Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

L.

Jolter, durch Pipes von dem Schicksale seines Zöglings unterrichtet, berathschlagt mit dem Arzt und wendet sich dann an den englischen Gesandten, um Peregrine's Befreiung zu bewirken. Der Gesandte arbeitet daran. Erfolg seiner Mühe.

Diesen Plan führte Tom richtig aus, trotz den Schmerzen seiner Wunde und den Fragen der Stadtwache zu Fuß und zu Pferde, der er keine andere Antwort zu geben vermochte, als: » Anglois, Anglois!« Kaum war es aber Morgen, so nahm er das Schloß (denn dies schien der Ort zu seyn, wo man die Gefangenen hingebracht hatte) und dessen Lage gegen den Fluß in genauen Augenschein, und kehrte dann in Pickle's Wohnung zurück, um den Hofmeister zu wecken, und ihm von allem Vorgefallenen Nachricht zugeben.

Bei dieser unglaublichen Kunde rang Jolter voll Entsetzen die Hände; er zweifelte nicht, daß sein Untergebener auf zeitlebens eingesperrt worden sey, und in der Angst, die er hierüber empfand, verfluchte er den Tag, wo er die Aufsicht über einen Unbesonnen übernommen hatte, der auf jede Art den Zorn einer so milden Regierung aufgereizt hätte. Um jedoch kein in seiner Macht stehendes Mittel zu vernachlässigen, Peregrine zu retten, schickte er Pipes zu dem Doctor mit dem Auftrage, diesen von dem Loose seines Reisegefährten zu benachrichtigen und ihn zu bitten, mit für das Beste der beiden Gefangenen zu arbeiten.

Kaum war der Arzt von der Sache unterrichtet, so eilte er zu Jolter, den er folgendermaßen anredete: »Nun, mein Herr, ich hoffe Sie werden jetzt überzeugt seyn, daß Ihre Behauptung: Unterdrückung könne nie die Folge einer despotischen Obergewalt seyn, ganz falsch ist. So etwas hätte sich unter Athens Volksregierung nie zugetragen, und selbst als Pisistratus sich der Obergewalt bemächtigt hatte, durfte er es nicht wagen so unumschränkt und ungerecht zu verfahren. Geben Sie Acht, mein Freund Pallet und Sir Pickle werden als Opfer einer gesetzlosen Obergewalt fallen, und ich halte dafür, daß wir nur das Joch eines armen gedrückten Volks verlängern helfen, wenn wir uns auch nur im Geringsten für die Befreiung unserer unglücklichen Landsleute verwenden, denn wir würden hierdurch vielleicht ein offenbares Verbrechen hindern, welches das Maß der Rache des Himmels vollmachen und möglicherweise das Mittel werden kann, der ganzen Nation wieder zu dem unaussprechlichen Glücke der Freiheit zu verhelfen. Ich meines Theils gestehe, daß ich mit Vergnügen das Blut meines eigenen Vaters in einer so rühmlichen Sache vergießen sehen könnte, wenn nur durch dieses Opfer die Gelegenheit herbeigeführt würde, die Ketten der Sklaverei zu zerbrechen, und die Freiheit, dies angeborne Recht der Menschen, zu vertheidigen. Mein Name würde dann unter den Vaterlandshelden des Alterthums unsterblich glänzen, und mein Andenken wie das des Harmodius und Aristogiton durch Bildsäulen, auf öffentliche Kosten errichtet, geehrt werden.«

Diese Rede, die von dem Doctor mit großem Pathos und Affect vorgetragen wurde, beleidigte Jolter dermaßen, daß er sich, ohne etwas zu erwiedern, äußerst entrüstet auf sein Zimmer begab, während der Andere mit der vollen Hoffnung zurückkehrte, seine Weissagung durch Pickle's und Pallet's Tod erfüllt zu sehen. Er zweifelte nicht, daß deren Schicksal zu einer großen Revolution Veranlassung geben würde, in welcher er dann eine Hauptrolle zu spielen gedachte; der Hofmeister dagegen, dessen Einbildungskraft bei weitem nicht so feurig und fruchtbar war, eilte zu dem englischen Gesandten, um diesen zu bitten, durch sein Ansehn bei dem französischen Ministerium die Befreiung der beiden Gefangenen zu bewirken.

Der Gesandte erkundigte sich jetzt bei Jolter nach der Ursache der Gefangennehmung, um desto besser im Stande zu seyn, Pickle's Betragen entweder rechtfertigen oder entschuldigen zu können, aber weder Jolter noch Pipes vermochten, hierüber die mindeste Auskunft zu geben; inzwischen mußte Letzterer die ganze Geschichte der Gefangennehmung und sein Verhalten dabei umständlich erzählen, worauf denn Se. Excellenz um so weniger zweifelten, daß sich Peregrine diese Unannehmlichkeit durch irgendeinen muthwilligen Streich auf der Maskerade zugezogen haben müsse, da er vernahm, daß der junge Herr den Nachmittag dem Glase tüchtig zugesprochen und mit einer Mannsperson in Frauenzimmerkleidern sich auf den Ball begeben habe.

In der festen Ueberzeugung Peregrine's Befreiung sogleich bewirken zu können, machte der Gesandte noch denselben Tag dem französischen Minister seine Aufwartung; zu seinem Erstaunen fand er jedoch mehr Schwierigkeiten, als er erwartet hatte. Der französische Hof nimmt es in allen Dingen, welche Prinzen aus dem Hause betreffen, sehr genau und der Gesandte sah sich daher zuletzt genöthigt aus einem hohen Tone zu sprechen, konnte aber dessen ungeachtet, und obschon Frankreichs Politik es damals erheischte, nicht um Kleinigkeiten mit England zu brechen, dennoch nichts weiter erlangen als das Versprechen, daß man Pickle auf freien Fuß setzen wolle, wenn er sich dazu verstände, den von ihm beleidigten Herrn um Verzeihung zu bitten. Dies fanden Se. Excellenz, in der Voraussetzung, daß der junge Mann unrecht habe, nur billig und sandten daher Joltern nun mit dem Rathe an den Gefangenen ab, die vorgeschlagene Bedingung ja anzunehmen.

Nur mit Furcht und Beben betrat der Hofmeister das düstere Schloß, wo er seinen Zögling in einem traurigen Gemache erblickte, in welchem man nichts als einen Stuhl und ein elendes Bette sah. In dem Augenblicke, als er eintrat, hörte er Peregrine ganz sorglos pfeifen und bemerkte wie derselbe etwas an die Wand malte. Es war dies eine höchst lächerliche Caricatur, unter welcher der Name des von ihm beleidigten vornehmen Herrn stand; daneben war ein Hund abgebildet, der das Bein aufhob und sein Wasser in dessen Schuhe ließ: zur Erklärung dieses schönen Sinnbildes hatte Peregrine einige Inschriften in französischer Sprache darunter gesetzt.

Dem Hofmeister sträubte sich vor Angst das Haar empor, als er diese Randglossen las, und selbst der Kerkermeister gerieth über diese unerhörte, ihm hier nie vorgekommene Keckheit in Verwirrung und vereinigte sich mit Pickle's Freund, ihn zu überreden, die geforderte Bedingung zu erfüllen. Weit entfernt jedoch, den guten Rath dieses Mannes anzuhören, nahm ihn Peregrine bei der Hand und führte ihn zur Thüre hinaus, während er zugleich auf Jolter's flehentliche Bitten, ja selbst auf seine Thränen, keine andere Antwort ertheilte, als die: daß er sich, da er nichts Böses begangen, nie so weit herablassen würde, sondern daß er vielmehr wolle, daß seine Sache der Regierung seines Landes zur Untersuchung und Ausgleichung vorgelegt werde, indem es deren Pflicht sey, ihren Unterthanen Gerechtigkeit zu verschaffen: was Pallet jedoch anlange, den man abgesondert eingesperrt hatte und der von nachgebender Gemüthsart sey, so wünschte er, daß dieser das Anerbieten annehmen möchte.

Der Hofmeister verlangte nun den Mitgefangenen zu sehen, da der Kerkermeister jedoch keine Befehle in Betreff »der Dame« erhalten hatte, so schlug er ihm dies ab, war aber gefällig genug ihm zu erzählen: die gute Person schiene durch ihre Einkerkerung sehr gebeugt zu seyn, und geberde sich zuweilen, als als wenn sie ihr Bischen Verstand rein verloren hätte.

Mit schwerem Herzen verließ jetzt Jolter die Bastille und hinterbrachte dem Gesandten, wie fruchtlos seine Unterhandlungen gewesen wären, der seinerseits nicht umhin konnte, einige bittere Ausdrücke über die Hartnäckigkeit und den Uebermuth des jungen Mannes auszustoßen, und zu erklären, daß er einige Züchtigung für seine Thorheit wohl verdiene. Dennoch unterließ er es aber nicht, sich weiter für ihn zu verwenden und endlich, da das französische Ministerium fortfuhr, sich unnachgiebig zu zeigen, rund heraus zu sagen: er würde diese Sache zur Nationalangelegenheit machen und nicht nur seinem Hofe um Verhaltungsmaßregeln schreiben, sondern auch demselben rathen, Repressalien zu gebrauchen, und irgend einen der in London lebenden Herren in den Tower zu schicken.

Dies wirkte; man bewilligte die Entlassung der Gefangenen, doch nur unter der Bedingung, daß sich dieselben binnen drei Tagen aus Paris entfernen müßten. Diesen Vorschlag nahm Peregrine bereitwillig an; er war unter der Zeit etwas geschmeidiger geworden und seines Zustandes um so mehr müde, da er sich bereits seit mehreren Tagen ohne den geringsten Umgang oder einen andern Zeitvertreib sah, als den, welchen ihm seine Einbildungskraft verschaffte.


 << zurück weiter >>