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Dem Boten begegnet ein Unfall, dem er sinnreich abzuhelfen weiß. Seltsame Folgen hiervon.
Da die Landkutsche bis auf zwei Meilen von dem Dorfe ging, wo Mistriß Gauntlet wohnte, so miethete sich Tom einen Platz auf derselben und reiste ab eine Botschaft zu bestellen, zu deren Ausrichtung er nur ein sehr mittelmäßiges Talent besaß. Er beschloß, da ihm Peregrine den Brief ganz vorzüglich empfohlen hatte, denselben zum Hauptgegenstand seiner Sorge zu machen und verbarg ihn sehr scharfsinnig zwischen Strumpf und Fußsohle, einen Ort, wo er ihn vor jeder Beschädigung und jedem Zufall gesichert glaubte. Hier ließ er ihn auch ganz ruhig stecken bis er in dem Wirthshause anlangte, wo er früher schon eingekehrt war; kaum hatte er sich hier aber mit einem Trunke Bier gelabt, so zog er den Schuh ab, und fand nun, o Schreck! daß der Brief durch das Gehen der beiden letzten Meilen, in tausend Stückchen zerrieben war. Diese Entdeckung war für ihn ein Donnerschlag; er stieß ein langes tiefes: o Weh! aus, und rief dann: »Die schwerenoths alten Schuhe! nun wird's einen Schneller geben!« Dann stützte er seine Ellenbogen auf den Tisch und die Stirn in beide Fäuste, um in dieser Stellung über die Mittel nachzudenken, dem Schaden abzuhelfen.
Da keine allzugrosse Anzahl von Ideen ihn bestürmte, so schloß er bald, es würde das Beste seyn, wenn er dem Küster des Dorfes, den er als einen großen Gelehrten kannte, den Auftrag gäbe, einen andern Brief zu schreiben, daß aber hierbei das verstümmelte Original zu einiger Anleitung dienen könne, fiel ihm nicht im Traume ein und er überantwortete es demnach den Flammen, damit es nie gegen ihn zeugen könne. Nachdem er diesen klugen Schritt aber gethan hatte, ging er aus um den Küster aufzusuchen, dem er nun sein Herzensanliegen mittheilte und ihm eine volle Kanne Bier zur Erkenntlichkeit versprach. Der Küster, welcher auch zugleich Schulmeister war, bezeigte sich außerordentlich zufrieden eine Gelegenheit zu finden seine Talente leuchten zu lassen und übernahm sogleich das Stück Arbeit. Beide begaben sich demnach in das Wirthshaus und in weniger denn einer Viertelstunde, entstand hier ein solches Meisterstück von Beredsamkeit, daß Pipes darüber die größte Zufriedenheit empfand, dem klugen Schreiber dankbar die Hand schüttelte und die bestimmte Portion Bier verdoppelte.
Als dies abgemacht war, begab sich nun der Bote mit dem Wildpret und dem untergeschobenen Briefe zu Mistriß Gauntlet, die ihn sehr wohlwollend empfing und sich angelegentlich nach dem Wohlbefinden seines Herrn erkundigte; ein Trinkgeld, welches sie ihm in die Hand drücken wollte, wurde von ihm, Peregrinens Instruktionen gemäß, standhaft zurückgewiesen. Die alte Dame wandte sich nun weg um einem Mädchen einen Auftrag wegen des erhaltenen Geschenks zu geben, und Pipes glaubte jetzt die günstige Gelegenheit benutzen zu müssen, sein Geschäft mit Emilie abzumachen. Er drückte daher das eine Auge zu und winkte, mit einem Rucke seines Daumens nach der linken Schulter hin und mit einer sehr bedeutenden Wendung seines Gesichts, der jungen Dame in ein anderes Zimmer zu kommen. Emilie verstand diesen Wink, so seltsam er auch war, und ging dem andern Ende der Stube zu, wodurch es denn Pipes möglich wurde, ihr den Brief unbemerkt in die Hand zu stecken, die er ihr dabei zugleich, zum Zeichen seiner Achtung, drückte; dann warf er einen Seitenblick auf die Mutter, die ihm noch immer den Rücken zukehrte, und legte den Finger an die eine Seite der Nase, um der Tochter Verschwiegenheit und Vorsicht zu empfehlen.
Miß Gauntlet steckte den Brief in den Busen und konnte sich eines Lächelns über Pipes schlaue Gewandtheit nicht enthalten; damit ihn jedoch die Mutter nicht in seinen Pantomimen überraschen möchte, so unterbrach sie dieselben mit der laut an ihn gerichteten Frage: wann er wieder nach Winchester zurückzukehren gedenke? »Morgen mit dem Frühesten,« erwiederte er. Mistriß Gauntlet empfahl ihn jetzt der Vorsorge ihrer Leute, denen sie den Auftrag gab, den Master Pipes recht wohl zu pflegen, und den man nun zum Abendessen im Hause behielt und auf das Beste behandelte. Das Mädchen brannte unterdessen vor Ungeduld den Brief des Geliebten zu lesen; ihr Herz schlug hoch empor vor Entzücken und sie eilte, so schnell es ihr nur möglich war, auf ihr Zimmer, wo sie das Schreiben durchflog, das so lautete:
»Göttliche Selbstherrscherin meiner Seele!«
»Wofern die sengenden Strahlen von Dero Schönheit die Particuln meines Gehirns nicht in Dämpfe aufgelöst und meinen Verstand zur Löschkohle der Thorheit verbrannt hätten, so möchte vielleicht der Glanz meiner Liebe durch den nächtlichen Vorhang der Tinte hell hindurchschimmern und noch über die Milchstraße sich hinausschwingen, obwohl sie nur von dem grauen Fittig eines Gänsekiels getragen wird. Aber ach! himmlische Zauberin! Die Necromantie Deiner grausamen Reizungen, hat alle Kräfte meiner Seele mit demantenen Ketten gefesselt und wofern Dein Mitleid Dieselbigen nicht zerschmilzt, so muß ich ewiglich in den tartarischen Schlund schrecklicher Verzweiflung beharren! Geruhe demnach, o Du strahlendstes Licht! diese irdische Sphäre ebensowohl zu erwärmen als zu erleuchten und laß den frohlebenden Schimmer Deiner Milde die eisigen Ausflüsse Deines Widerwillens besiegen wodurch alle Lebensgeister zugefroren sind
O englische Vortrefflichkeit!
Deinem ausgemachten Verehrer,
Sklaven und Bewunderer im Superlativ,
Peregrine Pickle.«
Nie wurde wohl Jemand unangenehmer überrascht als Emilie, indem sie diesen seltsamen Brief las. Drey mal durchlief sie ihn von Wort zu Wort ehe sie dem Zeugnisse ihrer Sinne zu trauen wagte und jetzt begann sie einige Augenblicke im vollen Ernste zu glauben, die Liebe habe den Verstand ihres Verehrers zerrüttet; bald aber kam sie auf die Vermuthung, das Ganze sey nichts als ein leichtfertiger Streich von Peregrine, der dabei die Absicht habe, die Liebe welche er zuvor so hoch und theuer versichert hatte, nun lächerlich zu machen.
Diese Voraussetzung erzürnte sie; sie beschloß seinen Triumph durch verstellte Gleichgültigkeit zu Schanden zu machen und sich zugleich Mühe zu geben, ihm den Platz wieder zu rauben, den er in ihrem Herzen besaß. In der That war Niemand fähiger dazu als sie einen solchen Sieg über die eigene Neigung zu erhalten; sie besaß das glückliche Temperament sich leicht in alle Vorfälle des Lebens finden zu können und die Lebhaftigkeit und Munterkeit ihres ganzen Wesens, schützte sie vor heftigem Gram. So gestimmt, sandte sie Peregrine weder die geringste Antwort noch selbst das mindeste Zeichen der Erinnerung, und Pipes mußte den folgenden Tag mit einem allgemeinen Compliment von der Mutter abreisen.
Die Augen des jungen Mannes funkelten als er seinen Boten zurückkehren sah und in der vollen Ueberzeugung, ein besonderes Merkmal von Emiliens Gewogenheit zu erhalten, streckte er eilfertig die Hand nach ihm aus. Wie betroffen, wie beschämt war er aber, als er sich in seiner Hoffnung getäuscht sah! Muth und Heiterkeit schwanden ihm in einem Augenblicke. Eine ganze Weile stand er starr und stumm da, endlich wiederholte er langsam die Frage: »Wie! kein Wort von Emilie?« und da er nun an Pipes Vorsicht zu zweifeln begann, so begann er ihn auf das genaueste nach dem ganzen Hergange der Sache zu fragen. Er erkundigte sich ob er Emilie gesehen hätte, ob sie sich wohl befände, ob er eine Gelegenheit ausgespäht habe ihr den Brief unvermerkt zuzustecken und was sie dazu gesagt hätte? Pipes erwiederte: sie sey nie gesünder und munterer gewesen, er aber habe es so einzurichten gewußt, daß er ihr nicht nur den Brief heimlich in Hände gebracht, sondern sie auch beim Weggehen noch allein habe befragen können: ob sie nichts zu bestellen hätte? wo dann ihre Antwort gewesen sey: der Brief bedürfe keine Erwiederung.
Diese Aeußerungen sah Peregrine jetzt als ein Zeichen von Verachtung an und zerbiß sich vor Unwillen darüber die Lippen. Bei weiterer Ueberlegung hoffte er aber, es habe ihr vielleicht nur an Gelegenheit gefehlt, ihm durch seinen Boten zu schreiben und sie würde schon suchen ihm auf einem anderen Wege eine Antwort zukommen zu lassen; eine Vorstellung, die ihn einige Zeitlang tröstete, als jedoch acht Tage vergingen ohne daß sich seine Hoffnung erfüllte, da verließ ihn die Geduld und er begann gegen das ganze weibliche Geschlecht zu toben und in einen tiefen Trübsinn zu verfallen.
Sein Stolz kam ihm jedoch bei diesem Schmerze bald zu Hülfe und hauchte ihm den Entschluß ein: seiner undankbaren Gebieterin ihre Geringschätzung zu vergelten. Sein Gesicht nahm nach und nach die vorige Heiterkeit wieder an, und obschon er jetzt völlig von seiner früheren Geckenhaftigkeit geheilt war, so ließ er sich doch wieder mit einem fröhlichen und unbefangenen Wesen bei öffentlichen Vergnügungen sehen, indem er dabei die Hoffnung hegte, Emilie würde dies schon durch irgend einen Zufall wieder erfahren und hierdurch sehen, wie wenig er sich aus ihrer Verschmähung machte.
In der That fehlte es auch nicht an dienstfertigen Leuten, die sich ein Vergnügen daraus machten, ihr die nöthige Nachrichten zu hinterbringen; Miß Gauntlet wurde aber hierdurch nur noch mehr in der Meinung die sie durch den Brief gefaßt hatte, bestärkt und befestigte sich daher ebenfalls in ihrer Gesinnung gegen ihn, so daß auch diese Art eine Bekanntschaft die mit aller Wärme und Zärtlichkeit begonnen hatte und die eine lange Dauer versprach, durch ein Mißverständniß unterbrochen wurde; welches Pipes Einfalt herbeiführte.
Für den Augenblick wurde demnach die gegenseitige Leidenschaft von Beiden unterdrückt ohne jedoch ganz vertilgt zu werden, denn unbewußt glomm in Beider Busen der Funke fort, der bald durch eine Gelegenheit veranlaßt, zu neuer Flamme emporlodern sollte.
Unterdessen hatte der Commodore aus Besorgniß, sein Schützling schwebe in Gefahr sich in eine thörigte Verbindung einzulassen, auf Anrathen Jolters und dessen Freundes, sich entschlossen ihn von einem Orte wegzunehmen, wo er so unbedachte Bekanntschaften anknüpfte und ihn auf die Universität zu senden, wo, wie jene Beiden bemerkten, seine Erziehung vollendet und er selbst von allen leeren Zeitvertreiben entwöhnt werden könne.
Man hatte diesen Plan dem alten Pickle vorgelegt, allein dieser blieb in allem was seinen ältesten Sohn betraf, völlig neutral, die Mutter aber anlangend, so konnte diese seit seinem Abgange nach Winchester nie seinen Namen mit ruhigem Blute anhören, als blos zu der Zeit wo sie erfuhr, ihr Sohn sey auf dem besten Wege, um sich durch eine unbedachte Leidenschaft zu Grunde zu richten. Bei dieser Nachricht begann sie sogleich ihrer Scharfsicht, vermöge welcher sie den Stempel der Ruchlosigkeit an diesem bösen Buben von Anfang an entdeckt haben wollte, eine Lobrede zu halten und Vergleichungen zwischen ihm und ihrem theuren Sohne Gam anzustellen. »Das ist ein Kind von nicht gemeinen Gaben,« fuhr sie fort, »und ausnehmend gesetzt; der wird einst, mit Gottes Hülfe, der Trost seiner Aeltern und die Zierde seiner Familie werden.« – Dennoch war dieser so hochgepriesene Liebling in der That und Wirklichkeit das reine Gegenbild von dem von ihr aufgestellten Gemälde. Er war ein Knabe von geringen Fähigkeiten und so verdreht sein Körper auch war, so muß man doch sagen, seine Seele war es noch mehr. Trotz dem allen hatte die Mutter ihren Mann zu überreden gewußt, diese dem gemeinen Menschenverstande eben so sehr als seiner eigenen Empfindung zuwiderlaufenden Meinung von ihr beizupflichten, und ob ich schon besorgen muß daß der Leser hier auf den Glauben gerathen kann, dies alles sey nur eine Erfindung meiner Einbildungskraft, so ist dennoch nichts wahrer als dies und ich will nur wünschen, daß mein Gemälde, so befremdlich es auch erscheinen mag, nur diesem einen Originale gleicht.