauter Mittel, welche den Gehorsam, nicht aber die Wissenschaft befördern. Die evangelische Lehre aber enthält nichts als den einfachen Glauben, nämlich daß man Gott glauben und ihn verehren, oder was dasselbe ist, gehorchen soll. Ich habe es also nicht nötig, diese offenkundige Sache durch Anführung der in beiden Testamenten zahlreichen Bibelstellen, welche den Gehorsam empfehlen, zu beweisen. Die Bibel lehrt ferner an vielen Stellen aufs deutlichste, was jedermann thun und lassen müsse, wenn er Gott gehorchen will; das ganze Gesetz besteht nach ihr einzig und allein in der Liebe gegen den Nächsten. Darum kann niemand bestreiten, daß jeder, der nach dem Gebote Gottes den Nächsten wie sich selbst liebt, in Wahrheit gehorsam und nach dem Gesetze selig, wer aber den Nächsten haßt oder vernachlässigt, aufrührerisch und widerspenstig ist. Endlich ist es allgemein anerkannt, daß die Bibel nicht bloß für Gelehrte, sondern für alle Menschen jeden Alters und Geschlechts geschrieben und verbreitet worden ist; schon daraus geht hervor, daß wir nach dem biblischen Gebot nichts anderes zu glauben verpflichtet seien, als was zur Befolgung dieses Gebots unbedingt notwendig ist. Darum ist eben dieses Gebot die einzige Richtschnur des ganzen allgemeinen Glaubens und alle Glaubenssätze, welche jedermann zu bekennen verpflichtet ist, können nur nach diesem Gebot bestimmt werden.

Da das alles sonnenklar ist und aus dieser Grundlage oder diesem Gesichtspunkt allein alles richtig abgeleitet werden kann, so möge jeder urteilen, wie es möglich war, daß in der Kirche so viele Spaltungen entstanden sind und ob sie von andern Ursachen herrühren, als denjenigen, welche zu Anfang des 7. Kapitels angegeben sind. Diese selbst aber nötigen mich, hier die Art und Weise auseinander zu setzen, wie aus der gefundenen Grundlage des Glaubens die Glaubenssätze zu bestimmen seien. Denn wenn ich dies nicht thäte, und den Gegenstand nicht nach bestimmten Regeln behandeln würde, so könnte man mit Recht glauben, ich hätte die Sache bis hierher noch wenig vorwärts gebracht, weil jeder alles, was er wollte, unter demselben Vorgeben, – daß es nämlich ein notwendiges Mittel zum Gehorsam sei – einführen könnte; besonders wenn es sich um die Frage nach den göttlichen Eigenschaften dreht.

Um also den Gegenstand ordnungsgemäß zu erörtern, will ich mit einer Definition des Glaubens beginnen, wie sie sich aus dieser Grundlage ergiebt. Der Glaube kann hiernach nicht anders definiert werden als so: Glauben heißt, von Gott dasjenige denken, mit dessen Unkenntnis der Gehorsam gegen Gott wegfällt, und das notwendig gegeben sein muß, wo dieser Gehorsam gegeben ist. Diese Definition ist so klar und folgt so notwendig aus dem eben Bewiesenen, daß sie keiner weiteren Auslegung bedarf. Was aber daraus folgt, will ich kurz angeben.

Es folgt daraus 1) daß der Glaube nicht an und für sich, sondern nur in Bezug auf den Gehorsam seligmachend ist, oder wie Jakobus Kap. 2, V. 17 sagt, daß der Glaube an sich ohne Werke tot sei; worüber das ganze angeführte Kapitel zu vergleichen ist.

Es folgt 2) daß wer wahrhaft gehorsam ist, notwendig auch den wahren und seligmachenden Glauben hat, da ich gezeigt habe, daß mit dem Gehorsam auch der Glaube gegeben ist. Auch das wird von demselben Apostel ausdrücklich gesagt; im Kap. 2, V. 18 spricht er: »Zeige du mir deinen Glauben ohne Werke und ich werde dir aus meinen Werken meinen Glauben zeigen«. Auch Johannes schreibt in seinem ersten Briefe Kap. 4, V. 7 u. 8: »Wer da liebt (nämlich seinen Nächsten), der ist aus Gott geboren und kennet Gott; wer nicht liebt, kennt Gott nicht. Denn Gott ist die Liebe.«

Hieraus folgt wiederum, daß wir niemand für gläubig oder ungläubig halten können als nach seinen Werken. Nämlich: sind seine Werke gut, so ist er gläubig, wenn er auch in den Glaubenssätzen von andern Gläubigen abweicht, und sind seine Werke schlecht, so ist er ungläubig, auch wenn er in seinen Worten mit andern Gläubigen übereinstimmt. Denn wenn der Gehorsam gegeben ist, so ist notwendig auch der Glaube gegeben, und der Glaube ohne Werke ist tot. Ausdrücklich lehrt dies ebenfalls derselbe Johannes im 13. Vers des angeführten Kapitels. »Daraus,« sagt er, »wissen wir, daß wir in ihm sind und er in uns ist, daß er uns von seinem Geiste gegeben hat.« Damit meint er die Liebe, denn vorher hatte er gesagt, Gott sei die Liebe, und daraus (nämlich nach den daselbst von ihm aufgestellten Grundsätzen) schließt er, daß derjenige in Wahrheit den Geist Gottes habe, der die Liebe hat. Ja weil niemand Gott gesehen hat, so schließt er daraus, daß man Gott nicht anders fühlen und wahrnehmen könne als durch die Liebe zum Nächsten, und daß man auch keine andere Eigenschaft Gottes zu erkennen vermöge als diese Liebe, soweit man daran teilnimmt. Sind diese Gründe auch nicht gerade beweiskräftig, so lassen sie doch die Ansicht des Johannes deutlich erkennen. Noch viel deutlicher aber erhellt sie aus dem 2. Kapitel V. 3 und 4 in demselben Briefe, wo er mit ausdrücklichen Worten dasselbe lehrt, was ich behaupte. Er sagt: »Und daraus wissen wir, daß wir ihn kennen, wenn wir seine Vorschriften beobachten. Wer da sagt, ich kenne ihn und beobachtet seine Vorschriften nicht, der ist ein Lügner und die Wahrheit ist nicht in ihm.« Und hieraus folgt wieder, daß diejenigen Antichristen in vollstem Sinne des Wortes sind, welche ehrbare und rechtschaffene Menschen verfolgen, weil sie anderer Meinung sind als sie selbst und nicht dieselben Glaubenssätze wie sie verfechten. Denn wir wissen, daß diejenigen, welche die Gerechtigkeit lieben und von Liebe erfüllt sind, dadurch allein schon Gläubige sind. Derjenige aber ist ein Antichrist, der die Gläubigen verfolgt.

Weiter aber ergiebt sich aus dem Obigen, daß der Glaube nicht sowohl wahre, als vielmehr fromme Glaubenssätze erfordert, solche nämlich, welche die Seele zum Gehorsam antreiben. Es dürfen auch unter diesen Glaubenssätzen viele sein, welche nicht einen Schatten von Wahrheit haben; nur darf derjenige, der sie bekennt, nicht wissen, daß sie falsch sind, andernfalls wäre er notwendig ein widerspenstiger Mensch. Denn es ist unmöglich, daß jemand, der die Gerechtigkeit liebt und Gott zu gehorchen sich befleißigt, etwas als göttlich verehrt, wovon er weiß, daß es der göttlichen Natur fremd ist. Allein in der Einfalt ihres Herzens können die Menschen irren, und die Bibel verdammt, wie wir schon gezeigt haben, nicht die Unwissenheit, sondern bloß den Ungehorsam. Es folgt dies sogar schon mit Notwendigkeit aus der Definition des Glaubens allein, dessen ganzer Inhalt aus seiner allgemeinen oben dargelegten Grundlage und dem einzigen Endzweck der ganzen Bibel abgeleitet werden muß, wenn wir nicht unsere willkürlichen Meinungen einmischen wollen. Hiernach erfordert derselbe nicht ausdrücklich wahre Glaubenssätze, sondern solche, welche zum Gehorsam nötig sind, die nämlich die Seele in der Liebe gegen den Nächsten bestärken, und das allein ist es, wodurch jeder in Gott und Gott in jedem ist (um mit Johannes zu reden).

Da also hiernach der Glaube eines jeden nur nach dem Gesichtspunkt des Gehorsams oder Ungehorsams, nicht aber nach seiner Wahrheit oder Falschheit für fromm oder gottlos zu halten ist, und da jedermann weiß, wie überaus verschieden die Geister der Menschen sind, und daß nicht alle Menschen in allen Fragen durch die gleichen Ansichten sich befriedigt fühlen, vielmehr dieselben Ansichten auf verschiedene Menschen verschieden wirken, indem eine Ansicht, welche diesen andächtig stimmt, jenen zum Lachen reizt, so folgt daraus, daß zum allgemeinen, für alle Welt giltigen Glauben keine Glaubenssätze gehören, über welche es unter ehrbaren Menschen eine Meinungsverschiedenheit geben kann. Denn solche Glaubenssätze könnten für den einen fromm, für den andern gottlos sein, da die Glaubenssätze nach den Werken allein zu beurteilen sind. Zum allgemeinen Glauben gehören darum nur solche Glaubenssätze, welche den Gehorsam gegen Gott unbedingt in sich schließen und ohne deren Kenntnis der Gehorsam ganz Hub gar unmöglich ist. In allen übrigen Glaubenspunkten aber soll jeder so denken, wie es ihm zur Bestärkung in der Liebe zur Gerechtigkeit am förderlichsten erscheint, denn jeder kennt sich selbst am besten.

Bei dieser Auffassung, denke ich, bleibt kein Raum für kirchliche Streitigkeiten. Ich werde mich auch nicht scheuen, die Glaubenssätze des allgemeinen Glaubens, oder die Hauptsätze, welche den Endzweck der ganzen Bibel in sich fassen, aufzuzählen, welche (wie sich aus den Ausführungen dieses und des vorigen Kapitels ergiebt) insgesamt nur auf den Gehorsam gegen Gott hinauslaufen. Diese Glaubenssätze lauten: Es giebt ein höchstes Wesen, welches Gerechtigkeit und Liebe liebt. Alle Menschen müssen diesem höchsten Wesen gehorchen, um selig zu werden, und es durch die Ausübung der Gerechtigkeit und Nächstenliebe verehren.

Alle andern Glaubenssätze können hiernach leicht bestimmt werden, und zwar ergeben sich folgende Glaubenssätze:

  1. Es giebt einen Gott, oder ein höchstes Wesen, welches höchst gerecht und barmherzig, oder das Muster eines rechten Lebens ist. Denn wer nicht weiß oder nicht glaubt, daß es ein solches Wesen giebt, der kann ihm auch nicht gehorchen und es nicht als Richter anerkennen. LANG="de-AT">

  2. Dieser Gott ist einzig. Daß auch dieser Glaubenssatz zur höchsten Ergebenheit, Bewunderung und Liebe Gottes unbedingt erforderlich ist, kann niemand bezweifeln. Denn die Ergebenheit, Bewunderung und Liebe haben nur darin ihren Ursprung, daß ein Wesen alle übrigen übertrifft.

  3. Gott ist allgegenwärtig oder alles ist ihm offenbar. Würde man glauben, daß ihm etwas verborgen bliebe, oder würde man nicht wissen, daß er alles sieht, so könnte man auch daran zweifeln, daß seine Gerechtigkeit, mit welcher er alles leitet, eine allgemeine ist, oder diese Gerechtigkeit selbst verneinen.

  4. Gott hat das höchste Recht und die höchste Herrschaft über alles und thut nichts aus irgend welchem Zwang, sondern alles nur nach seinem unbeschränkten Ermessen und seiner besonderen Gnade. Ihm müssen alle unbedingt gehorchen, er aber muß niemand gehorchen.

  5. Die Verehrung Gottes und der Gehorsam gegen ihn besteht einzig und allein in Gerechtigkeit und Liebe, oder in der Nächstenliebe.

  6. Nur diejenigen, welche durch eine solche Lebensweise Gott gehorchen, sind selig; die andern aber, die unter der Herrschaft der Lüste leben, sind verloren. Würden die Menschen dieses nicht fest glauben, so hätten sie keinen Grund, Gott mehr als den Lüsten zu gehorchen.

  7. endlich: Gott verzeiht den reuigen Sündern. Denn da niemand ohne Sünde ist, so müßte jener an seiner Seligkeit verzweifeln, ohne diesen Glauben. Auch wäre alsdann kein Grund vorhanden, an Gottes Barmherzigkeit zu glauben. Wer aber dieses fest glaubt, nämlich daß Gott nach seiner Barmherzigkeit LANG="de-AT"> und Gnade, mit welcher er alles leitet, die menschlichen Sünden verzeiht, und dadurch um so mehr zur Liebe gegen Gott entflammt wird, der hat Christus in Wahrheit nach dem Geiste erkannt und Christus ist in ihm.

Diese Lehren alle sind, wie jeder einsehen muß, vor allem zu wissen nötig, damit die Menschen alle ohne Ausnahme nach der oben dargelegten Vorschrift des Gesetzes Gott gehorchen können. Würde man einen dieser Sätze hinwegnehmen, so würde man auch den Gehorsam aufheben.

Was übrigens Gott oder jenes Muster eines wahren Lebens sei, ob ein Feuer, ein Geist, ein Licht, ein Gedanke u. s. f., gehört nicht zu diesem Glauben, so wenig als das, weswegen er das Muster eines wahren Lebens sei, ob deshalb, weil er eine gerechte und barmherzige Sinnesart hat, oder weil alle Dinge durch ihn sind und wirken und folglich auch wir durch ihn denken und durch ihn einsehen, was wahrhaft recht und gut sei. Es ist einerlei, was jeder hierüber denkt. Ferner berührt es diesen Glauben nicht, ob jemand glaubt, daß Gott vermöge seines Wesens oder vermöge seiner Macht überall sei; daß er den Lauf der Welt frei, oder nach Naturnotwendigkeit leitet; daß er die Gesetze als Fürst vorschreibt oder als ewige Wahrheiten lehrt; daß der Mensch aus freiem Willen oder aus Notwendigkeit nach Gottes Ratschluß Gott gehorcht; endlich daß die Belohnung des Guten und Bestrafung des Bösen eine natürliche oder übernatürliche sei. Bei diesen und ähnlichen Punkten, sage ich, macht es nichts aus, ob der eine so oder anders denkt, wofern er nur keine Schlußfolgerungen daraus zieht, durch welche er sich eine größere Freiheit zu sündigen herausnimmt oder durch welche sein Gehorsam gegen Gott vermindert wird. Ja es ist sogar jeder verbunden, wie ich bereits oben gesagt, diese Glaubenssätze seiner Fassungskraft anzupassen und sich dieselben so auszulegen, wie er sie am ehesten ohne jedwedes Bedenken, vielmehr mit voller Überzeugung anerkennen kann, um demgemäß Gott mit ganzem Herzen gehorchen zu können. Denn, woran gleichfalls schon erinnert wurde, so wie ehemals der Glaube der Fassungskraft und den Meinungen der Propheten und des Volks jener Zeit geoffenbart und niedergeschrieben worden ist, so hat auch jetzt noch jedermann die Pflicht, ihn seinen Meinungen anzupassen, um ihn so ohne jedweden Widerspruch seines Innern und ohne Schwanken anzuerkennen. Denn es ist gezeigt worden, daß der Glaube nicht sowohl Wahrheit als vielmehr Frömmigkeit erfordert, und nur nach seinem Verhältnis zum Gehorsam fromm und seligmachend sei; daß daher jedermann nur in Bezug auf den Gehorsam gläubig heißen könne. Den besten Glauben bekunden darum notwendig nicht diejenigen, welche die besten Vernunftgründe anführen, sondern diejenigen, welche die besten Werke der Gerechtigkeit und Liebe aufweisen.

Wie heilsam, wie notwendig diese Lehre im Staate ist, damit die Menschen in Frieden und Eintracht leben, und wie viele und große Ursachen zu Unruhen und Verbrechen sie zum voraus abschneidet, das zu beurteilen bleibe jedem Leser selbst überlassen.

Bevor ich jedoch weiter gehe, muß ich noch bemerken, daß ich nach dem, was soeben gezeigt wurde, auf die Einwürfe leicht antworten kann, welche ich im 1. Kapitel erwähnte, als der Umstand erörtert wurde, daß Gott mit den Israeliten vom Berge Sinai herab gesprochen. Denn wiewohl jene Stimme den Israeliten, welche sie gehört haben, keine philosophische oder mathematische Gewißheit über das Dasein Gottes zu geben vermochte, so genügte sie doch, um sie zur Bewunderung Gottes, wie sie ihn bis dahin erkannt hatten, hinzureißen und sie zum Gehorsam anzuspornen; und das war eben der Zweck jenes Schauspiels. Denn Gott wollte den Israeliten nicht die sämtlichen Eigenschaften seines Wesens lehren, (damals hat er überhaupt keine von seinen Eigenschaften geoffenbart,) sondern ihre Halsstarrigkeit brechen und sie zum Gehorsam lenken. Darum hat er nicht mit Gründen, sondern mit dem Schmettern der Trompeten und mit Donner und Blitz auf sie eingewirkt. (S. 2. Buch Mose Kap. 20, V. 20.)

Ich habe nun noch zu zeigen, daß zwischen dem Glauben oder der Theologie und der Philosophie keine Gemeinschaft oder Verwandtschaft obwaltet. Dies wird übrigens jeder wissen, der das Ziel und die Grundlage dieser beiden Wissenschaften kennt, die ja himmelweit von einander verschieden sind. Das Ziel der Philosophie ist einzig und allein die Wahrheit, das Ziel des Glaubens einzig und allein Gehorsam und Frömmigkeit, wie ich nun zur Genüge gezeigt habe. Die Philosophie hat ferner allgemeine Begriffe zur Grundlage, und sie kann nur aus der Natur geschöpft werden; der Glaube hingegen hat geschichtliche Überlieferung und die Sprache zur Grundlage und kann nur aus der Bibel und der Offenbarung geschöpft werden, wie im 7. Kapitel gezeigt wurde. Der Glaube gestattet daher jedem volle Freiheit zu philosophieren. Er rechnet niemand zum Verbrechen an, was er über das oder jenes denkt, und er verdammt nur diejenigen als Ketzer und Abtrünnige, welche Ansichten lehren, die zu Widersetzlichkeit, Haß, Streit und Aufregung verleiten; und nur diejenigen sind ihm Gläubige, deren Gesinnungen nach den Kräften ihres Geistes und ihren Fähigkeiten zur Gerechtigkeit und Liebe führen.

Schließlich möchte ich, da das hier Ausgeführte den Hauptgedanken dieses Traktats betrifft, ehe ich weiter gehe, den Leser dringend bitten, diese beiden Kapitel eines aufmerksamen Lesens und einer reiflichen Erwägung zu würdigen, und überzeugt zu sein, daß ich damit nicht beabsichtigt habe, Neuerungen einzuführen, sondern das Entstellte wieder herzustellen, und ich hoffe, es endlich einmal in ursprünglicher Tadellosigkeit zu erblicken.


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