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Fünfzehntes Kapitel.

Die Theologie ist weder der Vernunft noch die Vernunft der Theologie untergeordnet. Darlegung des Grundes, weshalb wir von der Autorität der heiligen Schrift überzeugt sind.


In Kreisen, in denen man die Philosophie von der Theologie nicht zu trennen weiß, streitet man darüber, ob die Bibel der Vernunft oder umgekehrt die Vernunft der Bibel untergeordnet werden müsse, d. h. ob der Sinn der Bibel der Vernunft, oder aber die Vernunft der Bibel angepaßt werden müsse. Das letztere wird von den Skeptikern behauptet, welche die Gewißheit der Vernunft bestreiten; das erstere von den Dogmatikern. Daß aber die einen wie die andern ganz gewaltig irren, geht aus unsern bisherigen Ausführungen hervor. Denn in beiden Fällen muß eins von beiden verfälscht werden, entweder die Vernunft oder die Bibel. Haben wir ja gesehen, daß die Bibel keine philosophischen Dinge, sondern nur Frömmigkeit lehrt und ihr ganzer Inhalt der Fassungskraft und den vorgefaßten Meinungen des Volkes angepaßt worden ist. Wer sie also der Philosophie anpassen will, der muß sicherlich den Propheten Dinge andichten, woran sie nicht im Traume gedacht haben, und ihre Meinung mißdeuten. Wer dagegen umgekehrt die Vernunft und Philosophie zur Magd der Theologie macht, der muß die Vorurteile eines Volkes aus alten Zeiten als göttliche Dinge gelten lassen und damit den Geist befangen machen und blenden. Also werden beide Unsinn behaupten, der eine mit, der andere ohne Vernunft.

Unter den Pharisäern war Maimonides der erste, welcher ausdrücklich den Satz aufstellte, die Bibel müsse der Vernunft angepaßt werden (seine Ansicht wurde von mir im 7. Kapitel beurteilt und mit vielen Gründen widerlegt). Obgleich aber dieser Autor unter den Pharisäern großes Ansehen genoß, so sind doch die meisten in diesem Punkte von ihm abgewichen und in die Fußstapfen eines gewissen Rabbi Jehuda Alphachar getreten, der, um dem Irrtum des Maimonides auszuweichen, in den entgegengesetzten Irrtum verfiel. Derselbe behauptet nämlich, Ich erinnere mich, dies einmal in einem Brief gegen Maimonides gelesen zu haben, der sich unter andern Briefen findet, die dem Maimonides zugeschrieben werden. Anm. des Verfassers. die Vernunft müsse der Bibel untergeordnet und ganz und gar unterworfen werden. Er meint daher auch, es dürfe keine Bibelstelle aus dem Grunde bildlich ausgelegt werden, weil ihr buchstäblicher Sinn der Vernunft widerspricht, sondern nur weil er der Bibel selbst, d. h. ihren klar ausgesprochenen Glaubenssätzen widerspricht. Dem entsprechend stellte er folgende allgemeine Regel auf: Was die Bibel als Glaubenssatz lehrt und mit deutlichen Worten behauptet, muß schon auf Grund ihrer Autorität unbedingt als wahr anerkannt werden. Man werde auch in der Bibel nirgends einen andern Glaubenssatz finden, der einem derartigen Glaubenssatz geradezu widerspräche, sondern nur durch Folgerung, indem die biblische Ausdrucksweise oft etwas vorauszusetzen scheint, was einem ausdrücklich gelehrten Glaubenssatz widerspricht; und das allein sei ein Grund, die betreffende Stelle bildlich auszulegen.

So z. B. lehrt die Bibel deutlich die Einheit Gottes (s. 5. Buch Mose Kap. 6, V. 4) und nirgends findet sich eine Stelle, welche ausdrücklich versichert, es gebe mehrere Götter, aber viele Stellen, wo Gott von sich oder die Propheten von Gott in der Mehrzahl reden. Diese Ausdrucksweise läßt nur auf die Annahme schließen, daß es mehrere Götter gebe, es ist aber keinesfalls die Absicht der betreffenden Stelle, das zu lehren. Darum müßten alle solche Stellen bildlich ausgelegt werden: nicht weil die Vielgötterei der Vernunft widerspricht, sondern weil die Bibel selbst ausdrücklich versichert, es gebe nur einen Gott. – Ebenso weil die Bibel im 5. Buch Mose Kap. 4, V. 15 geradezu versichert, (wie er meint,) Gott sei unkörperlich, darum müssen wir glauben, – und zwar lediglich auf die Autorität dieser Stelle hin, nicht aber der Vernunft – daß Gott keinen Körper habe und demgemäß müssen wir auf Grund der biblischen Autorität alle Stellen bildlich auslegen, welche Gott Hände, Füße etc. zuschreiben, da eben nur die Ausdrucksweise auf die Annahme, Gott sei körperlich, schließen läßt.

Das ist die Meinung jenes Autors, und sofern er die Bibel durch die Bibel auslegen will, lobe ich ihn; dagegen wundere ich mich, wie ein Mann von Vernunft der Vernunft so ins Gesicht schlagen mag. Es ist allerdings richtig, daß die Bibel durch die Bibel ausgelegt werden muß, so lange es sich darum handelt, den Sinn der Reden und die Meinung der Propheten zu ermitteln; ist aber einmal der wahre Sinn ermittelt, so müssen wir notwendig von unserem Urteil und unserer Vernunft Gebrauch machen, um zu wissen, ob wir demselben unsere Zustimmung erteilen können. – Wenn aber die Vernunft, auch wo sie der Bibel widerspricht, derselben dennoch ganz und gar zu unterwerfen wäre, so frage ich: müssen wir das mit Vernunft oder ohne Vernunft, gleich Blinden, thun? Wenn ohne Vernunft, so handeln wir als Thoren, ohne Urteil; wenn aber mit Vernunft, so erkennen wir also die Bibel nur an kraft der Vernunft und würden sie daher, wenn sie der Vernunft widerspräche, nicht anerkennen. –

Ich frage nun aber: Wer kann im Geiste etwas anerkennen, dem die Vernunft widerspricht? Und was heißt etwas im Geiste verneinen anders, als daß die Vernunft ihm widerspricht?

Ich kann mich wahrlich nicht genug darüber wundern, daß man die Vernunft, dieses köstliche Geschenk und göttliche Licht, toten Buchstaben, die überdies durch menschliche Bosheit verfälscht werden konnten, unterordnen will, und daß man es für kein Verbrechen hält, vom Geiste, der wahren Urschrift des göttlichen Worts, unwürdig zu sprechen, ihn für verderbt, blind und verworfen zu erklären, während man es für das größte Verbrechen hält, über den Buchstaben, das Sinnbild des Wortes Gottes, anderer Meinung zu sein. Diese Leute glauben, man wäre fromm, wenn man der Vernunft und dem eigenen Urteil mißtraut, gottlos, wenn man die Zuverlässigkeit derer, die uns die heiligen Bücher überliefert haben, bezweifelt. Das aber ist reine Thorheit, keine Frömmigkeit. Ich muß fragen: Was beunruhigt sie denn? was fürchten sie denn? Glauben sie etwa, Religion und Glaube könnten nicht verteidigt werden, wenn die Menschen nicht alles andere geflissentlich außer Acht lassen und der Vernunft ganz und gar den Laufpaß geben? Beim Himmel, wenn sie das glauben, so haben sie mehr Furcht vor der Bibel als Vertrauen zu ihr. Weit entfernt aber, daß Religion und Frömmigkeit die Vernunft, oder die Vernunft die Religion sich unterordnen will, oder daß beide ihr Gebiet nicht in größter Eintracht behaupten könnten! Ich komme bald hierauf zurück. Hier will ich vor allem die Regel des genannten Rabbiners prüfen.

Wie gesagt, geht seine Ansicht dahin, daß wir alles, was die Bibel behauptet, als Wahrheit anerkennen, alles, was sie verneint, als Unwahrheit verwerfen müssen. Weiter meint er, die Bibel behaupte oder verneine nirgends mit ausdrücklichen Worten etwas, was im Widerspruch stünde mit einer andern Stelle. Das eine wie das andere ist eine sehr leichtfertige Annahme, wovon sich jedermann überzeugen kann. Abgesehen davon, daß er außer Acht gelassen hat, daß die Bibel aus verschiedenen Büchern besteht, welche zu verschiedenen Zeiten, für verschiedene Menschen und von verschiedenen Verfassern geschrieben sind, und daß er überdies für diese Annahmen keine andere Autorität hat, als die eigene, indem die Vernunft nichts dergleichen sagt, hätte er doch beweisen müssen, daß alle Stellen, welche nur durch Folgerung andern Stellen widersprechen, bildlich ausgelegt werden könnten, ohne daß der Sprache und dem Sinn der Stelle Gewalt angethan werde. Ferner hätte er beweisen müssen, daß die Bibel unverfälscht auf uns gekommen sei.

Um nun aber die Sache in richtiger Ordnung zu behandeln, frage ich bezüglich des ersten Punkts: Wie ist es, wenn die Vernunft der Bibel widerspricht, müssen wir dennoch das, was die Bibel als wahr behauptet, als Wahrheit anerkennen, was sie als unwahr verneint, als Unwahrheit verwerfen? Er mag vielleicht hinzusetzen, es sei eben in der Bibel nichts enthalten, was der Vernunft widerspricht. Darauf halte ich ihm entgegen, daß die Bibel ausdrücklich versichert und lehrt, Gott sei eifersüchtig, (nämlich in den zehn Geboten selbst, im 2. Buch Mose Kap. 4, V. 14, im 5. Buch Mose Kap. 4, V. 24 und an vielen andern Stellen,) und daß das der Vernunft widerspricht. Also muß es nichtsdestoweniger als Wahrheit aufgestellt werden. Noch mehr: wenn in der Bibel Stellen gefunden werden sollten, welche auf die Annahme schließen lassen, daß Gott nicht eifersüchtig sei, so müßten diese Stellen notwendig bildlich ausgelegt werden, damit sie eine solche Annahme nicht zu enthalten scheinen. – So auch sagt die Bibel ausdrücklich, Gott sei auf den Berg Sinai herabgestiegen (s. 2. Buch Mose Kap. 19, V. 20 u. s. f.) und schreibt ihm noch andere örtliche Bewegungen zu; dagegen lehrt sie nirgends ausdrücklich, daß Gott sich nicht von Ort zu Ort bewegt. Auch das also muß jedermann als Wahrheit gelten lassen. Und wenn Salomo sagt, daß kein Ort Gott fassen könne (s. 1. Buch der Könige Kap. 8, V. 27), so müßte diese Stelle, da sie die Unbeweglichkeit Gottes nicht ausdrücklich behauptet, sondern nur folgern läßt, notwendig so erklärt werden, daß der Schein, als wollte sie Gott die örtliche Bewegung absprechen, wegfiele. – Desgleichen müßten die Himmel für Gottes Wohnung und Thron gehalten werden, da die Bibel dies ausdrücklich versichert. – Noch vieles derart, was nach den Meinungen der Propheten und des Volkes gesagt ist, und wohl nach der Vernunft und Philosophie, nicht aber nach der Lehre der Bibel falsch ist, müßte nach der Ansicht des in Rede stehenden Autors als Wahrheit angenommen werden, da doch die Vernunft in diesen Dingen keine Stimme hat.

Falsch ist ferner die andere Ansicht, daß eine Bibelstelle der andern niemals geradezu, sondern nur durch Folgerung widerspreche. Geradezu versichert Moses: »Gott ist ein Feuer« (s. 5. Buch Mose Kap. 4, V. 24), und geradezu verneint er, daß Gott mit sichtbaren Dingen irgend eine Ähnlichkeit habe (s. 5. Buch Mose Kap. 4, V. 12). Entgegnet etwa der Autor, diese Stelle verneine nicht geradezu, daß Gott ein Feuer sei, sondern nur durch Folgerung, und man müsse daher diese Stelle der andern anpassen, so daß sie diese Verneinung nicht zu enthalten scheint: wohl, so will ich ihm zugeben, daß Gott ein Feuer sei. Doch nein, gehen wir lieber über diese Stelle hinweg, um nicht mit unserm Autor baren Unsinn zu behaupten, und nehmen wir ein anderes Beispiel. Geradezu verneint Samuel, daß Gott sein Urteil bereue (s. 1. Buch Samuelis Kap. 15, V. 29), während Jeremia ganz im Gegenteil versichert, Gott bereue das Gute wie das Schlimme, das er beschlossen (s. Jeremia Kap. 18, V. 8 und 10). Nun? Widersprechen auch diese Stellen einander nicht geradezu? Und welche von beiden soll nach ihm bildlich erklärt werden? Beide Stellen sind allgemein gefaßt und beide widersprechen einander, was die eine geradezu behauptet, verneint die andere geradezu. Unser Autor muß also nach seiner eigenen Regel ein und dasselbe als wahr anerkennen und als falsch verwerfen.

Was macht es ferner aus, ob eine Stelle der andern nicht geradezu, sondern nur durch Folgerung widerspricht, wenn diese Folgerung klar ist und die Umstände und Fassung der Stelle bildliche Erklärungen nicht gestatten? Und solche Stellen kommen in der Bibel vielfach vor, worüber man das 2. Kapitel sehen möge, (wo gezeigt wurde, daß die Propheten entgegengesetzte und widersprechende Meinungen hatten). Besonders aber sehe man alle jene Widersprüche, die ich in der biblischen Geschichte nachgewiesen habe (nämlich 9. und 10. Kapitel).

Ich habe nicht nötig, auf alles näher einzugehen; das Bisherige genügt, die Widersinnigkeiten, welche aus dieser Ansicht und Regel folgen, wie ihre Unrichtigkeit und die Übereilung des Autors ins Licht zu setzen. Darum weise ich sowohl diese Ansicht wie auch die andere des Maimonides zurück und stelle als unerschütterliche Wahrheit den Satz auf, daß weder die Theologie der Vernunft, noch die Vernunft der Theologie untergeordnet werden darf, sondern jede von beiden ihr eigenes Reich behaupten muß: die Vernunft, wie schon gesagt, das Reich der Wahrheit und Weisheit, die Theologie aber das Reich der Frömmigkeit und des Gehorsams. Denn die Macht der Vernunft erstreckt sich, wie bereits gezeigt wurde, nicht so weit, daß sie bestimmen könnte, die Menschen vermöchten durch den Gehorsam allein ohne Erkenntnis der Dinge selig sein. Die Theologie aber schreibt nichts als dieses vor und gebietet nichts als Gehorsam; gegen die Vernunft will sie nichts und kann sie nichts. Denn sie bestimmt die Glaubenssätze (wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde) nur insoweit, als es zum Gehorsam genügt; wie aber diese Glaubenssätze genauer zu verstehen sind, um der Wahrheit zu entsprechen, das zu bestimmen, überläßt sie der Vernunft, welche das wahre Licht der Seele ist, ohne das sie nichts sieht als Traum- und Trugbilder.

Ich verstehe aber hier unter Theologie im engeren Sinne die Offenbarung, soweit sie das Ziel anzeigt, welches die Bibel nach meiner obigen Ausführung anstrebt, (nämlich die Art und Weise des Gehorsams oder die Glaubenssätze der wahren Frömmigkeit und des wahren Glaubens,) oder das, was im eigentlichen Sinne Gottes Wort heißt, welches nicht in einer gewissen Anzahl von Büchern besteht (darüber s. das 12. Kapitel). So aufgefaßt, wird man die Vorschriften und Anweisungen der Theologie mit der Vernunft übereinstimmend, ihr Ziel und ihren Zweck in keinem Punkt der Vernunft widersprechend finden, und daher ist sie für alle Menschen giltig.

Was nun die ganze Bibel im allgemeinen anbelangt, so wurde schon im 7. Kapitel gezeigt, daß ihr Sinn lediglich aus ihrer eigenen Geschichte zu bestimmen ist, nicht aber aus der allgemeinen Geschichte der Natur, welche nur für die Philosophie die Grundlage bildet. Auch dürfen wir uns nicht daran stoßen, wenn wir ihren auf diese Weise ermittelten Sinn da und dort mit der Vernunft im Widerspruch finden. Denn von allem, was die Bibel dieser Art enthält, oder was die Menschen unbeschadet der Liebe nicht zu wissen nötig haben, wissen wir gewiß, daß es die Theologie oder das Wort Gottes nicht berührt und daß daher jedermann darüber denken kann wie er will, ohne sich einer Sünde schuldig zu machen.

Wir gelangen also zu dem sicheren Ergebnis, daß weder die Bibel der Vernunft noch die Vernunft der Bibel angepaßt werden darf.

Nun könnte man aber folgenden Einwand gegen uns erheben: Da wir mit der Vernunft nicht beweisen können, daß die Grundlage der Theologie, nämlich daß die Menschen nur durch Gehorsam selig werden, Wahrheit sei, warum glauben wir alsdann daran? Thun wir es ohne Vernunft, wie Blinde, so handeln wir thöricht, ohne Urteil. Wollten wir hingegen behaupten, diese Grundlage könne durch die Vernunft wirklich bewiesen werden, so wäre demnach die Theologie ein Teil der Philosophie und dürfte von dieser nicht getrennt werden.

Hierauf habe ich folgendes zu antworten: Unbedingt behaupte ich, daß dieser fundamentale Glaubenssatz kein Ergebnis der natürlichen Vernunft, oder doch daß ihn noch niemand bewiesen hat, und daß darum die Offenbarung sehr notwendig gewesen sei; daß wir aber gleichwohl von unserem Urteil Gebrauch machen können, um das Geoffenbarte wenigstens mit moralischer Gewißheit anzuerkennen. Ich sage mit moralischer Gewißheit; denn es ist kein Grund zur Hoffnung vorhanden, daß wir jemals größere Gewißheit darüber erlangen können als die Propheten selbst, denen derselbe zuerst geoffenbart wurde und deren Gewißheit gleichfalls nur eine moralische gewesen ist, wie im 2. Kapitel dieses Traktats nachgewiesen wurde. Diejenigen also irren auf der ganzen Linie, welche die Autorität der Bibel mit mathematischen Beweisen darthun wollen. Denn die Autorität der Bibel hängt von der Autorität der Propheten ab und kann folglich mit keinen stärkeren Beweisen gestützt werden, als diejenigen waren, womit ehedem die Propheten das Volk von ihrer Autorität zu überzeugen pflegten.

Ja es kann sogar unsere Gewißheit darüber auf keine andere Grundlage gestützt werden, als auf diejenige, auf welche die Propheten ihre Gewißheit und Autorität stützten. Denn wir haben gesehen, daß die ganze Gewißheit der Propheten auf folgenden drei Dingen beruhte: 1) auf einer scharfen und lebhaften Einbildungskraft; 2) auf Zeichen; 3) endlich und hauptsächlich auf einer dem Rechten und Guten zugeneigten Gesinnung. Aus andere Gründe stützte sich ihre Gewißheit nicht und daher konnten sie auch weder dem Volke, zu dem sie einst durch das lebendige Wort redeten, noch uns, zu denen sie durch Schriften sprechen, ihre Autorität mit andern Gründen beweisen. – Was nun das erste anlangt, nämlich die lebhafte Vorstellung in der Einbildung, so konnte dies nur den Propheten selbst gewiß sein; daher kann und darf unsere ganze Gewißheit über die Offenbarung sich nur auf die beiden andern stützen, nämlich auf Zeichen und Lehren. Dies lehrt auch Moses ausdrücklich. Im 5. Buch Mose Kap. 18 befiehlt er dem Volke, es solle einem Propheten, der im Namen Gottes ein wahres Zeichen gegeben hat, Gehorsam leisten; hat er aber etwas Falsches vorhergesagt, so soll er zum Tod verurteilt werden, ebenso wie ein Prophet, der das Volk von der wahren Religion abtrünnig zu machen sucht, wenn er auch seine Autorität mit Zeichen und Wundern bekräftigt hat. S. hierüber das 5. Buch Mose Kap. 13. Es folgt daraus, daß sich ein wahrer Prophet von einem falschen nach der Lehre und nach dem Wunder unterscheidet. Denn nur einen solchen erklärt Moses für einen wahren Propheten und befiehlt, ihm ohne irgendwelche Furcht vor Täuschung zu gehorchen; falsche Propheten aber, sagt er, und des Todes schuldig seien Propheten, die entweder etwas fälschlich, wenn auch im Namen Gottes, vorhergesagt haben, oder falsche Götter lehren, wenn sie auch wahre Wunder verrichteten. Deshalb sind auch wir nur aus diesem Grunde gehalten, der Bibel, d. h. den Propheten, zu glauben, nämlich wegen ihrer durch Zeichen bekräftigten Lehre. Weil wir nämlich sehen, daß die Propheten Liebe und Gerechtigkeit über alles empfehlen und auf das allein hinzielen, so ziehen wir daraus den Schluß, daß sie nicht in trügerischer Absicht, sondern aus aufrichtigem Herzen gelehrt haben, die Menschen würden selig durch Gehorsam und Glauben. Und daraus, daß sie das noch überdies durch Zeichen bekräftigt haben, glauben wir überzeugt zu sein, daß sie es nicht leichtfertig behauptet haben, noch daß sie geistesgestört waren, während sie prophezeiten.

Noch mehr werden wir darin bestärkt, wenn wir bedenken, daß sie keine Sittenlehre erteilt haben, die mit der Vernunft nicht völlig übereinstimmt. Denn es ist nicht von ungefähr, daß das Wort Gottes bei den Propheten mit dem Worte Gott, das in unsrem Innern spricht, ganz und gar übereinstimmt. Und hierüber, sage ich, haben wir aus der Bibel ebensoviel Gewißheit, als es einst die Juden aus dem lebendigen Wort der Propheten geschlossen haben. Denn wir haben oben, am Schluß des 12. Kapitels, gesehen, daß die Bibel in Bezug auf ihre Lehre und das Wesentliche ihrer Geschichten unverfälscht in unsere Hände gelangt ist. Wir sind daher vollständig berechtigt, diese Grundlage der ganzen Theologie und Bibel anzuerkennen, wenn sie auch nicht mit mathematischem Beweise dargethan werden kann. Es wäre ja Unverstand, wollte man etwas, was durch so viele Zeugnisse der Propheten bestätigt ist, woraus den geistig Schwachen großer Trost entspringt und dem Staat kein geringer Nutzen erwächst, und was man ohne irgend eine Spur von Gefahr und Schaden glauben kann, nicht anerkennen, und zwar aus dem einzigen Grund, weil es nicht mathematisch bewiesen werden kann. Als ob wir zur weisen Einrichtung unseres Lebens nur als wahr gelten lassen dürften, was durch keinen Zweifelsgrund in Zweifel gezogen werden kann, und als ob nicht, unsere meisten Handlungen Unsicherheit wären und auf gut Glück unternommen würden.

Indessen gebe ich zu, daß diejenigen, welche meinen, Philosophie und Theologie widersprechen einander, weswegen man die eine oder die andere aus ihrem Reiche verjagen, von dieser oder jener sich lossagen müsse, nicht ohne Grund der Theologie einen festen Grund zu legen und sie mathematisch zu beweisen suchen. Denn wer, als allenfalls ein Verzweifelter oder Geisteskranker, wird der Vernunft leichten Herzens den Rücken kehren, Künste und Wissenschaften verachten und die Gewißheit der Vernunft bestreiten wollen?

Indessen kann ich sie doch nicht ganz entschuldigen, da sie die Vernunft zu Hilfe rufen wollen, um sie selbst, die Vernunft, zu verjagen, und einen Grund suchen, um durch dessen Gewißheit die Ungewißheit der Vernunft zu beweisen. Ja indem sie darauf ausgehen, die Wahrheit und Autorität der Theologie durch mathematische Beweise darzuthun und der Vernunft und der natürlichen Einsicht die Autorität abzusprechen, unterwerfen sie in Wahrheit die Theologie der Herrschaft der Vernunft und scheinen sie bestimmt vorauszusetzen, daß die Autorität der Theologie allen Glanzes entbehre, wenn sie nicht vom natürlichen Licht der Vernunft bestrahlt würde. Wenn sie aber hiergegen von sich rühmen, sie fühlten sich durch das innere Zeugnis des heiligen Geistes vollständig beruhigt und riefen die Vernunft lediglich aus dem Grunde zu Hilfe, um die Ungläubigen zu überführen, so ist solchen Reden nicht der geringste Glauben zu schenken, da leicht zu zeigen ist, daß sie entweder aus Leidenschaftlichkeit oder aus Prahlerei so reden. Denn aus dem vorigen Kapitel ergiebt sich aufs bestimmteste, daß der heilige Geist nur von guten Handlungen Zeugnis giebt; die auch Paulus deshalb im Brief an die Galater Früchte des heiligen Geistes nennt. Ist doch der heilige Geist selbst im Grunde nichts anderes als die Seelenruhe, welche durch gute Handlungen im Gemüt erzeugt wird. Über die Wahrheit und Gewißheit dessen aber, was lediglich Sache der Spekulation ist, giebt kein anderer Geist Zeugnis außer der Vernunft, welche das Reich der Wahrheit unumschränkt beherrscht, wie ich bereits gezeigt habe. Wenn jene also versichern, noch einen andern Geist zu besitzen, der ihnen über die Wahrheit Gewißheit giebt, so rühmen sie sich dessen fälschlich und sprechen bloß ein Vorurteil aus, das ihnen die Leidenschaft eingegeben, oder sie suchen ihre Zuflucht bei etwas Heiligem, weil sie Angst haben, sie könnten von den Philosophen besiegt und öffentlich dem Gelächter preisgegeben werden. Doch es nutzt ihnen nichts; denn welchen Altar kann sich der bauen, der die Majestät der Vernunft beleidigt?

Ich will sie nun aber verlassen, da ich meiner Aufgabe Genüge gethan zu haben glaube, indem ich gezeigt habe, daß und weshalb die Philosophie von der Theologie zu trennen ist, worin jede der beiden hauptsächlich besteht, daß keine von beiden der andern untergeordnet werden darf, sondern jede ihr Reich inne hat ohne irgend welche Beeinträchtigung von seiten der andern, und endlich auch, wo Gelegenheit gegeben war, auf die Widersinnigkeiten, Widerwärtigkeiten und Nachteile hingewiesen habe, welche daraus entstanden sind, daß die Menschen diese beiden Wissenszweige auf wunderliche Weise mit einander vermengt und es nicht verstanden haben, beide genau aus einander zu halten und die eine von der andern zu trennen.

Ehe ich jedoch weiter gehe, will ich hier ausdrücklich daran erinnern, (obwohl es bereits gesagt ist,) daß ich hier die heilige Schrift oder die Offenbarung, in Bezug auf ihre Nützlichkeit und Notwendigkeit, sehr hoch stelle. Denn da wir mit der natürlichen Vernunft nicht begreifen können, daß der schlichte Gehorsam der Weg zur Seligkeit sei, sondern nur die Offenbarung lehrt, daß dies durch die besondere Gnade Gottes, die wir mit der Vernunft nicht erlangen können, bewerkstelligt werde, so folgt daraus, daß die Bibel den Sterblichen sehr großen Trost gebracht hat. Da alle Menschen vollständig gehorchen können, und die Zahl derer, welche durch die Leitung der Vernunft allein eine tugendhafte Gesinnung sich aneignen, im Vergleich zum ganzen Menschengeschlecht sehr gering ist, so würden wir an der Seligkeit fast aller Menschen zweifeln, wenn wir nicht dieses Zeugnis der Bibel hätten.


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