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Mistriß Trunnion tyrannisirt in der Garnison. Der Commodore gewinnt seinen Neffen Peregrine außerordentlich lieb.
Nachdem die Dame drei Monate mit solchen frommen Zeitvertreiben zugebracht hatte, erschien sie wieder in der Welt; allein ihr Unfall hatte einen solchen Eindruck auf ihr Gemüth gemacht, daß sie den Anblick eines Kindes nicht mehr zu ertragen vermochte und ein Zittern bekam, wenn man von Kindtaufen sprach. Ihr Temperament, von Natur nicht das mildeste, war seit dieser Zeit mit einer doppelten Portion von Säure versehen, und daß ihr Umgang von jetzt an nicht sehr gesucht wurde und sich nur wenige Personen noch fanden, die sich geneigt zeigten, ihr mit derjenigen Aufmerksamkeit zu begegnen, die sie glaubte fordern zu können, läßt sich denken. Diese Vernachlässigung zog sie aber jetzt von der Verbindung mit der unartigen Welt ab, und sie beschränkte sich von nun an darauf, den Hausgenossen ihren despotischen Scepter fühlen zu lassen, während sie für sich selbst Trost und Erquickung für die erlittenen Kränkungen in der Flasche suchte und fand.
Den Commodore anlangend, welcher von seinem Lieutenant manchen bittern Spott hatte hinunterschlucken müssen, so segelte er in Kurzem über seine Schande weg. Entfernung aus seinem Hause so lange als nur möglich war ihm jetzt das Liebste; häufiger als je saß er in Tunley's Wirthshause und mehr als je schloß er sich an seinen Schwager Pickle, wobei er denn zu seinem Neffen Perry nach und nach eine Zuneigung gewann, die nur mit dem Leben erlosch. In der That fehlte es dem alten Knaben nicht an geselligen Tugenden; sie waren nur durch seine rauhe Erziehung und seine unruhige Lebensart seltsam gelenkt und verunstaltet worden; demohngeachtet aber offenbarten sie sich in seinem ganzen Betragen.
Da ihm alle Hoffnung, seinen Namen fortpflanzen zu können, verschwunden war, und ein eingewurzelter Widerwille gegen seine Anverwandten in seiner Brust lebte, so darf es nicht wundern, daß er in Folge seines vertrauten und freundschaftlichen Umganges mit Sir Gamaliel, an dem kleinen Peregrine ein großes Behagen fand. Der Knabe ging jetzt in sein drittes Jahr, und war ein hübsches, gesundes, viel versprechendes Kind. Was ihn aber vorzüglich bei dem alten Commodore in Gunst zu setzen schien, das war eine gewisse Seltsamkeit in der Gemüthsart, wodurch er sich schon von der Wiege an auszeichnete. So erzählte man von ihm, er habe, kaum ein Jahr alt, häufig beim Anziehen mitten unter den Liebkosungen seiner Mutter, plötzlich ein so lautes Geschrei erhoben, daß diese erschreckt darüber und besorgt, es möchte ihn etwas drücken oder stechen, ihn schnell auskleiden ließ, um nachzusehen, und daß er dazu, nachdem er eine so unnöthige Angst und Mühe gemacht, sich lang ausgestreckt und die ihn Umgebenden lachend und gleichsam spottend angesehen hätte. Ja, eines Tages soll er, als ein altes Weib in der Kinderstube verstohlen einen Schluck aus einer Cognacsflasche nahm, dies durch einen schlauen Wink angedeutet haben.
Doch dergleichen Beispiele von Nachdenken sind bei einem Kinde von solchem Alter so unglaublich, daß ich sie nur für Bemerkungen nehme, die sich auf eingebildete Wiedererinnerungen stützen und die einerlei Schlages mit den sinnreichen Entdeckungen jener scharfsichtigen Beobachter sind, welche in den Zügen einer Person, deren Charakter sie vorher haben beschreiben hören, auf den ersten Blick diesen ganz deutlich erkannt zu haben sich einbilden..... Soviel ist jedoch gewiß, daß seine Sonderbarkeit, die sich in der Periode, von welcher wir hier sprechen, ganz deutlich zeigte, ihm seines Onkels Aufmerksamkeit und Neigung erwarb.
Uebrigens hätte man glauben sollen, er habe sich gleich von Anfang an diesen Onkel als den tauglichsten Gegenstand für seine kindischen Neckereien ausersehen, doch will ich dabei nicht in Abrede stehen, daß hier wohl hauptsächlich Hatchway's Beispiel und Lehren vorzüglich wirken mochten, der ein besonderes Vergnügen daran zu finden schien, die Oberaufsicht über die ersten Versuche von Perry's Witz zu führen. Als das Podagra in Sir Trunnion's großer Zehe seinen Sitz aufgeschlagen hatte und sich von hier auch nicht einen Tag entfernte, da fand der Knabe ein großes Behagen daran, wie von ohngefähr auf dieses kranke Glied zu treten; wenn ihm dann aber der alte Herr in seinem Schmerze als einen Höllenbrand verfluchte, dann erwiederte er den Fluch mit gleichem Nachdrucke und fragte schelmisch; »Was fehlt denn dem alten Hannibal Sauertopf?« eine Benennung, womit Hatchway ihn gelehrt hatte den alten mürrischen Onkel zu beleben.
Dies war jedoch nicht das Einzige, womit Perry des Commodores Geduld prüfte; selbst wenn ihn dieser auf den Knien schaukelte, nahm er sich gegen dessen Nase unanständige Freiheiten heraus. In einem Monate veranlaßte er ihn zu einer Ausgabe von zwei Guineen für Seehundsfelle, indem er ihm seinen Tabacksbeutel heimlich aus der Tasche zog und verstohlen in's Kamin warf; sogar des Commodore Lieblingsgetränk blieb nicht verschont, denn mehr als einmal that der alte Herr einen tüchtigen Zug aus seiner Kanne, eher es bemerkte, daß der Inhalt von seines Schwagers Schnupftabacksdose darin umherschwamm; als aber eines Tages der Onkel in seinem Zorne dem kleinen Pickle ein paar gelinde Streiche mit seinem Rohre versetzte, da fiel dieser wie todt auf den Boden nieder, und blieb, als wäre er aller Sinne und Bewegung beraubt, liegen. Trunnion war hierüber nicht wenig erschrocken, nachdem aber das ganze Haus in Verwirrung und Bestürzung gerathen war, schlug Perry die Augen wieder auf und lachte laut darüber, daß ihm sein Betrug so gut geglückt war.
Kurz, wenn ich alle die Tücke und Schelmenstreiche erwähnen wollte, die er seinem Onkel und anderen Personen spielte, eh' er noch das vierte Jahr erreichte, so würde ich eine endlose und vielleicht nicht sonderlich angenehme Arbeit haben, und ich begnüge mich daher zu melden, daß er in diesem Alter täglich mit einem Bedienten in eine Schule in der Nachbarschaft gesandt wurde, um, wie seine Mutter sagte, allen Verdrießlichkeiten vorzubeugen. Perry lernte jedoch, außer einer Menge Schelmereien, die er ungescheut ausübte, wenig an diesem Orte, denn die Schulmeisterin wagte es nicht eine reiche Dame durch Strenge gegen ihr Kind wider sich einzunehmen. Mistriß Pickle war indeß nicht so partheiisch, um sich mit dieser unzeitigen Nachsicht zufrieden zu zeigen; sie nahm den Knaben von der zu rücksichtsvollen Lehrerin weg, und übergab denselben einem Schulmeister mit dem Auftrage: ihn nach Gutdünken zu züchtigen, wenn er es verdiente. Dieser Vollmacht bediente sich der Schulmonarch redlich; Perry wurde regelmäßig täglich zweimal ausgepeitscht, und, nachdem diese Zucht achtzehn volle Monate gedauert hatte, von dem Schulmeister endlich das Zeugniß ausgestellt: der Knabe sey die hartnäckigste, ungelehrigste und leichtfertigste Range, die ihm jemals vorgekommen wäre; statt sich zu bessern, schiene der Bube mit jedem Tage in seinen lasterhaften Neigungen fester zu werden und gegen jedes Gefühl von Furcht und Schaam taub zu seyn.
Diese Symptome von Fühllosigkeit kränkten die Mutter außerordentlich; sie hielt dieselbe für ein Erbstück von seinem Vater, und glaubte, keine menschliche Bemühung würde dies Familiengebrechen heben können: der Commodore dagegen freute sich ungemein über die Wildheit seines Neffen, und empfand ein großes Vergnügen, wenn er hörte, Perry habe alle seine Schulkameraden durchgeprügelt; er stellte hieraus das Prognosticon: der Knabe würde nichts als Glück und Stern haben, und unterließ nicht, die Bemerkung hinzuzufügen: er sey in seinem Alter »justement« so gewesen.
Perry war jetzt sechs Jahre, und hatte unter dem Bakel seines Lehrers so wenig zugenommen, daß man der Mutter rieth, ihn in eine Pension ohnweit London zu senden, deren Vorsteher als ein großer Erziehungskünstler gerühmt wurde, und sie leistete dem Rathe um so williger Folge, da sie damals gerade schon ziemlich weit in einer zweiten Schwangerschaft gediehen war und Hoffnung hegte, das neue Kind würde sie für die fehlgeschlagenen Erwartungen in Betreff Perry's entschädigen, oder wenigstens ihre mütterliche Liebe einigermaßen theilen und sie dadurch in den Stand setzen, die Abwesenheit ihres Erstgebornen desto leichter zu ertragen.