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Zwölftes Kapitel.

Über die wahre Urschrift des göttlichen Gesetzes; ferner wiefern die Bibel »heilige Schrift« und wiefern sie »Wort Gottes« heißt. Schließlich wird gezeigt, daß sie, soweit sie das Wort Gottes enthält, unverfälscht auf uns gekommen ist.


Diejenigen, welche die Bibel, so wie sie ist, als einen Brief ansehen, welchen Gott den Menschen vom Himmel gesendet hat, werden ohne Zweifel schreien, ich hätte eine Sünde gegen den heiligen Geist begangen, weil ich nämlich behauptet habe, daß die Bibel Fehler, Verstümmelungen, Fälschungen und Widersprüche enthalte, daß wir nur Bruchstücke von ihr besitzen und daß die Urschrift über den Bund, den Gott mit den Juden geschlossen, verloren gegangen sei. Würden sie indessen die Sache selbst gehörig erwägen, so zweifle ich nicht, daß ihr Geschrei alsobald verstummen würde. Denn die Vernunft sowohl wie auch die Aussprüche der Propheten und Apostel verkünden es offen, daß Gottes ewiges Wort und ewiger Bund und die wahre Religion von Gott in die Herzen der Menschen, d. h. in den menschlichen Geist eingeschrieben worden sei und daß dies die wahre Urschrift sei, welche Gott selbst mit seinem Siegel, nämlich mit dem Begriff seiner selbst, wie mit seinem Bildnis besiegelt hat.

Den ersten Juden ist die Religion als geschriebenes Gesetz übergeben worden, weil sie in damaliger Zeit wie Kinder behandelt wurden. Aber Moses (5. Buch Mose, Kap. 30, V. 6) und Jeremia (Kap. 31, V. 33) predigen von einer künftigen Zeit, wo Gott sein Gesetz in ihre Herzen schreiben würde. Die Juden allein und namentlich die Sadduzäer hatten daher Grund, ehemals für das auf die Tafeln geschriebene Gesetz zu streiten, nicht aber diejenigen, welche es in der Schrift des Herzens besitzen. Wer nun dieses bedenkt, wird finden, daß im Vorstehenden nichts enthalten ist, was mit dem Worte Gottes oder mit der wahren Religion und dem wahren Glauben im Widerspruch stünde oder diesen schwächen könnte, sondern daß ich im Gegenteil den wahren Glauben stärke, wie ich schon am Schluß des 10. Kapitels gezeigt habe. Wäre dies nicht der Fall, so hätte ich mich entschlossen, ganz darüber zu schweigen; ja ich hätte, um allen Schwierigkeiten zu entgehen, gerne eingeräumt, daß in der Bibel die tiefsten Geheimnisse verborgen seien. Weil aber hieraus ein ganz unerträglicher Aberglaube und andere höchst schädliche Übelstände, die in der Einleitung zum 7. Kapitel gekennzeichnet wurden, entsprungen sind, so durfte ich mich meiner Meinung nach dieser Aufgabe nicht entziehen, zumal die Religion keinen abergläubischen Schmuck nötig hat, vielmehr an ihrem Glanze einbüßt, wenn sie mit solchen Erdichtungen aufgeputzt wird.

Man wird aber sagen, wenn auch das göttliche Gesetz in die Herzen geschrieben ist, so sei die Bibel gleichwohl das Wort Gottes, und man dürfe daher von der Bibel ebensowenig wie von Gottes Wort sagen, daß Verstümmelung und Fälschung darin enthalten sei. Ich meinerseits aber fürchte im Gegenteil, daß diejenigen, welche so sprechen, einer übertriebenen Heiligkeit sich befleißigen und die Religion in Aberglauben verkehren, ja daß sie auf dem Wege sind, Zeichen und Bilder, nämlich Papier und Tinte, statt Gottes Wort zu verehren. So viel weiß ich, daß ich nichts gesagt habe, was der Bibel oder dem Wort Gottes nicht würdig wäre, da ich nichts behauptet habe, was ich nicht mit den überzeugendsten Gründen als wahr bewiesen hätte, und deshalb kann ich auch mit Bestimmtheit versichern, daß ich nichts gesagt habe, was gottlos ist, oder wie Gottlosigkeit aussieht.

Ich gebe zu, daß manche gemeine Menschen, denen die Religion zur Last ist, die Erlaubnis zu sündigen hieraus entnehmen können, und ohne irgend einen Grund, sondern lediglich um ihrer Lust zu fröhnen, daraus schließen, die Bibel sei allenthalben fehlerhaft und gefälscht und sie könne folglich keinerlei Achtung beanspruchen. Solchen Mißdeutungen kann jedoch unmöglich vorgebeugt werden, nach dem bekannten Wort: Es kann nichts so gut gesagt werden, daß man es nicht durch schlechte Auslegung entstellen könnte. Menschen, welche ihren Lüsten fröhnen wollen, können leicht irgend einen Grund dafür finden, und die früheren Geschlechter, welche die Originale selbst, die Bundeslade, ja sogar Propheten und Apostel hatten, sind auch nicht besser und gehorsamer gewesen; alle, Juden wie Heiden, waren stets die gleichen und die Tugend ist zu allen Zeiten sehr selten gewesen.

Um indessen alle Bedenken zu beseitigen, soll hier noch gezeigt werden, wiefern die Bibel und überhaupt irgend ein lebloser Gegenstand heilig und göttlich genannt werden müsse; sodann, was das Wort Gottes eigentlich sei und daß es nicht in einer bestimmten Zahl von Büchern bestehe; endlich, daß die Bibel, soweit sie das lehrt, was zum Gehorsam und zur Glückseligkeit nötig ist, nicht hat verfälscht werden können. Denn daraus wird jeder leicht entnehmen können, daß ich nichts gegen das Wort Gottes gesagt, noch der Gottlosigkeit irgendwo Raum gegeben habe.

Heilig und göttlich wird ein Gegenstand genannt, welcher zur Übung der Frömmigkeit und Religion bestimmt ist, und nur so lange ist derselbe heilig, als er von den Menschen zu diesem Zweck gewissenhaft benutzt wird. Hören die Menschen auf, fromm zu sein, so hört auch dieser Gegenstand auf, heilig zu sein, und wird er gar zu gottlosen Zwecken bestimmt, so wird aus dem ehemals heiligen Gegenstand ein unreiner und gemeiner Gegenstand. So z. B. wurde ein gewisser Ort von dem Erzvater Jakob ביתאל »Haus Gottes« genannt, weil er daselbst den Gott verehrte, der sich ihm geoffenbart hatte. Von den Propheten aber wird dieser selbige Ort בית און »Haus des Unrechts« genannt (s. Amos Kap. 5, V. 5 und Hosea Kap. 10, V. 5), weil die Israeliten daselbst, zufolge der Einrichtung des Jerobeam, den Götzen zu opfern pflegten. Ein anderes Beispiel macht die Sache noch deutlicher. Worte erhalten ihre bestimmte Bedeutung nur durch den Sprachgebrauch. Werden nun Worte gemäß ihrem Sprachgebrauch so gesetzt, daß sie die Leser andächtig stimmen, so werden diese Worte heilig heißen und ebenso das Buch, welches die also gesetzten Worte geschrieben enthält. Wenn nun aber später dieser Sprachgebrauch verloren geht, so daß die Worte keine Bedeutung mehr haben, oder wenn das Buch, entweder aus böser Absicht oder weil man seiner nicht bedarf, gänzlich vernachlässigt wird, so werden die Worte wie das Buch nicht mehr wertvoll und nicht mehr heilig sein.

Es folgt hieraus, daß nur die Gesinnung an und für sich als heilig oder gemein oder unrein zu bezeichnen ist, alles aber nur beziehungsweise zur Gesinnung. Dies geht auch aus vielen Bibelstellen aufs klarste hervor. Jeremia z. B. (um das eine oder andere anzuführen) sagt im Kap. 7, V. 4, die Juden seiner Zeit hätten den salomonischen Tempel fälschlich Tempel Gottes genannt, denn, wie er selbst in demselben Kapitel fortfährt, der Name Gottes konnte jenem Tempel nur so lange beigelegt werden, als derselbe von Menschen besucht wird, welche Gott verehren und die Gerechtigkeit schätzen; wenn er aber von Mördern, Dieben, Götzendienern und andern Übelthätern besucht wird, so sei er vielmehr eine Räuberhöhle.

Was aus der Bundeslade geworden ist, darüber berichtet die Bibel nichts, worüber ich mich oft gewundert habe. So viel aber ist gewiß, daß sie verloren ging oder mit dem Tempel verbrannt ist, obgleich es nichts Heiligeres und Ehrwürdigeres bei den Hebräern gegeben hat.

Aus diesem Grunde ist auch die Bibel nur so lange heilig, und sind ihre Reden nur so lange göttlich, als sie die Menschen zur Ergebenheit gegen Gott bewegt. Wird sie von den Menschen aber gänzlich vernachlässigt, wie einst bei den Juden, so ist sie nichts weiter als Papier und Tinte, sie wird von ihnen gänzlich entheiligt und fällt leicht der Entstellung anheim. Wenn sie alsdann entstellt wird oder verloren geht, so sagt man fälschlich, das Wort Gottes sei entstellt worden oder verloren gegangen; gerade so wie man zur Zeit des Jeremia von dem Tempel fälschlich gesagt haben würde, der Tempel Gottes sei in den Flammen untergegangen. In der That sagt dies Jeremia selbst von dem Gesetze, indem er die schlechten Menschen seiner Zeit mit folgenden Worten schilt: »Wie möget ihr sagen: wir sind Weise und das Gesetz Gottes ist bei uns. Wahrlich, umsonst wurde es geordnet, die Feder der Schreiber ist umsonst« (gemacht worden); d. h. obgleich ihr das geschriebene Gesetz in Besitz habet, saget ihr fälschlich, ihr hättet das Gesetz Gottes, da ihr dasselbe nutzlos gemacht habt. So hat auch Moses, als er die ersten Tafeln zerbrach, keineswegs das Wort Gottes im Zorn aus den Händen geschleudert und zerbrochen, (wer möchte so etwas von Moses und dem Worte Gottes denken,) sondern nur Steine. Denn waren sie auch vorher heilig, weil der Bund, in welchem sich die Juden zum Gehorsam gegen Gott verpflichtet hatten, darauf geschrieben stand, so hatten sie doch, nachdem die Juden diesen Bund durch die Anbetung des Kalbes nutzlos gemacht hatten, ferner keine Heiligkeit mehr. Aus derselben Ursache konnten auch die zweiten Tafeln mit der Lade verloren gehen.

Es ist daher kein Wunder, daß auch die ersten Urschriften des Moses nicht mehr vorhanden sind, und daß mit den Büchern, die wir besitzen, sich zugetragen hat, was ich oben ausgeführt habe, da doch sogar die wahre Urschrift des göttlichen Bundes, die heiligste unter allen Urschriften, gänzlich verloren gehen konnte.

Man höre also auf, mich der Gottlosigkeit zu zeihen, der ich gegen das Wort Gottes nichts gesagt, noch es entweiht habe; kehre man vielmehr den Zorn, wenn man wirklich Ursache dazu hat, gegen die Alten, deren Schlechtigkeit die Lade Gottes, den Tempel, das Gesetz und alle heilige Dinge entheiligt und der Verderbnis preisgegeben hat. Und wer ferner, gemäß jenem Worte des Apostels im 2. Korintherbrief Kap. 3, V. 3, die Epistel Gottes in sich hat, nicht in Tinte sondern im Geiste Gottes, und nicht auf Tafeln von Stein, sondern auf Tafeln von Fleisch, ins Herz geschrieben, der möge aufhören, den Buchstaben anzubeten und sich wegen desselben so sehr aufzuregen.

Damit glaube ich genügend auseinandergesetzt zu haben, inwiefern die Bibel als heilig und göttlich zu betrachten ist.

Es ist nunmehr zu untersuchen, was eigentlich unter debar Jehovah (Wort Gottes) zu verstehen ist. דבר dabar kann heißen: »Wort«, »Rede«, »Spruch« und »Sache«. Warum im Hebräischen von einer Sache gesagt wird, sie sei Gottes, und warum eine Sache auf Gott bezogen wird, habe ich im 1. Kapitel auseinandergesetzt und man wird aus dem dort Gesagten leicht wissen können, was die Bibel mit Gottes Wort, Rede, Spruch oder Sache bezeichnen will. Es ist daher nicht nötig, hier das alles zu wiederholen, so wenig wie das im 6. Kapitel unter dem dritten Punkt über die Wunder Ausgeführte. Es genügt, darauf hinzuweisen, um das, was ich hier darüber sagen will, besser verständlich zu machen.

Wird nämlich »Wort Gottes« von einem Wesen gesagt, das nicht Gott selbst ist, so bezeichnet es im eigentlichen Sinne jenes göttliche Gesetz, von dem im 4. Kapitel die Rede war, nämlich die dem ganzen Menschengeschlecht gemeinsame oder allgemeine Religion. Man sehe hierüber Jesaja Kap. 1, V. 10 etc., wo der Prophet den wahren Lebenswandel lehrt, indem er sagt, daß derselbe nicht in religiösen Bräuchen, sondern in der Liebe und Wahrhaftigkeit des Herzens besteht; und diese wahre Lebensweise nennt er abwechslungsweise bald Gesetz bald Wort Gottes. – »Wort Gottes« wird ferner im bildlichen Sinne gebraucht für die Naturordnung selbst und für das Schicksal, (weil dasselbe thatsächlich von dem ewigen Ratschluß der göttlichen Natur abhängt und aus ihm folgt,) und vorzüglich für dasjenige, was die Propheten von dieser Naturordnung voraussahen, und zwar deshalb, weil sie die künftigen Ereignisse nicht aus ihren natürlichen Ursachen begriffen haben, sondern als Befehle und Beschlüsse Gottes. – Weiter wird »Wort Gottes« gebraucht für jeglichen Spruch eines jeden Propheten, sofern ihn der Prophet durch eine besondere Kraft oder prophetische Gabe, nicht aber durch die allgemeine natürliche Vernunft erfaßt hatte, und zwar namentlich deshalb, weil die Propheten in der That sich Gott als einen Gesetzgeber vorzustellen pflegten.

Aus diesen drei Gründen wird die Bibel das Wort Gottes genannt. Nämlich, weil sie die wahre Religion lehrt, deren Urheber der ewige Gott ist; ferner weil sie Weissagungen über künftige Ereignisse enthält, die sie als göttliche Beschlüsse darstellt; endlich, weil ihre wirklichen Verfasser ihre Lehren gewöhnlich nicht aus der allgemeinen, natürlichen Vernunft schöpften, sondern aus einer gewissen ihnen eigentümlichen Erkenntnis, und dieselben Gott in den Mund legten. – Obgleich nun die Bibel außerdem noch vieles enthält, was rein geschichtlich ist und aus der natürlichen Vernunft geschöpft ist, so wird sie doch nach jenen Stellen benannt, weil dieselben den größeren Teil ihres Inhalts ausmachen.

Hiernach können wir leicht erkennen, inwiefern Gott als der Urheber der biblischen Bücher aufzufassen ist: lediglich wegen der wahren Religion, welche in der Bibel gelehrt wird; nicht aber als ob Gott eine bestimmte Anzahl von Büchern den Menschen habe mitteilen wollen. Ferner können wir daraus ersehen, weshalb die Bibel in ein Altes und ein Neues Testament geteilt ist: weil nämlich vor der Ankunft Christi die Propheten gewohnt waren, die Religion als Landesgesetz und als Verpflichtung des zu Mose Zeit geschlossenen Bundes zu lehren, während nach Christi Ankunft die Apostel die Religion als allgemeines Gesetz und bloß auf Grund des Leidens Christi allen Menschen gepredigt haben. Aber nicht deshalb ist die Bibel in ein Altes und Neues Testament geschieden, weil beide in der Lehre verschieden, oder weil sie als Urschriften des Bundes zu betrachten wären, oder endlich weil die allgemeine Religion, die doch sehr natürlich ist, neu wäre, da sie doch nur denjenigen Menschen neu war, die sie nicht erkannt hatten. »Es war in der Welt,« sagt der Evangelist Johannes Kap. 1, V. 10, »aber die Welt erkannte es nicht.«

Hätten wir daher auch weniger Bücher vom Alten und vom Neuen Testament, so würde uns das Wort Gottes (worunter eigentlich wie gesagt die wahre Religion zu verstehen ist) dennoch nicht fehlen, wie wir ja auch nicht glauben, daß uns dasselbe fehlt, weil wir viele andere sehr vortreffliche Bücher nicht besitzen, wie das Buch des Gesetzes, welches als Urschrift des Bundes sorgfältig im Tempel verwahrt wurde, ferner die Bücher der Kriege, der Geschichtstafeln und viele andere, aus welchen die Bücher des Alten Testaments, welche wir besitzen, ausgezogen und zusammengestellt worden sind.

Es wird dies außerdem durch viele andere Gründe bestätigt.

Erstens sind die Bücher beider Testamente nicht auf besondere Anordnung, zu gleicher Zeit und für alle Jahrhunderte geschrieben worden, sondern gelegentlich, für gewisse Menschen, und zwar so wie ihre besonderen Verhältnisse und die Zeit es erforderten, was die Berufung der einzelnen Propheten (welche berufen worden sind, die Gottlosen ihrer Zeit zu vermahnen) und auch die Briefe der Apostel deutlich zeigen.

Zweitens. Ein anderes ist es, die Bibel und den Sinn der Propheten, ein anderes den Sinn Gottes, d. h. die Wahrheit selbst zu verstehen, wie aus dem folgt, was im 2. Kapitel über die Propheten ausgeführt wurde. Daß dies auch von den Geschichten und Wundern gilt, habe ich im 6. Kapitel gezeigt. Von den Stellen aber, welche von der wahren Religion und der wahren Tugend handeln, kann dies keineswegs gesagt werden.

Drittens sind die Bücher des Alten Testaments aus vielen Büchern ausgewählt und endlich durch einen Rat von Pharisäern gesammelt und anerkannt worden, wie ich im 10. Kapitel gezeigt habe. Die Bücher des Neuen Testaments aber sind gleichfalls durch die Beschlüsse einiger Konzilien in den Kanon aufgenommen worden, während andere Bücher, die von vielen für heilig gehalten wurden, den Beschlüssen dieser Konzilien zufolge als unecht verworfen wurden. Nun bestanden aber diese Konzilien (sowohl die pharisäischen als die christlichen) keineswegs aus Propheten, ihre Mitglieder waren bloß gelehrte und weise Männer; und dennoch ist man gezwungen, zuzugeben, daß sie bei dieser Auswahl sich das Wort Gottes zur Richtschnur genommen haben. Sie mußten somit notwendig vor der Anerkennung aller dieser Bücher vom Worte Gottes Kenntnis haben.

Viertens haben die Apostel nicht als Propheten, sondern (wie im vorigen Kapitel näher gezeigt wurde) als Lehrer geschrieben und bei ihrer Belehrung den Weg gewählt, den sie mit Rücksicht auf ihre jeweiligen Schüler für den leichtesten hielten. Hieraus folgt, daß darin (wie wir auch am Schluß des vorerwähnten Kapitels gefolgert haben) vieles enthalten ist, das wir in religiöser Beziehung entbehren können.

Fünftens endlich, weil es im Neuen Testament vier Evangelisten giebt. Wer kann glauben, daß Gott viermal die Geschichte Christi habe erzählen und den Menschen mitteilen wollen? Wohl ist in dem einen manches enthalten, was in dem andern fehlt und wird öfters das Verständnis des einen durch das andere gefördert; allein daraus kann nicht gefolgert werden, daß man alles wissen müsse, was in diesen vier Evangelien erzählt wird, und daß Gott die vier Evangelisten ausgewählt habe, sie zu schreiben, damit die Geschichte Christi besser verstanden würde. Vielmehr hat jeder von ihnen sein Evangelium an einem andern Ort gepredigt und jeder hat was er predigte aufgeschrieben, und zwar wollte jeder ganz einfach die Geschichte Christi deutlich erzählen, aber keineswegs die andern erläutern. Werden sie auch stellenweise durch gegenseitige Vergleichung leichter und besser verständlich, so ist dies rein zufällig und nur bei wenigen Stellen der Fall, und wenn man diese Stellen nicht verstünde, so wäre die Geschichte nicht minder klar und die Menschen könnten nicht minder selig werden.

Damit habe ich gezeigt, daß die Bibel nur in Hinsicht auf die Religion oder hinsichtlich des allgemeinen göttlichen Gesetzes im eigentlichen Sinn Gottes Wort genannt werden kann. Es ist nun noch zu zeigen, daß die Bibel, soweit sie im eigentlichen Sinn Gottes Wort genannt wird, nicht fehlerhaft, verdorben oder verstümmelt ist.

Fehlerhaft, verdorben und verstümmelt nenne ich hier nämlich, was so unrichtig geschrieben oder abgefaßt ist, daß der Sinn der Rede sich weder aus dem Sprachgebrauch ermitteln, noch aus der Bibel selbst erraten läßt. Ich will also keineswegs behaupten, daß die Bibel, soweit sie das göttliche Gesetz enthält, immer die Zeichen, Buchstaben und Worte der Urschrift beibehalten hat, (das zu beweisen überlasse ich den Masoreten und den abergläubischen Anbetern des Buchstabens,) sondern nur, daß der Sinn – und nur in Bezug auf diesen kann eine Rede göttlich heißen – unverdorben auf uns gekommen ist, sollten auch den Worten, mit welchen derselbe ursprünglich ausgedrückt war, öfters andere untergeschoben worden sein. Das beeinträchtigt, wie gesagt, die Göttlichkeit der Bibel nicht im geringsten; denn die Bibel wäre ebenso göttlich, wenn sie mit andern Worten und in einer andern Sprache geschrieben wäre.

Daß wir nun das göttliche Gesetz in diesem Sinne unverdorben erhalten haben, kann niemand bezweifeln. Ohne die geringste Schwierigkeit und Zweideutigkeit ergiebt sich aus der Bibel, daß ihr Hauptgedanke ist: Gott über alles und den Nächsten wie sich selbst zu lieben. Und das kann weder untergeschoben sein, noch von einer übereilten und irrenden Feder herrühren. Denn hätte die Bibel jemals das Gegenteil gelehrt, so müßten notwendig auch ihre übrigen Lehren ganz anders ausgefallen sein, da dieses der Untergrund der ganzen Religion ist, mit dessen Wegnahme das ganze Gebäude jählings zusammenbricht. Eine solche Bibel wäre nicht die, von welcher wir hier reden, sondern ein ganz anderes Buch. Es bleibt daher eine unerschütterliche Wahrheit, daß die Bibel dies immer gelehrt hat und daß folglich hierin kein sinnentstellender Irrtum sich eingeschlichen hat, da ein solcher sofort von jedermann bemerkt worden wäre, und keine Fälschung vorgekommen sein kann, da eine solche Schlechtigkeit alsbald offenbar geworden wäre.

Ist hiernach diese Grundlage unzweifelhaft als unverfälscht zu betrachten, so muß dies auch notwendig von allem übrigen behauptet werden, was aus dieser Grundlage ohne allen Widerstreit folgt und ebenfalls grundlegend ist, wie: daß es einen Gott giebt, daß er alles voraussieht, daß er allmächtig ist, daß es dem Frommen nach seinem Ratschluß wohl ergeht, den Ruchlosen aber schlecht, und daß unser Heil allein von seiner Gnade abhängt. Denn das alles lehrt die Bibel allenthalben deutlich und sie mußte es überall lehren, da sonst alles andere in der Luft schweben und keinen Grund haben würde. Nicht minder muß die Echtheit der übrigen Sittenlehren behauptet werden, da sie aus dieser allgemeinen Grundlage augenscheinlichst sich ergeben; nämlich: Gerechtigkeit üben, den Armen Hilfe leisten, niemand töten, fremdes Eigentum nicht begehren etc. Daran, sage ich, hat weder menschliche Bosheit etwas verfälschen, noch die Zeit etwas verwischen können. Denn was davon zerstört worden wäre, das hätte die allgemeine Grundlage sofort wieder vorgeschrieben, namentlich die Lehre von der Nächstenliebe, welche in beiden Testamenten überall nachdrücklichst empfohlen wird. Hierzu kommt noch der Umstand, daß, obzwar sich keine noch so fluchwürdige That denken läßt, die nicht schon von jemand begangen worden wäre, es doch niemand geben wird, der zur Entschuldigung seiner Thaten die Gesetze zu vernichten oder etwas Verruchtes als ewige und heilsame Lehre einzuschmuggeln versucht. Denn die menschliche Natur ist erfahrungsgemäß so beschaffen, daß jeder, (ob König oder Unterthan,) der etwas Schändliches begangen, seine That mit Umständen zu beschönigen sucht, unter welchen sie gegen Recht und Anstand nicht zu verstoßen scheint. – Wir gelangen also unbedingt zu dem Ergebnis, daß das allgemeine göttliche Gesetz, welches die Bibel lehrt, in seinem ganzen Umfang unverfälscht auf uns gekommen ist.

Daneben aber giebt es noch mancherlei, an dessen treuer Überlieferung wir ebenfalls nicht zweifeln können, nämlich das Hauptsächliche in den biblischen Geschichten, die ja allgemein genau bekannt waren. Das jüdische Volk pflegte früher die geschichtlichen Ereignisse der Vorzeit in Psalmen abzusingen. Auch das Wesentliche von Christi Thaten und Leiden verbreitete sich sofort im ganzen römischen Reiche. Man kann daher unmöglich annehmen – es wäre denn, daß weitaus die meisten Menschen dahin übereingekommen wären, was ganz unglaublich ist – daß die Späteren den Kern dieser Geschichten anders überliefert haben, als wie sie ihn von den Früheren vernommen hatten.

Alle Fälschungen und Fehler konnten somit nur bei dem Übrigen vorkommen, nämlich bei dem einen oder andern Umstand der Geschichte oder Prophetie, um das Volk mehr zur Gottergebenheit zu bewegen; oder bei dem einen oder andern Wunder, um die Philosophen in die Enge zu treiben; oder endlich bei spekulativen Dingen, nachdem einzelne religiöse Richtungen angefangen hatten, solche in die Religion einzuführen, um so die eigenen Erdichtungen durch Mißbrauch der göttlichen Autorität zu bestätigen. Für die Seligkeit indessen ist es sehr unwichtig, ob dergleichen Stellen mehr oder weniger verfälscht sind. Ich will diesem Gegenstand im folgenden Kapitel eine eigene Abhandlung widmen, obgleich derselbe durch das Bisherige und besonders durch das 2. Kapitel eigentlich schon erledigt sein dürfte.


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