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Theologisch-politischer Traktat.
Enthaltend
eine Reihe von Abhandlungen,
in welchen gezeigt wird, daß das freie Philosophieren nicht allein gestattet werden kann, ohne Gefahr für Religion und Bürgerfrieden, sondern daß dessen Verbot notwendig den Bürgerfrieden und die Religion gefährdet.
Daran erkennen wir, daß wir in Gott bleiben und Er in uns, daß Er uns von Seinem Geist gegeben hat.
1. Episte. Johannis, Kap. 4, V. 13.
Wenn die Menschen alle ihre Angelegenheiten mit zuverlässiger Berechnung regeln könnten, oder wenn ihnen das Glück immer günstig wäre, so würden sie in keinerlei Aberglauben befangen sein. Weil sie aber oft in schwere Verlegenheiten kommen, in welchen sie sich nicht zu helfen wissen, und gewöhnlich in ihrem maßlosen Verlangen nach ungewissen Glücksgütern zwischen Hoffnung und Furcht kläglich hin und her taumeln, so ist ihr Geist meistens geneigt, alles zu glauben. Denn sobald derselbe im Zweifel befangen ist, läßt er sich von einem leichten Anstoß dahin oder dorthin treiben, und das um so leichter, je mehr er zwischen Hoffnung und Furcht schwankt, während er sonst nur allzu zuversichtlich, prahlerisch und aufgeblasen ist.
Dies kann meines Erachtens niemand verkennen, wiewohl ich glaube, daß die meisten sich selbst nicht kennen. Wer hätte unter den Menschen gelebt und nicht die Wahrnehmung gemacht, daß die meisten, so lange sie sich glücklich fühlen, wären sie auch noch so beschränkt, dennoch so sehr von Weisheit zu strotzen glauben, daß sie sich beleidigt fühlen, wenn man ihnen einen guten Rat geben wollte; wogegen sie im Unglück nicht wissen wohin, jeden Beliebigen um Rat anflehen und denselben befolgen, sei er auch noch so verkehrt, albern und abenteuerlich. Auch lassen sie sich alsdann von den bedeutungslosesten Umständen bewegen, Besseres zu hoffen oder Schlimmeres zu fürchten. Wenn ihnen nämlich, so lange sie in Furcht schweben, etwas zustößt, das die Erinnerung an ein glückliches oder unglückliches Ereignis wachruft, so meinen sie, es kündige ihnen das einen glücklichen oder unglücklichen Ausgang an und nennen es darum eine günstige oder ungünstige Vorbedeutung, möge es auch schon hundertmal getäuscht haben. Stößt ihnen vollends etwas Seltsames, scheinbar Wunderbares zu, so halten sie es für ein Wunderzeichen, das den Zorn der Götter oder des höchsten Wesens an kündigt und meinen – abergläubisch und irreligiös wie sie in der Regel sind – sie müßten die Gottheit durch Opfer und Gelübde versöhnen. Eine Menge solcher Dinge ersinnen sie, indem sie die Natur auf die sonderbarste Weise erklären, als ob sie mit ihnen selbst verrückt geworden sei.
Da nun die Sachen also stehen, so finden wir, daß vorzugsweise solche Menschen, welche nach unsicheren Glücksgütern recht heftiges Verlangen haben, jeder Art von Aberglauben zugethan sind und daß ferner so ziemlich alle Menschen, namentlich wenn sie in Gefahr schweben und sich nicht zu helfen wissen, mit Gebeten und weibischen Thränen die göttliche Hilfe erflehen. Die Vernunft, (die natürlich einen sichern Weg zu den begehrten eitlen Dingen nicht zu zeigen vermag,) nennen sie blind, die menschliche Weisheit eitel; die Ausgeburten ihrer Einbildungskraft dagegen, Träume und kindische Albernheiten, halten sie für göttliche Orakel und meinen sogar, Gott sei den Weisen abhold und habe seine Beschlüsse nicht in den Geist des Menschen, sondern in die Eingeweide der Tiere geschrieben und Narren, Irrsinnige, sogar Vögel verkündeten sie zufolge göttlicher Eingebung. So närrisch macht die Menschen die Furcht; sie ist es, die den Aberglauben erzeugt, nährt und begünstigt.
Wenn Jemand zu dem bereits Gesagten einzelne Beispiele zu haben wünscht, so denke er an Alexander den Großen, welcher damals erst vom Aberglauben ergriffen wurde und Wahrsager zu brauchen anfing, als er in den Engpässen von Cilicien zuerst das Schicksal fürchten lernte (s. Curtius, Buch V. Kapitel 4); nach der Besiegung des Darius aber hörte er auf, Zeichendeuter und Wahrsager zu befragen, bis er, durch der Zeiten Ungunst wiederum erschreckt, – als die Baktrier abgefallen waren und die Scythen zur Schlacht herausforderten, während er an einer Wunde erschöpft darniederlag, – »abermals (wie Curtius selbst Buch VII, Kap. 7 sagt) in den Aberglauben, das Spiel des ausgearteten Menschengeistes, rückfällig wurde und dem Aristander, welchem er seine Leichtgläubigkeit anvertraute, befahl, den Ausgang der Dinge durch Opfer zu erforschen.«
Solche Beispiele könnten noch vielfach angeführt werden, welche aufs deutlichste das Gesagte darthun, daß nämlich die Menschen nur so lange die Furcht währt sich vom Aberglauben ergreifen lassen; daß alles, was sie je in solch falscher Religiosität für verehrungswürdig hielten, nichts, anderes war als Einbildung und Wahnwitz, entsprungen aus einem trüben und furchtsamen Herzen; daß endlich die Wahrsager desto mehr das Volk beherrscht und den Fürsten Furcht eingeflößt haben, je bedrängter die Lage eines Staates war. Indessen gehe ich nicht weiter darauf ein, da ich es als bekannt voraussetze.
Aus der erörterten Ursache des Aberglaubens geht nun klar hervor, daß alle Menschen von Natur aus für den Aberglauben empfänglich sind, (wenn auch andere glauben, dies komme daher, weil alle Sterblichen nur eine unklare Vorstellung von Gott hätten). Es folgt daraus weiter, daß der Aberglaube sehr verschieden und auch sehr veränderlich sein muß, wie alle Hirngespinnste und Gebilde der Aufregung. Es folgt endlich, daß nur Hoffnung, Haß, Zorn oder Verschmitztheit den Aberglauben verteidigen können; natürlich, da er nicht aus der Vernunft, sondern bloß aus einem Affekt, und zwar einem sehr heftigen, entspringt. So leicht es daher ist, den Menschen jede Art von Aberglauben einzuflößen, so schwer ist es dagegen, es dahin zu bringen, daß sie in einem und demselben Aberglauben verharren. Ja, weil die große Menge immer gleich elend bleibt, bleibt sie nie lange demselben Aberglauben ergeben; vielmehr wird sie immer wieder von einem neuen Aberglauben angezogen, von welchem sie noch niemals getäuscht worden ist. Diese Unbeständigkeit war von je die Ursache vieler Unruhen und furchtbaren Kriege. Denn da (wie aus dem bereits Gesagten erhellt und auch Curtius Buch VI, Kap. 10 sehr gut bemerkt) »nichts die große Menge stärker beherrscht als der Aberglaube«, so läßt sich dieselbe leicht verleiten, aus religiösen Gründen bald ihre Fürsten wie Götter zu, verehren, bald sie zu verwünschen und als allgemeine Pest des Menschengeschlechts zu verabscheuen.
Solchem Übel vorzubeugen, hat man sich unsägliche Mühe gegeben, eine bestimmte Religion, ob wahre, ob falsche, durch Bräuche und gottesdienstliche Einrichtungen so auszuschmücken, daß sie für das Allerwichtigste gehalten und mit der höchsten Ehrerbietung von jedermann gehegt würde; was indes niemand besser gelungen ist als den Türken, die sogar jeden religiösen Meinungsstreit für Sünde halten und die Urteilskraft mit so viel Vorurteilen einnehmen, daß im Geiste nicht der kleinste Raum für die gesunde Vernunft oder auch nur für den Zweifel bleibt.
Wenn es nun auch wahr sein sollte, daß es einer monarchischen Regierung als bewährtes Geheimmittel der Regierungskunst gilt und ihr darum sehr daran gelegen ist, die Menschen im Irrtum zu lassen und die Furcht, welche sie im Zaume halten soll, mit dem schönen Namen Religion zu verhüllen, damit die Menschen für ihre Knechtschaft kämpfen als wäre sie ein Glück und es nicht für schmachvoll sondern für höchst ehrenvoll halten, Blut und Leben für eines Menschen Ruhmsucht zu opfern: so kann doch in einem freien Staat nichts Unglücklicheres ersonnen und versucht werden als dies, da es mit der allgemeinen Freiheit ganz und gar unvereinbar ist, die freie Meinung des Einzelnen durch Vorurteile befangen zu machen oder auf irgend welche Weise zu beschränken. Was aber jene Unruhen anbelangt, zu welchen die Religion den Beweggrund abgiebt, so entspringen sie ganz gewiß nur daraus, daß man spekulative Fragen durch Gesetze entscheiden will und daß gewisse Ansichten wie Verbrechen für strafbar erklärt und verfolgt werden, so daß die Verteidiger und Anhänger dieser Ansichten keineswegs dem Wohle des Staates, sondern vielmehr dem Haß und der Wut der Gegner geopfert werden. Würde das Staatsgesetz nur Thaten richten, Reden aber straffrei lassen, so könnten dergleichen Unruhen mit keinem Rechtsvorwand beschönigt werden und es würden somit Meinungsverschiedenheiten nicht zu Aufständen ausarten.
Da mir nun das seltene Glück zuteil geworden ist, in einem Staate zu leben, worin jedem die unbeschränkte Meinungsfreiheit und das Recht, Gott nach eigener Überzeugung zu verehren, zugestanden ist, und worin die Freiheit als das teuerste und köstlichste Gut geschätzt wird, so hielt ich es für kein undankbares noch unnützes Unternehmen, zu zeigen, daß diese Freiheit nicht bloß, gewährt werden kann ohne Nachteil für Religion und Bürgerfrieden, sondern daß sogar diese Freiheit nicht beeinträchtigt werden kann, ohne, daß der Bürgerfrieden und die Religion dadurch beeinträchtigt würden. Das ist es vorzugsweise, was ich in diesem Traktat zu zeigen mir vorgesetzt habe. Zu diesem Behufe mußte ich vor allem die wesentlichen Vorurteile über die Religion, nämlich die Spuren ehemaliger Knechtschaft darthun; sodann auch die Vorurteile über das Recht der höchsten Staatsgewalt, welches viele häufig mit schamloser Frechheit an sich zu reißen suchen, indem sie den von einem heidnischen Aberglauben befangenen Geist der Menge unter religiösem Vorwand darüber irreleiten, damit alles wieder in Knechtschaft versinke. Die Reihenfolge, in welcher das geschehen soll, will ich mit wenig Worten angeben; vorher aber will ich die Gründe darlegen, die mich zu dieser Schrift bewogen haben.
Oft mußte ich mich darüber wundern, wie Menschen, die sich rühmen, die christliche Religion zu bekennen, also die Liebe, die Freude, den Frieden, die Selbstbeherrschung und die Treue gegen jedermann, in höchst feindseliger Weise miteinander hadern und täglich den bittersten Haß gegeneinander auslassen, derart, daß ihr religiöses Bekenntnis weit mehr an solchem Benehmen als an jenen, Tugenden erkannt wird. Schon längst ist es soweit gekommen, daß sich Christen, Türken, Juden und Heiden durch kein anderes Merkmal unterscheiden, als durch die körperliche Beschaffenheit, durch die äußerliche Tracht, durch das Gotteshaus, welches sie besuchen und endlich durch die Glaubenssätze, denen sie huldigen und daß die einen auf die Worte dieses, die andern auf die Worte jenes Meisters schwören. Im übrigen ist der Lebenswandel aller der nämliche. Die Ursache dieses Übelstandes liegt für mich zweifellos darin, daß bei den Massen die Meinung herrschte, es gehöre notwendig zur Religion, daß die kirchlichen Ämter als Würden, der kirchliche Dienst als Einkommensquelle behandelt und die Geistlichen hoch in Ehren gehalten werden. Denn seitdem dieser Mißbrauch in der Kirche einzureißen begann, wurden bald auch die Unwürdigsten von der Sucht ergriffen, die heiligen Ämter zu verwalten; der Eifer, die göttliche Religion auszubreiten, artete so in schmutzige Habsucht und Ehrgeiz aus, der Tempel sank auf diese Weise zur Schaubühne herab, wo nicht Kirchenlehrer, sondern Redner sich hören ließen, welche nicht das Bedürfnis empfanden, das Volk zu belehren, sondern es zur Bewunderung hinzureißen, und Andersdenkende öffentlich durchzuhecheln; man lehrte nur Neues und Seltenes, was von der Menge sehr bewundert ward. Daraus mußte natürlich viel Wettstreit, Neid und Haß entstehen, der auch durch die Zeit nicht gedämpft wurde.
Kein Wunder daher, daß von der alten Religion nur die äußerlichen Gebräuche geblieben sind (mit welchen die Menge Gott mehr umschmeichelt als verehrt) und daß der Glaube nichts anderes mehr ist als Leichtgläubigkeit und Vorurteile, und was für Vorurteile! solche, die den vernünftigen Menschen zum Tiere herabwürdigen, indem sie ganz und gar verhindern, daß der Mensch von seinem freien Denken Gebrauch mache, um Wahres von Falschem zu unterscheiden, und die eigens dazu erdacht zu sein scheinen, das Licht des Verstandes auszulöschen. Die Frömmigkeit, o ewiger Gott! und die Religion besteht in albernen Geheimmitteln, und Menschen, welche die Vernunft geradezu verachten und das Denken, als wäre es von Natur aus verderbt, verwerfen und verabscheuen, werden schmählicherweise für gotterleuchtet gehalten. Hätten sie aber nur ein Fünkchen göttlichen Lichtes, so würden sie sich nicht so hochmutstoll geberden, sondern lernen, Gott vernünftig zu verehren und, wie jetzt durch Haß, vielmehr durch Liebe sich von andern auszeichnen; auch würden sie Andersdenkende nicht so feindselig verfolgen, sondern sie eher bemitleiden (wenn sie anders um deren Heil und nicht vielmehr um das eigene Glück besorgt wären). Hierzu kommt noch, daß, wenn sie irgend ein göttliches Licht, inne hätten, dies aus ihrer Lehre erhellen, müßte; aber ich sehe wohl, daß sie zwar unendliche Bewunderung für die überaus tiefen Geheimnisse der Bibel an den Tag legen, aber gelehrt haben sie nichts anderes als die Spekulationen der Aristoteliker und Platoniker, denen sie die Bibel angepaßt haben, um sich nicht des Heidentums verdächtig zu machen. Ihnen genügt es nicht, mit den Griechen unsinnig zu sein, auch die Propheten sollen mit denselben närrisch sein. Dies zeigt deutlich genug, daß sie von der Göttlichkeit der Bibel nicht eine leise Ahnung haben, und je eifriger sie deren Geheimnisse bewundern, desto mehr beweisen sie, daß sie nicht sowohl an die Bibel glauben, als vielmehr ihr blindlings zustimmen. Das letztere geht auch daraus hervor, daß die meisten den Grundsatz aufstellen, (gewissermaßen als Schlüssel zu deren Verständnis und Ermittelung ihres wahren Sinnes,) die Bibel sei an allen Stellen wahrhaft und göttlich. Also das, was erst aus dem Verständnis und der strengen Untersuchung der Bibel sich ergeben kann, was wir somit weit besser aus ihr selbst, die keiner menschlichen Erdichtung bedarf, lernen würden, das stellen sie von vornherein als Regel ihrer Auslegung auf.
Da ich nun solcherlei im Geiste erwog, nämlich daß das natürliche Licht der Erkenntnis nicht allein geringgeschätzt, sondern von vielen sogar als Quelle der Gottlosigkeit verdammt wird, daß menschliche Erdichtungen für göttliche Lehren gehalten werden und Leichtgläubigkeit als Glauben geschätzt wird; da ich ferner die Wahrnehmung machte, daß die kirchlichen und weltlichen Schulstreitigkeiten der Philosophen mit heftigster Leidenschaftlichkeit geführt werden, woraus denn wütender Haß und Feindseligkeiten, welche leicht zum Aufruhr führen, und noch allerlei entsteht, dessen Aufzählung hier zu weit führen würde: beschloß ich ernstlich, die Bibel von neuem mit unbefangenem und freiem Geiste zu prüfen und nichts von ihr zu behaupten oder als ihre Lehre anzuerkennen, als was sich aus ihr selbst ganz klar ergiebt. Mit diesem vorsichtigen Verfahren in der Auslegung der heiligen Schrift ausgerüstet, begann ich zunächst, meine Untersuchungen auf folgende Fragen zu richten: Was ist Prophezeiung? In welcher Weise hat sich Gott den Propheten geoffenbart? Weshalb waren diese von Gott auserwählt? etwa weil sie von Gott und Natur erhabene Gedanken gehabt haben oder bloß um ihrer Frömmigkeit willen? Nachdem ich mir hierüber klar geworden war, war es mir nicht schwer zu behaupten, daß die Autorität der Propheten nur in solchen Dingen Gewicht haben könne, welche den Lebenswandel und die wahre, Tugend betreffen, im übrigen aber ihre Ansichten uns wenig angehen. – Hierauf ging ich weiter und suchte zu ermitteln, welchem Umstand es zuzuschreiben sei, daß die Hebräer die Auserwählten Gottes genannt werden? Da ich aber keinen andern Grund entdecken konnte, als den, daß ihnen Gott ein gewisses Land der Erde ausgewählt hat, in welchem sie sicher und bequem wohnen konnten, so schloß ich daraus, daß die von Gott dem Moses geoffenbarten Gesetze nichts anderes gewesen sein können, als das Recht des hebräischen Staates allein, weshalb außer den Hebräern niemand verpflichtet war, diese Gesetze anzunehmen und auch diese nur während der Dauer ihres Reichs an sie gebunden waren.
Um weiter herauszubringen, ob aus der Bibel gefolgert werden könne, daß das natürliche Denken von Natur verderbt sei, untersuchte ich, ob die allgemeine Religion, d. h. das durch Propheten und Apostel dem ganzen Menschengeschlecht geoffenbarte Gesetz, von denjenigen verschieden wäre, welches die natürliche Einsicht lehrt; ferner, ob Wunder gegen die Ordnung der Natur geschehen seien und ob diese das Dasein Gottes und die göttliche Vorsehung mit größerer Sicherheit und Klarheit beweisen, als die Dinge, welche wir klar und deutlich aus ihren ersten Ursachen erkennen. Allein ich fand, daß in dem, was die Bibel ausdrücklich lehrt, nichts enthalten ist, was mit dem natürlichen Denken nicht übereinstimmte oder ihm gar widerstritte, und außerdem fand ich, daß die Propheten eigentlich nur ganz einfache Dinge gelehrt haben, welche jedermann leicht begreifen kann, und nur hinsichtlich der Ausdrucksweise und der Begründung ihrer Lehren sich auszeichneten, indem sie eines solchen Redeschmucks sich bedienten und solche Gründe angaben, welche geeignet waren, den Geist der Menge zur Ehrfurcht gegen Gott zu bewegen. So gewann ich die feste Überzeugung, daß die Bibel die Freiheit des Denkens gänzlich unangetastet läßt und mit der Philosophie nichts gemein hat, beide vielmehr auf ihren eigenen Füßen stehen. Um dieses aber unwiderleglich zu beweisen und den ganzen Gegenstand näher zu beleuchten, werde ich zeigen, in welcher Weise die Bibel ausgelegt werden müsse und ferner, daß alles, was wir von der Bibel und geistlichen Dingen wissen, aus ihr allein, nicht aber aus der natürlichen Einsicht geschöpft werden kann.
Hierauf wende ich mich zur Beleuchtung der Vorurteile, welche daraus entstanden sind, daß die (dem Aberglauben ergebene und das zeitlich Wandelbare mehr als das Ewige liebende) Menge die Bücher der Bibel mehr als das Wort Gottes selbst verehrt. Ich werde zeigen, daß das geoffenbarte Wort Gottes nicht in einer bestimmten Zahl von Büchern besteht, sondern in der einfachen Vorstellung, wie sie die Propheten vom göttlichen Geiste gehabt haben und welche dahin zielt, Gott mit ganzer Seele. gehorsam zu sein und Gerechtigkeit und Liebe zu pflegen. Auch werde ich zeigen, daß die Art, wie dies in der Bibel gelehrt wird, der Fassungskraft und Denkweise derer entsprach, welchen die Propheten und Apostel das Wort Gottes zu predigen pflegten, und zwar deshalb, damit es die Zuhörer ohne Widerstreben und mit ganzer Seele beherzigen.
Nachdem ich so die Grundlagen des Glaubens dargelegt, schließe ich, daß der Gegenstand des geoffenbarten Wissens nichts anderes ist als Gehorsam, und dieses also vom natürlichen Wissen sowohl dem Gegenstand wie den Grundlagen und Mitteln nach durchaus verschieden ist und nichts mit ihm gemein hat, vielmehr beherrscht jedes von beiden sein eigenes Reich ohne Widerstreben des andern, und keins braucht dem andern dienstbar zu sein.
Aus dem Gesagten, wie auch daraus, daß die Geister der Menschen sehr verschieden sind, dem diese jenem eine andere Ansicht mehr zusagt, den zum Lachen reizt, was jenen zur Andacht stimmt, ziehe ich den Schluß, daß jedem die Freiheit seiner Meinung und das Recht, die Grundlagen seines Glaubens nach eigener Überzeugung zu bestimmen, gelassen werden muß, und daß der Glaube eines jeden einzig und allein nach seinen Werken, je nachdem sie gut oder schlecht sind, beurteilt werden darf. Nur so werden alle Menschen von ganzem Herzen und mit freier Seele Gott gehorchen können, und wird Gerechtigkeit und Liebe von jedermann hochgehalten werden.
Nachdem ich auf diese Weise bewiesen habe, daß das geoffenbarte Gotteswort jedermann seine Freiheit läßt, schreite ich zum andern Teil der Untersuchung und zeige, daß diese Freiheit ohne jedwede Gefahr für den Bürgerfrieden und das Recht der obersten Staatsgewalt gewährt werden kann, sogar gewährt werden muß, ja daß sie ohne große Gefahr für den Bürgerfrieden und großen Nachteil für den ganzen Staat nicht aufgehoben werden kann. Um dies zu beweisen, gehe ich von dem natürlichen Recht des Einzelnen aus und behaupte, daß sich dasselbe ebenso weit erstreckt, als sich sein Wille und seine Macht erstreckt, und daß nach dem Naturrecht niemand gezwungen werden kann, nach der Überzeugung eines andern zu leben, sondern jeder Schutzherr seiner Freiheit ist. Weiter werde ich zeigen, daß niemand dieses Recht in Wirklichkeit aufgiebt, wenn er nicht auch die Macht, sich zu verteidigen, auf einen andern überträgt, und daß notwendig derjenige dieses Naturrecht unbedingt besitzt, auf welchen der andere sein Recht, nach eigenem Gutdünken zu leben, übertragen hat. Hieraus leite ich ab, daß diejenigen Personen, welche die höchste Staatsgewalt inne haben, das Recht zu allem haben, was in ihrer Macht steht und daß sie allein die Schirmherren des Rechts und der Freiheit sind, die andern aber in allen Dingen sich den Beschlüssen derselben zu fügen haben. Allein, da niemand der Macht der Selbstverteidigung sich soweit entäußern kann, daß er aufhörte, Mensch zu sein, so behaupte ich, daß niemand seines Naturrechts ganz beraubt werden kann, den Unterthanen vielmehr manches gleichsam als Naturrecht bleibt, nämlich solches, was ihnen ohne große Gefahr für den Staat nicht genommen werden kann. Daher wird es ihnen entweder stillschweigend oder auf Grund ausdrücklichen Vorbehalts von den Inhabern der Staatsgewalt zugestanden.
Nach diesen Betrachtungen gehe ich zum Staate der Hebräer über, welchen ich ausführlich beschreibe, um die Frage, aus welchem Grunde und durch wessen Beschluß die Religion Rechtskraft zu erhalten begann, und noch manches Wissenswerte nebenher, zu erörtern. Hernach werde ich zeigen, daß die Inhaber der höchsten Gewalten nicht bloß Schirmherrn und Ausleger des bürgerlichen, sondern auch des geistlichen Rechts sind und ihnen allein die Befugnis zusteht, zu bestimmen, was recht und was unrecht, was fromm und was gottlos sein soll. Schließlich aber behaupte ich, daß jene am besten dieses Recht wahren und die Regierung sichern können, wenn jedem erlaubt ist, zu denken was er will und zu sagen was er denkt.
Das, philosophischer Leser, ist es, was ich dir hiermit zur Prüfung darbiete, hoffend, es werde nicht ungünstig aufgenommen werden, in Anbetracht der Wichtigkeit und Nützlichkeit des Gegenstandes, sowohl des ganzen Werks wie der einzelnen Kapitel; über welche ich hier noch manches zu sagen hätte, das ich unterdrücke, damit diese Vorrede nicht zum Buch anwachse und weil es der Hauptsache nach den Philosophen ohnehin hinlänglich bekannt ist. Andern Leuten aber diesen Traktat zu empfehlen, liegt nicht in meiner Absicht, da ich keinen Grund zu hoffen habe, daß er ihnen in irgend einer Hinsicht gefallen werde. Ich weiß, wie zäh jene Vorurteile dem Geiste anhaften, welche unter dem Schein der Frömmigkeit eingeprägt worden sind; ich weiß ferner, daß die große Menge den Aberglauben ebensowenig aufgeben kann, als die Furcht; ich weiß endlich auch, daß die Menge in ihren Meinungen unerschütterlich und einer bessern Überzeugung nicht zugänglich ist, da sie nicht von der Vernunft, sondern von der Neigung sich zu Lob und Tadel hinreißen läßt. Die Menge also und alle, welche gleichen Seelenbewegungen wie die große Menge unterworfen ist, lade ich nicht ein, dieses zu lesen, vielmehr möchte ich lieber, daß sie dieses Buch gar nicht beachten, als daß sie es verkehrt auffassen (wie gewöhnlich alles) und dadurch lästig werden, indem sie, ohne sich selbst zu nützen, andern schaden, welche freier philosophieren würden, stünde ihnen nicht die Meinung im Wege, die Vernunft müsse die Magd der Theologie sein; denn diesen soll dieses Werk, wie ich zuversichtlich hoffe, zu großem Nutzen gereichen.
Da indessen viele vielleicht weder Muße noch Lust haben werden, alles zu lesen, so muß ich hier wie am Schluß dieses Traktats daran erinnern, daß ich nichts schreibe, was ich nicht der Prüfung und dem Urteil der obersten Gewalten meines Vaterlandes bereitwilligst unterwerfe. Finden sie, daß einiges von dem, was ich behaupte, den Gesetzen des Vaterlandes widerstreitet oder dem Gemeinwohl schadet, so will ich es nicht gesagt haben. Ich weiß, daß ich ein Mensch bin und irren kann; ich habe mich aber ernstlich befleißigt, nicht zu irren und war ganz besonders darauf bedacht, daß alles, was ich schreibe, mit den Gesetzen meines Vaterlandes, der Frömmigkeit und den guten Sitten, vollständig übereinstimme.