Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Darin wird gezeigt, daß die biblischen Lehren sehr einfach sind, und daß die Bibel nichts anderes verlangt als Gehorsam; auch daß sie über die göttliche Natur nichts anderes lehrt, als was die Menschen in ihrer bestimmten Lebensweise nachahmen können.


Im 2. Kapitel dieses Traktats haben wir gesehen, daß die Propheten nur eine besondere Fähigkeit der Einbildungskraft, nicht aber der Erkenntnis gehabt haben, und daß ihnen Gott keine philosophischen Geheimnisse, sondern nur recht einfache Dinge offenbart und sich dabei ihren vorgefaßten Meinungen anbequemt hat. Im 5. Kapitel haben wir weiter gesehen, daß die Bibel ihre Lehren auf eine Weise erteilt und darstellt, daß sie von jedermann sehr leicht begriffen werden können; indem sie nicht aus unbestreitbaren Wahrheiten (Axiomen) und Begriffsbestimmungen (Definitionen) ihre Sätze ableitet und mit einander verknüpft, sondern dieselben ganz einfach hinstellt und sie nur, um sie glaubhaft zu machen, durch die Erfahrung bestätigt, nämlich durch Wunder und Geschichten, welche letzteren gleichfalls in einer solchen Darstellung und Ausdrucksweise berichtet werden, die am meisten geeignet ist, auf gewöhnliche Menschen einen tiefen Eindruck zu machen. Vergleiche hierüber im 6. Kapitel, was unter Punkt 3 ausgeführt wurde. Im 7. Kapitel endlich haben wir gesehen, daß die Bibel bloß in Bezug auf Sprache, nicht aber wegen der Tiefsinnigkeit ihres Inhalts stellenweise schwierig zu verstehen ist. Hierzu kommt noch der Umstand, daß die Propheten nicht den Gelehrten, sondern allen Juden ohne Unterschied gepredigt haben, die Apostel aber die Lehre des Evangeliums in den Kirchen, dem gemeinschaftlichen Versammlungsort für alle, zu lehren pflegten.

Aus dem allen geht hervor, daß die Lehre der Bibel keine tiefsinnigen Spekulationen oder philosophische Gedanken enthält, sondern bloß die einfachsten Dinge, die auch von den einfältigsten Menschen verstanden werden konnten.

Nicht genug wundern kann ich mich deshalb über den Geist derer, von denen ich schon oben gesprochen, die nämlich in der Bibel tiefe Geheimnisse wähnen, so tief, daß sie mit der menschlichen Sprache gar nicht erklärt werden können; und die ferner in die Religion so viele philosophische Spekulationen eingeführt haben, daß die Kirche eine Akademie, die Religion eine Wissenschaft oder vielmehr ein wissenschaftliches Gezanke zu sein scheint. Allein was wundere ich mich, daß Menschen, welche sich mit dem Besitz einer übernatürlichen Erleuchtung brüsten, den Philosophen, welche keine andere als die natürliche Erleuchtung haben, in der Erkenntnis nicht das Feld räumen wollen! Wundern müßte ich mich vielmehr, wenn sie etwas Neues lehren würden, was reines Ergebnis der Spekulation wäre, und nicht schon bei den alten heidnischen Philosophen (die doch, wie sie sagen, blind gewesen) zu den abgedroschenen Dingen gehörte. Denn wenn man die Geheimnisse, welche jene in der Bibel verborgen wähnen, genauer besieht, so findet man eben nichts Anderes, als Hirngespinste von Aristoteles, Plato und ihresgleichen, Dinge welche einem Ungebildeten oft eher im Traume einfallen, als daß der größte Gelehrte sie in der Bibel findet.

Ich möchte nun zwar nicht unbedingt behaupten, daß die Bibel mit rein spekulativen Dingen gar nichts zu schaffen habe, wurde doch im vorigen Kapitel einiges dieser Art erwähnt und gezeigt, daß es zur Grundlage der Bibel gehört; allein ich behaupte, daß solche nur in sehr geringer Anzahl vorkommen, und daß dieselben sehr einfach sind. Welche Lehren das nun aber seien und wie sie aufgefaßt werden müssen, soll nun gezeigt werden.

Es wird dies leicht geschehen können, nachdem wir wissen, daß es nicht in der Absicht der Bibel lag, eine Wissenschaft zu lehren; denn hiernach gelangen wir unschwer zu dem Urteil, daß sie nichts als Gehorsam von den Menschen verlangt und nur den Ungehorsam, aber nicht die Unwissenheit verdammt. Da ferner der Gehorsam gegen Gott einzig und allein in der Liebe des Nächsten besteht, (denn wer in der Absicht, Gott zu gehorchen, den Nächsten liebt, der hat das Gesetz erfüllt, wie Paulus im Römerbrief Kap. 13, V. 8 sagt,) so folgt, daß in der Bibel kein anderes Wissen empfohlen wird, als dasjenige, welches alle Menschen nötig haben, um Gott dieser Vorschrift gemäß gehorchen zu können und ohne dessen Kenntnis die Menschen notwendig ungehorsam sein oder wenigstens ein Zuchtmittel des Gehorsams entbehren müßten; daß aber andere Spekulationen, welche nicht unmittelbar hierauf abzielen, mögen sie nun die Erkenntnis Gottes oder die Erkenntnis der natürlichen Dinge betreffen, die Bibel nicht berühren und daher von der geoffenbarten Religion fernzuhalten seien.

Das alles kann wie gesagt jedermann leicht einsehen; weil aber das Urteil über die ganze Religion von diesem Punkte abhängt, will ich denselben noch eingehender erörtern und klar darlegen.

Hierbei ist es vor allem nötig, den Nachweis zu führen, daß eine vernunftgemäße oder genaue Erkenntnis Gottes keine allen Gläubigen gemeinsame Gabe ist, gleich dem Gehorsam; ferner, daß jene Erkenntnis, welche Gott durch die Propheten allgemein, von allen Menschen verlangt hat, und welche jeder innehaben muß, keine andere ist, als die Erkenntnis der göttlichen Gerechtigkeit und Liebe, welche beide aus der Bibel leicht erweislich sind. Denn erstens folgt das aufs deutlichste aus dem 2. Buch Mose Kap. 6, V. 2, wo Gott zu Moses sagt, um die ihm besonders gewährte Gnade hervorzuheben: »Ich habe mich dem Abraham, Isaak und Jakob geoffenbart als Gott Schaddai ( El Schaddai), aber mit meinem Namen Jehovah bin ich ihnen nicht bekannt geworden.« Zum besseren Verständnis sei bemerkt, daß El Schaddai im Hebräischen den Gott bezeichnet, welcher genügt, weil er jedem giebt, was ihm genügt Neuerdings wird der Name Schaddai richtiger als »Gott der Fruchtbarkeit« aufgefaßt und mit Schadajim (weibliche Brust) in Zusammenhang gebracht. Anm. des Übersetzers.; und obgleich Schaddai häufig allein für Gott gebraucht wird, so ist doch unzweifelhaft überall El »Gott« hinzuzudenken. Weiter ist zu bemerken, daß in der Bibel außer Jehovah kein anderer Name gefunden wird, welcher das Wesen Gottes an und für sich, ohne Beziehung zu den geschaffenen Dingen, anzeigt. Deswegen behaupten die Hebräer, daß dieser Name allein Gottes Eigenname sei, während die andern Gottesnamen Beinamen wären; und in der That drücken die übrigen Namen Gottes, mögen sie Haupt- oder Eigenschaftswörter sein, Eigenschaften aus, welche Gott zukommen, sofern er in Beziehung zu geschaffenen Wesen gedacht wird oder sich durch solche offenbart. So der Name El oder mit dem paragogischen Buchstaben He: Eloha, welcher bekanntlich den Mächtigen bezeichnet; eine Bezeichnung, welche Gott nur im vorzuweisen Sinne ( par excellence) zukommt, etwa so wie wir Paulus den Apostel schlechtweg nennen.

Bisweilen werden die einzelnen Eigenschaften seiner Macht näher angegeben, wie: der große, furchtbare, gerechte, barmherzige etc. El (Mächtige); oder dieser Name wird, um sämtliche Eigenschaften seiner Macht zusammenzufassen, in der Mehrzahl ( Elohim) angewendet, aber in der Bedeutung der Einzahl, was in der Bibel sehr häufig vorkommt. Wenn also Gott zu Moses sagt, er sei den Erzvätern unter dem Namen Jehovah nicht bekannt geworden, so folgt daraus, daß diese keine Eigenschaft Gottes gekannt haben, welche sein Wesen vollständig ausdrückt, sondern nur seine Wirkungen und Verheißungen, d. h. seine Macht, sofern sie sich durch sichtbare Dinge offenbart. Und zwar sagt Gott dies zu Moses nicht, um die Erzväter des Unglaubens zu beschuldigen, sondern im Gegenteil, um ihr Vertrauen und ihren Glauben hervorzuheben, indem sie die Verheißungen Gottes als sicher und unverbrüchlich mit gläubigem Sinn aufnahmen, obschon sie von Gott keine besondere Erkenntnis hatten wie Moses; anders als dieser, der trotz seiner höheren Gotteserkenntnis an den göttlichen Verheißungen zweifelte und Gott den Vorwurf machte, daß er statt der verheißenen Erlösung das Schicksal der Juden nur noch mehr verschlimmert habe.

Wenn also die Erzväter den besonderen Namen Gottes nicht gekannt haben und Gott dies dem Moses sagt, um ihre Herzenseinfalt und ihren Glauben zu loben und zugleich die ihm gewährte besondere Gnade hervorzuheben, so folgt daraus aufs entschiedenste, was ich als ersten Punkt behauptet habe, daß es kein Gebot geben kann, wonach die Menschen verpflichtet wären, Gottes Eigenschaften zu erkennen, sondern daß diese Erkenntnis eine besondere, nur einzelnen Gläubigen gewährte Gabe ist. Es ist auch gar nicht der Mühe wert, dies mit vielen biblischen Zeugnissen zu belegen; denn wer wüßte nicht, daß die Gotteserkenntnis unter den Gläubigen eine sehr verschiedene ist, und daß niemand auf Befehl weise sein kann, so wenig als man auf Befehl leben und dasein kann. Männer, Weiber, Kinder und alle Menschen können wohl auf Befehl in gleicher Weise gehorsam, nicht aber weise sein.

Sollte aber jemand sagen, es sei zwar nicht nötig, Gottes Attribute zu erkennen, aber man müsse sie einfach, ohne Beweis, glauben, so sagt er offenbaren Unsinn. Denn unsichtbare Dinge und rein geistige Gegenstände, können mit keinen andern Augen gesehen werden als mit den Augen der Beweise, und wenn man diese nicht besitzt, so sieht man eben von solchen Dingen ganz und gar nichts. Was man aber darüber von andern hört und nachspricht, das berührt den eigenen Geist so wenig, wie die Worte eines Papageis oder eines Automaten, welche ohne Geist und Verständnis schwatzen.

Bevor ich aber weiter gehe, fühle ich mich gedrungen, den Grund anzugeben, warum es im 1. Buche Mose oft heißt, die Erzväter hätten im Namen Jehovahs gepredigt, während dies dem soeben Gesagten zu widersprechen scheint. Rufen wir uns aber in Erinnerung, was im 8. Kapitel auseinandergesetzt wurde, so werden wir den scheinbaren Widerspruch leicht ausgleichen können. In dem erwähnten Kapitel wurde gezeigt, daß der Verfasser der fünf Bücher Mose die Sachen und Ortschaften nicht genau mit den Namen benennt, welche sie zu der Zeit hatten, von welcher er spricht, sondern mit den bekannteren Namen, welche sie zur Zeit des Verfassers hatten. Gott wird also im 1. Buche Mose, wenn gesagt wird, daß er von den Patriarchen gepredigt wurde, unter den Namen Jehovah erwähnt, weil dieser Name den Juden die tiefste Ehrfurcht einflößte, aber nicht weil er den Erzvätern unter diesem Namen bekannt war. Dies, sage ich, muß man notwendig annehmen, da es in unsrem Texte des 2. Buches Mose ausdrücklich heißt, Gott sei unter diesem Namen den Erzvätern nicht bekannt gewesen, und auch weil im 2. Buch Mose Kap. 3, V. 13 Moses den Namen Gottes zu wissen begehrt und ein Moses ihn gewiß gekannt hätte, wenn er schon vordem bekannt gewesen wäre. Wir sind also zu dem gesuchten Ergebnis gelangt, wonach die gläubigen Patriarchen diesen Gottesnamen nicht gekannt haben und die Gotteserkenntnis eine Gabe, nicht ein Gebot Gottes ist.

Es ist nun Zeit, zum zweiten Punkt überzugehen und zu zeigen, daß Gott keine Erkenntnis seiner selbst von den Menschen durch die Propheten verlangt, als die Erkenntnis seiner göttlichen Gerechtigkeit und Liebe, mit andern Worten, solcher göttlichen Eigenschaften, welche die Menschen in ihrer Lebensweise nachahmen können. Dies lehrt Jeremia ausdrücklich mit den Worten, die er im 22. Kap., V. 15 und 16 über den König Josia spricht und welche lauten: »Hat nicht dein Vater gegessen und getrunken und Recht und Gerechtigkeit geübt, da war ihm wohl; er sprach Recht den Armen und Dürftigen, da war ihm wohl; denn (wohlgemerkt!) das heißt mich erkennen, spricht Jehovah.« Nicht minder deutlich ist, was im Kap. 9, V. 24 steht, nämlich: »sondern ein jeder rühme sich nur dessen, daß er mich erkennt und einsieht, daß ich Jehovah Liebe, Recht und Gerechtigkeit auf Erden übe, denn daran habe ich Wohlgefallen, spricht Jehovah.« Es ergiebt sich das auch außerdem aus 2. Buch Mose Kap. 34, V. 6 und 7, wo Gott dem Moses, der ihn zu sehen und zu erkennen verlangt, keine andern Eigenschaften offenbart, als solche, welche die göttliche Gerechtigkeit und Liebe ausdrücken. Endlich muß hier ganz besonders auf jene Stelle des Johannes, von welcher nachher noch die Rede sein wird, aufmerksam gemacht werden, worin der Apostel Gott nur durch die Liebe erklärt, weil niemand Gott gesehen habe, und den Schluß zieht, daß derjenige in Wahrheit Gott in sich habe und erkenne, der die Liebe hat. Wir sehen also, daß Jeremia, Moses und Johannes die Gotteserkenntnis, welche jeder haben muß, mit wenigen Worten zusammenfassen und dieselbe, wie ich sagte, darin allein bestehen lassen, daß Gott höchst gerecht und höchst barmherzig, oder das einzige Vorbild eines rechten Lebens sei. Hierzu kommt noch, daß die Bibel von Gott keine ausdrückliche Definition giebt, und auch außer den eben erwähnten Eigenschaften Gottes keine andern anzuerkennen vorschreibt, noch ausdrücklich empfiehlt.

Aus dem allem können wir schließen, daß eine vernunftgemäße Erkenntnis Gottes, welche die Natur Gottes an und für sich begreift, wie sie die Menschen in ihrem Lebenswandel nicht nachahmen und zum Vorbild einer rechten Lebensweise nehmen können, zum Glauben und zur geoffenbarten Religion auf keine Weise gehört, und daß folglich die Menschen hierüber, ohne sich einer Sünde schuldig zu machen, himmelweit irren können.

Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß Gott sich den Einbildungen und vorgefaßten Meinungen der Propheten anbequemt hat und daß die Gläubigen die verschiedensten Meinungen über Gott gehegt haben, wie im 2. Kapitel an verschiedenen Beispielen gezeigt wurde. Ebensowenig kann es Wunder nehmen, daß die heilige Schrift überall so uneigentlich von Gott spricht und ihm Hände, Füße, Augen, Ohren, Geist und örtliche Bewegung zuschreibt und außerdem auch Seelenbewegungen, wie z. B. daß er eifervoll, barmherzig u. s. w. sei, und daß sie ihn endlich als einen Richter schildert, der im Himmel wie auf einem königlichen Throne sitzt und Christus zu seiner Rechten hat. Sie spricht da eben nach der Fassungskraft des Volkes, welches die Bibel nicht gelehrt, sondern gehorsam zu machen bestrebt ist. Die Theologen gewöhnlichen Schlags haben sich zwar Mühe gegeben, alles Derartige, dessen Unvereinbarkeit mit der göttlichen Natur sie vermöge ihrer natürlichen Vernunft einsehen, bildlich auslegen, dasjenige aber, was ihrem Verständnis sich entzieht, buchstäblich zu nehmen. Wenn aber alles, was in der Bibel dieser Art vorkommt, bildlich ausgelegt und aufgefaßt werden müßte, so wäre die Bibel nicht für das Volk und die ungebildete Menge geschrieben, sondern nur für sehr gelehrte Leute, besonders für Philosophen geschrieben. Ja wenn es gottlos wäre, in Frömmigkeit und Herzenseinfalt das, was soeben angeführt wurde, von Gott zu glauben, so hätten sich die Propheten ganz gewiß, zum mindesten wegen der Schwachheit des Volkes, vor solchen Ausdrücken sehr hüten müssen, und sie hätten vielmehr die göttlichen Eigenschaften, wie jedermann sie auffassen müsse, vor allem andern ausdrücklich und deutlich lehren müssen, was jedoch nirgends der Fall ist.

Es ist also nicht glaubhaft, daß die Meinungen an und für sich, ohne Rücksicht auf Handlungen betrachtet, zur Frömmigkeit oder Gottlosigkeit gehören. Nur insofern kann der Glaube eines Menschen als fromm oder gottlos bezeichnet werden, als derselbe von seinem Glauben zum Gehorsam bewogen oder zur Sünde und Widersetzlichkeit verleitet wird. Wer somit durch einen wahren Glauben ungehorsam wird, der hat tatsächlich einen gottlosen Glauben, und umgekehrt, wer durch einen falschen Glauben gehorsam wird, der hat einen frommen Glauben. Denn die wahre Gotteserkenntnis ist, wie gezeigt wurde, kein göttliches Gebot, sondern eine göttliche Gabe, und Gott hat von den Menschen keine andere Erkenntniß verlangt, als die Erkenntnis seiner Gerechtigkeit und Liebe, eine Erkenntnis, welche nicht zur Wissenschaft, sondern nur zum Gehorsam nötig ist.


 << zurück weiter >>