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LIV.

Die Reisenden langen in Ryssel an, wo sie die Citadelle besehen, und der Arzt Streit mit einem Nordbritten bekommt, der in Verhaft genommen wird.

Nachdem die Glücksritter fort waren, begann Peregrine, der sich bei dem ganzen Vorgange gegenwärtig befunden hatte, nähere Nachrichten über Alles beim Wirthe einzuziehen; welcher ihm nun die Versicherung gab, daß er, wenn sie auch die Rechnung richtig bezahlt hätten, dennoch Verlust gehabt haben würde, da er, ihre Einwendungen voraussehend, Alles unter dem Preise angesetzt hätte. Das Ansehn der Officiere in Frankreich sey aber so groß, daß er es nicht hätte wagen dürfen, sie aufzubringen, denn wenn die Sache vor die Obrigkeit gekommen wäre, so würde er, da man den Grundsatz hätte, stets den Herren von der Armee beizustehen, dennoch den kürzeren gezogen und sich überdies noch den Groll der Andern auf den Hals geladen haben, was vollkommen hinreichend sey, ihn an den Bettelstab zu bringen.

Dieses neue Beispiel von Ungerechtigkeit und Despotie empörte Peregrine auf das Aeußerste und er konnte sich nicht enthalten, den Hofmeister zu fragen: ob dies etwa auch ein Beweis von dem glücklichen Zustande der Nation sey? Jolter erwiederte ihm hierauf: jede menschliche Einrichtung unterliege Unvollkommenheiten; allerdings genösse der Adel in Frankreich mehr Schutz als die anderen Stände, da man voraussetze, daß dessen edlere Gesinnungen und Eigenschaften diesen Vorzug verdienten, bei welchem man immer auf das Verdienst der Ahnen Rücksicht nähme, die einst ihrer Tugenden wegen wären geadelt worden; doch was die Obrigkeit betreffe, so habe der Wirth dieselbe durchaus falsch geschildert, denn niemals dulde sie Unrecht und bestrafe Mißbräuche und Beleidigungen ohne Ansehn der Person.

Der Maler fand es seinerseits sehr weise von der französischen Regierung, daß sie den Uebermuth des gemeinen Mannes in Zaum hielte, von dem er in England vielfach habe leiden müssen, indem er öfters in London von Lohnkutschern bespritzt, von Karrenschiebern und Lastträgern gestoßen und von Matrosen grob angefahren worden sey. Einstmals sey es ihm sogar begegnet, seinen Haarbeutel und einen beträchtlichen Theil seiner Haare einzubüßen, die ihm ein böser Bube bei dem feierlichen Zuge des Lordmayors durch Ludgade abgeschnitten habe.

Der Doctor behauptete dagegen mit großer Wärme: die beiden Officiers hätten nach Recht und Billigkeit nichts Geringeres als den Tod oder wenigstens die Verbannung verdient, da sie die Leute so unverschämt plünderten und die Schamlosigkeit, mit welcher sie dabei zu Werke gegangen wären, bewiese hinreichend, daß sie nicht allein die Gewißheit hätten, ungestraft durchzukommen, sondern auch, daß dies Verbrechen schon öfters von ihnen begangen worden sey. »Der größte Mann in Athen,« fuhr er fort, »würde auf ewig ins Exil geschickt, und sein Vermögen zum Besten des Staates eingezogen worden seyn, wenn er sich unterfangen hätte, die Rechte seiner Mitbürger so arg zu verletzen; was aber die kleinen Beleidigungen anlangt, denen man zuweilen durch den Muthwillen des gemeinen Volkes ausgesetzt ist, so sehe ich hierin nur die rühmlichen Merkmale der öffentlichen Freiheit, die man durchaus nicht unterdrücken darf.« Er ging hierin so weit zu erklären, daß es ihm ein wahres Vergnügen machen würde, von einem übermüthigen Sohn der Freiheit in den Koth geworfen zu werden, selbst wenn er dabei auch ein Glied einbüße, und setzte dann hinzu: daß ihm niemals etwas eine größere Freude gemacht habe, als der Anblick, wie eines Tages ein Gassenkehrer in London aus bloßem Muthwillen die Kutsche eines Gentlemans umgeworfen, und dadurch ein paar darin sitzende Damen fast tödtlich beschädigt habe. Das Uebertriebene dieser Aeußerung verdroß Pallet indeß so sehr, daß er ihm zur Antwort gab: »Wenn das der Fall ist, so will ich wünschen, daß Ihnen alle Gebeine in Ihrem ganzen Körper von dem ersten Schuttkärner, der Ihnen in London auf der Straße begegnet, zerbrochen werden mögen.«

Nachdem diese Sache verhandelt, und die Rechnung ohne Abzug bezahlt worden war, obschon sich der Wirt bei derselben sehr sichtlich für den Schaden zu erholen gesucht hatte, den er durch die Officiere erlitten, reiste man von Arras ab und traf um zwei Uhr Nachmittags in Ryssel ein, wo man in einem großen Gasthofe am Markte abstieg, und der Wirth sogleich mit der Nachricht entgegenkam, daß er table d'Hôte hielte, an welcher mehrere englische Herren, die sich im Orte befanden, Theil nähmen, und daß bereits angerichtet sey. Dies bewog Peregrine, dem es stets darum zu thun war, Menschen und Charaktere kennen zu lernen, seine Gesellschafter zu bereden, Platz an der Wirthstafel zu nehmen, worauf man sie nun in das Eßzimmer führte, woselbst sich mehrere schottische und holländische Officiere, nebst einigen in französischen Diensten stehenden Herren befanden, die in der Citadelle in Besatzung lagen, während die Ersteren hierher gekommen waren, um die Akademie zu besuchen.

Unter den Franzosen befand sich ein Mann von ungefähr funfzig Jahren, von ausnehmend feinem Ton und Betragen. Er trug ein Maltheserkreuz und schien die vorzügliche Achtung aller Andern zu genießen. Sowie er hörte, daß Pickle und dessen Gesellschafter Reisende wären, redete er den jungen Mann auf Englisch an, das er ganz leidlich sprach, und nach wenigen Worten hatte er die Artigkeit, sich zu erbieten, ihnen den Nachmittag die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen.

Diese der französischen Nation so besonders eigene Zuvorkommenheit freute Peregrine ungemein und er suchte nun sehr geflissentlich das Gespräch mit dem Herrn zu unterhalten, wo er denn bald sah, daß derselbe ein Mann von vielem Geiste und Erfahrung war, der mehrere Länder von Europa genau kannte, sich mehrere Jahre in England aufgehalten, und sich mit der Verfassung und dem Geiste dieses Volkes, sehr genau bekannt gemacht hatte.

Nachdem man gespeist, und dabei die Gesundheit der Könige von England und Frankreich getrunken hatte, ließ man ein paar Wagen kommen, in deren einen der Maltheser nebst einem seiner Freunde, Peregrine und der Hofmeister stiegen, während der Arzt, Pallet und zwei schottische Officiere, die sich dazu erboten hatten, sie zu begleiten, Platz in dem anderen nahmen. Der erste Ort, den man besah, war die Citadelle, wo der Ritter die Gesellschaft überall umherführte, und den Fremden die Werke dieser dem Anschein nach unüberwindlichen Festung zeigte und erklärte; hierauf stieg man wieder ein, um sich nach dem Zeughause zu begeben, das in einem anderen Quartiere der Stadt lag; während man aber über die Promenade fuhr, hörte Peregrine plötzlich seinen Namen von dem Maler laut rufen, und als er nun dem Kutscher gebot, einen Augenblick zu halten, da sah er wie Pallet mit halbem Leibe aus dem Schlage des andern Wagens lag und ganz verstört rief: »Sir Pickle! Sir Pickle! Um Gotteswillen halten Sie stille, und steuern Sie dem Blut vergießen, sonst giebt es Mord und Todtschlag.«

Erstaunt hierüber, sprang Peregrine sogleich aus dem Wagen und näherte sich der anderen Kutsche, wo er den einen der schottischen Officiere ebenfalls ausgestiegen und das Gesicht voll Wuth, mit bloßem Degen in der Hand erblickte, während sich der Arzt im Wagen mit bebenden Lippen und starren Augen, von dem anderen Officier, der ihn zurückzuhalten sich bemühte, loszumachen suchte. Unser Freund vernahm jetzt bei näherer Erkundigung: daß der Streit von einem Wortwechsel herrührte, den die beiden Herren mit einander auf den Wällen der Festung über die Stärke der Werke derselben gehabt hatten. Der Doctor hatte nämlich nach seiner gewöhnlichen Art, die Anlage der Festungswerke getadelt, weil sie von neueren Baumeistern waren errichtet worden, und geäußert, daß er sich anheischig mache, die Festung mit den Kriegsmaschinen der Alten und einigen tausend Schanzgräbern in weniger als zehn Tagen zu erobern. Der Schottländer, in seiner Art ein eben solches Original als der Arzt, hatte sich auf die Befestigungskunst gelegt, und sowohl Cäsars Commentarien als den Polybius mit Folard's Anmerkungen, fleißig studirt; dies brachte ihn denn zu der Behauptung, daß die Belagerungsmethoden der Alten gegen eine Festung wie Ryssel nichts ausrichten würden, und der Vergleich, den er zwischen den Schanzen, Sturmdächern, Widdern, Skorpionen und Mauerbrechern der Römer mit den jetzt üblichen Laufgräben, Minen, Batterien und Feuergeschütz machte, fiel eben nicht zum Vortheil der Ersteren aus.

Jetzt bot aber der Republikaner, der sich gerade auf der Seite angegriffen sah, die er für seine stärkste hielt, seine ganze Gelehrsamkeit auf, indem er jedoch eben zur Unterstützung seiner Meinung die berühmte Belagerung von Platäa beschrieb, traf sich's, daß er unglücklicherweise eine Stelle aus dem Thucydides falsch citirte, die nun sogleich von seinem Gegner, der eigentlich zum geistlichen Stande war erzogen worden, und sehr gut Griechisch verstand, verbessert wurde. Dies entrüstete den Doctor außerordentlich und um so mehr, da ihm dieser verdrießliche Schnitzer in Pallet's Gegenwart war aufgestochen worden, der, wie er wohl wußte, nicht ermangeln würde, die Sache weiter zu verbreiten. Er sagte daher voll Uebermuth zu dem Officier: dergleichen Einwendungen bedeuteten nichts, und überhaupt müsse er sich nicht beikommen lassen, mit ihm über solche Materien zu disputiren, die er auf das Reiflichste erwogen hätte.

Diese anmaßende Antwort erbitterte den Schottländer, der nun mit großer Hitze erwiederte: der Doctor möchte wohl ein geschickter Apotheker seyn, was aber Kriegskunst und griechische Sprache anlangt, so zeige er darin nur den unwissenden Prahler.

Hierauf wurde von dem Arzte durch eine Antwort erwiedert, die zugleich eine Beleidigung für alle Landsleute des Officiers war, und so war man denn nach und nach in der Wortfehde schon bis zu ganz leidlichen gegenseitigen Schmähungen gediehen, als es endlich den beiden Andern gelang, die Streitenden etwas wieder zu beruhigen, indem man ihnen vorstellte: wie unschicklich es seyn würde, wenn sie an einem fremden Orte Händel anfingen, und wie viel besser es wäre, daß sie sich als Freunde und Landsleute begegneten. Sie ließen demnach davon ab, sich mit Anzüglichkeiten heimzusuchen, und die ganze Sache schien vergessen zu seyn; zum Unglück kam jedoch der Maler, nachdem man sich wieder eingesetzt hatte, auf den Einfall, sich nach der Bedeutung des Wortes: Testudo zu erkundigen, das er unter den Kriegsgeräthschaften der Alten hatte erwähnen hören. Der Arzt war sogleich bereit, ihm die Sache zu erklären, doch beschrieb er die Maschine dem Officier so wenig zu Danke, daß dieser ihn mitten in seiner Rede unterbrach und geradezu widersprach. Dies reizte aber den Doctor so sehr, daß er, hingerissen von Zorn über die neue Beleidigung, das Wort: »Unverschämter Patron!« ausstieß, das kaum über seine Lippen gegangen war, als er auch schon von dem Schottländer einen Faustschlag in das Gesicht erhielt. Dabei sprang dieser zugleich aus dem Wagen, und erwartete nun seinen Gegner auf festem Boden, doch ließ sich der Arzt nach einigen schwachen Versuchen ebenfalls auszusteigen, gern von dem andern Kriegsmanne zurückhalten, Pallet aber, dem vor den Folgen bange war, in die er mit verwickelt zu werden fürchtete, schrie nun laut nach einem Vermittler.

Peregrine bemühte sich jetzt die Sache beizulegen, indem er den Schottländer vorstellte, wie er sich ja für die ihm widerfahrene Beschimpfung bereits Genugthuung genommen hätte, und dem Doctor sagte er: er habe die erlittene Züchtigung wohl verdient. Der Officier, dem die Bestürzung seines Gegners vielleicht noch mehr Muth verlieh, bestand jedoch darauf, er solle förmlich um Verzeihung bitten, da der Doctor sich aber nun unter dem Schutze seines Freundes Pickle in vollkommener Sicherheit glaubte, so war er hierzu nichts weniger als geneigt, und stellte sich gewaltig grimmig an, weshalb denn der Maltheser, um allem Unheile vorzubeugen, es für das Gerathenste hielt, dem Schottländer Arrest anzukündigen und ihm unter Aufsicht des anderen französischen Herrn und seines Cameraden, nach seiner Wohnung zu senden. Jolter, der früher schon alle Merkwürdigkeiten von Ryssel gesehen hatte, begleitete sie, und überließ seinen Platz in der andern Kutsche dem Arzte.


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