Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Baruch de Spinoza

Baruch de Spinoza
Stich nach einem anonymen Gemälde
Bildquelle: Bdigitalcollections.nypl.org

Vorwort des Übersetzers.

Benedikt Spinoza, der große epochemachende Denker, der die Philosophie von der Theologie völlig losgelöst hat und für die gesamte neuere Philosophie richtunggebend geworden, geboren am 24. November stammte aus einer jüdischen Familie in Amsterdam, wo viele der um ihres Glaubens willen aus Spanien und Portugal verjagten Juden, ebenso wie freidenkende Gelehrte, ein freundliches Asyl gefunden hatten. Er hieß ursprünglich Baruch, was »der, Gesegnete« bedeutet, wie der lateinisierte Name Benediktus. Der Knabe erhielt den herkömmlichen Unterricht in der hebräischen Bibel, dem Talmud und der sonstigen rabbinischen Literatur und zeigte schon frühzeitig glänzende Geistesgaben. Man erblickte in ihm daher ein künftiges Licht der Synagoge als Rabbiner.

Die Skepsis aber beunruhigte bald seine helle und scharfe Intelligenz und äußerte sich in Fragen und Einwürfen gegen seine Lehrer, die diese Altgläubigen oft in Verlegenheit setzten. Hiezu mochte er angeregt und bestärkt worden sein durch das Studium einiger älterer jüdischer Werke, worin manche rationalistische und sogar ketzerische Gedankenblitze aufzuckten. Besonders der Pentateuchkommentar des geistvollen und witzigen Abraham Ibn-Esra (aus Toledo 1088-1167) scheint mit seinem nur schwach verdeckten Unglauben an die mosaische Autorschaft des ganzen Pentateuch dem jungen Spinoza die Augen, geöffnet zu haben; im achten Kapitel des vorliegenden Buches hat er später die betreffende Hauptstelle erläutert und ergänzt. Er ist damit bahnbrechend geworden für die moderne kritische Richtung in Auffassung und Behandlung des Alten Testaments. Noch weit mehr entfremdete ihn dem traditionellen Glauben und erweiterte seinen Horizont die lateinische Sprache, die ihm die wissenschaftliche Literatur erschloß. Sein Lehrer war der Arzt van der Ende, ein vielseitig gebildeter Freigeist. Dessen gelehrte Tochter Olympia Klara Maria, die bisweilen an des Vaters Statt Lektionen gab, soll das Herz Spinozas in Flammen gesetzt haben, so daß er sich mit der Absicht trug, sie zu heiraten. Doch sie reichte ihre Hand einem reichen Hamburger Kaufmann. Es war wohl die einzige Frauenliebe Spinozas, ein heftiger aber flüchtiger Wellenschlag in diesem großen Leben. Die höhere Liebe zur philosophischen Erkenntnis, der sokratische Eros, den Platon im »Symposion« verherrlicht, und die er selbst in der »Ethik« amor dei intellectualis (geistige Liebe zu Gott) nennt, erfüllte fortan allein seine Seele.

Spinoza war aufrichtig und tapfer genug, von seinem inneren Zerfall mit dem Judentum die praktischen Konsequenzen zu ziehen. Er hörte auf, die Synagoge zu besuchen und die Ritualgesetze zu beobachten, und wenn man ihn über seine Ansichten auszuholen suchte, machte er von ihnen kein Hehl. Nicht leicht mochte ihm selbst der Abfall von dem Religionswesen geworden sein, um das eine lange Leidensgeschichte eine Glorie wob und das so tief im Stammes- wie im Familiengefühl der Juden wurzelt.

Erbitterung, Haß, Anfeindung, Bedrohung, Verfolgung blieben nicht aus. Aber bevor der Fanatismus gegen ihn mobil machte, versuchte man gütlich auf ihn einzuwirken und die Gemeinde bot ihm sogar ein Jahrgehalt von tausend Gulden, wenn er die Synagoge bisweilen besuchen und den offenen Bruch vermeiden wolle. Man besorgte offenbar, er würde zum Christentum übertreten und wie so manche Abtrünnige früherer Zeiten eine Geißel seiner Stammesgenossen und ihres Bekenntnisses werden. Diese Besorgnis war schon darum unbegründet, weil Spinoza für den christlichen Glauben so wenig Sympathie empfand wie für den jüdischen. Spinoza wies das Anerbieten der Gemeinde verächtlich zurück und erklärte, er sei kein Heuchler und wolle nicht um das Zehnfache seine Überzeugung verleugnen. Er lebte fortan als »Konfessionsloser«.

Nun ward zur ultima ratio geschritten, zuvor jedoch versuchte ein Fanatiker ihn durch Meuchelmord unschädlich zu machen. Eines Abends wurde er von einem ehemaligen Gefährten angefallen, der mit einem Dolch bewaffnet war. Das Attentat mißglückte, der Stich ging nur durch den Mantel. Das durchstochene Gewand bewahrte er auf zum Andenken an diesen verruchten Akt des krassen Fanatismus.

In seinem 23. Lebensjahre wurde vom Rabbinat der »große Bann« gegen ihn verhängt, wie schon früher gegen seinen ketzerischen Landsmann Uriel Acosta, bekannt durch Gutzkows Trauerspiel. Diese feierliche Exkommunikation ( Cherem), die erst zur Einführung gelangte, nachdem mit der Auflösung des jüdischen Staates der Religionsbehörde andere gesetzliche Repressionsmittel gegen Sünder und Ketzer nicht mehr zu Gebote standen, hatte für den Betroffenen je nach seiner sozialen Position oft schwere Nachteile und war wohl geeignet, zu schrecken und zur Buße zu bewegen. Spinoza machte sich nichts daraus und antwortete nur mit einem Protest in spanischer Sprache.

Die Bannbulle, die ihm von der Gemeinde zugeschickt ward, ist um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aufgefunden worden. Sie lautete im wesentlichen: »Nach dem Urteil der Engel und dem Urteil der Heiligen belegen wir mit Bann, schließen wir aus, verfluchen und verdammen wir Baruch Spinoza mit Zustimmung des kirchlichen Tribunals und mit Zustimmung jener ganzen heiligen Gemeinschaft, vor den heiligen Schriften, nach den 613 heiligen Geboten, die in ihnen geschrieben stehen, mit dem Fluch, mit dem Josua Jericho fluchte, mit dem Fluch, mit dem Elisa die Knaben verfluchte und mit allen Flüchen, die in dem Buche des Gesetzes geschrieben stehen. Verflucht sei er bei Tag und verflucht sei er bei Nacht, verflucht sei er im Schlaf und verflucht sei er im Erwachen, verflucht sei er beim Ausgehen und verflucht sei er beim Eintreten. Möge der Herr ihm niemals verzeihen, möge der Herr seinen Zorn und seinen Eifer entbrennen lassen gegen den Menschen und alle Flüche auf ihn laden, die geschrieben stehen im Buche des Gesetzes, und er wird seinen Namen vertilgen unter dem Himmel, und der Herr wird ihn ins Elend hinausstoßen aus allen Stämmen Israels unter allen Flüchen des Himmels, die da geschrieben stehen im Buche des Gesetzes. Aber ihr, die ihr dem Herrn, eurem Gott anhänget, seid für heute alle gegrüßt! Bedenket, daß niemand jenen mündlich noch schriftlich anreden, niemand ihm irgend eine Gunst erweisen, niemand unter einem Dache mit ihm weilen, niemand sich ihm auf mehr als vier Ellen nähern, niemand irgend ein von ihm verfaßtes oder geschriebenes Schriftstück lesen darf.« – Man sieht, daß die Synagoge sich auf das Anathematisieren so gut verstanden hat, wie die Kirche. Um den Eindruck solcher Explosion des feuerspeienden Priestertums noch schauerlicher zu machen, wurde die Exkommunikation mit dem heiligen Widderhorn, Schofar, das in der Liturgie des jüdischen Neujahrsfestes eine wichtige Rolle spielt, akkompagniert. Es muß eine furchtbare Bewandtnis haben mit diesem Horn, schreibt H. Heine. Denn wie ich mal in dem Leben des Salomon Maimon gelesen, suchte einst der Rabbi von Altona ihn, den Freidenker, wieder zum Glauben zurückzuführen, und als derselbe bei seinen philosophischen Ketzereien halsstarrig beharrte, wurde er drohend und zeigte ihm den Schofar mit den finsteren Worten: »Weißt du, was das ist?« Als aber der Schüler Kants sehr gelassen antwortete: »Es ist das Horn eines Bockes!« da fiel der Rabbi rücklings zu Boden vor Entsetzen.

Einem Biographen zufolge hat noch die jüdische Hierarchie den Magistrat bewogen, Spinoza auf einige Monate aus der Stadt zu verbannen. Nach kürzerem Verweilen bei einem Freunde in der Nähe von Amsterdam begab er sich auf einige Monate nach Rhynsburg bei Leiden, sodann nach Voorburg, eine Stunde vom Haag, und endlich, ungefähr 1670, nahm er seinen Aufenthalt in Haag selbst, wo er bis zu seinem Ende blieb. Aus seiner Korrespondenz ergibt sich, daß er ab und zu von dem einem der genannten Orte zum anderen reiste.

In stiller Zurückgezogenheit, nur durch einigen wissenschaftlichen Verkehr mit Freunden und Gelehrten unterbrochen, führte Spinoza ein strenges Denker- und Forscherleben und schrieb seine lichtausstrahlenden Werke. Seinen Lebensbedarf, den er auf ein fabelhaft geringes Maß einschränkte, nicht aus asketischer Gesinnung, sondern um seine Unabhängigkeit zu wahren, erwarb er durch Schleifen optischer Gläser für Brillen und wissenschaftliche Zwecke, was er erlernte, als er dem Rabbinerberuf Valet gesagt hatte, und wobei ihm seine Kenntnisse der Mathematik und Physik zustatten kamen. Er hatte es darin zu einer Meisterschaft gebracht, so daß noch nach seinem Tode die von ihm geschliffenen Gläser zu hohen Preisen verkauft wurden. Etwas Zerstreuung suchte er im Zeichnen, worin er es zur Fertigung von Porträts mit Kohle oder Tinte gebracht hatte.

Die Biographen bezeugen einmütig den tadellos edlen Charakter Spinozas, wie seine Leutseligkeit und heitere Liebenswürdigkeit, die geistvolle Behandlung auch gewöhnlicher Gesprächsmaterien und seine weise Zurückhaltung im Umgang mit gläubigen Leuten.

Zahlreiche Züge seltener Uneigennützigkeit werden von ihm berichtet. Geldgeschenke, womit ihn seine Freunde gern unterstützt hätten, wies er zurück, und als einer derselben, Simon de Vries, ihn zum Erben seines Vermögens einsetzen wollte, bat er den Freund, er möge die Erbschaft dem eigenen Bruder zuwenden. De Vries tat es, fügte aber seinem Testamente die Bedingung bei, daß sein Bruder an Spinoza eine lebenslängliche Pension abgeben müsse. Als nun der zu Schiedam wohnende Bruder Spinoza ein Jahrgeld von 500 Gulden übermachen wollte, nahm dieser diese Summe nicht an, sondern reduzierte sie auf 300 Gulden, die er nun, solange er lebte, bezog. Nach dem Tode seiner Eltern überließ Spinoza den Anteil seines Vermögens freiwillig seinen Schwestern, ein Bett ausgenommen.

Um sich die Freiheit des Philosophierens nicht im geringsten einengen zu lassen, widerstand er 1673 dem verlockenden Ruf des Kurfürsten von der Pfalz auf den philosophischen Lehrstuhl der Universität Heidelberg und lehnte ihn ab mit weltmännischem Takt. (Man sehe die Korrespondenz darüber, Univ.-Bibl. 4553-55, Briefe 48/9.)

An den politischen Zeitereignissen nahm er lebhaftes Interesse, wie u. a. auch sein Freundschaftsverhältnis zu dem Staatsmann Jan de Witt zeigt. Fast hätte er während der kriegerischen Wirren als fälschlich verdächtiger franzosenfreundlicher Spion das Leben eingebüßt; doch seine mutige Rechtfertigung beschwichtigte die Volkswut. Während nämlich Holland mit Frankreich in Krieg verwickelt war, begab sich Spinoza auf eine Einladung hin nach Utrecht, um mit einigen bedeutenden Männern zusammenzutreffen. Kaum war er wieder im Haag angelangt, so wurde er als Spion verdächtigt, der mit dem Prinzen Condé heimlich zusammengekommen sei, um das Land zu verraten. Die Erregung gegen ihn war so groß, daß der Hauswirt Spinozas besorgte, man möchte die Tür sprengen, und es könnte zu Gewalttätigkeiten kommen. Spinoza aber sagte furchtlos: »Seid meinethalb unbesorgt, denn es ist mir leicht, mich zu rechtfertigen. Genug Leute auch unter den Angesehensten des Landes wissen wohl, was mich zu dieser Reise vermocht hat. Aber jedenfalls werde ich, sobald die Volksmasse vor der Tür Lärm machen sollte, gerade auf sie zugehen, sollte mir auch das nämliche Schicksal widerfahren, das die armen Herren v. Witt getroffen hat. Ich bin ein guter Republikaner und habe nie etwas anderes als die Ehre und das Wohl des Staates im Auge gehabt.« Seine gut demokratische Gesinnung ist namentlich aus dem »Politischen Traktat« ersichtlich.

Spinoza war von mittlerer Statur, hatte regelmäßige Gesichtszüge, schwarze glänzende Augen, eine bräunliche Hautfarbe, lange schwarze Augenbrauen und schwarzes gekräuseltes Haar, das in kräftiger Fülle den wohlgeformten Kopf umgab. Es sind noch mehrere Porträts von ihm vorhanden. Erst in späteren Jahren scheint er etwas kränklich ausgesehen zu haben, als die Schwindsucht ihn angefallen hatte, wie vermutet wird, infolge Einatmung des Glasstaubs beim Glasschleifen. Möglich auch, daß er in der Beschränkung seiner Bedürfnisse zu weit gegangen war, namentlich bei seiner anhaltend strengen Denkarbeit.

Spinoza starb nicht ganz fünfundvierzig Jahre alt. Seine Sterbestunde war der würdige Abschluß seines Lebens. Er hat dem Tod mit Seelenruhe entgegengesehen. Unerschüttert in seiner Weltanschauung hauchte er am 21. Februar 1677 sein Leben aus. Ein Einsamer; zu weit war die Distanz zu den Zeitgenossen und nicht gering selbst zu den meisten seiner Freunde; doch glückselig auf seinem sonnigen Hochgipfel. Tags zuvor, es war der Samstag vor den Fasten, ging der Hausherr mit seiner Frau zur Kirche. Als er um vier Uhr nach Hause zurückkehrte, kam Spinoza aus seinem Zimmer zu ihm herab und unterhielt sich lange mit ihm. Nachdem er eine Pfeife Tabak geraucht hatte, ging er wieder in sein Zimmer zurück und legte sich früh zu Bette. Am Sonntag Morgen kam sein Freund, der Arzt Ludwig Mayer aus Amsterdam, den er bestellt hatte, und dieser trug den Leuten im Hause auf, gleich einen Hahn zu sieden, damit Spinoza gegen Mittag die Brühe davon genießen könne. Diese nahm er denn auch mit gutem Appetit zu sich. Nachmittags blieb der Arzt allein bei ihm. Als die Hausleute vom Nachmittagsgottesdienst heimkamen, vernahmen sie zu ihrem nicht geringen Schrecken, daß Spinoza gegen drei Uhr in Gegenwart des Arztes verschieden sei. Einige Tage später wurde der Leichnam unter großer Beteiligung aus allen Kreisen bestattet.

Schwegler zeichnet in seiner »Geschichte der Philosophie« Spinozas Charakterbild also: »In seinem Leben spiegelte sich überall die wolkenlose Klarheit und Ruhe des vollendeten Weisen. Nüchtern, mit wenigem zufrieden, Herr seiner Leidenschaften, nie übermäßig traurig oder fröhlich, mild und wohlwollend, ein bewundernswert reiner Charakter, hat er die Lehren seiner Philosophie auch im Leben getreulich befolgt.«


Die erste Publikation Spinozas, Amsterdam 1663, war eine meisterhafte Darstellung der Philosophie des Cartesius (des Cartes), seines unmittelbaren Vorgängers, mit einem Anhang. Er hatte sie einem jungen Mann auf dessen Wunsch diktiert, wiewohl er mit dem Inhalt vielfach durchaus nicht einverstanden war, wie er ausdrücklich bemerkt.

Anonym und mit dem pseudonymen Druckort Hamburg statt Amsterdam, kam 1670 der (in meiner Übersetzung aus dem Lateinischen vorliegende) » Theologisch-politische Traktat« heraus. Er wirkte wie eine Sprengbombe und brachte namentlich die Theologen in Harnisch gegen das Werk und dessen trotz Anonymität wohlbekannten Autor. Wurden doch darin die Grundpfeiler des Kirchenglaubens, Wunder, übernatürliche Offenbarung und Unfehlbarkeit der Bibel, mit wuchtigen Argumenten, wiewohl im würdigen Ton – der nur pathetisch anschwellt oder sarkastisch sich zuspitzt, wo er auf die Intoleranz der Theologen zu reden kommt – fundamental erschüttert. Die praktische Pointe desselben ist die Emanzipation der Philosophie vom Joch der Theologie und die Forderung absoluter Denkfreiheit, (wie schon der Titel hervorhebt,) auf Grund origineller staatsrechtsphilosophischer Thesen. Das erste klassische Manifest der Toleranz. Verbot und Beschlagnahme konnte die Verbreitung nicht hindern; schon 1673 wurde es unter allerlei Scheintiteln neu gedruckt, und die zahlreichen Gegenschriften förderten nur sein Ansehen.

Das eigentliche Hauptwerk Spinozas, die » Ethik«, dieser monumentale Kristallpalast der Philosophie der reinen Vernunft, und zwar der gesamten Philosophie (den Namen »Ethik« führt das Werk nur nach der praktischen Philosophie, in welche es ausläuft), kam erst nach dessen Tod heraus. Näheres darüber im Vorwort zu meiner gleichfalls in der Univ.-Bibl. (Nr. 2361-64) erschienenen Übersetzung.

Weitere Schriften sind: » Die Abhandlung über die Vervollkommnung des Verstandes« (Univ.-Bibl. Nr. 2487). Der in holländischer Sprache abgefaßte Traktat » Über Gott«. » Der politische Traktat«, nicht vollendet (Univ.-Bibl. Nr. 4752/53). Endlich ein gleichfalls Fragment gebliebener » Abriß der hebräischen Sprachlehre« (1905 in hebräischer Übersetzung von Dr. Rubin in Krakau erschienen).

Auch wissenschaftlich hochinteressant und zum Teil wichtig für das richtige Verständnis der »Ethik« ist endlich der Briefwechsel mit größtenteils gelehrten Freunden. (Univ.-Bibl., s. o.)


Noch lange Zeit nach Spinozas Tod waren seine Schriften verfemt und sein Name geächtet. So wurde 1694 der Drucker einer holländischen Übersetzung, der sie weiten Kreisen zugänglich machte, in den »freien« Niederlanden auf mehrere Jahre zu Korrektionshaus verurteilt. Aber auf helle Köpfe übten sie große Anziehung, und durch sie sickerten Spinozistische Ideen mehr und mehr in die Wissenschaft und beeinflußten auch das öffentliche Leben. Die späteren Philosophen haben durch die Brillen gesehen, die Spinoza geschliffen, schrieb Heine geistreich.

In Deutschland war es besonders Lessing, der seinen Geist mit der Milch des Spinozismus nährte; ob er vollständig Spinozist war, was dessen Freund Mendelssohn leidenschaftlich bestritt, muß dahingestellt bleiben. – Der glaubenseifrige Jacobi selbst erklärte, es gäbe keine andere Philosophie als die Spinozas.

Wie stark Goethes Weltanschauung von Spinoza beeinflußt war, wissen wir aus »Wahrheit und Dichtung«. Im 14. Buch dieser Aufzeichnungen nennt er Spinoza den außerordentlichen Mann, dessen Geist auf seine ganze Denkweise großen Einfluß hatte, und sagt: »Nachdem ich mich in der Welt um ein Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens vergebens umgesehen hatte, geriet ich endlich an die Ethik dieses Mannes. Was ich mir aus dem Werke mag herausgelesen, was ich in dasselbe mag hineingelesen haben, davon wüßte ich keine Rechenschaft zu geben, genug, ich fand hier eine Beruhigung meiner Leidenschaften, es schien sich mir eine große und freie Aussicht über die sinnliche und sittliche Welt aufzutun. Noch weiteres führt er dort an, was ihn an Spinoza so sehr fesselte. – Nochmals kommt er am Anfang des 16. Buches auf Spinoza zurück und erzählt: »In unserer Bibliothek fand ich ein Büchlein, dessen Autor gegen jenen eigenen Denker heftig kämpfte, und um dabei recht wirksam zu Werke zu gehen, Spinozas Bildnis dem Titel gegenüber gesetzt hatte, mit der Unterschrift: » Signum reprobationis in vultu gerens«, daß er nämlich das Zeichen der Verwerfung und Verworfenheit im Angesicht trage. Dieses konnte man freilich bei Erblickung des Bildes nicht leugnen; denn der Kupferstich war erbärmlich schlecht und eine vollkommene Fratze, wobei mir denn jene Gegner einfallen mußten, die irgend jemand, dem sie mißwollen, zuvörderst entstellen, und dann als ein Ungeheuer bekämpfen.« Indem er des weiteren auch über den Artikel »Spinoza« in Bayles Wörterbuch sein Unbehagen geäußert, fährt er fort: »Ich erinnerte mich noch gar wohl, welche Beruhigung und Klarheit über mich gekommen, als ich einst die nachgelassenen Werke jenes merkwürdigen Mannes durchblättert. Diese Wirkung war mir noch ganz deutlich, ohne daß ich mich des einzelnen hätte erinnern können; ich eilte daher abermals zu den Werken, denen ich so viel schuldig geworden, und dieselbe Friedensluft wehte mich wieder an. Ich ergab mich dieser Lektüre und glaubte, indem ich mich selbst schaute, die Welt niemals so deutlich erblickt zu haben.« – Spinoza war der philosophische Genius des »Olympiers«, der dessen Weltanschauung poetisch verklärte. Schön schreibt Heine in seinem Buch über die romantische Schule: »Die Lehre Spinoza hat sich aus der mathematischen Hülle entpuppt und umflattert uns als Goethesches Lied.« Und im Buch »Über Deutschland«: »Die mathematische Form gibt dem Spinoza ein herbes Äußere. Aber dieses ist wie die herbe Schale der Mandel; der Kern ist um so erfreulicher. Bei der Lektüre des Spinoza ergreift uns ein Gefühl wie beim Anblick der großen Natur in ihrer lebendigsten Ruhe. Ein Wald von himmelhohen Gedanken, deren blühende Wipfel in wogender Bewegung sind, während die unerschütterlichen Baumstämme in der ewigen Erde wurzeln. Es ist ein gewisser Hauch in den Schriften des Spinoza, der unerklärlich. Man wird angeweht wie von den Lüften der Zukunft. Der Geist der hebräischen Propheten ruhte vielleicht noch auf ihrem späten Enkel.«

Der philosophische Proteus Schelling hat wenigstens in seiner früheren Periode den Spinozismus wie folgt gewürdigt: »Lange schon hatte sich der menschliche Geist (noch jugendlich kräftig und von den Göttern her frisch) in Mythologien und Dichtungen über den Ursprung der Welt verloren; Religionen ganzer Völker waren auf jenen Streit zwischen Geist und Materie gegründet, ehe ein glücklicher Genius – der erste Philosoph – die Begriffe fand, an welchen alle folgenden Zeitalter die beiden Enden unseres Wissens auffaßten und festhielten. Die größten Denker des Altertums wagten sich nicht über jenen Gegensatz hinaus. Plato noch stellt die Materie als ein anderes Gott gegenüber. Der erste, der Geist und Materie mit vollem Bewußtsein als Eines, Gedanke und Ausdehnung nur als Modifikationen (sollte richtiger Attribute lauten) desselben Prinzips ansah, war Spinoza. Sein System war der erste kühne Entwurf einer schöpferischen Einbildungskraft (? Erkenntniskraft wäre richtiger), der in der Idee des Unendlichen, rein als solchem, unmittelbar das Endliche begriff und dieses nur an jenem erkannte.«

Auch Hegel, der sich mehrfach recht beschränkt-gehässig über das System Spinozas und seinen Schöpfer selbst äußerte, fand doch auch wieder prächtige Worte der Anerkennung: »Spinoza ist Hauptpunkt der modernen Philosophie; entweder Spinozismus oder keine Philosophie.« – »Wenn man anfängt zu philosophieren, so muß man zuerst Spinozist sein. Die Seele muß sich baden in diesem Äther der reinen Substanz.« – »Es gibt keine reinere und erhabenere Moral als Spinozas.«

Bei Schopenhauer, dessen Genialität einen starken Einschlag von Querköpfigkeit aufweist, macht sich gegenüber Spinoza meist die letztere Eigenschaft geltend. Und gerade er hätte zur Schätzung Spinozas besonderen Anlaß, denn seine originellsten und wertvollsten Gedanken sind aus Sätzen der Ethik hervorgekeimt. In »Die Welt als Wille und Vorstellung« Kap. 47 meint er, Spinoza sei, nachdem ihn über hundert Jahre hindurch unverdient Geringschätzung getroffen, durch die Reaktion im Pendelschwung der Meinung, im neunzehnten Jahrhundert wieder überschätzt worden. Er ist aber doch so gnädig, Spinoza als einen sehr großen Mann zu werten. Was soll man aber dazu sagen, daß Schopenhauer im 50. Kapitel nicht ansteht, zu schreiben, Spinoza habe den Juden nicht los werden können! Und womit begründet er das? Damit, daß nach Spinoza die Menschen ein weit größeres Recht auf die Tiere haben als die Tiere auf die Menschen. Es heißt doch aber dabei: »Ich bestreite nicht, daß die Tiere Empfindung haben, sondern nur, daß es deshalb verboten sein soll, sie zu unserem Nutzen zu gebrauchen und sie so zu behandeln, wie es uns am besten paßt.« Aber aus dieser rechtsphilosophischen Aufstellung liest Schopenhauer durchaus fälschlich eine Herzlosigkeit gegen die Tiere heraus, und die sei »ganz jüdisch«, während doch vielmehr die alttestamentliche wie die rabbinische Literatur überaus reich ist an humanen Aussprüchen und Gesetzen gegen die Tiere! (Siehe meine Schrift »Tierquälerei und Tierleben in der jüdischen Literatur.« Zürich 1880.) War doch Schopenhauer selbst kein Vegetarier, bei all seiner Schwärmerei für die Hindu in diesem Punkt.

Erwähnen wir noch die Stimme eines Theologen, allerdings nicht gewöhnlichen Schlags, Friedrich Schleiermacher, der Spinoza mit den begeisterten Worten feiert: »Opfert mir ehrerbietig eine Locke den Manen des heiligen, verstoßenen Spinoza! Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Universum war seine Liebe. Allein und unerreicht steht er da, Meister in seiner Kunst, aber erhaben über die profane Zunft.«

Zur Popularität gelangten Spinozas Werke in Deutschland erst durch deren Übersetzung von Berthold Auerbach (in fünf Bändchen, Stuttgart 1841). Deutsche Übersetzungen einzelner Werke waren schon früher vorhanden. Die Auerbachsche Übersetzung ist oft unbeholfen im Ausdruck, aber in der Wiedergabe der Gedanken weitaus korrekter als die spätere von J. H. v. Kirchmann.

Das Interesse weiterer Kreise für Spinoza wurde namentlich auch durch den Auerbachschen Roman »Spinoza« belebt; eine belletristische Jugendsünde dieses Schriftstellers. Ich teile zwar nicht die Meinung, daß Spinoza kein geeignetes Sujet zu epischer Behandlung in Romanform wäre. Es dürfte dieses sogar eine recht dankbare Aufgabe sein für eine Feder, die das Zeug dazu hat, diesen allerdings recht spröden Stoff dichterisch zu bewältigen. Das ist jedoch Auerbach so wenig gelungen wie anderen Bearbeitern neuerer Zeit.


Auf das »Kreuzige«! folgte das »Hosianna«! Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde auf dem Marktplatz im Haag eine Statue Spinozas errichtet, bei deren feierlicher Enthüllung von Berthold Auerbach eine Gedenkrede gehalten wurde mit dem Titel: » Spinoza de blyde Boodschapper der mondige Menschheet« (»Spinoza, der heilbringende Sendbote der mündigen Menschheit«).

Stuttgart, 1909.
J. Stern.


 << zurück weiter >>