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Da Pallet sich bemüht, ins Klare darüber zu kommen, wer ihn so rauh behandelt hat, geräth er aus dem Regen in die Traufe.
Dessen ungeachtet fühlte sich Pallet noch immer über seinen Punkt betroffen und gekränkt, den nämlich, daß er in dem Zimmer, das, wie er durch Nachfragen der vernahm, der liebenswürdigen Flamländerin gehörte, so rauh war behandelt worden. Es fiel ihm jetzt ein, daß die Thüre desselben fest verschlossen gewesen war und da es ihm nicht glaublich däuchte, daß ihm Jemand bei seinem Einbruche nachgefolgt sey, so befremdete es ihn doppelt, daß ein so zartes und schwaches Wesen, wie die Dame, einen so verzweifelten und schmerzlichen Angriff auf seinen Leichnam sollte gemacht haben können; und doch war er wieder auf der andern Seite von ihrem sittsamen und tugendhaften Betragen dermaßen überzeugt, daß es ihm unmöglich war, einem Zweifel dagegen Raum zu geben.
Diese Betrachtungen verwickelten ihn nun in ein Labyrinth von Gedanken; umsonst zermarterte er aber seine Einbildungskraft, sich die Sache genügend zu erklären und blieb endlich in seinen Zweifeln bei der Idee stehen, hier müsse entweder der böse Feind oder Pickle, oder vielleicht Beide zugleich, im Spiele seyn. Um nun seine Neugierde zu befriedigen und der Sache auf den Grund zu kommen, beschloß er, den Rest der Nacht alle Schritte und Tritte des jungen Herrn so genau zu beobachten, daß nichts seinem Blick entgehen sollte.
Mit diesem Vorsatze kehrte Pallet vorläufig, nachdem der Esel seinem rechtmäßigen Eigenthümer war wiedergegeben worden, in sein Zimmer zurück, während der Priester es sich angelegen seyn ließ, seine schöne, noch vor Furcht ganz außer sich gesetzte Pflegbefohlene zu trösten; kaum war aber Alles im Hause still geworden, so kroch er im Finstern den Gang entlang zur Stubenthür der Flamländerin, und kauerte sich hier in einen Winkel, von wo aus er Alles beobachten konnte. Diese Stellung hatte er jedoch noch nicht lange eingenommen, als er ermüdet durch das jüngste Abentheuer und die der vorherigen Nacht, einzuschlummern begann und bald in einen so tiefen Schlaf versank, daß er wie eine Gesellschaft von Presbyterianern schnarchte: die Flamländerin hörte aber kaum diese rauhen Töne auf dem Gange, als sie, vor einem neuen Auftritte sich fürchtend, eiligst ihre Thüre verriegelte, ihr Verehrer aber, als er sich näherte, um seinen Besuch zu wiederholen, durch diese unangenehme Musik, deren Urheber er nicht kannte, aufs Aeußerste bestürzt und erbittert wurde. Dies Gefühl stieg noch mehr als er sich jetzt der Thüre nahte und dieselbe zu seiner großen Kränkung verschlossen fand. Rücksicht auf den guten Namen seiner Schönen, der sehr leiden konnte, wenn der Schläfer aufwachte, verhinderte ihn, zu klopfen oder sein Daseyn sonst auf irgend eine Art zu erkennen zu geben: hätte er ahnen können, daß die Person, die seinen Absichten so sehr im Wege stand, der Maler sey, so würde er ein wirksames Mittel angewendet haben, ihn fortzuschaffen, aber er konnte sich durchaus keinen Grund denken, warum dieser Mensch hier sein Nachtquartier sollte aufgeschlagen haben und Licht vermochte er auch nicht zur Hülfe zu nehmen, theils weil er keins hatte, theils weil der Schläfer dann leicht in demselben Augenblicke die Augen aufschlagen und einen Verdacht gegen ihn hätte fassen könne, daß er sich zu einer solchen Stunde in einer Gegend des Hauses blicken ließ, die so weit von seinem Zimmer entlegen war.
Die Wuth und die Qual unsers Helden, der wie ein zweiter Tantalus in der Nähe des Glücks schmachten mußte, nachdem seine Begierden durch die zwei Mal fehlgeschlagene Hoffnung auf das Aeußerste gestiegen waren, lassen sich nicht beschreiben. Er stieß unzählige Verwünschungen gegen sein Schicksal aus, verfluchte alle seine Reisegefährten und schwor, sich an dem Maler zu rächen, der geboren zu seyn schien, seine besten Plane zu Schanden zu machen. Nur mit Mühe konnte er der Versuchung widerstehen, auf der Stelle Rache an dem unbekannten Urheber seines neuen Unglücks zu nehmen. Zwei Stunden brachte er so in wahren Höllenqualen auf dem Gange zu, wobei ihn jedoch die schwache Hoffnung nicht verließ, sich endlich von diesem Peiniger befreit zu sehen, der, wie er nicht zweifelte, beim Erwachen sogleich sich fortmachen und ihm freies Feld gewähren würde. Als aber der Hahn wiederholt den Morgen zu verkünden begann, da vermochte er seinen Unwillen nicht länger zu zügeln: er ging in sein Zimmer, füllte sein Waschbecken mit Wasser und goß dasselbe, in einiger Entfernung stehen bleibend, dem mit offenem Munde Schnarchenden gerade ins Gesicht, worauf er sich dann eilfertig in sein Zimmer zurückzog, während der auf diese Art Geweckte, außer dem Schreck, den ihm dieses kalte Bad verursachte, auch noch beinahe daran erstickt wäre, indem ihm das Wasser durch den Mund in die Luftröhre kam, so daß er wie ein Halbertrunkener nach Luft schnappte und nicht im Stande war, sich die wahre Beschaffenheit seines Unfalles zu erklären, eben so wenig wie er sich in diesem Augenblicke darauf zu besinnen vermochte, in welcher Lage er eigentlich eingeschlafen war. Mit nicht geringem Erstaunen hörte jetzt aber Peregrine aus dem Geheul, das in seine Ohren schallte, daß Niemand anders als der Maler ihn zum dritten Male um sein gutes Glück gebracht hatte, und höchst erbittert gegen ihn, stürzte er nun mit seiner Hetzpeitsche herbei, rannte den Fliehenden im Dunkeln um und begann ihn unter dem Vorwande, ihn für einen unverschämten Hund zu halten, der die nächtliche Ruhe im Hause störe, unbarmherzig zuzudecken; als nun aber Pallet seine Stimme erhob und so laut um Gnade bat, daß er nicht füglich unter diesem Vorwande weiter gegen ihn handeln konnte, da war Peregrinens Zorn immer noch so groß, daß er ihm ganz offen seine Zufriedenheit darüber bezeigte, ihm eine Correction gegeben zu haben. »Sie haben,« sprach er, »diese Züchtigung reichlich durch Ihren Unsinn und Ihre Unverschämtheit verdient, lauter tolle und unnütze Plane zu ersinnen, deren Zweck lediglich darauf hingeht, sich Ihren Nebenmenschen lästig zu machen.«
Pallet betheuerte dagegen mit großer Lebhaftigkeit, er sey so unschuldig wie die Sonne am Himmel und habe Niemanden stören wollen, als den Israeliten und jene leichtfertige Person, die sich seinen Unwillen zugezogen hätte. »Aber so wahr Gott im Himmel lebt,« fuhr er fort, »ich glaube, daß ich durch Zauberei verfolgt werde und fange an, auf die Vermuthung zu kommen, daß der verwünschte Priester ein Werkzeug des Teufels ist. Zwei Nächte befindet er sich erst in unserer Nähe, und in dieser ganzen Zeit habe ich kein Auge zuthun könne und bin von allen Mächten der Hölle gequält worden.« – Mürrisch entgegnete ihm Pickle hierauf: dies seyen nichts als thörichte Einbildungen, und fragte ihn nun: wie er denn eigentlich in den Winkel gekommen sey, wo er so abscheulich geheult hätte.
Der Maler fand es nicht für rathsam, die Wahrheit zu sagen und entgegnete: übernatürliche Mächte müßten ihn dahin versetzt haben und eine unsichtbare Hand hätte ihn dann ins Wasser getaucht. Der junge Mann, noch immer von einiger Hoffnung belebt, gab ihm jetzt den Rath, sich zur Ruhe zu legen und seine zerstörten Geisteskräfte durch Schlaf zu stärken, denn offenbar hätten dieselben durch Mangel an dieser Erquickung gelitten. Dies leuchtete Pallet ein und um dem heilsamen Winke zu folgen, begab er sich nach seinem Gemach, indem er auf dem ganzen Wege dahin Gebete zur Wiedererlangung seines Verstandes murmelte. Pickle begleitete ihn bis an sein Zimmer, schloß die Thüre desselben hinter ihm zu und steckte den Schlüssel in seine Tasche, damit er ihn nicht weiter stören könnte; auf dem Rückwege traf er aber auf Jolter und den Doctor, die ebenfalls durch das Geschrei des Malers wieder waren ermuntert worden und sich jetzt erkundigten: welches neues Abentheuer es gäbe? Ganz außer sich über die unaufhörlichen Querstriche, die alle seine Hoffnungen zu Schanden machten, verwünschte Peregrine im Stillen ihr unzeitiges Erscheinen und erzählte ihnen dann, um sie nur loszuwerden: er habe den Maler ganz starr und bis auf die Haut naß, heulend in einem Winkel gefunden und ihn in sein Zimmer geführt, wo er nun im Bett läge.
Diesen Umstand wollte sich der Arzt nicht entgehen lassen, um seine Geschicklichkeit zu zeigen, und verlangte deshalb unter dem Vorwande einer innigen Theilnahme, zu dem Kranken geführt zu werden, um die Symptome des Uebels zu untersuchen, da, wie er bemerkte, manche Krankheit leicht in der Geburt erstickt werden könne, die bei Vernachlässigung allen Anstrengungen der Arzneikunst widerstände. Peregrine sah sich somit genöthigt, den Schlüssel herauszugeben und ging nun auf sein Zimmer in der Absicht, die erste beste Gelegenheit zu benutzen, einen neuen Versuch bei seiner Schönen zu wagen.
Auf dem Wege nach des Malers Schlafgemach, eröffnete aber jetzt der Arzt seinem Begleiter seine Vermuthung: der Unglückliche könne wohl mit der schrecklichen Krankheit behaftet seyn, die man Hydrophobia oder Wasserscheu nenne, und die sich wohl auch zuweilen bei Personen zeige, welche nicht von tollen Hunden wären gebissen worden. Er stützte dabei seine Vermuthung auf das Geheul, welches Pallet ausgestoßen, als man ihn mit Wasser begossen habe, dann begann er sich Mehreres aus dem Betragen des Malers zu entsinnen, was nach seiner Meinung offenbar eine solches Unglück bei ihm vorher verkündet hätte und schrieb zuletzt diese Krankheit der außerordentlichen Angst und Furcht zu, die derselbe vor nicht lange ausgestanden. Seiner Behauptung nach, hatte die Bastillegeschichte so gewaltsam auf des Malers Verstand gewirkt, daß dessen Denk- und Sprechart sich seitdem gänzlich verändert habe; hierauf erklärte er nach einer selbst gebildeten Theorie, welche Wirkungen Furcht und Schreck auf eine erschlafftes Nervensystem haben könnten und setzte die Art des Einflusses aus einander, den die Lebensgeister auf die Ideen und die Einbildungskraft hätten.
Diese vor Pallets Thüre Statt findende Erörterung würde vielleicht bis zum Frühstück gedauert haben, wenn der Hofmeister den Doctor nicht an seine eigene Maxime, wer schnell hilft, hilft am besten, erinnert hätte, worauf dann der Letztere sogleich von dem Schlüssel Gebrauch machte und Beide leise an das Bette des Patienten traten, der lang ausgestreckt in den Armen des Schlafs lag. Der Arzt beobachtete, daß er schwer Athem holte und den Mund offen hielt: »Dies sind,« sprach er, » Diagnostica, daß das liquidum nervosum heftig angegriffen und die saliva mit scharfen Theilen des virus geschwängert ist, welches der Patient irgendwo muß aufgesammelt haben.« Der volle und langsame Schlag von Pallets Puls, der eine Stockung des Blutumlaufs anzeigte, die von einem Mangel der bewegenden Kraft der Pulsadern herrührte, schien diesen Ausspruch des Arztes zu bestätigen, welcher nun den Vorschlag machte, den Unglücklichen abermals mit Wasser zu besprengen, weil man dadurch nicht allein seine Genesung befördern, sondern auch den Charakter seiner Krankheit außer allen Zweifel setzen würde, indem man aus der Art, wie er diese Begießung aufnehme, ganz klar sehen könne, ob sein Abscheu vor dem Wasser schon bis zu einer völligen Hydrophobia gestiegen sey oder nicht. Dies leuchtete dem Hofmeister so ein, daß er sogleich hinging und den Inhalt einer auf dem Nachttisch stehenden Flasche in ein Becken zu gießen begann, in dieser Beschäftigung aber von dem Arzte mit der Bemerkung unterbrochen wurde: er solle lieber das, was sich in dem Nachtgeschirr befände, dazu anwenden, indem dieses mit Salztheilchen geschwängerte Fluidum eine bei weitem größere Wirksamkeit hätte, als das reine Element. Dieser Anweisung gemäß hob Jolter nun das reichlich gefüllte Gefäß in die Höhe und leerte es mit einem Schwunge über den Patienten aus, der voll Entsetzen über dieses neue Bad laut brüllend in die Höhe fuhr, gerade zu der Zeit, als Peregrine mit vieler Mühe die Geliebte zu einer Unterredung bewogen hatte und eben die schöne Hoffnung hegte, von ihr eingelassen zu werden.
Voll Schrecken über das entsetzliche Geschrei, das der Maler erhob, brach die Flamländerin die Unterhandlung schnell mit der Bitte ab, ihre Thüre zu verlassen, damit ihre Ehre nicht litte, wenn man ihn hier fände, und Peregrine besaß gerade noch so viel Besinnung, um die Nothwendigkeit, diesem Befehle zu gehorchen, einzusehen. Fast sinnlos vor Aerger und Verdruß, und selbst jetzt beinahe glaubend, daß übernatürliche Ursachen alle die unzähligen Hindernisse müßten herbeigeführt haben, und daß der abgeschmackte Maler nur ein gezwungenes Werkzeug zur Vernichtung seiner Plane sey, kehrte er in sein Zimmer zurück.
Der Doctor hatte sich unterdessen völlig von den Krankheit seines Reisegefährten überzeugt: er hielt dessen durch häufiges Stöhnen und Schluchzen unterbrochenes Geschrei für das vollkommene Bellen eines Hundes und da kein Salzwasser mehr vorhanden war, so beschloß er das Bad mit dem ersten besten, was ihm in die Hände fiele, zu erneuern. Schon hatte er dieserhalb die Flasche und das Waschbecken ergriffen, allein jetzt war es auch dem Maler gelungen, seine Sinne so weit wieder zu sammeln, um des Arztes Absicht zu bemerken. Wie ein ächter Tollhäusler sprang er auf, rannte nach seinem Degen und schwor unter gräßlichen Flüchen: Beide auf der Stelle umzubringen und sollte er auch noch vor dem Frühstück gehenkt werden. Die Erfüllung dieser Drohung abzuwarten, fanden aber weder der Arzt noch der Hofmeister für gut, sondern ergriffen Beide so eilig die Flucht, daß der Doctor sich beinahe die Schulter ausrenkte, indem er gegen den Thürpfosten rannte; Jolter aber warf die Thür hinter sich zu, drehte den Schlüssel um und lief, laut um Hülfe schreiend, davon. Als sein College die Thüre jetzt wohl verwahrt sah, bekam er auf einmal wieder Muth und ermahnte den Andern, umzukehren. »Ich,« sprach er, »fürchte mich mehr vor seinen Zähnen als vor seinen Waffen: gehen Sie deshalb nur getrost hinein und führen Sie die Cur vollends aus. Sie können sich ihm ohne Furcht nahen, denn sollte Ihnen ja durch seine Waffe oder durch seinen Geifer ein Unfall begegnen, so will ich Ihnen gern mit meinem Rathe beistehen; auch kann ich Ihnen diesen von hier aus mit mehr Ruhe und Deutlichkeit ertheilen, als wenn meine Gedanken durch Sorge für meine persönliche Sicherheit abgezogen würden.«
So wenig Jolter auch gegen die Richtigkeit dieses Schlusses etwas einzuwenden hatte, so gestand der doch offenherzig, daß er keine Neigung in sich verspüre, den Versuch anzustellen. »Selbsterhaltung,« bemerkte er, »ist das erste Gesetz der Natur, und der Unglückliche ginge ihn im Ganzen so wenig an, daß man von ihm vernünftigerweise nicht verlangen könne, daß er sich seinetwegen in eine Gefahr begäbe, die ein Anderer zu vermeiden suche, der in weit näherer Beziehung mit ihm stände und sein eigentlicher Reisegefährte sey.« Dieser Wink veranlaßte jetzt einen Streit zwischen Beiden über die Beschaffenheit des Wohlwollens und des moralischen Gefühls. Der Arzt behauptete: Beides könnte sehr gut ohne alle Privatrücksichten bestehen und dürfe überhaupt nie von zufälligen Umständen abhängen, und der Andere vertheidigte dagegen die Pflichten und die Vortrefflichkeit der Privatfreundschaft mit großem Eifer: indem aber noch der Streit zwischen Beiden am hitzigsten flammte, kam der Kapuziner, nicht wenig erstaunt über ihren heftigen Wortwechsel, dazu, und als er nun vollends den Maler in der Stube in einem fort brüllen hörte, beschwor er Beide um Gottes willen, ihm doch die Ursache einer Verwirrung zu entdecken, die den größten Theil der Nacht über das Haus in einer beständigen Bewegung erhalten habe und ihm nichts anders als ein unmittelbaren Werk des Teufels und dessen Anhanges zu seyn schien. Da jetzt der Hofmeister dem Mönche zu verstehen gab, daß Pallet wahrscheinlich von einem bösen Geiste geplagt würde, murmelte der Priester ein Gebet an den heiligen Antonius von Padua her, und nahm es über sich, den Kranken zu heilen, wenn man ihm die Sicherung gäbe, daß er demselben ohne Gefahr etwas von einer gewissen Reliquie unter der Nase verbrennen könnte, die an wunderthätiger Wirkung dem Ringe des Eleazar vollkommen gleich sey.
Der Hofmeister und der Doctor bezeigten hierauf ihr Verlangen, den Schatz kennen zu lernen, und vermochten den Priester, ihnen im Vertrauen zu entdecken: es wäre eine Sammlung von den Nägelabschnitzen der beiden Besessenen, aus welchen Christus die Legion Teufel vertrieb, die nachher in die Heerde Säue fuhren. Der Kapuziner hatte mit diesen Worten ein Büchschen aus der Tasche gezogen, in welchem sich einige Loth Abschnitzel von einem Pferdehuf befanden. Ueber diesen plumpen Betrug konnte sich der Hofmeister nicht enthalten zu lächeln, und mit einem spöttischen Blick sagte der Doctor: ob die Besessenen Rothfüchse oder Schimmel gewesen wären? denn aus der Beschaffenheit dieser sogenannten Nägelabschnitze, fuhr er fort, könne er beweisen, daß ihre ursprünglichen Besitzer in die Classe der vierfüßigen Thiere gehört hätten; ja, er wolle sogar unumstößlich darlegen, daß ihre Füße mit Hufeisen wohl versehen gewesen wären.
Der Mönch, welcher seit dem Augenblicke, da der Arzt sich so frei über die Dogmen der katholischen Kirche geäußert hatte, einen tiefen Groll gegen ihn hegte, erwiederte sogleich mit großer Bitterkeit: er wäre ein Bösewicht, mit dem kein frommer Christ Gemeinschaft haben könne, auch würde ihn die Rache des Himmels bei guter Zeit treffen und er fürchte sehr, daß die eherne Rinde der Ruchlosigkeit, die sein Herz umgäbe, wohl nur allein von den Flammen der Hölle erweicht werden könne.
Es war unterdessen völlig Tag geworden und das Gesinde im Hause auf den Beinen. Peregrine, der jetzt die Unmöglichkeit einsah, noch irgend etwas zu unternehmen und viel zu sehr aufgeregt war, um Ruhe genießen zu können, die ohnedies durch Pallet und Compagnie gestört wurde, warf sich nun in die Kleider und kam in einer sehr verdrießlichen Stimmung an den Ort, wo die Drei über die Mittel rathschlagten, den wüthenden Maler zu überwältigen, der noch immer in seinem Zimmer Flüche und Verwünschungen ausstieß und vergebliche Versuche machte, die Thüre zu öffnen.
So verdrießlich Peregrine auch war, so konnte er sich dennoch des Lachens nicht erwehren, als er die Art und Weise vernahm, wie man den Patienten behandelt hatte. Sein Unwille verwandelte sich in Mitleid und er rief dem Maler durch die verschlossene Thüre zu, ihm doch die Ursache seines wahnwitzigen Betragens zu entdecken. Kaum vernahm Pallet die Stimme des jungen Mannes, so begann er in einem kläglichen Tone: »Endlich, mein theurer Freund, habe ich die schändlichen Buben entdeckt, die mich so grimmig verfolgten. Ich ertappte sie auf der That gerade in dem Augenblick, als sie einen neuen Versuch machten, mich mit kaltem Wasser zu ersticken, aber so wahr Gott lebt! ich will mich rächen und sollte auch meine Cleopatra darüber nie vollendet werden. Ich bitte Sie um des Himmels willen, machen Sie die Thüre auf, damit ich den eingebildeten Heiden, den aufgeblasenen Narren, den Maulverehrer der Alten, der die Leute mit Sillikikabey's vergiftet, zur Warnung aller Betrüger, Schelme und Marktschreier in der medicinischen Facultät, meinem Zorne opfern und ein Beispiel an ihm statuiren kann; und was den dickköpfigen, übermüthigen Pedanten, seinen Spießgesellen anlangt, der mich im Schlaf mit dem Nachtgeschirr übergossen hat, so hätte er besser gethan, in seinem lieben Paris zu bleiben und da Projecte für seinen Freund, den Prätendenten, auszugrübeln als sich den Wirkungen meiner Rache auszusetzen, denn bei meiner Seele! ich will ihm keine Luftröhre lassen, die ihm der Henker nach Endigung einer zweiten Rebellion noch soll zuziehen können.«
Auf alles dies erwiederte Pickle: sein Betragen wäre in der That so ausschweifend gewesen, daß Jedermann hätte auf den Gedanken kommen müssen, er habe seine Sinne verloren, und in dieser Vermuthung hätten der Doctor und Jolter nur ganz freundschaftlich gehandelt, indem sie die dienlichsten Mittel angewendet, ihn wiederherzustellen; diese Theilnahme verdiene daher die dankbarste Erkenntlichkeit und nicht solche unsinnige Drohungen, und er selbst würde der Erste seyn, der darauf antrüge, ihn als wahnsinnig in Sicherheit bringen zu lassen, wenn er nicht auf der Stelle dadurch einen Beweis seiner Vernunft von sich gäbe, daß er ruhig seinen Degen weglege und seinen tiefbeleidigten Freunden für die gegen ihn bewiesene Sorgfalt danke.
Diese Worte kühlten auf der Stelle Pallets Heftigkeit ab; er erschrak um so mehr vor dem Gedanken, wie ein Wahnsinniger behandelt zu werden, da er selbst nach und nach einige Zweifel über den Zustand seines Gehirns zu fassen begann; auf der andern Seite hegte er aber wieder einen solchen Groll und Widerwillen gegen seine Quälgeister, daß er, weit entfernt, sich ihnen verpflichtet zu glauben, nur mit dem höchsten Abscheu an sie zu denken vermochte. Er betheuerte daher so ruhig als es ihm nur möglich war, daß er nie seiner Sinne mächtiger gewesen wäre, als eben jetzt, doch könne er nicht dafür stehen, vielleicht wahnsinnig zu werden, wenn man ihn noch ferner als einen Verrückten betrachten wolle: zum Beweise seines gesunden Verstandes wolle er die Racheentwürfe aufgeben, die er mit so vielem Rechte gegen diejenigen gehegt hatte, die ihn durch ihre Bosheit in diesen traurigen Zustand gebracht, aber ihnen noch zu danken, könne leicht als ein Zeichen von Tollheit ausgelegt werden und er bäte daher, ihn mit dieser Zumuthung zu verschonen, indem er lieber Alles erdulden wolle, als sich zu einem so unwürdigen Schritt herablassen.
Dieser Antwort wegen hielt Peregrine mit den Andern einen Rath. Jolter und der Arzt widersetzten sich mit großer Heftigkeit jedem Vorschlag zu einer Unterhandlung mit einem Tollen, und trugen vielmehr darauf an, Mittel ausfindig zu machen, um ihn zu ergreifen, zu fesseln und in ein düsteres Gemach zu sperren, wo man ihn nach allen Regeln der Kunst behandeln könne; der Kapuziner aber, umständlich jetzt von dem ganzen Falle unterrichtet, erbot sich, dem Unglücklichen ohne Anwendung so gewaltsamer Mittel zu helfen, Pickle jedoch, der die Sache besser als irgend ein Anderer kannte, öffnete endlich, ohne weiteres Bedenken, die Thüre und stellte den armen Maler den Augen Aller zur Schau. Mit einem Jammergesichte, zitternd und bebend, stand der Unglückliche im Hemde da und tropfte, als wenn er durch die Dender wäre gezogen worden; die keuschen Augen der Geliebten des Hebräers, die sich mit unter den Zuschauern befand, wurden aber durch diesen Anblick dermaßen beleidigt, daß sie mit dem Ausruf »Pfui über die garstigen Männer!« den Kopf wegwandte und in ihr Zimmer zurückeilte.
Als Pallet unsern Freund hereintreten sah, rannte er ihm entgegen, schüttelte ihm die Hand und dankte ihm, ihn von Leuten befreit zu haben, die einen Anschlag gegen sein Leben gemacht hätten. Der Priester wollte jetzt seine heiligen Nägelabschnitze hervorholen und sie ihm unter die Nase halten, aber Pickle verhinderte ihn daran und rieth Pallet, sich trocken anzuziehen, und da nun derselbe dies sehr ordentlich und ruhig that, so begann Jolter, der sich immer noch mit dem Arzte in vorsichtiger Entfernung gehalten und jetzt die seltsamsten Aeußerungen von des Malers Geisteszerrüttung erwartet hatte, zu glauben, daß er sich geirrt habe und beschuldigte dieserhalb den Doctor, ihn irre geleitet zu haben. Dieser bestand dagegen hartnäckig auf seinem Ausspruche und versicherte: jetzt habe Pallet zwar einen lichten Augenblick, allein sein Wahnsinn würde sich schnell wieder einstellen, wenn man diese vorübergehende Periode der Ruhe nicht klüglich benutze und ihm in der größten Eile einige Mal zur Ader ließe, ihm spanische Fliegenpflaster auflege und Purganzen eingäbe.
Trotz dieser Warnung ging der Hofmeister aber dennoch zu dem Maler hin und bat ihn unter der Versicherung, daß er geglaubt habe, nur zu seinem Besten zu handeln und hierin lediglich den Vorschriften den Arztes gefolgt sey, um Verzeihung wegen des Vorgefallenen, wodurch denn auch Pallet, ein gutmüthiges Geschöpf von Natur, sich völlig beruhigt fühlte; doch glühte nunmehr sein vorher getheilter Unwille mit doppelter Stärke gegen seinen ersten Reisegefährten. In diesem sah er jetzt die Quelle aller seiner bisherigen Unfälle und beschloß, sich dafür an ihm zu rächen. Leicht hätte indeß der Arzt sich ebenfalls Versöhnung verschaffen können, indem er nur die ganze Bürde der Beleidigungen auf Peregrine wälzen und diesen als den Urheber aller Drangsale hätte bezeichnen dürfen, die den Maler betroffen hatten; allein dann hätte der Doctor auch gestehen müssen, daß er sich, trotz seiner großen medicinischen Kenntnisse, geirrt habe, und um einen solchen Preis war ihm Pallets Freundschaft nicht werth genug: er entschloß sich daher lieber, ihn gänzlich zu vernachlässigen und das gute Vernehmen aufzugeben, in welchem er bisher mit einem für ihn so unbedeutenden Menschen gestanden hatte.