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Zehntes Kapitel.

Die übrigen Bücher des Alten Testaments werden in gleicher Weise wie die ersten untersucht.


Ich wende mich nun zu den übrigen Büchern des Alten Testaments. Über die beiden Bücher der Chronik habe ich nichts Bestimmtes und Wichtiges zu bemerken, außer daß sie lange Zeit nach Esra und vielleicht erst nach Wiederherstellung des Tempels durch Judas Makkabäus geschrieben sind. Denn im 9. Kap. des 1. Buches erzählt der Verfasser, »welche Familien zuerst (nämlich zu Esras Zeit) in Jerusalem gewohnt hätten«. Auch macht er im 17. Vers die »Thorhüter« namhaft, deren zwei auch in Nehemia Kap. 11, V. 19 mit Namen aufgeführt sind. Das zeigt, daß diese Bücher lange Zeit nach der Wiedererbauung der Stadt geschrieben wurden. Im Übrigen ist mir über ihren wahren Verfasser, ihr Ansehen, ihren Nutzen und ihre Lehre nichts Näheres bekannt. Mich wundert sogar sehr, daß sie unter die heiligen Bücher aufgenommen worden sind von jenen Männern, welche das Buch der Weisheit, das Buch Tobias und die andern sogenannten apokryphischen Bücher vom Kanon der heiligen Schriften ausgeschlossen haben. Indessen liegt es nicht in meiner Absicht, ihr Ansehen zu vermindern, sondern nachdem sie einmal allgemein anerkannt sind, lasse auch ich sie wie sie sind.

Auch die Psalmen sind zur Zeit des zweiten Tempels gesammelt und in fünf Bücher eingeteilt worden. Denn der 88. Psalm ist nach dem Zeugnis des Juden Philo veröffentlicht worden, als noch der König Jehojachin zu Babylon im Kerker gefangen lag, und der 89. Psalm, als derselbe König seine Freiheit erlangt hatte. Philo hätte das gewiß nicht gesagt, wenn es nicht entweder die herrschende Ansicht seiner Zeit gewesen oder ihm von glaubwürdigen Personen mitgeteilt worden wäre.

Die Sprüche Salomos sind vermutlich zu derselben Zeit gesammelt worden, oder doch frühestens zur Zeit des Königs Josia; denn im letzten Vers des 24. Kapitels heißt es: »Auch diese sind Sprichwörter Salomos, welche die Männer Hiskias, des Königs von Juda, überliefert haben«. Hier kann ich aber die Anmaßung der Rabbiner nicht mit Stillschweigen übergehen, welche dieses Buch samt dem Prediger vom Kanon der heiligen Schriften ausschließen und mit den übrigen, die wir nicht mehr haben, verbergen wollten. Sie hätten es auch unfehlbar gethan, wenn sie nicht einige Stellen gefunden hätten, in welchen das mosaische Gesetz empfohlen wird. Es ist fürwahr bedauerlich, daß so heilige und gute Dinge von der Auswahl dieser Leute abhingen. Ich muß ihnen noch Dank wissen, daß sie so gütig waren, uns wenigstens diese Bücher aufzubewahren, wiewohl ich mich des Zweifels nicht erwehren kann, ob sie uns dieselben auch treu und unverfälscht überliefert haben; was ich übrigens nicht genauer untersuchen will.

Ich komme nun zu den Büchern der Propheten. Bei aufmerksamer Betrachtung werde ich gewahr, daß die darin enthaltenen Prophezeiungen aus andern Büchern gesammelt sind, und daß sie in diesen Büchern nicht immer in derselben Ordnung geschrieben sind, wie sie von den Propheten selbst gesprochen oder geschrieben wurden, auch daß nicht alle darin enthalten sind, sondern nur die, welche da und dort gefunden wurden. Daher können diese Bücher nur als Bruchstücke der Propheten angesehen werden. Denn Jesaja fing unter König Usia an zu prophezeien, was der Abschreiber selbst im ersten Verse bezeugt. Er hat aber nicht bloß zu jener Zeit prophezeit, sondern auch alle Thaten dieses Königs beschrieben (s. 2. Buch der Chronik Kap. 26, V. 22). Dieses Buch besitzen wir nicht, denn schon oben wurde gezeigt, daß das, was wir haben, aus den Chroniken der Könige von Juda und Israel abgeschrieben ist. Dazu kommt noch, daß nach der Behauptung der Rabbiner dieser Prophet auch noch unter der Regierung des Manasse, von welchem er später ermordet wurde, prophezeit hat. Zwar sieht ihre Erzählung wie ein Märchen aus, doch scheint aus derselben hervorzugehen, daß sie glaubten, die Prophezeiungen des Jesaja seien nicht mehr vollständig vorhanden.

Von den Prophezeiungen des Jeremia ist der geschichtliche Teil aus verschiedenen Chronologien ausgezogen und gesammelt. Denn außerdem, daß sie durcheinandergeworfen sind, ohne Rücksicht auf die Zeitfolge, wird auch dieselbe Begebenheit mehrmals auf verschiedene Weise wiederholt. Denn das 21. Kapitel giebt als Ursache der Gefangensetzung Jeremias an, daß er dem Zedekia, der ihn um Rat gefragt, die Zerstörung der Stadt vorhergesagt habe. Darauf bricht diese Erzählung ab und geht im 22. Kap. zu der Erzählung über, wie Jeremia dem Jojachim, dem Vorgänger des Königs Zedekia, eine Strafpredigt gehalten und die Gefangennehmung des Königs vorhergesagt hat. Das 25. Kapitel beschreibt sodann, was vorher, nämlich im vierten Jahre des Jehojakim, dem Propheten geoffenbart wurde, und hierauf die Offenbarung aus dem ersten Jahre desselben Königs. Auf diese Weise fährt er fort, ohne Beobachtung der Zeitfolge, die Prophezeiungen zusammenzuwerfen, bis er schließlich im 38. Kap. (als ob die voranstehenden sechzehn Kapitel nur Einschiebsel wären) zu dem zurückkehrt, was er im 21. Kapitel zu erzählen begonnen hatte. Denn die Verbindung, womit das 38. Kapitel anhebt, bezieht sich auf die Verse 8, 9 und 10 des 21. Kapitels. Und nun beschreibt er die letzte Gefangensetzung Jeremias ganz anders und giebt auch für seine lange Gefangenhaltung im Vorhofe des Gefängnisses eine ganz andere Ursache an als das 37. Kapitel. Daran kann man deutlich sehen, daß das alles aus verschiedenen Geschichtschreibern zusammengeklaubt worden und dies allein kann diese Art der Darstellung entschuldigen. Die andern Prophezeiungen aber, welche in den übrigen Kapiteln enthalten sind, wo Jeremia in der ersten Person redet, scheinen aus dem Buche abgeschrieben zu sein, das Jeremia selbst dem Baruch diktiert hat. Denn dasselbe enthielt (wie aus Kap. 36, V. 2 hervorgeht) nur das, was diesem Propheten von der Zeit des Josia bis zum vierten Jahr des Jehojakim geoffenbart worden war; von welcher Zeit an das Buch Jeremia beginnt. Dem gleichen Buche scheint auch der Abschnitt Kap. 45 V. 2 bis Kap. 51 V. 59 entnommen zu sein.

Daß auch das Buch Ezechiel nur ein Bruchstück ist, zeigen schon seine ersten Verse recht deutlich. Denn wer sieht nicht, daß die Verbindungsformel, mit welcher das Buch beginnt, sich auf ein früher Gesagtes bezieht und dieses mit dem, was jetzt gesagt werden soll, verbinden will? Aber nicht bloß die Verbindungsformel, sondern der ganze Text dieser Rede setzt eine andere Schrift voraus. Denn das dreißigste Jahr, mit welchem das Buch beginnt, zeigt uns den Propheten im Erzählen fortfahrend, aber nicht anfangend. Der Verfasser selbst hat dies auch einschaltend im dritten Vers folgendermaßen bemerkt: »Es ward das Wort Gottes oft dem Ezechiel, dem Buzi, Priester im Lande der Chaldäer u. s. f.«, als ob er sagen wollte, die Worte des Ezechiel, welche er bis hierher abgeschrieben, bezögen sich auf eine andere Offenbarung, die ihm vor diesem dreißigsten Jahr zu Teil wurde. Ferner erzählt Josephus im 10. Buch seiner Altertümer Kapitel 9, Ezechiel habe vorhergesagt, daß Zedekia Babylon nicht sehen würde; wovon sich in dem Buch Ezechiel, das wir haben, nichts findet; im Gegenteil lesen wir im 17. Kapitel, derselbe würde gefangen nach Babylon geführt werden.

Von Hosea kann ich nicht mit Bestimmtheit behaupten, daß er mehr geschrieben hat, als was in dem nach ihm benannten Buche enthalten ist. Doch finde ich es merkwürdig, daß wir nicht mehr von ihm besitzen, da er doch nach dem Zeugnis des Verfassers länger als 84 Jahre prophezeit hat. So viel aber wissen wir im allgemeinen, daß die Verfasser dieser Bücher weder die Prophezeiungen sämtlicher Propheten, noch auch sämtliche Prophezeiungen derjenigen Propheten, die wir besitzen, gesammelt haben. Denn von den Propheten, welche unter Manasses Regierung prophezeit haben, und deren im 2. Buch der Chronik Kap. 33, V. 10, 18 und 19 Erwähnung geschieht, besitzen wir überhaupt keine Prophezeiungen. Ebensowenig besitzen wir alle Prophezeiungen dieser zwölf Propheten. Denn von Jona sind nur die Prophezeiungen über die Nineviten schriftlich vorhanden, während er doch auch den Israeliten geweissagt hat, worüber man 2. Buch der Könige Kap. 14, V. 25 nachsehen mag.

Über das Buch Hiob und über Hiob selbst herrscht unter den Schriftgelehrten große Meinungsverschiedenheit. Einige meinen, Moses habe das Buch geschrieben und die ganze Erzählung sei nur eine Parabel. Dieses berichten einige Rabbiner im Talmud, denen sich Maimonides in seinem Buche Moreh Nebuchim zuneigt. Andere halten sie für eine wahre Geschichte und einige derselben glauben, Hiob habe zur Zeit Jakobs gelebt und dessen Tochter Dinah zum Weibe genommen. Aben Hezra dagegen versichert, wie ich schon oben erwähnt, in seinem Kommentar zu diesem Buche, dasselbe sei aus einer andern Sprache ins Hebräische übertragen. Ich wünschte, er hätte uns das überzeugender dargethan, denn wir würden alsdann auch zur Annahme berechtigt sein, daß auch die Heiden heilige Bücher gehabt haben. Ich lasse die Sache also dahingestellt; doch vermute ich, daß Hiob ein Heide von großer Seelenstärke gewesen sei, dem es zuerst gut, dann sehr schlecht und später wieder sehr gut gegangen ist; denn Ezechiel nennt ihn neben andern Männern in Kap. 14, V. 12. Dieser Glückswechsel des Hiob und seine Seelenstärke mag den Anlaß gegeben haben, daß viele über Gottes Vorsehung Erörterungen anstellten, oder doch daß jemand das Wechselgespräch dieses Buches abgefaßt hat. Denn Inhalt wie Schreibart weisen auf einen Mann, der mit Muße in seiner Studierstube nachgedacht hat, nicht aber auf einen im Staube ächzenden Kranken. Das aber glaube ich mit Aben Hezra, daß dieses Buch aus einer andern Sprache übersetzt sei, weil es die heidnische Dichtung nachzuahmen scheint. Denn der Vater der Götter hält zweimal eine Götterversammlung ab und Momus, welcher hier Satan heißt, bekrittelt die Worte Gottes mit größter Freiheit etc. Doch sind dies bloße Vermutungen, ohne Zuverlässigkeit.

Wir kommen zum Buche Daniel. Derselbe ist ohne Zweifel von Kap. 8 an von Daniel selbst geschrieben; woher aber die ersten sieben Kapitel abgeschrieben sind, weiß ich nicht, möglicherweise aus chaldäischen Chronologien, da sie mit Ausnahme des ersten chaldäisch abgefaßt sind. Stände dies fest, so wäre das ein unwiderleglicher Beweis dafür, daß die Bibel nur in Bezug auf ihren Inhalt heilig ist, nicht aber in Bezug auf die Worte oder die Sprache und Ausdrucksweise; ferner dafür, daß Bücher, welche recht gute Lehren und Erzählungen enthalten, mögen sie in welcher Sprache auch immer abgefaßt und von welchem Volk auch immer geschrieben sein, ebenso heilig seien wie die Bibel. Doch können wir zum mindesten die Bemerkung machen, daß diese Kapitel chaldäisch geschrieben sind und nichtsdestoweniger ebenso heilig sind wie die übrigen Bücher der Bibel.

Die Art, wie das erste Buch Esra sich dem Buche Daniel anschließt, läßt leicht erkennen, daß beide ein und denselben Verfasser haben und derselbe im Buche Esra die Geschichte der Juden seit der ersten Gefangenschaft nach und nach zu erzählen fortfährt.

Unzweifelhaft schließt sich diesem das Buch Esther an, da die Verbindungsformel, mit welcher dieses Buch beginnt, auf kein anderes Buch bezogen werden kann. Das Buch, welches Mardochai geschrieben, kann es kaum sein, da im 9. Kapitel, V. 20, 21 und 22 ein anderer von Mardochai erzählt, daß er Briefe geschrieben habe, und deren Inhalt angiebt. Ferner heißt es im 31. Vers desselben Kapitels, daß die Königin Esther alles auf das Fest der Loose (Purim) Bezügliche durch ein Edikt bestätigt habe, das in ein Buch geschrieben worden war, und zwar ist (nach dem Wortlaut im Hebräischen) von einem Buch die Rede, das zu jener Zeit (wo diese Stelle geschrieben wurde) allgemein bekannt war, dieses Buch ist aber, wie Aben Hezra gesteht und jedermann zugeben muß, mit andern Büchern verloren gegangen. Endlich auch verweist der Verfasser bezüglich dessen, was sonst noch von Mardochai zu berichten war, auf die Chronik der Könige der Perser. Daher ist nicht daran zu zweifeln, daß dieses Buch von dem Verfasser des Buches Daniel und Esra herrührt.

Von demselben Verfasser muß auch das Buch Nehemia herstammen, da es das zweite Buch Esra genannt wird.

Ich behaupte also, daß diese vier Bücher: Daniel, Esra, Esther und Nehemia, von einem und demselben Erzähler geschrieben sind. Wer das aber gewesen sei, darüber habe ich nicht einmal eine Vermutung. Um aber die Quelle zu erfahren, aus welcher derselbe, wer es auch gewesen sein mag, die Kenntnis dieser Geschichten geschöpft, vielleicht sogar den größten Teil derselben abgeschrieben hat, muß bemerkt werden, daß die Oberhäupter oder Fürsten der Juden zur Zeit des zweiten Tempels, so gut wie ihre Könige zur Zeit des ersten, Schreiber oder Geschichtschreiber hielten, welche ihre Denkwürdigkeiten oder Chronologie der Reihe nach aufzeichneten. Denn die Chronologie oder die Denkwürdigkeiten der Könige werden in den Büchern der Könige da und dort zitiert, aber die der Fürsten und Priester zur Zeit des zweiten Tempels werden erstmals zitiert im Buche Nehemia Kap. 12, V. 23, sodann im 1. Buch der Makkabäer Kap. 16, V. 24. Ohne Zweifel ist dies auch das Buch (s. Esther Kap. 9, V. 31), von dem wir soeben gesprochen, in welchem das Edikt der Esther und die Geschichte des Mardochai ausgeschrieben waren und das ich mit Aben Hezra als verloren gegangen bezeichnet habe. Aus diesem Buch also scheint alles, was in diesen vier Büchern enthalten ist, geschöpft oder abgeschrieben zu sein; denn es wird sonst kein anderes von deren Verfasser zitiert und wir wissen auch von keinem andern, das im öffentlichen Ansehen gestanden hätte.

Daß aber diese Bücher weder von Esra noch von Nehemia geschrieben sind, erhellt daraus, daß in Nehemia Kap. 12, V. 9 und 10 das Geschlechtsregister des Hohenpriesters Jeschua bis zu Jadua fortgeführt wird, dem Priester aus dem sechsten Geschlecht von Jeschua und demselben, welcher Alexander dem Großen entging, nachdem dieser das persische Reich unterworfen hatte (s. die Altertümer des Josephus 11. Buch, 8. Kap.), oder wie der Jude Philo in seinem Buch der Zeiten sagt, dem sechsten und letzten Priester unter den Persern. Ja es heißt in demselben Kapitel des Nehemia V. 22: »Nämlich zu den Zeiten des Eljasib, Jojada, Jochanan und Jadua sind sie über Wenn das Wort nicht »bis darüber hinaus« bezeichnet, so ist es ein Fehler des Abschreibers, der ׀צ »über«, statt רצ »bis« geschrieben hat. die Regierung des Persers Darius geschrieben worden«, nämlich in den Chronologien. Ich glaube nicht, daß jemand meinen wird, Esra und Nehemia seien so alt geworden, daß sie vierzehn Perserkönige überlebten. Der erste Perserkönig Cyrus hatte den Juden die Erlaubnis erteilt, den Tempel wieder aufzubauen und von dieser Zeit an bis zu Darius, dem vierzehnten und letzten Perserkönig werden über 230 Jahre gezählt. Darum zweifle ich nicht, daß diese Bücher lange nach der Wiederherstellung des Tempeldienstes durch Judas Makkabäus geschrieben worden sind und zwar deswegen, weil um jene Zeit falsche Bücher Daniel, Esra und Esther von einigen Übelgesinnten ausgegeben wurden, die ohne Zweifel der Sekte der Sadducäer angehörten. Denn die Pharisäer haben jene Bücher, so viel ich weiß, niemals angenommen. Und obgleich in dem Buche, welches das vierte Buch Esra heißt, einige Fabeln vorkommen, denen wir auch im Talmud begegnen, so kann man diese Bücher doch nicht den Pharisäern zuschreiben. Denn unter den Pharisäern selbst ist jedermann – die Dümmsten unter ihnen allenfalls ausgenommen – der Ansicht, daß jene Fabeln von irgend einem Aufschneider angehängt wurden. Ich möchte sogar glauben, daß die Schreiber dieser Fabeln die Überlieferungen der Pharisäer damit allgemein lächerlich machen wollten. Vielleicht aber sind die Bücher Daniel, Esra, Esther und Nehemia damals aus dem Grunde geschrieben und herausgegeben worden, um dem Volk zu zeigen, daß die Prophezeiungen des Daniel in Erfüllung gegangen seien, und es auf diese Weise in der Religion zu bestärken, und zu verhüten, daß es in seinen großen Trübsalen an bessern und glücklicheren Zeiten verzweifle.

Obgleich nun aber diese Bücher aus so später Zeit stammen, haben sich doch viele Fehler, wenn ich nicht irre, durch Eilfertigkeit der Abschreiber, in dieselben eingeschlichen. Wie in den andern Büchern finden sich auch in diesen viele Randbemerkungen, welche im vorigen Kapitel behandelt wurden, und außerdem einige Stellen, welche auf keine andere Weise entschuldigt werden können, wie ich gleich zeigen werde. Vorher aber möchte ich über die Randbemerkungen derselben bemerken, daß wenn man den Pharisäern einräumte, sie seien ebenso alt wie der Text selbst, man alsdann auch sagen müßte, die Verfasser selbst, wenn es nämlich mehrere waren, hätten sie darum beigefügt, weil die Chronologien, aus denen sie geschöpft haben, nicht sorgfältig genug abgefaßt waren; und obgleich einige Fehler offenbare Fehler sind, haben jene doch nicht gewagt, an den alten Schriften der Vorfahren Verbesserungen vorzunehmen. Es ist indessen nicht nötig, mich hierauf hier nochmals ausführlich einzulassen und ich wende mich daher zu denjenigen Fehlern, welche am Rande nicht angemerkt sind. Und da muß ich nun vor allem sagen, daß ich die Zahl der Fehler gar nicht angeben kann, die sich in das 2. Kapitel des Buches Esra eingeschlichen haben. Denn im V. 64 wird die Gesammtsumme aller derer angegeben, welche einzeln im ganzen Kapitel aufgezählt sind, und es heißt von ihnen, sie hätten zusammen 42 360 Personen betragen; wenn man dagegen die einzelnen Personen zusammenzählt, so kommen nicht mehr heraus als 29 818. Hier ist also ein Irrtum vorhanden, entweder in der Gesamtsumme oder in den einzelnen Posten. Es läßt sich aber annehmen, daß die Gesamtsumme richtig angegeben ist, weil sie als ein merkwürdiger Umstand ohne Zweifel von jedermann im Gedächtnis behalten wurde, nicht aber alle einzelnen Posten. Läge daher der Irrtum in der Hauptsumme, so hätte ihn jeder sofort bemerkt und er wäre bald verbessert worden. Diese Annahme wird dadurch völlig bestätigt, daß im 7. Kap. des Nehemia, wo dieses Kapitel des Esra (welches Brief des Geschlechtsregisters heißt) abgeschrieben ist, wie der 15. Vers dieses Kapitels in Nehemia ausdrücklich angiebt, die Gesamtsumme mit der im Buche Esra vollständig übereinstimmt, die einzelnen Posten aber bedeutend abweichen, indem einige größer, einige geringer angegeben sind, als bei Esra, und zusammengezählt geben sie die Zahl 31 089. Es ist somit kein Zweifel, daß sich bloß in die Einzelsummen Fehler eingeschlichen haben, sowohl bei Esra als bei Nehemia. Unter den Erklärern aber, welche diese offenbaren Widersprüche auszugleichen versuchen, fabelt jeder nach Kräften, und bei ihrem Verfahren, die Buchstaben und Worte der Bibel anzubeten, bringen sie es dahin, daß die Verfasser der Bibel der Verachtung preisgegeben sind, indem es den Anschein hat, als hätten sie weder richtig zu sprechen, noch was sie sagen wollten in richtiger Ordnung vorzutragen verstanden. Ja sie bringen es dahin, daß die Klarheit der Bibel völlig verdunkelt ist. Denn wäre es überall gestattet, die Bibel in ihrer Weise auszulegen, so gäbe es fürwahr keinen einzigen Satz, über dessen wahren Sinn wir nicht zweifeln könnten. Ich sehe jedoch nicht ein, wozu ich mich hierbei länger aufhalten sollte, da ich überzeugt bin, daß sie selbst jeden Geschichtschreiber auf alle Weise verspotten würden, der das Verfahren einschlagen würde, welches sie den Verfassern der Bibel in Andacht zuschreiben. Glauben sie aber, daß derjenige ein Gotteslästerer sei, welcher die Bibel an irgend einer Stelle für fehlerhaft erklärt, so frage ich, mit welchem Namen soll man sie selber nennen, welche der Bibel andichten, was ihnen beliebt? welche die Verfasser der heiligen Geschichten dermaßen herabwürdigen, daß man glauben muß, sie scherzen nach Kinderart ins Blaue hinein und werfen alles durcheinander? welche den klarsten, unzweideutigsten Sinn der Bibel verleugnen? Denn was in der Bibel ist klarer, als daß Esra mit seinen Genossen im Briefe des Geschlechtsregisters, der in dem ihm zugeschriebenen Buche Kap. 2 enthalten ist, die Zahl aller derjenigen, welche nach Jerusalem gezogen waren, in einzelnen Gruppen zusammenfaßt, da in diesen nicht bloß die Zahl derer angegeben wird, die ihren Stammbaum namhaft machen konnten, sondern auch derer, die ihn nicht namhaft machen konnten? Was, sage ich, ist nach Nehemia Kap. 7, V. 5 klarer, als daß hier dieser Brief einfach abgeschrieben ist? Diejenigen also, welche dies anders auslegen, leugnen offenbar den wahren Sinn der Bibel und demgemäß die Bibel selbst. Halten sie es aber für ein frommes Werk, eine Stelle der Bibel andern Stellen anzupassen, so ist es fürwahr eine lächerliche Frömmigkeit, klare Stellen den dunkeln, richtige Stellen den fehlerhaften anzupassen und Gesundes durch Schadhaftes zu verderben. Trotzdem bin ich weit entfernt, sie Gotteslästerer zu nennen, denn sie haben ja nicht die Absicht, zu lästern, und irren ist menschlich.

Ich kehre nun wieder zu meiner Aufgabe zurück. Außer den Fehlern, welche in den Zahlen des Briefs des Geschlechtsregisters sowohl in Esra wie in Nehemia zugegeben werden müssen, finden sich noch viele in den Namen der Familien selbst, außerdem viele in den Stammbäumen selbst, ebenso in den Erzählungen, und ich fürchte, sogar in den Weissagungen. Denn die Prophetie des Jeremia in Kap. 22 über Jechonia scheint auf keine Weise mit der Geschichte desselben (s. den Schluß im 2. Buch der Könige und in Jeremia, und das 1. Buch der Chronik Kap. 3, V. 17, 18, 19) in Einklang gesetzt werden zu können, besonders nicht die Worte des letzten Verses dieses Kapitels. Ich sehe auch nicht ein, wie er von Zedekia, dem die Augen ausgestochen wurden, sogleich nachdem er seine Söhne hatte töten sehen, sagen konnte: »Du wirst in Frieden sterben etc.« (s. Jeremia Kap. 34, V. 5). Falls die Weissagungen aus den Ereignissen zu erklären wären, so ist hier eine Verwechslung der Namen vorgekommen und man muß daher statt Zedekia Jechonia und umgekehrt statt Jechonia Zedekia setzen. Doch dies ist als paradox kaum anzunehmen und ich will daher die Sache lieber als unbegreiflich dahin gestellt sein lassen, zumal hier der Irrtum, wenn wirklich ein solcher vorhanden ist, auf Seiten des Verfassers, nicht des Schreibers ist.

Was die übrigen Fehler betrifft, von welchen ich gesprochen, so glaube ich dieselben hier nicht aufzählen zu sollen, da das nicht geschehen könnte, ohne den Leser zu ermüden; ohnehin sind dieselben schon von andern bemerkt worden. Hat sich doch Rabbi Salomo wegen der offenbaren Widersprüche, die er in den Geschlechtstafeln wahrgenommen hat, genötigt gesehen, in folgende Worte auszubrechen (s. dessen Kommentar zum 1. Buch der Chronik Kap. 8): »Daß Esra (den er für den Verfasser der Chronik hält) die Söhne Benjamins anders nennt und ein anderes Geschlechtsregister führt, als das 1. Buch Mose, und daß er die meisten levitischen Städte anders bezeichnet als Josua, kommt daher, daß er widersprechende Originale vorgefunden hat.« Und etwas später bemerkt er: »Daß das Geschlechtsregister Gibeons und anderer zweimal und auf verschiedene Weise beschrieben wird, kommt daher, daß Esra mehrere und verschiedene Briefe der einzelnen Geschlechtsregister vorgefunden hat und bei der Beschreibung derselben der größeren Zahl der Handschriften gefolgt ist. Wo aber die verschiedenen Handschriften an Zahl gleich waren, hat er beide abgeschrieben.« So giebt er ohne Anstand zu, daß diese Bücher aus Urkunden, die weder korrekt noch zuverlässig genug gewesen sind, abgeschrieben worden seien. Ja die Kommentatoren selbst wollen bei widersprechenden Stellen sehr häufig weiter nichts, als die Ursachen der Fehler angeben. Es wird auch wohl kein Mensch von gesundem Urteil glauben wollen, die Verfasser der heiligen Geschichten hätten absichtlich so geschrieben, daß sie sich da und dort zu widersprechen scheinen.

Vielleicht sagt nun aber jemand, ich würde mit meinem Verfahren die Bibel gänzlich auf den Kopf stellen, denn danach könnte jedermann die Bibel überall als fehlerhaft verdächtigen. Ich habe jedoch ganz im Gegenteil gezeigt, daß bei meinem Verfahren dafür gesorgt ist, daß die klaren und deutlichen Stellen der Bibel nicht den fehlerhaften angepaßt und durch dieselben verdorben würden. Auch kann man wegen der Fehlerhaftigkeit einzelner Stellen nicht die ganze Bibel als fehlerhaft verdächtigen. Es hat noch niemals ein Buch ohne Fehler gegeben: ist es deshalb, frage ich, jemals einem eingefallen, das Ganze als fehlerhaft zu verdächtigen? Wahrlich nein; namentlich wo die Rede klar und der Sinn des Verfassers deutlich ist.

Damit habe ich erledigt, was ich über die Geschichte der Bücher des Alten Testaments bemerken wollte. Wir können leicht daraus ersehen, daß es vor der Zeit der Makkabäer keinen Kanon der heiligen Schriften gegeben hat, sondern daß die Schriften, welche wir noch besitzen, von den Pharisäern zur Zeit des zweiten Tempels, die auch die Gebetformeln einführten, aus vielen andern ausgewählt und lediglich auf ihre Anordnung in den Kanon aufgenommen wurden. Will man also die Autorität der heiligen Schrift beweisen, so muß man die Autorität jedes einzelnen Buches nachweisen, es kann aber nicht die Göttlichkeit eines Buches für die der übrigen maßgebend sein; man müßte denn behaupten, die Versammlung der Pharisäer hätte in der Auswahl dieser Bücher nicht irren können, was niemand jemals beweisen wird. Der Grund aber, welcher mich zwingt, zu behaupten, die Pharisäer allein hätten die Bücher des Alten Testaments ausgewählt und zu einem Kanon heiliger Schriften vereinigt, ist einmal der Umstand, daß im Buche Daniel im 2. Vers des letzten Kapitels die Auferstehung der Toten verkündigt wird, welche die Sadduzäer leugneten; sodann, weil die Pharisäer im Talmud selbst dies deutlich sagen. Im Traktat Sabbath nämlich Kap. 2, Fol. 30, Pag. 2 heißt es: »Rabbi Juda sagt im Namen Rabs: Die Gesetzeskundigen wollten das Buch Prediger Salomo verbergen, weil seine Worte mit den Worten des Gesetzes ( NB. mit dem Buch des Gesetzes Mose) im Widerspruch stehen. Warum haben sie es aber nicht verborgen? Weil sein Anfang und sein Ende den Worten des Gesetzes entsprechen.« Und etwas später heißt es: »Und auch das Buch der Sprüche wollten sie verbergen u. s. f.«. Endlich heißt es in demselben Traktat Kap. 1, Fol. 13, Pag. 2: »Fürwahr! jenes Mannes sei im Guten gedacht, sein Name ist Nachunjah Sohn Hiskias, denn wäre er nicht gewesen, so wäre das Buch Ezechiel verborgen worden, weil seine Worte mit den Worten des Gesetzes im Widerspruch stehen u. s. f.« Daraus geht also deutlich hervor, daß die Gesetzeskundigen Beratung darüber gepflogen haben, welche Bücher als heilige aufgenommen und welche ausgeschlossen werden sollen. Will man also über die Autorität aller Bücher der Bibel Gewißheit haben, so muß man aufs neue Beratung pflegen und bei jedem einzelnen Buche den Grund erwägen.

Es wäre nun aber endlich an der Zeit, auch die Bücher des Neuen Testaments auf gleiche Weise zu untersuchen. Weil ich aber höre, daß dies bereits von sehr gelehrten und namentlich sehr sprachkundigen Männern geschehen sei, weil ich ferner keine so genaue Kenntnis der griechischen Sprache habe, daß ich es wagen könnte, dieses Geschäft zu unternehmen, und endlich weil von den Büchern des Neuen Testaments, die ursprünglich in hebräischer Sprache abgefaßt waren, keine Exemplare in der Ursprache mehr vorhanden sind, so will ich mich lieber über diese Arbeit hinwegsetzen. Doch glaube ich das bemerken zu sollen, was hauptsächlich zu meiner Aufgabe gehört. Hiervon im folgenden Kapitel.


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