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XLVII.

Peregrine führt seine neuen Bekannten bei Jolter ein und dieser geräth mit dem Arzt in einen Streit über die Regierung, der beinahe zu einem offenen Kriege wird.

Seinem Versprechen gemäß machte Peregrine die beiden Originale nicht nur mit allem bekannt, was es in Paris Sehenswürdiges gab, sondern begleitete sie auch auf einigen Excursionen in die Umgegend, dann bat er sie aber zu einem Diner auf sein Zimmer, bei welcher Gelegenheit sich zwischen Jolter und dem Doctor ein Streit entspann, der beinahe zu einer unversöhnlichen Feindschaft zwischen Beiden geführt hätte.

Mit einer gleichen Dosis von Stolz, Pedanterie und Reizbarkeit versehen, waren diese beiden Herren zufällig durch Erziehung und Umgang in ihren politischen Grundsätzen einander rein entgegengesetzt. Jolter war, wie bereits gesagt, ein bigott-bischöflich Gesinnter, der Arzt hingegen ein heißer Republikaner. Für den Ersteren war es ein Glaubensartikel, daß das Volk weder glücklich seyn noch die Erde Früchte im Ueberfluß tragen könnte, wenn die Macht der Geistlichkeit und der Regierung nicht uneingeschränkt wäre; und nach des Doctors Meinung gehörte es zu den ewigen Wahrheiten, daß keine Regierung so vollkommen sey als die demokratische und kein Land blühender, als wo das Volk die Souverainetät hat.

Man wird sich daher nicht wundern, daß Beide, da ganz frei und offen gesprochen wurde, bald mit einander in Streit geriethen, um so mehr da Peregrine jede Gelegenheit ergriff, ihren Zwist anzublasen. Die erste Veranlassung dazu gab eine unglückliche Bemerkung des Malers, der eben ein Rebhuhn speiste. Er meinte, es habe den feinsten Geschmack von allen seines Gleichen, die er je gegessen hätte; dies räumte ihm sein Freund in sofern zwar ein, als es das beste sey, das ihm in Frankreich vorgekommen wäre, doch gegen die englischen Rebhühner käme es nicht, da diese weit fleischiger und zarter wären.

Diese Bemerkung sah Jolter für eine Frucht des Vorurtheils und der Befangenheit an, und erwiederte mit einem sarkastischen Lächeln: »Ich glaube, mein Herr, Sie sind geneigt alle hiesige Producte schlechter zu finden, als die in Ihrem Vaterlande?« – »Gewiß, mein Herr,« antwortete der Arzt mit einem feierlichen Tone, »und das nicht ohne guten Grund.« – »O, da muß ich doch bitten, mir anzugeben, weshalb die Rebhühner in Frankreich nicht so gut seyn sollen, als die in England?« fuhr der Hofmeister fort. »Aus einer sehr einfachen Ursache; weil sie nicht so gutes Futter haben. Die eiserne Hand des Despotismus erstreckt sich in Frankreich über alles und jedes, sogar über die Thiere des Feldes und die Bewohner der Luft.«

»Das ist eine Wahrheit, gegen die sich freilich nichts einwenden läßt!« rief der Maler aus. »Ich z. B. bin doch gerade keiner von Euren Leckerbissen, aber es muß so etwas in der englischen Complexion liegen, so ein gewisses je ne sais quoi, was den Appetit der Franzosen erregt, denn ich habe schon verschiedene auf der That ertappt, wie sie mich im Vorübergehen gleichsam mit heißhungrigen Blicken betrachteten, und was ihre Bauerhunde oder vielmehr ihre Wölfe anlangt, denn diesen sehen sie eher ähnlich, als den ersteren, ach, gehorsamster Diener, ihr Bestien! da bin ich gleich auf meiner Huth. Der Doctor kann bezeugen, daß die Pferde sogar, die unsere Chaise schleppten, die langen Hälse öfters nach uns umdrehten und uns wie ein paar rechte ächte Leckerbissen anschnupperten.«

Dieser Einfall, der von Allen mit einem lauten Gelächter beehrt wurde, würde aller Wahrscheinlichkeit nach den Streit in der Geburt erstickt haben, wenn Jolter nicht mit einem spöttischen Lächeln den Fremden das Compliment gemacht hätte, sie sprächen wie ächte Engländer. Dies verdroß den Doctor ungemein und er erwiderte sogleich mit vieler Wärme: der Herr habe sich geirrt; kein besonderes Land feßle seine Zuneigung oder diene seinen Ideen zur Richtschnur, denn er sey über so etwas erhaben und ein Kosmopolit; doch müsse er gestehen, daß ihm England mehr zusage als irgend ein anderes Land, dieser Vorzug entspränge jedoch nicht aus einem kleinlichen Vorurtheile, sondern aus der Reflexion, daß die brittische Regierung sich mehr als irgend eine andere dem Ideal aller Staatsverwaltungen, der demokratischen Regierungsform der Athenienser am mehrsten nähere, eine Verfassung, die, wie er hoffe, einst wieder aufleben werde. Dabei gedachte er in den Ausdrücken eines wahren Beifalls, den Tod von Carl I. und die Vertreibung von dessen Sohne, und deklamirte mit der höchsten Bitterkeit gegen die Königswürde, indem er dabey zur Befestigung seiner Meinung vierzig bis fünfzig Zeilen aus einer der philippischen Reden des Demosthenes citirte.

Jolter glühte vor Unwillen, als er diese unehrerbietigen Redensarten in Betreff der monarchischen Gewalt hörte und rief sogleich: diese Lehren wären so abscheulich als verworfen, denn sie stürzten Recht und Ordnung und alles um. Gott selbst habe die monarchische Regierungsform eingesetzt und keine menschliche Gewalt vermöge sie zu vernichten; was aber in England in dieser Hinsicht dagegen geschehen sey, und was der Doctor mit seinem Lobe beehrte, wären nichts als entsetzliche Beispiele von Ruchlosigkeit, Gotteslästerung, Verrath und Aufruhr. Die Volkswirthschaft zu Athen sey nichts als eine Albernheit und eine Quelle von Anarchie und Unheil gewesen, die allemal daraus entspränge, wenn des Wohl des ganzen der Unwissenheit des Janhagels hingegeben würde, denn dann habe ein jeder Boshafte, wenn er nur Zungenfertigkeit besäße, es in seiner Gewalt durch Aufwiegelung des Pöbels, Tugend und Verdienst jeden Augenblick zu stürzen, und es sey hinreichend bekannt, wie sich der rohe Haufe nur zu oft hätte verleiten lassen die verdientesten Männer des Landes auf die undankbarste und abscheulichste Art zu behandeln. Schließlich stellte er auch noch die Behauptung auf: daß Künste und Wissenschaften nie in einem Freistaate so geblüht hätten als unter dem Schutz der unumschränkten Gewalt, wie dies das Jahrhundert des Augustus und des Vierzehnten Ludwig Regierung bewiesen. Auch ließ es sich nicht füglich annehmen, daß Genie und Verdienst von einzelnen Personen oder von in sich selbst uneinigen Volksversammlungen so belohnt werden könnten, als dies von der Großmuth und Prachtliebe eines Einzigen geschähe, der über den ganzen Reichthum der Nation zu verfügen hätte etc.

Peregrine, dem es Vergnügen machte den Streit hitzig werden zu sehen, äußerte jetzt: es schiene ihm, als wenn manches Wahre in dem läge was Jolter bemerkt habe, und der Maler, dessen Meinung zu wanken begann, blickte mit einem Gesicht voller Erwartung auf seinen Gefährten, der nun eine stolze Verachtung in seine Züge legte und seinen Gegner höhnisch fragte: ob er denn nicht dächte, daß eben diese Macht, um Verdienste zu belohnen, einen unumschränkten Fürsten auch in den Stand setze, nach Willkühr über das Leben und das Vermögen des Volkes zu bestimmen? Ehe Jolter noch Zeit gewann hierauf zu antworten, rief aber Pallet nun aus: »Bravo Doctor! das heißt heimgeleuchtet; die Sache ist klar, bei meiner Seele!«

Jolter begnügte sich, diesen unberufenen Schiedsrichter mit einem Blick von der Seite zu bestrafen: dann aber äußerte er gegen den Doctor: daß wenn die unumschränkte Macht einem guten Fürsten auch die Mittel verlieh, Gutes zu wirken, so wäre dies doch nicht der Fall im Gegentheil mit einem Tyrannen, denn jeder Herrscher sähe sich immer gezwungen, den Genius seines Volks zu berücksichtigen und die aufzulegende Last nach den Schultern abzumessen, die sie tragen sollten. – »Und wenn das nicht geschieht, was erfolgt dann?« – »Das ist sehr leicht einzusehen,« antwortete der Hofmeister: »Aufstand, Meuterei und des Tyrannen Verderben.« »Potz Element!« schrie Pallet, »Sie haben recht, das muß ich sagen. Doctor! Doctor! ich denke wir stecken in einer garstigen Klemme.«

Dieser, weit entfernt derselben Meinung zu seyn, bemerkte dagegen mit einem triumphirenden Wesen: er wolle nicht nur die Sophisterei in der zuletzt aufgestellten Behauptung durch Thatsachen und Argumente widerlegen, sondern das Falsche derselben auch durch Jolters eigene Worte beweisen. Bei dieser stolzen Erklärung begannen Jolters Augen zu funkeln, und mit zornbebenden Lippen rief er seinem Gegner zu, daß, wenn seine Beweise nicht besser wären als seine Sitten, so würde er schwerlich Jemand zu seiner Meinung bekehren. Auf diese unartige Rede gab ihm der Doctor dagegen mit dem Uebermuthe eines Siegers den Rath: sich künftig gelehrter Streitigkeiten lieber zu enthalten, wenn er der Materie nicht gewachsen sey.

Unser Held hoffte und wünschte, daß die beiden Streiter nunmehr zu Beweisgründen von größerem Gewicht und stärkerer Ueberzeugungskraft schreiten würden, aber der Maler, der sich vor einem solchen Ausgang fürchtete, schlug sich mit dem Ausruf: »O um Gotteswillen meine Herren!« ins Mittel, während der Hofmeister in der höchsten Entrüstung vom Tische aufsprang und das Zimmer verließ, indem er dabei einige Worte hinmurmelte von denen man nur den einzigen Ausdruck: »Hasenfuß« zu verstehen vermochte.

Der Doctor, der auf diese Art Meister vom Schlachtfelde geblieben war, wurde jetzt von Peregrine mit Complimenten über seinen Sieg überschüttet, und dies sowohl als sein guter Erfolg, bliesen diesen nun so auf, daß er eine ganze Stunde lang über die Abgeschmacktheit von Jolters Behauptungen und über die Erhabenheit der demokratischen Regierungsform deklamirte. Er entwarf dabei ein genaues Bild von Platons Republik, durchwebte das Ganze mit einer Menge Stellen aus diesem Schriftsteller über das Schöne, το καλον, machte dann einen Uebergang zu dem Sinne für das Sittlich-Schöne des Shaftsbury und schloß seine Rede mit einem langen Citat aus der Rhapsodie dieses bombastischen Autors. Sein Vortrag war dabei selbst so enthusiastisch, daß Peregrine ein ungemeines Vergnügen daran fand und Pallet vor Erstaunen ganz außer sich gerieth. Der Maler sah diese Begeisterung für etwas rein Uebernatürliches und Göttliches an, und die ironischen Lobeserhebungen unsers Helden berauschten den Arzt dermaßen, daß er alle Zurückhaltung ablegte und, nachdem er Peregrinen, dessen Geschmack und Gelehrsamkeit er nun wieder zu preisen nicht unterließ und ihn seiner Freundschaft versichert hatte, endlich ganz offen zu verstehen gab, er sey in diesen letzten Zeiten der Einzige, der noch jenen erhabenen Genius, jenen Ausfluß der Gottheit τὸ θεῖον, besitze, der die Dichter Griechenlands unsterblich gemacht habe; »denn,« setzte er hinzu, »sowie Pythagoras behauptete, das des Euphrobus Geist in ihn hinübergewandert sey, so bin ich fest überzeugt, daß Pindars Geist mich beseelt, und wenn man die Verschiedenheit der Sprachen berücksichtigt, in denen er und ich schrieben, so ist nicht zu leugnen, daß eine erstaunenswürdige Aehnlichkeit zwischen meinen Werken und denen des großen Thebaners herrscht.«

Um die Wahrheit dieser Behauptung zu bestätigen, gab er sogleich Proben von Beiden, und ob nun schon diese Productionen soweit von Pindars Meisterwerken abstanden als die Erzeugnisse unserer jetzigen gekrönten Poeten von den Oden des Horaz, so verfehlte Peregrine doch nicht, sie für äußerst verwandt mit einander zu erklären, so schwer es ihm auch wurde sein Gewissen und zugleich seine eigne Eitelkeit hierin zu beschwichtigen, die schwach genug war sich durch die Ruhmredigkeit des Doctors etwas beunruhigt zu fühlen. Dieser begnügte sich aber nicht damit, gezeigt zu haben, wie viel er im Gebiete des Geschmacks und der schönen Literatur vermöchte, sondern sein Dünkel verführte ihn auch noch sich selbst für den Auffinder wichtiger Entdeckungen im Reiche der Arzneikunde zu erklären, welches alles denn, wie er meinte, verbunden mit den andern glänzenden Talenten, die ihn zierten, und dem ansehnlichen Vermögen, welches ihm sein Vater hinterlassen habe, nicht verfehlen könne ihn auf den höchsten Gipfel des Ansehns und des Ruhmes zu heben.


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