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Über die Propheten.
Aus dem vorigen Kapitel geht hervor, wie ich schon erwähnt habe, daß die Propheten nicht etwa mit einem vorzüglicheren Geiste, sondern nur mit einer lebendigeren Einbildungskraft begabt gewesen sind, was auch die biblischen Erzählungen zur Genüge lehren. Was Salomo anbelangt, so hat er seine Zeitgenossen zwar an Weisheit, nicht aber durch die Prophetengabe überragt und auch die Weisen Heman, Darda und Chalchol waren keine Propheten. Dagegen waren gewöhnliche Bauern ohne jegliche Bildung, und selbst weibliche Personen wie Hagar, Abrahams Magd, im Besitze der Prophetengabe. Solches entspricht denn auch der Erfahrung wie der Vernunft. Menschen von starker Einbildungskraft sind zum reinbegrifflichen Denken weniger veranlagt, wie auch umgekehrt Menschen, die im reinbegrifflichen Denken stark und tüchtig ausgebildet sind, eine viel gemäßigtere Einbildungskraft besitzen; sie haben dieselbe in ihrer Gewalt und halten sie sozusagen im Zaume, daß sie das klare Denken nicht verwirre. Wer somit in den Büchern der Propheten Weisheit oder Kenntnis der natürlichen oder geistigen Dinge sucht, der ist auf ganz falschem Wege. Da sowohl unsere Zeit, als auch die Philosophie, wie nicht minder der Gegenstand selbst es erfordert, will ich das eingehend auseinandersetzen, unbekümmert darum, daß der Aberglaube darüber zetern wird, der am meisten gegen diejenigen aufgebracht ist, welche im Wissen und im Leben sich der reinen Wahrheit befleißigen. Leider ist es schon so weit gekommen, daß Leute, welche offen gestehen, von Gott keinen Begriff zu haben und ihn nur durch die erschaffenen Dinge (deren Ursachen sie nicht kennen) zu erkennen, sich nicht schämen, die Philosophen des Atheismus zu beschuldigen.
Um nun meinen Gegenstand in richtiger Ordnung zu behandeln, werde ich zeigen, daß die verschiedenen Prophezeiungen von einander abweichen, nicht bloß bezüglich der Einbildungskraft und Gemütsart der einzelnen Propheten, sondern auch in Bezug auf die Ansichten, von welchen sie erfüllt waren, und daß somit die Propheten durch die Prophetie keineswegs gelehrter wurden, wie ich bald ausführlicher zeigen werde. Zuvörderst jedoch will ich mich über die Gewißheit der prophetischen Erkenntnis aussprechen, weil das sowohl den Hauptgegenstand dieses Kapitels betrifft, als auch den Beweis, den ich führen will, unterstützt.
Da den Vorstellungen der Einbildungskraft ihrer Natur nach Gewißheit nicht innewoht wie jeder klaren und bestimmten Idee, vielmehr die Vernunft notwendig sich zur Einbildungskraft gesellen muß, wenn wir von dem, was uns diese vorspiegelt, überzeugt sein wollen, so folgt, daß der Prophetie an sich keine Gewißheit innewohnen kann, da sie von der bloßen Einbildungskraft abhängt, wie bereits gezeigt. Aus diesem Grunde hatten die Propheten Gewißheit über die ihnen gewordene göttliche Offenbarung nicht durch diese selbst, sondern durch irgendein Zeichen, wie Abraham beweist (s. 1. Buch Mose Kap. 15, V. 8), der, als er Gottes Verheißung vernommen hatte, um ein Zeichen bat. Wohl glaubte Abraham Gott, dennoch aber erbat er sich ein Zeichen, nicht aus Mißtrauen gegen Gott, sondern um sich zu vergewissern, daß die Verheißung wirklich von Gott komme. Noch bestimmter wird dies durch Gideon belegt, welcher zu Gott sagte: »Und gieb mir ein Zeichen, (damit ich weiß,) daß du mit mir sprichst«. S. Buch der Richter Kap. 6, V. 17. Auch zu Moses sagte Gott: »Und das diene dir als Zeichen, daß ich dich gesendet«. Auch Hiskias, der längst wußte, daß Jesaja ein Prophet war, forderte ein Zeichen, als ihm dieser seine Genesung prophetisch verkündigte.
Wir sehen also, daß die Propheten immer ein gewisses Zeichen gehabt haben, durch welches sie Gewißheit über ihre prophetischen Vorstellungen erlangten. Deswegen ermahnt auch Moses, von einem unbekannten Propheten ein Zeichen zu verlangen, nämlich das Eintreffen eines von diesem geweissagten künftigen Ereignisses. (S. 5. Buch Mose Kap. 18, letzten Vers.) In dieser Hinsicht steht also die Prophetie dem natürlichen Wissen nach, welches kein Zeichen nötig hat, sondern seiner Natur gemäß Gewißheit in sich schließt.
Aber auch diese prophetische Gewißheit war keine mathematische, sondern nur eine moralische. Es erhellt dies aus der Bibel selbst; im 5. Buch Mose Kap. 14 ermahnt nämlich Moses, daß ein Prophet, welcher neue Götter lehren wolle, zum Tode verurteilt werden solle, ungeachtet er seine Lehre durch Zeichen und Wunder bekräftigen mag; denn, fährt Moses fort, Gott thut auch Zeichen und Wunder, um das Volk zu versuchen. Auch Christus gab seinen Jüngern eine ähnliche Weisung, wie aus Matth. Kap. 24, V. 24 ersichtlich ist. Hesekiel Kap. 14, V. 8 lehrt sogar geradezu, daß Gott bisweilen die Menschen mit falschen Offenbarungen irreführe, denn er sagt: »Und wenn ein Prophet (nämlich ein falscher) sich täuscht und ein Wort redet, so habe ich Gott diesen Propheten getäuscht«; was auch Micha (s. 1. Buch der Könige Kap. 22, V. 21) von den Propheten Ahabs bezeugt.
Wenn es nun auch hiernach den Anschein hat, als wäre die Prophetie oder Offenbarung völlig zweifelhafter Art, so wohnt derselben gleichwohl, wie ich schon gesagt habe, viel Gewißheit inne. Denn die Frommen und Auserwählten täuscht Gott nie. Dem alten Sprichwort gemäß (s. 1. Buch Samuelis Kap. 24, V. 13), und wie auch die Geschichte Abigails und ihre Rede zeigt, gebraucht vielmehr Gott die Frommen zu Werkzeugen seiner Huld und die Schlechten zu Vollstreckern und Vermittlern seines Zorns; was auch deutlich der eben angeführte Fall des Micha beweist. Denn obgleich Gott beschlossen hatte, den Ahab durch die Propheten irrezuführen, so bediente er sich dazu doch nur falscher Propheten, dem frommen aber offenbarte er die Sache, wie sie war und hinderte ihn nicht, die Wahrheit kund zu thun. Dessenungeachtet kann die prophetische Gewißheit wie gesagt nur eine moralische gewesen sein, weil sich niemand vor Gott gerecht fühlen und rühmen kann, er sei ein Werkzeug der göttlichen Huld; was die Bibel selbst sagt und auch an und für sich einleuchtet. Hat doch Gottes Zorn den David verleitet, das Volk zu zählen, obgleich die Frömmigkeit Davids in der Bibel sattsam bezeugt ist.
Die ganze prophetische Gewißheit gründet sich hiernach auf dreierlei: 1. darauf, daß die Propheten den Gegenstand der Offenbarung mit ihrer Einbildungskraft ebenso lebhaft wahrnahmen, wie wir im wachen Zustande die wirklichen Dinge; 2. auf ein Zeichen; 3. und hauptsächlich darauf, daß die Gesinnung der Propheten nur dem Rechten und Guten zugewendet war. Zwar ist in der Bibel nicht überall von einem Zeichen die Rede, doch darf man annehmen, daß die Propheten stets ein Zeichen gehabt haben, zumal die Bibel nicht immer alle Bedingungen und Nebenumstände zu erzählen pflegt, (was schon viele bemerkt haben,) sondern manches als bekannt voraussetzt. Man kann übrigens auch zugeben, daß solche Propheten, welche nichts Neues verkündeten, sondern nur was im mosaischen Gesetz enthalten war, ein Zeichen nicht nötig hatten, weil das Gesetz Bestätigung gewährte. So wurde z. B. die Prophetie des Jeremia von der Zerstörung Jerusalems durch die Prophezeiungen anderer Propheten und die Drohungen des Gesetzes bestätigt und bedurfte daher keines Zeichens. Hananja dagegen, welcher entgegen allen Propheten die baldige Wiederherstellung des Staates prophezeite, hatte ein Zeichen nötig, weil sonst seine Prophezeiung solange zweifelhaft geblieben wäre, bis sie der Erfolg bestätigt hätte. S. Jerem. Kap. 28, V. 8.
Da hiernach die Gewißheit, welche die Zeichen den Propheten gewährten, keine mathematische war, (nämlich eine solche, die aus dem Begriff eines erkannten oder gesehenen Dinges mit Notwendigkeit folgt,) sondern lediglich eine moralische, und die Zeichen zu keinem andern Zweck gegeben wurden, als um den Propheten zu überzeugen, so folgt daraus, daß die Zeichen den Ansichten und Fähigkeiten der einzelnen Propheten angepaßt waren, derart, daß ein Zeichen, welches diesem Propheten über seine Prophetie Gewißheit gab, jenen, welcher andern Ansichten huldigte, nicht zu überzeugen vermochte; daher waren auch die Zeichen bei jedem Propheten wieder anders. Wie oben bemerkt, war gleicherweise auch die Offenbarung selbst bei jedem Propheten von besonderer Art, entsprechend der Gemütsart, der Einbildungskraft und den bereits angenommenen Ansichten des betreffenden Propheten. In Bezug auf die Gemütsart machte sich diese Verschiedenheit in folgender Weise geltend: War der Prophet von heiterer Gemütsart, so wurden ihm Siege, Frieden und was sonst die Menschen zur Freude stimmt, geoffenbart; denn heitere Menschen beschäftigen sich häufig in ihrer Einbildungskraft mit heiteren Vorstellungen. Einem Propheten von trauriger Gemütsart dagegen wurden Kriege, Strafgerichte und allerlei Unglück geoffenbart. So überhaupt je nachdem der Prophet mitleidig, freundlich, zornig, streng u. s. w. war, eignete er sich mehr für diese als für jene Offenbarungen. – Hinsichtlich der Beschaffenheit der Einbildungskraft trat die Verschiedenheit so zu Tage: War der Prophet ein Mann von Geschmack, so vernahm er die Gedanken Gottes ebenfalls in geschmackvoller Ausdrucksweise; war er aber unklar, in unklarer Ausdrucksweise. Das Gleiche war auch der Fall bei den Offenbarungen, welche durch Bilder geschahen: War der Prophet ein Landmann, so erblickte er Ochsen, Kühe u. s. f.; war er Soldat, so sah er Heerführer und Heerscharen; war er Hofmann, sah er einen königlichen Thron und dergleichen. – Endlich war auch die Prophetie je nach den verschiedenen Ansichten der einzelnen Propheten eine verschiedene: den Magiern (s. Matthäus Kap. 2), welche an die Hirngespinnste der Sterndeuter glaubten, wurde die Geburt Christi durch das Bild eines im Osten aufgegangenen Sterns geoffenbart. Den Wahrsagern des Nebukadnezar (s. Hesekiel Kap. 21, V. 26) wurde die Zerstörung Jerusalems durch die Eingeweide der Opfertiere geoffenbart; auch erfuhr sie derselbe König aus Orakeln und aus der Richtung der Pfeile, die er nach oben in die Luft schoß. Den Propheten endlich, welche an die menschliche Willensfreiheit und Selbstbestimmung glaubten, offenbarte sich Gott als ein Wesen, das auf die Handlungen der Menschen keinen Einfluß übt und dem die künftigen menschlichen Handlungen unbekannt seien. – Das alles will ich jetzt aus der Bibel selbst im einzelnen nachweisen.
Das erste geht hervor aus der Geschichte Elisa's, (s. 2. Buch der Könige Kap. 3, V. 15,) welcher, da er dem Jerobeam prophezeien sollte, ein Saitenspiel verlangte und den Gedanken Gottes erst erfahren konnte, nachdem er sich an der Musik des Saitenspiels ergötzt hatte. Dann erst verkündete er dem Jerobeam und seinen Gefährten erfreuliche Dinge, was vorher nicht geschehen konnte, weil er gegen den König aufgebracht war, und wer über jemand zornig ist, wohl Schlimmes, nicht aber Gutes über denselben sich vorzustellen geneigt ist. Wenn aber manche behaupten, Gott offenbare sich den Zornigen und Traurigen überhaupt nicht, so ist das eitel Träumerei; hat doch Gott dem auf Pharao erzürnten Moses jenes jammervolle Sterben der Erstgeborenen geoffenbart (s. 2. Buch Mose Kap. 11, V. 8), und zwar ohne die Anwendung eines Saitenspiels. Auch dem rasenden Kain hat sich Gott geoffenbart. Dem vor Zorn ungeduldigen Hesekiel sind die Trübsale und Widerspenstigkeit der Juden geoffenbart worden (s. Hesekiel Kap. 3, V. 14), und der tiefbetrübte und im höchsten Grade lebensüberdrüssige Jeremia prophezeite die Leiden der Juden; so daß Josia ihn nicht befragen wollte, sondern sich lieber an eine damals lebende Prophetin wendete, deren weiblicher Sinn für eine Offenbarung der göttlichen Barmherzigkeit eher geeignet war. (S. 2. Buch der Chronik, Kap. 34.) Auch Micha hat dem Ahab niemals etwas Gutes prophezeit, wie andere wahre Propheten, (was aus dem 1. Buch der Könige Kap. 20 erhellt,) sondern nur Schlimmes für sein ganzes Leben (s. 1. Buch der Könige Kap. 22, V. 7 und deutlicher im 2. Buch der Chronik Kap. 18, V. 7). Die Propheten waren also je nach ihrer Gemütsart mehr für diese als für jene Offenbarungen geeignet.
Ferner war auch die prophetische Ausdrucksweise verschieden und entsprach der Redeweise des betreffenden Propheten. Die Prophezeiungen des Hesekiel und Amos sind nicht in dem vornehmen Stil des Jesaja und Nahum, sondern in einem geringeren Stil abgefaßt. Kenner des Hebräischen können dies noch näher bestätigt finden, wenn sie mehrere Kapitel verschiedener Propheten, welche denselben Gegenstand behandeln, mit einander vergleichen; der große Unterschied in der Ausdrucksweise wird ihnen nicht entgehen. Man vergleiche z. B. den Hofmann Jesaia im 1. Kap. vom 11. bis 20. Vers mit dem 5. Kap. des Bauern Amos vom 21. bis 24. Vers. Ferner vergleiche man die Anordnung und den Inhalt der Prophetie des Jeremia, die er im 49. Kap. über Edom schrieb, mit der Anordnung und dem Inhalt des Obadja; oder Jesaja Kap. 40, V. 19 und 20 und Kap. 44, von Vers 8 an, mit Hosea Kap. 8, V. 6 und Kap. 13, V. 2. Und so giebt es noch viele Stellen. Richtig aufgefaßt, zeigen diese Stellen alle, daß Gott sich keiner eigenen Ausdrucksweise bedient, sondern je nach der Bildung und Fähigkeit des Propheten fein, gedrängt, streng, schmucklos, weitschweifig oder dunkel spricht.
Die prophetischen Gesichte und Zeichen waren gleichfalls verschieden, wenn sie auch einen und denselben Gegenstand darstellen wollten; denn dem Jesaja erschien die aus dem Tempel weichende göttliche Glorie anders als dem Hesekiel. Die Rabbinen meinen zwar, beide Erscheinungen wären ganz gleich gewesen, nur sei Hesekiel, als Bauer, über die Maßen erstaunt darüber gewesen, weshalb er sie mit allen Nebenumständen beschrieben habe. Indessen wenn sie das nicht aus beglaubigter Überlieferung haben, was ich nicht glauben kann, so ist es reine Erdichtung. Denn Jesaja sah Seraphim mit sechs Flügeln, Hesekiel aber Tiere mit vier Flügeln. Jesaja sah Gott in Gewändern und auf königlichem Throne sitzend, Hesekiel dagegen in Gestalt eines Feuers. Ohne Zweifel hat daher jeder von beiden Gott so gesehen, wie er ihn sich vorzustellen pflegte.
Die prophetischen Gesichte unterschieden sich ferner von einander nicht bloß in ihrem Wesen, sondern auch in der Deutlichkeit. Die Erscheinungen, welche Sacharia hatte, waren so unklar, daß er sie selbst ohne Erläuterung nicht verstehen konnte, was aus dem Bericht darüber hervorgeht, und Daniel konnte die seinigen auch mit der Erläuterung nicht verstehen. Der Grund davon lag nicht etwa in der Schwierigkeit des Offenbarungsgegenstandes, (betraf derselbe doch lediglich menschliche Angelegenheiten, welche über die Grenzen menschlichen Wissens nur hinausgehen, sofern sie der Zukunft angehören,) sondern bloß darin, daß die Einbildungskraft Daniels im wachen Zustande weniger gut zu prophezeien vermochte als im Traume. Dies erhellt auch daraus, daß er gleich bei Beginn der Offenbarung so bestürzt war, daß er beinahe an seiner Kraft verzweifelte; wegen solcher Schwäche seiner Einbildungs- und Körperkraft war die Erscheinung für ihn so dunkel, daß er sie trotz der Erklärung nicht verstehen konnte. Und hier ist daran zu erinnern, daß die Worte, welche Daniel gehört, nur eingebildete gewesen seien (was ich oben gezeigt habe); kein Wunder daher, daß ihm in seiner damaligen Bestürzung alle jene Worte so verworren und dunkel vorkamen, daß er hernach nichts davon verstehen konnte. Diejenigen aber, welche meinen, Gott habe dem Daniel die Sache nicht klar offenbaren wollen, scheinen die Worte des Engels nicht gelesen zu haben, welcher ausdrücklich sagt (s. Kap. 10, V. 14): »er sei gekommen, um Daniel wissen zu lassen, was seinem Volke in späteren Zeiten widerfahren werde«. Somit blieben jene Dinge nur deshalb dunkel, weil in jener Zeit niemand lebte, dessen Einbildungskraft für eine klare Offenbarung stark genug gewesen wäre. – Jene Propheten endlich, denen geoffenbart wurde, daß Gott den Elia von hinnen nehmen werde, wollten den Elisa überreden, daß jener an einen andern Ort gebracht worden sei, wo er von ihnen noch gefunden werden könnte; was sicherlich klar beweist, daß sie die Offenbarung Gottes nicht richtig verstanden hatten.
Es ist unnötig, dies noch weitläufiger zu beweisen; denn nichts geht aus der Bibel deutlicher hervor als das, daß Gott dem einen Propheten die Gabe der Prophetie in höherem Grade zuteil werden ließ, als dem andern. Sorgfältiger und umständlicher will ich dagegen zeigen, daß die Prophetie oder die prophetischen Erscheinungen auch gemäß den verschiedenen Meinungen, von welchen die Propheten eingenommen waren, verschieden waren, und daß die Propheten verschiedene, sogar widersprechende Meinungen hatten, wie auch verschiedene Vorurteile. (Ich spreche hier von rein spekulativen Dingen, denn über ihre Frömmigkeit und guten Sitten denke ich ganz anders.) Dieser Gegenstand ist für mich von großer Wichtigkeit, denn ich werde daraus die Folgerung ableiten, daß die Prophetie die Propheten nicht gelehrter gemacht, sondern sie in ihren vorgefaßten Meinungen belassen hat, und daß wir mithin nicht gehalten sind, in rein spekulativen Dingen ihnen zu glauben.
Mit merkwürdiger Übereilung hat man sich von jeher allgemein eingeredet, die Propheten hätten alles gewußt, was dem menschlichen Denken zugänglich ist. Und obgleich uns manche Bibelstellen deutlich genug erkennen lassen, daß die Propheten manches nicht gewußt haben, so sagt man lieber, man verstehe jene Bibelstellen nicht richtig, als daß man zugiebt, die Propheten hätten irgend etwas nicht gewußt; oder aber sucht man die Bibelworte in einer Weise zu verdrehen, daß sie eben sagen muß, was sie ganz und gar nicht sagen will. Wäre ein derartiges Verfahren irgend statthaft, so wäre es fürwahr um die ganze Bibel geschehen; denn wie könnte man irgend etwas aus der Bibel beweisen, wenn die unzweideutigsten Stellen zu den dunklen und unverständlichen verwiesen oder nach Belieben gedeutet werden dürften. So ist z. B. in der Bibel nichts klarer, als daß Josua und vielleicht auch der Verfasser seiner Geschichte geglaubt haben, die Sonne bewege sich um die Erde, während diese stille stehe, aber eine Zeitlang sei auch die Sonne stille gestanden. Gleichwohl wird jene Stelle von vielen, welche nicht zugeben wollen, daß am Himmel irgend welche Veränderung vorkommen könne, so ausgelegt, daß sie nichts Derartiges zu sagen scheint. Andere wieder, welche richtiger zu philosophieren gelernt haben, weil sie einsehen, daß sich die Erde bewegt, die Sonne aber stille steht oder sich nicht um die Erde bewegt, geben sich alle Mühe, eben dieses aus der Bibel herauszupressen, trotz des offenbaren Gegenteils. Ich kann darüber nur staunen, denn ich frage: Sind wir etwa zu glauben gehalten, daß der Kriegsmann Josua Astronomie verstand? oder daß er die Ursache des Wunders kennen mußte, andernfalls ihm das Wunder nicht hätte geoffenbart werden und das Sonnenlicht nicht länger als sonst über dem Horizonte hätte bleiben können? Das eine wie das andere ist in meinen Augen lächerlich. Viel lieber sage ich ganz offen: Josua hat die wahre Ursache des längeren Verweilens jenes Lichtes nicht gekannt, er wie alle seine Leute glaubten vielmehr, die Sonne bewege sich täglich um die Erde und sei nur an jenem Tage eine Zeitlang stille gestanden, weshalb der Tag länger als sonst andauerte; daran dachte er nicht, daß das viele Eis, womit damals die Luft geschwängert war (s. Josua Kap. 10, V. 11), eine ungewöhnlich starke Lichtbrechung bewirken konnte, oder etwas Ähnliches, worauf ich hier nicht eingehen will. Ebenso wurde auch dem Jesaja das Zeichen des zurückweichenden Schattens geoffenbart, nach seinen Begriffen infolge der zurückweichenden Sonne; denn auch er glaubte, die Sonne bewege sich und die Erde stehe stille; an Nebensonnen hat er sicherlich nicht im Traume gedacht. Das können wir ohne das geringste Bedenken behaupten, da das Zeichen tatsächlich geschehen und dem König von Jesaja verkündet werden konnte, ohne daß der Prophet dessen wahre Ursache kennen mußte.
Ein Gleiches gilt vom Bau Salomos, wenn anders derselbe von Gott geoffenbart worden ist, nämlich daß alle seine Maßverhältnisse nach den Begriffen und Meinungen Salomos ihm geoffenbart wurden. Denn da wir keineswegs zu glauben verpflichtet sind, Salomo sei ein Mathematiker gewesen, so dürfen wir auch behaupten, daß er das Verhältnis der Peripherie zum Durchmesser des Kreises nicht gewußt, sondern wie ein gewöhnlicher Arbeiter geglaubt hat, es sei wie 3 zu 1. Sollte aber die Annahme, wir verstünden den Bibeltext 1. Buch der Könige Kap. 7, V. 23 nicht, statthaft sein, so weiß ich beim Himmel nicht, was wir überhaupt in der Bibel verstehen können; wird doch daselbst der Bau ganz einfach und rein geschichtlich erzählt. Ich meine, wenn man annehmen darf, die Bibel habe es anders gemeint, aber aus irgend einem uns unbekannten Grunde so schreiben wollen, wie sie geschrieben, so wird damit nichts weniger als die ganze Bibel auf den Kopf gestellt; denn mit gleichem Rechte könnte dann jeder von allen Bibelstellen das Gleiche behaupten und die Folge wäre, daß alles Verkehrte und Schlechte, was menschliche Bosheit nur ersinnen kann, unter biblischer Autorität verteidigt und verübt werden dürfte.
Indessen ist meine Behauptung nicht im mindesten gottlos; denn wenn auch Salomo, Jesaja, Josua etc. Propheten waren, so waren sie doch Menschen und nichts Menschliches war ihnen fremd.
Den Begriffen des Noah gemäß wurde ihm geoffenbart, daß Gott das Menschengeschlecht vertilge, weil er nämlich nicht wußte, daß die Welt auch außerhalb Palästinas bewohnt sei. Nicht bloß in derartigen, sondern in noch viel wichtigeren Dingen konnten die Propheten, ihrer Frömmigkeit unbeschadet, unwissend sein und sie waren es auch in der That. Haben sie doch gar nichts Besonderes über die göttlichen Eigenschaften gelehrt, vielmehr hatten sie von Gott die gewöhnlichsten Begriffe und diesen waren auch ihre Offenbarungen angepaßt, wie ich jetzt durch zahlreiche Belege aus der Bibel zeigen werde; so daß man leicht einsehen wird, daß die Propheten nicht eigentlich wegen ihres erhabenen und vorzüglichen Geistes als vielmehr wegen ihrer Frömmigkeit und Vortrefflichkeit des Herzens gelobt und gepriesen werden.
Adam, der erste, dem sich Gott geoffenbart, wußte nicht, daß Gott allgegenwärtig und allwissend sei; denn er versteckte sich vor Gott und suchte seinen Fehltritt vor Gott wie einem Menschen gegenüber zu entschuldigen. So offenbarte sich ihm Gott auch seinen Begriffen gemäß, nämlich als ob er nicht überall sei und Adams Aufenthalt und Sünde nicht wüßte. Denn Adam hörte oder glaubte Gott zu hören, wie er im Garten lustwandelte, ihn rief und fragte, wo er sei, und später – als sich Adam schämte – ob er von dem verbotenen Baume gegessen habe. Adam kannte also keine andere Eigenschaft Gottes, als daß er der Schöpfer aller Dinge gewesen. – Ebenso offenbarte sich Gott dem Kain seinen Begriffen gemäß, nämlich als ob er die menschlichen Thaten nicht kennte; eine reinere Gotteserkenntnis hatte er auch in der That nicht nötig, um seine Sünde zu bereuen. – Dem Laban offenbarte sich Gott als der Gott Abrahams, weil jener glaubte, jedes Volk habe seinen eigenen Gott. S. 1. Buch Mose Kap. 31, V. 29. – Auch Abraham wußte nicht, daß Gott allgegenwärtig sei und alles vorauswisse; denn als er den Urteilspruch gegen die Sodomiter vernommen, bat er Gott, ihn nicht eher zu vollstrecken, als bis er wüßte, daß sämtliche Sodomiter jene Strafe verdient hätten; er sagte nämlich (s. 1. Buch Mose Kap. 18, V. 24): »Vielleicht werden fünfzig Gerechte in jener Stadt gefunden«. Und Gott selbst offenbarte sich ihm nicht anders, da er, wie Abraham in seiner Einbildungskraft meinte, also sprach: »Nun will ich herabsteigen und sehen, ob sie wirklich das gethan, dessen die schwere Klage, welche zu mir gekommen, sie beschuldigt, oder ob nicht, auf daß ich (den Sachverhalt) wisse.« Auch das göttliche Zeugnis über Abraham (s. hierüber 1. Buch Mose Kap. 18, V. 19) erwähnt bloß seinen Gehorsam und daß er die Seinigen zum Rechten und Guten ermahnt, nicht aber, daß er von Gott höhere Begriffe gehabt habe. – Moses hatte gleichfalls nicht hinlänglich erkannt, daß Gott allwissend sei und alle menschlichen Handlungen nach seinem Ratschluß lenke. Denn obgleich Gott ihm gesagt hatte (s. 2. Buch Mose Kap. 3, V. 18), daß ihm die Israeliten gehorchen würden, so zog er die Sache dennoch in Zweifel und erwiderte (s. 2. Buch Mose Kap. 4, V. 1): »Wie aber, wenn sie mir nicht glauben und mir nicht gehorchen?« Deswegen hat sich ihm Gott auch als ein Wesen geoffenbart, das an den menschlichen Handlungen unbeteiligt ist und die künftigen Thaten der Menschen nicht kennt. Er gab ihm nämlich zwei Zeichen und sagte (2. Buch Mose Kap. 4, V. 8): »Wenn es geschehen sollte, daß sie dem ersten Zeichen nicht glauben, so werden sie doch dem andern glauben; wenn sie aber auch dem andern nicht glauben, so nimm (alsdann) etwas Wasser aus dem Fluß etc.« Fürwahr, wer die Ansichten des Moses ohne Vorurteil erwägt, muß deutlich erkennen, daß er sich unter Gott ein Wesen vorstellte, welches ewig war, ist und ewig sein wird, weshalb er Gott mit dem Namen Jehovah bezeichnet, welcher im Hebräischen diese drei Zeiten des Seins ausdrückt; von Gottes Natur aber hat Moses nichts Anderes gelehrt, als daß Gott barmherzig, gnädig etc. und sehr eifervoll ist, wie aus zahlreichen Stellen des Pentateuch hervorgeht. Ferner glaubte und lehrte er, daß dieses Wesen von allen andern sich dadurch unterscheide, daß es durch kein Bild irgend eines sichtbaren Gegenstands dargestellt, noch auch gesehen werden könne – nicht sowohl wegen der Schwierigkeit des Gegenstands, als wegen des menschlichen Unvermögens – und daß dasselbe außerdem in bezug auf seine Macht einzig sei. Zwar giebt er zu, daß es Wesen gebe, welche (ohne Zweifel auf Gottes Anordnung und Befehl) Gottes Stelle vertreten, d. h. Wesen, welchen Gott Ansehen, Recht und Gewalt gegeben, die Völker zu regieren, über sie zu wachen und für sie zu sorgen; von dem Wesen aber, das jene zu verehren verpflichtet waren, lehrte er, es sei der höchste und oberste Gott oder (um den hebräischen Ausdruck zu gebrauchen) der Gott der Götter; deshalb sagt er in dem Lied (des 2. Buches Mose Kap. 15, V. 11): »Wer unter den Göttern ist dir gleich, Jehovah?«, und Jetro (Kap. 18, V. 11): »Nun weiß ich, daß Jehovah größer ist als alle Götter«, d. h. ich muß nun dem Moses zugeben, daß Jehovah größer ist als alle Götter und einzig an Macht. Indessen kann man zweifeln, ob Moses jene Wesen, welche Gottes Stelle vertraten, für Gottes Geschöpfe hielt, da er, so viel wir wissen, über deren Erschaffung und Ursprung nichts gesagt hat. Moses lehrte weiter, daß dieses Wesen den Zustand des Chaos (s. 1. Buch Mose Kap. 1, V. 2) in dieser sichtbaren Welt beseitigt habe und Ordnung darin werden ließ, der Natur den Samen verschiedener Arten einpflanzte, weshalb ihm über alles das höchste Recht und die höchste Gewalt zustehe. Zufolge diesem höchsten Recht und dieser höchsten Gewalt habe dieses Wesen das hebräische Volk für sich allein auserwählt (s. 5. Buch Mose Kap. 10, V. 14 und 15), wie auch ein bestimmtes Land auf der Erde (s. 5. Buch Mose Kap. 4, V. 19 und Kap. 32, V. 8 und 9), die andern Völker und Länder aber der Fürsorge der andern von ihm bestellten Götter überlassen; weshalb dieses Wesen der Gott Israels und der Gott Jerusalems (s. 2. Buch der Chronik Kap. 32, V. 19), die andern Götter aber die Götter der übrigen Völker genannt werden. Aus diesem Grunde glaubten auch die Juden, jenes Land, welches Gott sich auserwählt hatte, erfordere einen besonderen von dem Gottesdienst anderer Länder ganz verschiedenen Gottesdienst; ja es könne den Dienst anderer Götter, der sich für andere Länder eigne, nicht dulden. Glaubte man doch, daß jene Völker, welche der König von Assyrien in das Land der Juden führte, deshalb von Löwen zerrissen wurden, weil sie den Gottesdienst dieses Landes nicht kannten (s. 2. Buch der Könige Kap. 17, V. 25 und 26). Nach Aben Esras Ansicht sagte daher auch Jakob zu seinen Söhnen, als er in die Heimat reisen wollte, sie sollten sich auf einen neuen Gottesdienst vorbereiten und die fremden Götter, d. h. den Dienst der Götter ihres Aufenthaltsorts, ablegen (s. 1. Buch Mose Kap. 35, V. 2 und 3). Auch David, da er zu Saul sagte, er sei wegen dessen Nachstellungen gezwungen, außerhalb seines Vaterlandes zu leben, fügte hinzu, er sei von dem Erbteil Gottes vertrieben und zum Dienst fremder Götter gesendet (s. 1. Buch Samuelis Kap. 26, V. 19). Endlich glaubte Moses auch, jenes Wesen, nämlich Gott, habe seine Wohnung im Himmel (s. 5. Buch Mose Kap. 33, V. 27), welche Meinung bei den Heiden sehr verbreitet war.
Wenn wir nun die Offenbarungen des Moses genauer ins Auge fassen, so finden wir, daß sie diesen Meinungen entsprachen. Da er glaubte, mit der Natur Gottes seien solche Zustände vereinbar, nämlich Barmherzigkeit, Gnade etc., so offenbarte sich ihm Gott auch diesem Glauben gemäß und unter diesen Eigenschaften (s. 2. Buch Mose Kap. 34, V. 6 und 7, wo erzählt wird, in welcher Weise Gott dem Moses erschienen ist; auch die Verse 4 und 5 der Zehn Gebote). Weiter wird in Kap. 33, V. 18 berichtet, Moses habe Gott gebeten, daß er ihm die Gunst erweisen möge, Gott sehen zu dürfen; weil aber Moses, wie schon bemerkt, sich kein Bild von Gott in seiner Einbildungskraft gemacht hatte, Gott aber (wie schon öfters hervorgehoben) sich den Propheten nie anders als nach der Beschaffenheit ihrer Einbildungskraft offenbart, so ist ihm auch Gott nicht unter einem Bilde erschienen; und nach meiner Ansicht kam dies daher, weil Moses der Macht der Einbildungskraft widerstand. Denn andere Propheten, ein Jesaja, Hesekiel, Daniel etc., bezeugen, Gott gesehen zu haben. Aus diesem Grunde gab ihm auch Gott zur Antwort: »Du wirst mein Antlitz nicht sehen können«, und weil Moses glaubte, Gott sei sichtbar, d. h. die Sichtbarkeit widerspreche keiner Seite des göttlichen Wesens, (da er sonst nicht darum gebeten hätte,) so fügte. Gott hinzu: »denn kein Mensch kann mich sehen und leben«. Gott giebt also einen Grund an, welcher der Meinung des Moses entsprach; er sagt nicht, die Sichtbarkeit widerspreche dem göttlichen Wesen, wie es sich in der That verhält, sondern er sagt, daß es nicht geschehen könne wegen der menschlichen Schwäche.
Ferner, als Gott dem Moses offenbaren wollte, daß die Israeliten, da sie das Kalb angebetet hatten, den andern Völkern gleich geworden seien, sagte er Kap. 33, V. 2 und 3, er werde einen Engel senden, d. h. ein Wesen, welches an Stelle des höchsten Wesens mit der Führung der Israeliten beauftragt sein soll, er selbst aber wolle nicht unter ihnen sein. Denn unter diesen Umständen hatte Moses keinen Grund mehr für die Annahme, daß die Israeliten Gott lieber seien als andere Nationen, welche Gott ebenfalls der Leitung andrer Wesen oder Engel überwiesen hatte, wie aus V. 16 desselben Kapitels erhellt.
Endlich offenbarte sich Gott, als ob er vom Himmel auf den Berg herabstiege, weil der Glaube herrschte, Gott wohne im Himmel, und Moses selbst stieg auf den Berg, um mit Gott zu reden, was gar nicht nötig gewesen wäre, wenn er sich Gott ebenso leicht anderswo hätte vorstellen können.
Die Israeliten wußten von Gott beinahe gar nichts, obgleich er ihnen geoffenbart war; das zeigten sie mehr als genug, als sie wenige Tage darauf seine Verehrung und seinen Dienst auf ein Kalb übertrugen und in diesem jene Götter erblickten, die sie aus Ägypten herausgeführt. Es wäre in der That kaum glaublich, daß Menschen, welche an den Aberglauben der Ägypter gewöhnt, ungebildet und durch eine harte Sklaverei heruntergekommen waren, gesunde Begriffe von Gott gehabt haben sollten, oder daß Moses ihnen etwas anderes beigebracht haben sollte, als was den Lebenswandel betrifft; aber auch das that er nicht als Philosoph, so daß sie aus eigenem Antrieb einen guten Lebenswandel führten, sondern als Gesetzgeber, damit sie durch die Macht des Gesetzes dazu genötigt würden. Ein guter Lebenswandel oder das rechte Leben, der Dienst Gottes und die Liebe zu ihm, war ihnen daher mehr eine Knechtschaft, nicht aber die wahre Freiheit und eine Gnade und Gabe Gottes. Er befahl ihnen, Gott zu lieben und seine Gesetze zu beobachten, um Gott für die empfangenen Wohlthaten (wie die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei etc.) Dank zu bezeigen; sodann schreckte er sie durch Drohungen, falls sie diese Vorschriften übertreten sollten und verhieß ihnen dagegen viel Gutes, wenn sie dieselben beobachteten. Er belehrte sie also gerade wie Eltern ihre der Vernunft noch unzugänglichen Kinder und es ist demnach gewiß, daß sie die Vortrefflichkeit der Tugend und die wahre Glückseligkeit nicht gekannt haben.
Jona meinte dem Angesicht Gottes entfliehen zu können, was zu beweisen scheint, daß auch er glaubte, Gott habe die Leitung der andern Länder außerhalb Judäa andern von ihm zu Stellvertretern eingesetzten Mächten überwiesen.
Im ganzen Alten Testament hat niemand vernunftgemäßer von Gott gesprochen als Salomo, der an natürlicher Einsicht alle seine Zeitgenossen übertraf. Daher dünkte er sich auch über das Gesetz erhaben, (denn dieses ist nur für solche vorhanden, welche der Vernunft und Weisungen der natürlichen Einsicht entbehren,) und achtete alle Gesetze, welche den König betreffen und hauptsächlich aus drei bestanden (s. Sprüche Sal. Kap. 16, V. 23), gering, ja er übertrat sie sogar (worin er übrigens irrte, wie denn auch seine Lebensweise nicht eines Philosophen würdig war, indem er den Sinnenlüsten fröhnte). Er lehrte, daß alle Glücksgüter eitel seien (s. den Prediger Salomo) und daß das höchste Gut der Menschen die Erkenntnis, die härteste Strafe die Thorheit sei (s. Prediger Salomo Kap. 16, V. 23).
Kehren wir nun wieder zu den Propheten zurück, um ihre widersprechenden Ansichten kennen zu lernen. Schon die Rabbinen, welche uns die noch vorhandenen prophetischen Bücher hinterlassen haben, (wie im Traktat Sabbath Kap. 1, Blatt 13, Seite 2 erzählt wird,) fanden die Ansichten des Hesekiel so sehr im Widerspruch mit den Ansichten des Moses, daß sie schwankten, ob sie das Buch Hesekiel unter die kanonischen Bücher aufnehmen sollten, und sie hätten es auch sicherlich verborgen, wenn nicht ein gewisser Hananja sich anheischig gemacht hätte, es auszulegen, was er auch mit viel Mühe und Fleiß zustande gebracht haben soll (wie ebendaselbst mitgeteilt wird); doch weiß man nicht näher, wie er dies angefangen, ob durch einen schriftlichen Kommentar, der vielleicht verloren ging, oder durch Änderungen und Zuthaten aus eigenem Kopfe, (was sehr keck gewesen wäre). Mag er nun so oder anders verfahren sein, das 18. Kapitel wenigstens stimmt nicht zu Vers. 7 des 34. Kapitels im 2. Buche Mose, auch nicht zu Vers 18, Kapitel 32 des Jeremia u. s. f. – Samuel glaubte, daß Gott einen Beschluß, den er einmal gefaßt, niemals bereue (s. 1. Buch Samuelis Kap. 15, V. 29); denn er sagte zu Saul, der seine Sünde bereute, zu Gott beten und ihn um Verzeihung bitten wollte, Gott werde seinen Beschluß über ihn nicht abändern. Dem Jeremia aber wurde das Gegenteil geoffenbart (s. Kap. 18, V. 8 und 10), nämlich, daß Gott sowohl das Schlimme als auch das Gute, was er über ein Volk verhängt habe, zurücknimmt, wenn die Menschen von der Zeit an, da das Urteil ergangen, sich zum Besseren oder Schlimmeren ändern sollten. – Joel hinwiederum lehrt, Gott nehme bloß das Schlimme zurück (s. dessen Buch Kap. 2, V. 13). – Endlich geht aus 1. Buch Mose Kap. 4, V. 7 deutlich hervor, daß der Mensch seine sündigen Begierden überwinden und das Gute thun könne; denn dies wird dem Kain gesagt, der sie doch nicht überwunden hat, wie aus der biblischen Erzählung hervorgeht. LANG="de-AT"> » ut ex ipsa Scriptura et Josepho constat«. Auerbach und Kirchmann: »wie aus der Bibel und Josephus erhellt«. Was Josephus hier beweisen soll, ist unerfindlich, und daß Spinoza, der so oft betont, die Bibel müsse aus sich selbst erklärt werden, sich auf Josephus berufen soll, ist kaum glaublich. Ich halte das Wort » et Josepho« für eine spätere Randglosse, welche auf die Geschichte Josephs hinweisen wollte, die ebenfalls zeigt, daß der Mensch seine Begierden überwinden kann. Ich glaubte daher, die beiden Worte unübersetzt lassen zu sollen. Das Gleiche ergiebt sich offenbar aus dem angeführten Kapitel des Jeremia, da er sagt, Gott nehme das Schlimme wie das Gute, welches er über die Menschen verhängt hat, zurück, wenn die Menschen Sitten und Lebenswandel ändern wollen. Paulus hingegen lehrt nichts deutlicher, als daß die Menschen keinerlei Gewalt über die Begierden des Fleisches hätten, ohne besondere Berufung und Gnade Gottes (s. den Brief an die Römer Kap. 9, von V. 10 an); und wenn er Kap. 3, V. 5 und Kap. 6, V. 19 Gott Gerechtigkeit zuschreibt, so verbessert er sich dahin, daß er hier in menschlicher Weise und wegen der Schwachheit des Fleisches also spreche.
Aus dem Vorstehendem erhellt also zur Genüge das, was ich mir zu beweisen vorgesetzt habe, nämlich, daß Gott seine Offenbarungen der Fassungskraft und den Meinungen der Propheten anbequemt hat; ferner daß die Propheten in Dingen, welche bloß das spekulative Denken, nicht die Liebe und den Lebenswandel betreffen, unwissend sein konnten und in der That auch waren; endlich daß die Propheten widersprechende Meinungen gehabt haben. Weit entfernt daher, daß wir aus ihnen die Kenntnis der Natur oder des Geistes schöpfen können. Ich ziehe daraus den Schluß, daß wir den Propheten nichts anderes zu glauben verpflichtet sind, als den Zweck und das Wesen der Offenbarung; im übrigen steht es jedermann frei, zu glauben, was ihm beliebt. Die Offenbarung des Kain z. B. lehrt uns nur, daß Gott den Kain zu einem guten Lebenswandel ermahnt hat; das allein ist Ziel und Zweck dieser Offenbarung, nicht aber eine Belehrung über die Freiheit des Willens oder andere philosophische Fragen. Ungeachtet also die Worte dieser Ermahnung und ihre Begründung die Freiheit des Willens unzweideutig voraussetzen, so dürfen wir dennoch das Gegenteil annehmen, indem jene Worte und Gründe bloß den Begriffen des Kain angepaßt sind. Ebenso will die Offenbarung des Micha nur lehren, daß Gott dem Micha den wahren Ausgang des Kampfes Ahabs gegen Aram geoffenbart hat, weshalb wir auch nur das zu glauben gehalten sind; was aber sonst noch in jener Offenbarung enthalten ist, über den wahren und falschen Geist Gottes, über das himmlische Heer, das zu beiden Seiten Gottes stand und andere Nebenumstände, das alles geht uns nichts an, und jeder mag davon halten, was seiner eigenen Vernunft entspricht. Dasselbe gilt von den Gründen,, mit welchen Gott dem Hiob seine Allmacht beweist – vorausgesetzt, daß diese Offenbarung wirklich stattgefunden hat und der Autor eine wirkliche Begebenheit erzählt und nicht (wie manche glauben) seine Gedanken in geschichtlichem Gewande dargestellt hat – sie sind den Begriffen Hiobs angepaßt und bestimmt, ihn allein zu überzeugen, aber keineswegs allgemein geltende Gründe von zwingender Beweiskraft für jedermann. Nicht anders verhält es sich mit den Gründen, durch welche Christus die Pharisäer der Hartnäckigkeit und Unwissenheit überführt und seine Jünger zu einem tugendhaften Leben ermahnt; auch er hat seine Gründe den Meinungen und Grundlehren eines jeden anbequemt. Wenn er z. B. zu den Pharisäern sagt (Matth. Kap. 11, V. 26): »Und wenn der Satan den Satan austreibt, so ist er mit sich selbst uneins, wie mag demnach sein Reich bestehen?«, so wollte er bloß die Pharisäer mit ihren eigenen Grundlehren schlagen, aber nicht etwa lehren, daß es böse Geister oder ein Reich von bösen Geistern gebe. So auch wenn er zu den Jüngern sagt (Matth. Kap. 18, V. 10): »Sehet zu, daß ihr keinen von diesen Kleinen da verachtet, denn wahrlich ich sage euch, ihr Engel im Himmel etc.«, so wollte er damit nur lehren, daß sie nicht stolz sein und niemand verachten sollen; aber nichts von dem, was in der Begründung enthalten ist und nur zur besseren Überzeugung der Jünger dienen soll. Unbedingt läßt sich das Gleiche von den Gründen und Zeichen der Apostel behaupten, doch ist es nicht nötig, dies weitläufig auszuführen. Wollte ich überhaupt alle Bibelstellen anführen, welche nur mit Rücksicht auf die menschliche Vorstellungsweise oder die Begriffe eines Einzelnen geschrieben sind und zum großen Nachteil für die Philosophie als göttliche Lehren verteidigt werden, so müßte ich die Kürze, deren ich mich befleißige, weit überschreiten. Es mag daher bei den wenigen aber allgemein bekannten sein Bewenden haben; die übrigen seien der Erwägung des eifrigen Lesers überlassen.
Obgleich nun aber hauptsächlich nur das, was hier über die Propheten und die Prophetie abgehandelt wurde, zur eigentlichen Aufgabe, die ich mir vorgesetzt, nämlich der Trennung der Philosophie von der Theologie, gehört, so glaube ich doch, da ich einmal diese Frage im Allgemeinen behandelt habe, auch untersuchen zu sollen, ob die Gabe der Prophetie nur den Hebräern eigentümlich war, oder auch bei allen andern Völkern vorkam, und sodann, was von der Berufung der Hebräer zu halten sei. Dies bildet den Inhalt des nächsten Kapitels.