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Über die Prophetie.
Prophetie oder Offenbarung ist die von Gott den Menschen geoffenbarte sichere Erkenntnis einer Sache. Ein Prophet aber ist der, welcher das von Gott Geoffenbarte andern verdolmetscht, welche keine sichere Erkenntnis der von Gott geoffenbarten Dinge haben und daher die Offenbarungen bloß durch den Glauben annehmen können. Ein Prophet heißt nämlich bei den Hebräern נביא; nabi, d. h. Redner und Dolmetscher. In der Bibel aber wird das Wort immer von einem Dolmetscher Gottes gebraucht, was aus dem 2. B. Mose Kap. 7 V. 1 ersichtlich ist. Dort spricht Gott zu Moses: »Siehe, ich habe dich einen Gott gesetzt über Pharao und Aaron, dein Bruder, soll dein Prophet sein.« Das will sagen: Weil Aaron das, was du sprichst, dem Pharao verdolmetscht und also die Rolle eines Propheten spielt, so wirst du gleichsam der Gott des Pharao sein oder der, welcher die Stelle Gottes vertritt.
Von den Propheten soll im nächsten Kapitel die Rede sein, hier behandle ich die Prophetie. Aus der vorstehenden Definition derselben ergiebt sich, daß die natürliche Erkenntnis Prophetie heißen kann. Denn was wir durch hie natürliche Einsicht erkennen, hängt einzig und allein von der Erkenntnis Gottes und seinem ewigen Ratschluß ab. Weil aber diese natürliche Erkenntnis allen Menschen gemein ist, darum wird sie von der auf das Seltene und Übernatürliche erpichten und die Gaben der Natur geringschätzenden Menge nicht so hoch geschätzt; sie will daher überall, wo von prophetischer Erkenntnis die Rede ist, die natürliche Erkenntnis ausgeschlossen wissen. Gleichwohl aber kann diese mit demselben Recht wie jede andere, welche es immer sei, eine göttliche heißen, weil die Natur Gottes, soweit wir daran teilhaben, und Gottes Ratschluß uns dieselbe gewissermaßen eingiebt, und weil sie von jener Erkenntnis, welche alle die göttliche nennen, sich nur darin unterscheidet, daß die letztere sich über die Grenzen der natürlichen Erkenntnis erstreckt und die Gesetze der menschlichen Natur an und für sich nicht ihre Ursache sein können. Hinsichtlich der Gewißheit aber, welche der natürlichen Erkenntnis innewohnt, und der Quelle, aus welcher sie sich herleitet (nämlich Gott), steht sie in keiner Weise der prophetischen Erkenntnis nach; es müßte denn jemand behaupten oder vielmehr träumen wollen, die Propheten hätten zwar einen menschlichen Leib, aber keine menschliche Seele gehabt und ihre Wahrnehmungen und ihr Bewußtsein sei daher von ganz anderer Beschaffenheit gewesen als die unsrigen.
Indessen wenn auch das natürliche Wissen göttlich ist, so können doch die Verbreiter desselben nicht Propheten genannt werden. Denn was sie lehren, können auch andere Menschen mit ebensoviel Gewißheit und Selbständigkeit wie sie selbst erkennen und anerkennen, nicht nur auf Grund des bloßen Glaubens.
Da also unsere Seele schon allein dadurch, daß sie die Natur Gottes gegenständlich in sich enthält und an derselben teilhat, die Fähigkeit besitzt, sich Begriffe zu bilden, welche die Natur der Dinge enthüllen und den Gebrauch des Lebens lehren, so können wir billig die Natur der Seele in dieser Hinsicht als erste Ursache der göttlichen Offenbarung bezeichnen. Denn alles, was wir klar und deutlich erkennen, giebt wie gesagt die Idee und Natur Gottes uns ein, nicht zwar mit Worten, sondern auf eine Weise, die viel besser ist und der Natur der Seele mehr entspricht; wie ohne Zweifel jeder an sich selber erfahren hat, der die überzeugende Kraft der Vernunft gefühlt hat.
Dies Wenige mag hier über die natürliche Einsicht genügen, da meine Absicht vorzugsweise darauf gerichtet ist, von dem zu reden, was die Bibel allein betrifft. Ich wende mich daher zu den andern Ursachen und Mitteln, wodurch Gott den Menschen Dinge offenbart, welche über die Grenzen der menschlichen Erkenntnis hinausgehen, oder auch nicht über sie hinausgehen. (Denn nichts hindert Gott, das, was wir durch die natürliche Einsicht erkennen, den Menschen auf andere Weise mitzuteilen.) Hierüber will ich mich nun ausführlicher verbreiten.
Es muß nun aber alles, was hierüber gesagt werden kann, aus der Bibel selbst geschöpft werden. Denn was anderes könnten wir wohl über Dinge sagen, die über die Grenzen unseres Denkens hinausgehen, als was uns von den Propheten selbst mündlich oder schriftlich mitgeteilt worden ist? Da wir nun meines Wissens heutzutage keine Propheten haben, so bleibt uns nichts anderes übrig, als die heiligen Schriften aufzuschlagen, welche uns von den Propheten hinterlassen worden sind. Dabei müssen wir uns aber hüten, daß wir nichts von solchen Dingen behaupten oder den Propheten selbst zuschreiben, was diese nicht selbst klar und deutlich ausgesprochen haben.
Hier ist nun besonders zu beachten, daß die Juden niemals der allgemeinen oder besonderen Mittelursachen Erwähnung thun und sich überhaupt gar nicht um sie kümmern, sondern aus Religiosität, Frömmigkeit oder Demut (wie man im Volke zu sagen pflegt) immer alles unmittelbar auf Gott beziehen. Haben sie z. B. im Handel Geld gewonnen, so sagen sie, Gott habe es ihnen verliehen; wünschen sie irgend etwas, so sagen sie, Gott habe ihr Herz darauf gerichtet; und denken sie etwas, so sagen sie ebenfalls, Gott habe es ihnen mitgeteilt. Aus diesem Grunde kann nicht alles, wovon es in der Bibel heißt, Gott habe es jemand gesagt, als Prophetie oder übernatürliche Erkenntnis angesehen werden, sondern bloß solches, wovon die Bibel ausdrücklich sagt, oder wo aus den Umständen der Erzählung folgt, daß es Prophetie oder Offenbarung gewesen sei.
Wenn wir nun die heilige Schrift durchblättern, so werden wir finden, daß alles, was Gott den Propheten geoffenbart, entweder in Worten, oder in Bildern, oder auf beiderlei Art, in Worten sowohl als in Bildern, geoffenbart wurde. Diese Worte und Bilder aber waren teils wirklich vorhandene, so daß der Prophet sich nicht bloß einbildete, sie zu hören oder zu sehen, teils waren es eingebildete, indem nämlich die Einbildungskraft des Propheten, auch im Wachen, in einen Zustand gesetzt wurde, wo es ihm deutlich vorkam, etwas zu hören oder zu sehen.
Mit wirklichen Worten hat Gott dem Moses die Gesetze geoffenbart, die er den Hebräern vorgeschrieben, wie aus 2. Buch Mose Kap. 25 V. 22 hervorgeht, wo Gott sagt: »Dort will ich dich erwarten und mit dir reden aus jenem Ort des Zeltes, der zwischen den beiden Cherubim ist.« Aus diesen Worten erhellt, daß Gott sich einer wirklichen Stimme bedient hat, indem Moses, so oft er wollte, Gott daselbst zum Sprechen bereit fand. Diese Stimme allein, mit welcher das Gesetz verkündet wurde, war eine wirkliche Stimme, wie ich gleich zeigen werde.
Die Stimme, mit welcher Gott den Samuel rief, würde ich ebenfalls für eine wirkliche Stimme halten, weil es im 1. Buch Samuelis Kap. 3 im letzten Vers heißt: »Und wieder erschien Gott dem Samuel zu Silo, denn Gott offenbarte sich dem Samuel in Silo, durch das Wort Gottes«; was wohl sagen will: die dem Samuel gewordene Erscheinung Gottes war nichts anderes, als daß Gott sich ihm durch das Wort geoffenbart, oder daß Samuel Gott reden hörte. Weil wir jedoch zwischen der Prophetie des Moses und der übrigen Propheten einen Unterschied machen müssen, so haben wir notgedrungen die von Samuel gehörte Stimme für eine eingebildete zu erklären; was auch daraus hervorgeht, daß sie der Stimme des Eli ähnlich war, welche Samuel am häufigsten hörte, die er daher auch mittelst der Einbildungskraft eher vernehmen konnte. Denn da ihn Gott dreimal rief, glaubte er jedesmal, Eli habe ihn gerufen. – Die Stimme, welche Abimelech hörte, war ebenfalls eine eingebildete; denn 1. Buch Mose Kap. 20, V. 6 heißt es: »Gott sprach zu ihm im Traume etc.« Also nicht im wachen Zustande, sondern nur im Traume, (wo die Einbildungskraft naturgemäß am ehesten geeignet ist, nicht vorhandene Dinge wahrzunehmen,) konnte er sich einbilden, den göttlichen Willen zu erfahren.
Die Worte der zehn Gebote sind nach der Meinung einiger Juden nicht von Gott gesprochen worden, sondern sie glauben, die Israeliten hätten bloß ein Geräusch ohne Worte gehört, während dessen Dauer die Gesetze der zehn Gebote nur innerlich von ihnen vernommen worden seien. Ich selbst war früher ebenfalls dieser Ansicht, weil ich fand, daß die Worte der zehn Gebote im zweiten Buche Mose von den Worten der zehn Gebote im fünften Buche Mose abweichen, woraus zu folgen scheint, (da doch Gott nur ein einziges Mal gesprochen hat,) daß die zehn Gebote nicht die eigentlichen Worte Gottes, sondern nur ihren Sinn enthalten. Will man indessen der Bibel keine Gewalt anthun, so muß man unbedingt zugeben, daß die Israeliten eine wirkliche Stimme gehört haben. Denn die Bibel sagt ausdrücklich im 5. Buche Mose Kap. 5, V. 4: »Von Angesicht zu Angesicht hat Gott mit euch geredet etc.«, d. h. wie zwei Menschen ihre Gedanken sich einander mitzuteilen pflegen, durch Vermittlung ihrer beiderseitigen Sinneswerkzeuge. Daher scheint die Annahme mehr der Bibel gemäß zu sein, daß Gott eine wirkliche Stimme geschaffen habe, mittelst welcher er die zehn Gebote geoffenbart. Warum aber das zweite Buch von dem fünften in Wort und Inhalt abweicht, darüber siehe das 8. Kapitel. Dessenungeachtet ist damit noch nicht jede Schwierigkeit gehoben; denn vernunftwidrig scheint auch die Annahme, daß ein geschaffenes Wesen, welches ebenso wie alle andern von Gott abhängig ist, das Wesen oder das Dasein Gottes thatsächlich oder mit Worten enthüllen soll. Heißt es ja in erster Person: »Ich bin Jehovah dein Gott etc.« Zwar wenn jemand mit dem Munde sagt: »Ich habe verstanden«, weiß jeder, daß der Geist, nicht der Mund des Sprechenden es verstanden hat; aber deswegen, weil der Mund des Sprechenden zu seiner Person gehört und auch der, an den das Wort gerichtet ist, ganz gut weiß, was Verstehen heißt und den Sinn des Sprechenden durch Vergleichung mit sich selbst leicht begreift. Die Juden aber kannten von Gott vorher nichts als den Namen und wollten mit ihm selbst reden, um sich über sein Dasein zu vergewissern; daher sehe ich nicht ein, wie ihrem Begehr Genüge geschehen sein soll durch ein geschaffenes Wesen, (welches zu Gott in keiner nähern Beziehung steht, als irgend ein anderes geschaffenes Wesen und zum Wesen Gottes nicht gehört,) welches sagt: »Ich bin Gott.« Wie, wenn Gott die Lippen des Moses – oder was sage ich Moses? irgend eines Tieres genötigt hätte, jene Worte hervorzubringen und zu sagen: »Ich bin Gott«, hätten sie sich dadurch etwa vom Dasein Gottes überzeugt? – Hierzu kommt, daß die Bibel selbst bestimmt zu sagen scheint, Gott selbst habe gesprochen (zu welchem Ende er vom Himmel auf den Berg Sinai herabgestiegen ist) und die Juden hätten ihn reden gehört und ihre Ältesten ihn sogar gesehen (siehe 2. Buch Mose Kap. 24). Nirgends enthält auch das dem Moses geoffenbarte Gesetz, welchem nichts hinzugefügt und von welchem nichts hinweggenommen werden darf und welches als Landesgesetz aufgestellt wurde, irgend eine Vorschrift, daß wir glauben sollen, Gott sei unkörperlich und habe weder Bild noch Gestalt; es lehrt nur, daß es einen Gott giebt und schreibt vor, an ihn zu glauben, ihn allein anzubeten, ihm kein Bild anzudichten und keins von ihm zu machen. Denn da sie Gottes Bild nicht gesehen hatten, konnten sie auch kein Bild machen, welches Gott, sondern jedenfalls nur ein solches, welches einem geschaffenen Wesen, das sie gesehen hatten, ähnlich gewesen wäre, und hätten sie Gott in einem solchem Bilde angebetet, so hätten sie nicht an Gott gedacht, sondern an das Ding, dem jenes Bild ähnlich war und diesem die Ehre und Anbetung angedeihen lassen, welche Gott gebührte. Die Bibel sagt sogar deutlich, Gott habe Gestalt und dieselbe sei dem Moses sichtbar geworden, wenn er Gott reden hörte, doch habe Moses von ihr bloß die Rückseite zu sehen bekommen. Ich zweifle darum nicht, daß hier irgend ein Geheimnis steckt, worüber ich mich später ausführlicher äußern werde. Hier will ich nur die Bibelstellen weiter verfolgen, welche die Mittel angeben, durch welche Gott den Menschen seine Ratschläge geoffenbart hat.
Daß die Offenbarung durch Gesichte allein erfolgt ist, erhellt aus dem 1. Buch der Chronik Kap. 22, wo Gott dem David seinen Zorn durch einen Engel kundgiebt, der ein Schwert in der Hand hält; ebenso dem Bileam. Zwar meinen Maimonides und andere, diese und alle andern Geschichten, welche von Engelserscheinungen handeln, wie jene des Manoah, Abraham, als er seinen Sohn opfern zu sollen glaubte u. s. f., hätten sich im Traume zugetragen, weil niemand mit offenen Augen einen Engel sehen könne. Aber das ist bloß leeres Geschwätz von Leuten, welche aristotelische Träumereien und ihre eigenen Erfindungen mit Gewalt aus der Bibel herauslesen wollen; ein höchst lächerliches Unterfangen in meinen Augen.
Dagegen hat Gott dem Josef seine künftige Herrschaft nicht in wirklichen Gesichten geoffenbart, sondern in solchen, die bloß in der Einbildung des Propheten vorhanden waren.
Durch Gesichte und Worte hat Gott dem Josua geoffenbart, daß er für die Israeliten kämpfen werde, indem er ihm einen Engel mit gezücktem Schwert sehen ließ, gleichsam als Heerführer, was er ihm auch mit Worten offenbarte und Josua vom Engel hörte. Auch dem Jesajah (wie im 6. Kapitel erzählt wird) wurde durch Gestalten dargestellt, daß Gottes Vorsehung das Volk verlasse. Er sah nämlich den dreimal heiligen Gott auf einem hohen Thron, das Volk Israel aber mit dem Schmutz der Sünden befleckt und gleichsam im Kot versunken, also von Gott sehr weit entfernt. Er verstand darunter den damals überaus elenden Zustand des Volkes; dessen künftigen Leiden aber wurden ihm durch Worte, welche Gott gesprochen zu haben schien, geoffenbart. Dergleichen Beispiele könnte ich noch viele anführen, doch halte ich sie für hinlänglich bekannt.
Das alles wird noch nachdrücklicher bestätigt durch die Stelle 4. Buch Mose Kap. 12, V. 6 und 7, welche also lautet: »Ist einer von euch ein Prophet Gottes, dem will ich mich in einem Gesicht offenbaren (d. h. durch Gestalten und Zeichen; denn von der Prophetie des Moses sagt er, sie sei Gesicht ohne Zeichen,) oder will mit ihm im Traume reden (d. h. nicht in wirklichen Worten und mit wirklicher Stimme). Aber nicht also (offenbare ich mich) dem Moses, von Mund zu Mund rede ich mit ihm und durch Gesichte, nicht aber in Rätseln, und das Bild Gottes schaut er (d. h. er schaut mich wie seines Gleichen und redet mit mir ohne Furcht, wie es im 2. Buch Mose Kap. 12 heißt). Darum unterliegt es keinem Zweifel, daß die andern Propheten eine wirkliche Stimme nicht gehört haben. Noch mehr wird das durch 5. Buch Mose Kap. 34, V. 10 bestätigt, wo es heißt: »Und es stand (eigentlich: stand auf) hinfort in Israel kein Prophet wie Moses, welchen Gott erkannt hat von Angesicht zu Angesicht«; was indessen auch nur von der Stimme zu verstehen ist, denn Gottes Angesichts hat auch Moses nie gesehen, 2. Buch Mose Kap. 33.
Außer diesen Mitteln finde ich in der heiligen Schrift keine, durch welche sich Gott den Menschen mitgeteilt hätte, und es dürfen somit, wie oben gezeigt, keine anderen erdichtet oder angenommen werden. Allerdings wissen wir bestimmt, daß sich Gott den Menschen unmittelbar mitteilen kann; denn ohne sinnliche Mittel in Anwendung zu bringen, teilt er unsrem Geiste seine Wesenheit mit. Allein ein. Mensch, der mit dem Geist allein etwas begreifen wollte, was in den Grundlagen unseres Denkens weder enthalten ist, noch von ihnen abgeleitet werden kann, müßte notwendig einen weit vortrefflicheren und vollkommneren Geist haben, als andere Menschen. Ich glaube aber nicht, daß irgend jemand einen solchen Grad der Vollkommenheit vor anderen erlangt hat, Christus allein ausgenommen, dem die göttlichen Ratschlüsse, welche die Menschen zum Heil führen, unmittelbar, ohne Worte oder Gesichte, geoffenbart worden sind, so daß Gott durch den Geist Christi sich den Aposteln geoffenbart hat, wie einst dem Moses durch die Vermittlung einer Stimme aus Luft. Die Stimme Christi kann daher wie jene, welche Moses hörte, Gottes Stimme genannt werden. Und in diesem Sinne können wir auch sagen, die Weisheit Gottes, das ist die Weisheit, welche die menschliche Weisheit überragt, habe in Christus menschliche Natur angenommen, und Christus sei der Weg des Heils gewesen.
Ich muß aber daran erinnern, daß ich hier keineswegs von dem rede, was einige Kirchen von Christus behaupten, und es auch nicht bestreite; ich gestehe vielmehr offen, daß ich nichts davon verstehe. Was ich soeben festgestellt habe, leite ich aus der Bibel selbst her. Ich habe aber nirgends gelesen, daß Gott Christus erschienen sei oder mit ihm gesprochen habe, sondern daß Gott sich den Aposteln durch Christus geoffenbart habe, daß er ferner der Weg des Heils sei und daß endlich das alte Gesetz durch einen Engel, nicht aber unmittelbar von Gott überliefert worden sei u. s. f. Wenn also Moses mit Gott von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mensch mit dem andern (d. h. durch Vermittlung der beiderseitigen Sinnesorgane), redete, so verkehrte dagegen Christus mit Gott von Geist zu Geist.
Ich stelle also den Satz auf, daß außer Christus niemand anders als mit Hilfe der Einbildungskraft, nämlich durch Worte und Bilder, göttliche Offenbarungen empfangen habe, und daß daher zum Prophezeien nicht etwa ein vollkommenerer Geist, als vielmehr eine lebhaftere Einbildungskraft gehört, was ich im folgenden Kapitel deutlicher zeigen werde. Hier ist noch zu erörtern, was die heilige Schrift unter dem Geist Gottes versteht, von dem sie sagt, daß er den Propheten eingeflößt worden sei oder daß sie aus ihm gesprochen hätten. Zu diesem Behufe ist zunächst die sprachliche Bedeutung des hebräischen Wortes רוח ruagh zu untersuchen, das gewöhnlich mit »Geist« übersetzt wird.
Das Wort רוח ruagh bedeutet bekanntlich im eigentlichen Sinne Wind, wird aber häufig zur Bezeichnung sehr vieler anderer Dinge gebraucht, die davon hergeleitet werden. 1. bezeichnet man damit den Hauch, wie Psalm 135, Vers 17: »Auch ist kein Geist in ihrem Munde.« – 2. die Seele oder den Odem, wie 1. Buch Samuelis Kap. 30, V. 12: »Und der Geist kehrte wieder in ihn zurück«, d. h. er atmete wieder. – 3. Davon leitet sich die weitere Bedeutung ab: Mut und Kraft, wie Josua Kap. 2, V. 11: »Seitdem ist kein Geist mehr in irgend einem Manne.« Ebenso Hesekiel Kap. 2, V. 2: »Und es kam in mich ein Geist (so viel als Kraft), welcher mich auf meine Füße stellte.« – 4. Hiervon wird die weitere Bedeutung abgeleitet: Fähigkeit und Tauglichkeit, wie Hiob Kap. 33, V. 8: »Gewiß, der Geist im Menschen ist es«, d. h. die Weisheit ist nicht schlechthin bei den Alten zu Hause, vielmehr weiß ich jetzt, daß sie von der Fähigkeit und Anlage jedes Menschen abhängt.« Ebenso 4. Buch Mose Kap. 27, V. 18: »Ein Mann, in welchem der Geist ist.« – 5. bezeichnet man damit die Gesinnung, wie 4. Buch Mose Kap. 14, V. 34: »Darum, daß ein anderer Geist in ihm ist,« d. h. eine andere Gesinnung oder Denkart. Ebenso Sprüche Salomos Kap. 1, V. 23: »Ich werde euch meinen Geist sagen« (d. h. meine Denkart). In diesem Sinne bezeichnet man damit auch den Willen, den Beschluß, den Trieb und das Verlangen, wie Hesekiel Kap. 2, V. 12: »Wohin der Geist (d. h. der Wille) zu gehen, da gingen sie hin.« Ebenso Jesajah Kap. 30, V. 1: »Und um auszugießen einen Erguß, aber nicht aus meinem Geiste« und Kap. 29, V. 10: »Weil Gott über sie ausgegossen einen Geist (d. h. einen Trieb) des Schlummers.« Und Buch der Richter Kap. 8, V. 3: »Da ward ihr Geist besänftigt,« d. h. ihr Verlangen. Ebenso Sprüche Salomos Kap. 16, V. 32: »Wer seinen Geist beherrscht (d. h. seinen Trieb), ist besser als wer eine Stadt erobert.« Ebendaselbst Kap. 25, V. 28: »Ein Mann, der seinen Geist nicht bezähmt.« Auch Jesajah Kap. 33, V. 11: »Euer Geist ist ein Feuer, welches euch verzehrt.« Sofern das Wort ruagh Seele bedeutet, wird es zur Bezeichnung aller Seelenbewegungen und seelischen Eigenschaften angewendet. So sagt man »hoher Geist« (für Stolz); »gebeugter Geist« (für Demut); »böser Geist« (für Haß oder Schwermut); »guter Geist« (für Güte); »Geist der Eifersucht«; Geist, (d. h, Trieb) der Unzucht«; »Geist der Weisheit, des Rats, der Tapferkeit« d. h. eine weise, kluge, tapfere Seele, oder die Gabe der Weisheit, des Rats, der Tapferkeit (denn die hebräische Sprache gebraucht lieber Hauptwörter als Eigenschaftswörter); »Geist des Wohlwollens« etc. – 6. bezeichnet das Wort den Geist oder Lebensgeist selbst, wie Prediger Salomos Kap. 3, V. 19: »Alle haben einen Geist« (d. h. Lebensgeist) und ebendaselbst Kap. 12, V. 7: »Und der Geist kehret zurück zu Gott.« – 7. endlich bezeichnet das Wort die Weltgegenden, (wegen der Winde, die daher wehen,) wie auch die Seiten eines Gegenstandes, welche den Weltgegenden zugekehrt sind. Siehe Hesekiel Kap. 37, V. 9 und Kap. 42, Verse 16, 17, 18, 19 u. s. f.
Es ist nun weiter zu beachten, daß häufig eine Sache auf Gott bezogen und von ihr gesagt wird, sie sei Gottes, aus folgenden Gründen: 1. Weil sie zu Gottes Wesen gehört und gleichsam einen Teil von Gott ausmacht, wie z. B. wenn es heißt: »die Macht Gottes«, »die Augen Gottes«. – 2. Weil sie in Gottes Macht steht und Gottes Geheiß vollzieht. So heißen die Himmel in der Bibel »die Himmel Gottes«, weil sie Gottes Wagen und Wohnung sind; Assyrien heißt die Geißel Gottes und Nebukadnezar der Knecht Gottes u. s. w. – 3. Weil sie Gott geweiht ist, wie »der Tempel Gottes«, »der Nasiräer Gottes«, »das Brot Gottes« u. s. f. – 4. Weil sie durch Propheten mitgeteilt und nicht durch natürliche Einsicht geoffenbart ist; das mosaische Gesetz heißt darum »Gesetz Gottes«. – 5. Um den höchsten Grad der betreffenden Sache auszudrücken; so die Berge Gottes«, d. h. die höchsten Berge; »der Schlaf Gottes«, d. h. der tiefste Schlaf. In diesem Sinne ist auch Amos Kap. 4, V. 11 zu erklären, wo Gott selbst also spricht: »Ich habe euch zerstört wie die Zerstörung Gottes Sodom und Gomorra (zerstört hat)«, d. h. wie jene merkwürdige Zerstörung; da nämlich Gott selber redet, kann die Stelle eigentlich nicht anders erklärt werden. Auch die natürliche Weisheit Salomos wird Weisheit Gottes genannt, d. h. göttliche, die gemeine überragende. In den Psalmen ist auch von »Zedern Gottes« die Rede, um ihre ungewöhnliche Größe auszudrücken. Und 1. Buch Samuelis Kap. 11, V. 7 heißt es, um eine sehr große Furcht zu bezeichnen: »Und es fiel die Furcht Gottes über das Volk«. In diesem Sinne wurde in der Regel alles auf Gott bezogen, was die Begriffe der Juden überstieg und dessen natürliche Ursachen man in jenen Zeiten nicht kannte. Darum nannte man den Sturm ein »Schelten Gottes«, Donner und Blitz »Pfeile Gottes«. Sie glaubten nämlich, Gott hielte die Winde in Höhlen eingeschlossen, welche sie Gottes Schatzkammern nannten; eine Ansicht, die sich von der heidnischen nur darin unterschied, daß nicht Äolus, sondern Gott als Beherrscher der Winde betrachtet wurde. Aus demselben Grunde heißen die Wunder Gottes Werke, d. h. erstaunliche Werke. In Wirklichkeit aber ist alles Natürliche Gottes Werk und besteht und wirkt nur durch die göttliche Macht. »In diesem Sinne nennt der Psalmist die Wunder in Ägypten Machtwerke Gottes, weil sie den Hebräern, welche dergleichen nicht erwartet hatten, in der höchsten Not den Weg der Rettung öffneten und von ihnen daher gewaltig bewundert wurden.
Da hiernach außerordentliche Erscheinungen der Natur Gottes Werke und außerordentlich große Bäume Gottes Bäume genannt werden, so kann es nicht Wunder nehmen, daß im 1. Buche Mose sehr starke Menschen von riesenhafter Größe Söhne Gottes genannt werden, obgleich sie gottlose Räuber und Frauenschänder gewesen. Die Alten, nicht bloß die Juden, sondern auch die Heiden, pflegten eben überhaupt alles, wodurch jemand andere Menschen übertraf, auf Gott zurückzuführen. So sagte Pharao von Josef, als er die Auslegung des Traumes vernommen hatte, daß der Geist Gottes in ihm sei; auch Nebukadnezar sagte zu Daniel, er habe den Geist der heiligen Götter. Auch bei den Römern war solches sehr gebräuchlich: von Dingen, welche sehr kunstvoll gefertigt waren, sagten sie, es sei mit göttlicher Hand gefertigt; welcher Ausdruck ins Hebräische übersetzt, lauten würde »von der Hand Gottes gefertigt«, wie den Kennern des Hebräischen bekannt ist.
Hienach können die Bibelstellen, in denen vom Geiste Gottes die Rede ist, leicht verstanden und erklärt werden. In manchen Stellen bezeichnet »Geist Gottes« oder »Geist Jehovahs« nicht anderes als einen sehr heftigen, trockenen und verderblichen Wind; wie in Jesaja Kap. 40, V. 7: »Der Geist Jehovahs hat ihn angeblasen«, d. h. ein sehr trockener und verderblicher Wind. Ähnlich 1. Buch Mose Kap. 1, V. 2: »Und der Geist Gottes (d. h. ein heftiger Wind) bewegte sich über dem Wasser.« – Weiter bezeichnet der Ausdruck einen hohen Mut; Gideons wie auch Simsons Mut heißt daher in der heiligen Schrift »Geist Gottes«, das will sagen: ein überaus kühner, vor nichts zurückschreckender Mut. Überhaupt jede außergewöhnliche Tugend oder Kraft wird »Geist« oder »Tugend Gottes« genannt; wie im 2. Buch Mose Kap. 31, V. 3: »Und ich werde ihn (nämlich Bezalel) mit dem Geist Gottes erfüllen,« d. h. (wie die Bibel selbst erklärt) mit ganz außergewöhnlichem Erfindungsgeist und Kunstgeschick. So auch Jesaja Kap. 11, V. 2: »Und auf ihm wird der Geist Gottes ruhen,« d. h. wie der Prophet, gemäß der in der heiligen Schrift sehr häufigen Sitte, gleich darauf durch die beigefügte Erläuterung selbst erklärt, die Tugend der Weisheit, des Rats, der Tapferkeit etc. So wird die Schwermut Sauls ein »böser Geist Gottes« genannt, womit eine sehr tiefe Schwermut gemeint ist. Haben ja die Knechte Sauls, welche dessen Schwermut Gottes Schwermut nannten, denselben veranlaßt, einen Tonkünstler kommen zu lassen, der ihn mit seinem Saitenspiel aufheitern sollte; was beweist, daß sie mit »Gottes Schwermut« eine natürliche Schwermut gemeint haben müssen. – Ferner wird mit »Geist Gottes« der Geist oder Lebensgeist des Menschen selbst bezeichnet, wie in Hiob Kap. 27, V. 3: »Und der Geist Gottes in meiner Nase«, was auf jene Stelle im 1. Buch Mose anspielt, wo es heißt, daß Gott dem Menschen den Lebensgeist durch die Nase eingeblasen habe. So auch sagt Hesekiel Kap. 37, V. 14, wo er den Toten prophezeit: »Und ich werde euch meinen Geist geben und ihr werdet leben«, d. h. ich werde euch das Leben wiedergeben. In diesem Sinne heißt es auch Hiob Kap. 34, V. 14: »Wenn er (nämlich Gott) wollte, würde er seinen Geist (d. h. den Lebensgeist, den er euch gegeben) und sein Leben wieder zu sich nehmen«. So ist auch 1. Buch Mose Kap. 6, V. 3 zu verstehen: »Nie mehr wird mein Geist im Menschen überlegen (oder eigentlich entscheiden), dieweil er Fleisch ist«, d. h. der Mensch wird in Zukunft mehr nach den Eingebungen des Fleisches und nicht des Geistes, den ich ihm zur Unterscheidung des Guten gegeben habe, handeln. Ebenso Psalm 51, Verse 12 und 13: »Ein reines Herz schaffe mir, o Gott, und einen schicklichen (d. h. gemäßigten) Geist (d. h. Trieb) erneuere in mir, verstoße mich nicht aus deinem Angesicht und deinen heiligen Geist nimm nicht von mir.« Gegen die Begierden des Fleisches ruft er die Hilfe Gottes an; den Geist aber, den der heilige Gott ihm gegeben, soll ihm Gott erhalten, bittet er, weil man glaubte, die Sünden hätten ihren Ursprung im Fleisch allein, wogegen der Geist nur zum Guten antreibe. – Weil die Bibel Gott wie ein menschliches Wesen zu schildern und ihm Geist, Seele, Affekte, wie auch einen Körper und Atem zuzuschreiben pflegt, mit Rücksicht auf die schwache Fassungskraft des Volkes, darum wird in der heiligen Schrift »Geist Gottes« auch oft gebraucht für Gottes Geist, Gottes Seele, Gottes Affekte, Gottes Kraft oder Gottes Odem. So sagt Jesaja Kap. 40, V. 13: »Wer hat beeinflußt den Geist (oder die Seele) Gottes?« d. h. Wer außer Gott selbst hätte den göttlichen Willen zu irgend etwas bestimmt? und in Kap. 63, V. 10: »Und sie erbitterten und betrübten seinen heiligen Geist«. Daher wird der Ausdruck auch gewöhnlich für das mosaische Gesetz gebraucht, weil dasselbe gleichsam die göttlichen Gedanken enthält, wie Jesaja selbst in demselben Kapitel V. 11 sagt: »Wo ist (jener), der seinen heiligen Geist unter sie brachte?«, nämlich das mosaische Gesetz, was aus dem ganzen Zusammenhang der Rede klar hervorgeht. Auch Nehemia Kap. 9, V. 20 sagt: »Und du hast ihnen deinen guten Geist (oder deinen guten Gedanken) gegeben, um sie verständig zu machen«, er spricht nämlich von der Zeit der Gesetzgebung; und hierauf spielt auch 5. Buch Mose Kap. 4, V. 6 an, wo Moses sagt: »Dieweil es (das Gesetz) eure Weisheit und Einsicht ist etc.« So auch Psalm 143, V. 10: »Dein guter Geist leitet mich auf ebenen Pfad«; d. h. deine uns geoffenbarten Gedanken führen mich auf den rechten Weg. – Wie bereits gesagt, bezeichnet der Ausdruck »Geist Gottes« auch den Odem Gottes, welcher in der heiligen Schrift Gott ebenso uneigentlich zugeschrieben wird, wie Geist, Seele oder Körper; so Psalm 33, V. 6. Desgleichen bezeichnet er die Macht, Kraft oder Tugend Gottes, wie Hiob Kap. 33, V. 4: »Der Geist Gottes hat mich gemacht«, d. h. die Kraft oder Macht Gottes, oder wenn man lieber will, der Ratschluß Gottes; denn der Psalmist drückt sich auch dichterisch aus und sagt z. B., auf Gottes Geheiß seien die Himmel entstanden und durch den Geist oder Hauch seines Mundes (d. h. durch seinen Beschluß, der gleichsam durch einen einzigen Hauch ausgesprochen wurde,) ihr ganzes Heer. Ebenso heißt es Psalm 139, V. 7: »Wohin soll ich gehen (daß ich wäre) außerhalb deines Geistes, oder wohin sollte ich fliehen (daß ich wäre) hinweg von deinem Angesicht?«, d. h. (wie aus den weiteren Ausführungen des Psalmisten erhellt) wohin sollte ich gehen können, um deiner Macht und Gegenwart entrückt zu sein? – Endlich wird der Ausdruck »Gottes Geist« in der heiligen Schrift auch auf die Gefühlsweisen Gottes angewendet, nämlich seine Güte und Barmherzigkeit; wie in Micha Kap. 2, V. 7: »Ist denn der Geist Gottes zu kurz? (d. h. Gottes Barmherzigkeit). Sind denn das (nämlich solche Gräuel) seine Werke?« Ebenso Sacharia Kap. 4, V. 6: »Nicht durch ein Heer, nicht durch Gewalt, sondern durch meinen Geist«, d. h. nur durch meine Barmherzigkeit. In diesem Sinne ist auch meines Erachtens V. 12 des 7. Kapitels desselben Propheten zu verstehen: »Und sie machten ihr Herz sicher, um nicht zu gehorchen dem Gesetz und den Vorschriften, welche Gott aus seinem Geiste (d. h. aus seiner Barmherzigkeit) durch die ersten Propheten gesendet hat«. In diesem Sinne sagt auch Haggai Kap. 2, V. 5: »Und mein Geist (soviel als meine Gnade) bleibt unter euch, fürchtet euch nicht«. Wenn indessen Jesaja Kap. 48, V. 16 sagt: »Aber nun hat mich Gott der Herr gesendet und sein Geist«, so kann dies sowohl von Gottes Gefühl und Barmherzigkeit, als auch von dem im Gesetz geoffenbarten göttlichen Willen verstanden werden. Er sagt nämlich: »Zu Anfang (d. h. da ich zuerst zu euch kam, um euch Gottes Zorn und sein über euch verhängtes Urteil zu verkünden) habe ich nicht im Verborgenen gesprochen, sondern von der Zeit an, wo dieses (Urteil verhängt) worden, bin ich dagewesen« (wie er selbst im 7. Kapitel bezeugt); jetzt aber bringe ich eine fröhliche Botschaft und bin von Gottes Barmherzigkeit gesendet, um eure Erlösung zu weissagen. Es kann aber auch, wie gesagt, von dem im Gesetz geoffenbarten Willen Gottes verstanden werden, indem derselbe nämlich schon durch den Spruch des Gesetzes 3. Buch Mose Kap. 19, V. 17 an sie ergangen war, sie zu warnen. Darum vermahnt er sie nicht mit denselben Bedingungen und in derselben Weise, wie gewöhnlich Moses, und endlich schließt er mit der Ankündigung ihrer Erlösung, wie ebenfalls von Moses geschehen. Übrigens scheint mir die erste Auslegung sinngemäßer zu sein.
Aus dem Vorstehenden – um endlich auf den Gegenstand meiner Abhandlung zurückzukommen – sind jene biblischen Ausdrücke wie: »Der Prophet besaß den Geist Gottes«, »Gott hat seinen Geist über die Menschen ausgegossen«, »die Menschen sind vom Geiste Gottes und vom heiligen Geist erfüllt worden« etc. klar verständlich. Sie bedeuten weiter nichts, als daß die Propheten durch besondere, außergewöhnliche Tugend sich auszeichneten und die Frömmigkeit mit seltener Seelenstärke übten; ferner, daß sie Gottes Gedanken und Urteilsspruch vernahmen. Denn wir haben gesehen, daß Geist im Hebräischen sowohl den Geist selbst als auch die Gedanken des Geistes bezeichnet und daß daher das Gesetz selbst Gottes Geist heißt, weil es seine Gedanken enthält. Mit gleichem Rechte konnte darum auch die Einbildungskraft Geist Gottes genannt werden, sofern nämlich die Ratschlüsse Gottes sich durch sie offenbarten, und von den Propheten konnte gesagt werden, sie besitzen den göttlichen Geist. Wiewohl nun der Geist Gottes und seine ewigen Gedanken auch in unsern Geist geschrieben sind und folglich auch wir den Geist Gottes empfangen (um mit der Bibel reden), so wird doch, wie bereits bemerkt, die natürliche Erkenntnis, die jedermann haben kann, von den Menschen nicht so hoch geschätzt, namentlich nicht von den Hebräern, die sich über alle andern Menschen erhaben dünkten und sie sogar zu verachten pflegen und demgemäß auch dies allen Menschen gemeinsame Wissen verachteten. – Auch darum sagte man von den Propheten, sie besitzen den Geist Gottes, weil die Menschen die Gründe der prophetischen Erkenntnis nicht kannten und sie daher anstaunten; wie alles Wunderbare wurde sie deswegen gewöhnlich auf Gott selbst zurückgeführt und Erkenntnis Gottes genannt.
Ohne Bedenken können wir mithin nunmehr behaupten, daß die Propheten durch die Einbildungskraft allein Gottes Offenbarungen empfangen haben, d. h. mittelst Worte oder Bilder, und zwar entweder wirklicher oder eingebildeter. Denn da wir in der Bibel keine andern Offenbarungsmittel neben diesen finden, so dürfen wir uns auch keine andern erdichten, wie schon bemerkt. Ich gestehe aber, daß ich nicht weiß, nach welchen Naturgesetzen dies geschehen ist. Ich könnte zwar wie manche sagen, es sei durch Gottes Macht geschehen; aber das wäre bloß leeres Geschwätz und nicht anders als wollte ich die Gestalt irgend eines Gegenstandes durch einen übersinnlichen Kunstausdruck erläutern; denn durch Gottes Macht ist alles geworden. Es ist sogar sicher, daß wir die Macht Gottes nur soweit nicht erkennen, als wir über die natürlichen Ursachen im Unwissenden sind, denn die Macht der Natur ist eben nichts anderes als die Macht Gottes selbst. Thörichterweise nehmen wir daher zu dieser Macht Gottes unsere Zuflucht, wenn wir die natürliche Ursache einer Sache, und das ist eben die Macht Gottes selbst, nicht wissen. – Übrigens ist es für unsere Untersuchung gar nicht nötig, die Ursachen der prophetischen Erkenntnis zu wissen, da wir hier, wie bereits bemerkt, nur die biblischen Urkunden untersuchen wollen, um daraus unsere Schlüsse zu ziehen, wie aus natürlichen Thatsachen; um die Ursachen dieser Urkunden haben wir uns vorläufig nicht zu kümmern.
Da hiernach die Propheten mit Hilfe ihrer Einbildungskraft die Offenbarungen Gottes empfangen haben, so unterliegt es keinem Zweifel, daß sie auch allerlei empfangen haben können, was über die Grenzen der natürlichen Erkenntnis hinausgeht, denn aus Worten und Bildern lassen sich viel mehr Vorstellungen bilden, als aus Grundvorstellungen und Begriffen, aus welchen sich unser gesamtes natürliches Wissen aufbaut.
Wir wissen nun, warum die Propheten fast alle ihre Offenbarungen in Gleichnissen und Rätseln empfangen und lehren und alles Geistige in sinnliche Ausdrücke kleiden: weil das nämlich der Einbildungskraft am meisten entspricht. Es kann uns nun auch nicht mehr auffallen, daß die Bibel oder die Propheten so uneigentlich und dunkel vom Geiste Gottes oder seinen Gedanken sprechen, wie im 4. Buch Mose Kap. 11, V. 17 oder im 1. Buch der Könige Kap. 22, V. 2 etc.; daß Gott ferner von Micha sitzend gesehen wurde, von Daniel aber wie ein Greis in weißen Kleidern, von Hesekiel hinwiederum als ein Feuer; daß die, welche bei Christus waren, den heiligen Geist als herabfahrende Taube, die Apostel aber als feurige Zungen und endlich Paulus nach seiner Bekehrung als großes Licht erblickten. Das alles entspricht durchaus den Vorstellungen, welche sich gewöhnliche Menschen von Gott und Geistern machen.
Weil nun die Einbildungskraft sowohl unbestimmt als auch veränderlich ist, darum blieben die Propheten nicht lange im Besitze der Prophetengabe; auch zeigte sich diese nicht häufig, sondern nur sehr selten, nämlich nur bei sehr wenig Menschen und auch bei diesen nur sehr selten.
Es fragt sich nun aber, woraus konnten die Propheten Gewißheit schöpfen über Dinge, die sie nur mit der Einbildungskraft wahrnahmen, nicht aber nach den sicheren Grundlagen des Denkens erkannten? Die Antwort darauf kann nur der Bibel selbst entnommen werden, da wir, wie gesagt, über solche Dinge nichts Gewisses wissen und sie aus ihren obersten Ursachen nicht ableiten können. Was nun die Bibel über die Gewißheit der prophetischen Erkenntnis lehrt, will ich im nächsten Kapitel zeigen, welches von den Propheten handeln soll.